Süddeutsche ZeitungWirtschaftsbücher
Der Umweg
ist das Ziel
Seit zehn Jahren überschwemmen Lifestyle- und Managementratgeber den Buchmarkt. Jetzt sollen wir also in der Wirtschaft wie im Privaten auch noch einen Umweg machen, um unser Leben in Griff zu bekommen? John Kays Buch über die Kunst des Umwegs ist alles andere als ein weiteres nutzloses Produkt. Der frühere Oxford-Professor hat tatsächlich erstaunliche Erkenntnisse zu bieten. Das englische Wort „Obliquity“ findet im Deutschen kein Pendant; man würde es in anderen Zusammenhängen als „Schieflage“ bezeichnen. Doch Obliquity steht für die Möglichkeiten, komplexe Absichten zu verwirklichen, indem man die Ziele auf Umwegen erreicht.
Der Beispiele sind viele. Man kommt nicht mit dem Kopf durch die Wand; zumindest nicht schmerzfrei. Der Panama-Kanal wurde eben nicht dort gebaut, wo er die kürzeste Verbindung zwischen logischem Pazifik- und Atlantik-Seeweg dargestellt hätte, sondern viel weiter südlich, wo Mittelamerika am schmalsten ist. Und die Moderne in der Architektur hat ihr Versagen mit dem Abriss der Hochhaussiedlung Pruitt-Igoe in Missouri bewiesen. Moderne, das ist für den Autor das Gegenteil von Obliquity. Plattmachen und dann eine ganze Stadt planen, ist seiner Ansicht nach weniger erfolgreich als behutsam erneuern.
Kay, der auch als Unternehmensberater arbeitete, geißelt dieses Konzept des „Business Reengineering“, das er beinahe mit Lenins und Pol Pots Überzeugungen gleichsetzt, man müsse einen Plan, der in einem einzelnen Kopf gereift sei, eins zu eins umsetzen und könne daher alles Bisherige, Erfahrungen und historische Entwicklung über Bord werfen.
Weder Politiker noch Manager verfolgen Standardmodelle rationaler Entscheidungsfindungen, auch wenn sie sich das manchmal selbst vormachen. Irak und die Finanzkrise nennt der Autor in seinem Vorwort; Atomausstieg und Libyen kann man aktuell getrost hinzufügen. Wenn die Menschen aber schon nicht klaren Konzepten folgen, sollten die Berater besser aufhören, solche klaren Konzepte zu entwickeln und sich dann zu ärgern, dass die Umsetzung ausbleibt. Sie sollten besser verstehen, wie der Mensch wirklich denkt und entscheidet, Umwege durchaus gutheißen und genau diese Umwege effektiver machen.
Denn auch wenn man durch Umwege besser ans Ziel kommt: Kay rät nicht, jeden beliebigen Umweg einzuschlagen. Der Autor zeigt, dass die profitabelsten Unternehmen nicht die gewinnorientiertesten, die reichsten Menschen nicht die geldgierigsten sind. Umwege nennt er so wichtig für den Erfolg, weil wir es stets mit komplexen Systemen zu tun haben. Nicht nur das eigene Tun entscheidet, sondern auch die Sicht der anderen auf vermeintliche Motive des Handelns.
Wer Umwege erfolgreich beschritten hat, wird sich also selten auf einen großen Plan berufen, so Kay. Er handelt vielmehr in kleinen Schritten und trifft Entscheidungen nach und nach. Denn es gibt für nahezu jedes Problem, für jede Aufgabe mehrere Lösungen. Wie so große Aufgaben wie „Gott ehren“ oder „gut leben“ keinen geradlinigen Weg bereithalten, bleibt auch bei kleinen Herausforderungen Flexibilität wichtig.
Dabei zieht Kay Figuren der Zeitgeschichte heran, den Schriftsteller Jorge Luis Borges ebenso wie den Philosophen Isaiah Berlin. Den „Großen Krummen“ erwähnt er nicht. Der hatte