Oberfranken besitzt eine traditionsreiche und bunte Trachtenlandschaft, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gewandelt und erneuert hat. Bis heute werden bei festlichen Gelegenheiten historische, aber auch zeitgemäß überarbeitete Modelle getragen. Dieser Band gibt erstmals einen Überblick über diese vielfältige Trachtenwelt, deren Geschichte und Zukunft.Neben den Details und Besonderheiten der verschiedenen Trachten wie dem Kopftuch oder der Brautkrone stehen die einzelnen Regionen im Vordergrund - das Bamberger Land, die Fränkische Schweiz, Effeltrich und Hausen, der Hummelgau, Sachsen-Coburg oder das Hofer Land.Birgit Jauernig, Trachtenberaterin des Bezirks Oberfranken, erläutert anhand von zahlreichen Beispielen, wie sich die politische, konfessionelle und wirtschaftliche Geschichte in den historischen Kleidungsstücken widerspiegelt. Der Trachtenreichtum Oberfrankens wird durch die großformatigen und brillant in Szene gesetzten Fotografien von Walther Appelt eindrucksvoll illustriert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.12.2018Renaissance der Tracht
In Oberfranken steigt das Interesse an traditionellen Gewändern, es entstehen neue Modelle nach
historischen Vorlagen. Ein Bildband verschafft nun einen Überblick über regionalen Besonderheiten
VON CLAUDIA HENZLER
Nürnberg – Auf der Straße ist sie zwar eher selten zu sehen, doch das Interesse an regionaltypischer Kleidung ist in den vergangenen Jahren in Oberfranken stark gewachsen. Das beobachtet Volkskundlerin Birgit Jauernig, Leiterin des Bauernmuseums Bamberger Land und seit 2003 Trachtenberaterin des Bezirks Oberfranken. Sie bietet Nähkurse an, organisiert Trachtenmärkte und berät Vereine, die ein einheitliches Gewand entwickeln wollen. Und dieses Fachwissen ist zunehmend gefragt, seit sich 2009 eine Gruppe aus dem Landkreis Coburg mit dem Wunsch an Jauernig wandte, eine Tracht für junge Frauen zu entwickeln, die auf historischen Vorlagen basiert. Heute bietet die Trachtenberatungsstelle Schnittmuster für die Modelle „Coburger Land“, „Kulmbach“, „Bamberg“ und das „Wunsiedler Mieder“ an und vermittelt Vorlagen für die erneuerte Tracht „Hofer Land“ und die Rehauer Tracht. Solche Kleidungsstücke werden nicht nur von Tanzgruppen, Musikkapellen oder der Landjugend getragen, sondern auch von Bedienungen, Lokalpolitikerinnen oder ganz privat beim Kerwa-Ausflug.
Walther Appelt hat sich ebenfalls mit dem Trachtenvirus infiziert. Er wohnt im Landkreis Erlangen-Höchstadt, sammelt historische Trachten und Abbildungen davon und ist im Arbeitskreis Männertracht des Fränkische-Schweiz-Vereins aktiv. Vor einigen Jahren hat er begonnen, diese private Leidenschaft mit seinem Beruf als Industriefotograf zu verbinden. Er hat Männer und Frauen aus Oberfranken vor die Kamera gebeten, die Trachten tragen, bewahren oder entwerfen. Dabei hat keine Rolle gespielt, ob es sich um historische oder um moderne Trachten handelt. Entstanden sind beeindruckende Ganzkörperaufnahmen, bei denen er die oft farbenfrohen Trachten und ihre Träger vor schwarzem Hintergrund inszenierte.
Appelts Bilder waren 2017 in Oberfranken in mehreren Ausstellungen zu sehen. Nun bilden sie den Kern eines mehr als 200 Seiten starken Bildbandes, den der Münchner Volk-Verlag mit Unterstützung des Bezirks Oberfranken herausgegeben hat. Die ganzseitigen Porträtaufnahmen werden ergänzt durch historisches Bildmaterial und informative Texte von Birgit Jauernig. Sie arbeitet die Besonderheiten der oberfränkischen Trachtenlandschaft heraus und gibt einen Überblick über die Entwicklung der regionalen Eigenheiten, die sich im ehemaligen Herzogtum Sachsen-Coburg anders entwickelt haben als in der Fränkischen Schweiz oder in Hof, damals ein Zentrum der Textilproduktion.
Meist haben sich die typischen Gewänder Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts ausgeprägt, als man auf dem Land neben der Arbeitskleidung meist nur ein Festtagsgewand hatte und dieses ab und zu durch ein neues Halstuch oder eine Schürze vom Wanderhändler aufpeppte. Im 19. Jahrhundert wurde dieser Kleidungsstil von Städtern romantisiert und in den 1840er-Jahren kam in Bayern der politische Wille dazu, regionale Trachten als identifikationsstiftendes Mittel zu fördern. Damals waren sie in vielen Gegenden schon gar nicht mehr alltäglich, wie Jauernig berichtet. So kamen 1842, als Trachtenträger zur Hochzeit des späteren Königs Maximilian II. mit Prinzessin Maria Friederike von Preußen gesucht wurden, aus zahlreichen Gerichtsbezirken Oberfrankens negative Antworten: Besondere Trachten seien nicht bekannt oder schon vor geraumer Zeit verschwunden. Vor allem die Männer trügen längst nicht mehr Dreispitz, Pelzmütze, farbige Westen und Kniehose. Man kleide sich jetzt nach der allgemeinen Mode. Durch die staatliche Trachtenförderung erlebte dieser Kleidungsstil damals eine erste Renaissance.
Eigene kurze Kapitel widmen Appelt und Jauernig dem besonders auffälligen Phänomen Brautkrone, wie sie im Forchheimer Land getragen wurde, und den weißen Kopftüchern, die verheiratete Frauen dort zu voluminösen Hauben drapierten. Man kann sie heute noch bei Fronleichnamsprozessionen sehen.
Schwachpunkte des Buches sind manches Mal die kurzen Bildinformationen, die Appelts Porträts begleiten. Im Idealfall erfährt der Leser, dass ein Museumsleiter in historischem Gewand zu sehen ist, die Teilnehmerin eines Nähkurses oder eine Stoffhändlerin, die alte Trachten sammelt. Über andere Personen erfährt er dagegen leider nur sehr wenig.
Walther Appelt, Birgit Jauernig: „Oberfrankens Trachten.“ Volk Verlag München, 34,90 Euro.
Walther Appelt hat seine
Leidenschaft für Trachten mit
dem Beruf als Fotograf verbunden
Die auffällige Brautkrone ist
eine Besonderheit
aus dem Forchheimer Land
So ging man als unverheirateter Bursche Mitte des
19. Jahrhunderts in Coburg aus.
Die neue Kerwa-Tracht ist die
Antwort des Fränkische-Schweiz-Vereins aufs Oktoberfestdirndl.
Diese Postkarte von 1899 zeigt ein Paar in der von Bamberger Gärtnern und Häckern seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gepflegten Tracht.
Foto: Privatbesitz Walther Appelt
Eine historisch inspirierte,
aber 1985 überarbeitete Tracht aus dem Bamberger Umland.
Historische Festtagstracht mit
„hohem Kranz“ aus der Fränkischen Schweiz. Fotos: Walther Appelt
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In Oberfranken steigt das Interesse an traditionellen Gewändern, es entstehen neue Modelle nach
historischen Vorlagen. Ein Bildband verschafft nun einen Überblick über regionalen Besonderheiten
VON CLAUDIA HENZLER
Nürnberg – Auf der Straße ist sie zwar eher selten zu sehen, doch das Interesse an regionaltypischer Kleidung ist in den vergangenen Jahren in Oberfranken stark gewachsen. Das beobachtet Volkskundlerin Birgit Jauernig, Leiterin des Bauernmuseums Bamberger Land und seit 2003 Trachtenberaterin des Bezirks Oberfranken. Sie bietet Nähkurse an, organisiert Trachtenmärkte und berät Vereine, die ein einheitliches Gewand entwickeln wollen. Und dieses Fachwissen ist zunehmend gefragt, seit sich 2009 eine Gruppe aus dem Landkreis Coburg mit dem Wunsch an Jauernig wandte, eine Tracht für junge Frauen zu entwickeln, die auf historischen Vorlagen basiert. Heute bietet die Trachtenberatungsstelle Schnittmuster für die Modelle „Coburger Land“, „Kulmbach“, „Bamberg“ und das „Wunsiedler Mieder“ an und vermittelt Vorlagen für die erneuerte Tracht „Hofer Land“ und die Rehauer Tracht. Solche Kleidungsstücke werden nicht nur von Tanzgruppen, Musikkapellen oder der Landjugend getragen, sondern auch von Bedienungen, Lokalpolitikerinnen oder ganz privat beim Kerwa-Ausflug.
Walther Appelt hat sich ebenfalls mit dem Trachtenvirus infiziert. Er wohnt im Landkreis Erlangen-Höchstadt, sammelt historische Trachten und Abbildungen davon und ist im Arbeitskreis Männertracht des Fränkische-Schweiz-Vereins aktiv. Vor einigen Jahren hat er begonnen, diese private Leidenschaft mit seinem Beruf als Industriefotograf zu verbinden. Er hat Männer und Frauen aus Oberfranken vor die Kamera gebeten, die Trachten tragen, bewahren oder entwerfen. Dabei hat keine Rolle gespielt, ob es sich um historische oder um moderne Trachten handelt. Entstanden sind beeindruckende Ganzkörperaufnahmen, bei denen er die oft farbenfrohen Trachten und ihre Träger vor schwarzem Hintergrund inszenierte.
Appelts Bilder waren 2017 in Oberfranken in mehreren Ausstellungen zu sehen. Nun bilden sie den Kern eines mehr als 200 Seiten starken Bildbandes, den der Münchner Volk-Verlag mit Unterstützung des Bezirks Oberfranken herausgegeben hat. Die ganzseitigen Porträtaufnahmen werden ergänzt durch historisches Bildmaterial und informative Texte von Birgit Jauernig. Sie arbeitet die Besonderheiten der oberfränkischen Trachtenlandschaft heraus und gibt einen Überblick über die Entwicklung der regionalen Eigenheiten, die sich im ehemaligen Herzogtum Sachsen-Coburg anders entwickelt haben als in der Fränkischen Schweiz oder in Hof, damals ein Zentrum der Textilproduktion.
Meist haben sich die typischen Gewänder Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts ausgeprägt, als man auf dem Land neben der Arbeitskleidung meist nur ein Festtagsgewand hatte und dieses ab und zu durch ein neues Halstuch oder eine Schürze vom Wanderhändler aufpeppte. Im 19. Jahrhundert wurde dieser Kleidungsstil von Städtern romantisiert und in den 1840er-Jahren kam in Bayern der politische Wille dazu, regionale Trachten als identifikationsstiftendes Mittel zu fördern. Damals waren sie in vielen Gegenden schon gar nicht mehr alltäglich, wie Jauernig berichtet. So kamen 1842, als Trachtenträger zur Hochzeit des späteren Königs Maximilian II. mit Prinzessin Maria Friederike von Preußen gesucht wurden, aus zahlreichen Gerichtsbezirken Oberfrankens negative Antworten: Besondere Trachten seien nicht bekannt oder schon vor geraumer Zeit verschwunden. Vor allem die Männer trügen längst nicht mehr Dreispitz, Pelzmütze, farbige Westen und Kniehose. Man kleide sich jetzt nach der allgemeinen Mode. Durch die staatliche Trachtenförderung erlebte dieser Kleidungsstil damals eine erste Renaissance.
Eigene kurze Kapitel widmen Appelt und Jauernig dem besonders auffälligen Phänomen Brautkrone, wie sie im Forchheimer Land getragen wurde, und den weißen Kopftüchern, die verheiratete Frauen dort zu voluminösen Hauben drapierten. Man kann sie heute noch bei Fronleichnamsprozessionen sehen.
Schwachpunkte des Buches sind manches Mal die kurzen Bildinformationen, die Appelts Porträts begleiten. Im Idealfall erfährt der Leser, dass ein Museumsleiter in historischem Gewand zu sehen ist, die Teilnehmerin eines Nähkurses oder eine Stoffhändlerin, die alte Trachten sammelt. Über andere Personen erfährt er dagegen leider nur sehr wenig.
Walther Appelt, Birgit Jauernig: „Oberfrankens Trachten.“ Volk Verlag München, 34,90 Euro.
Walther Appelt hat seine
Leidenschaft für Trachten mit
dem Beruf als Fotograf verbunden
Die auffällige Brautkrone ist
eine Besonderheit
aus dem Forchheimer Land
So ging man als unverheirateter Bursche Mitte des
19. Jahrhunderts in Coburg aus.
Die neue Kerwa-Tracht ist die
Antwort des Fränkische-Schweiz-Vereins aufs Oktoberfestdirndl.
Diese Postkarte von 1899 zeigt ein Paar in der von Bamberger Gärtnern und Häckern seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gepflegten Tracht.
Foto: Privatbesitz Walther Appelt
Eine historisch inspirierte,
aber 1985 überarbeitete Tracht aus dem Bamberger Umland.
Historische Festtagstracht mit
„hohem Kranz“ aus der Fränkischen Schweiz. Fotos: Walther Appelt
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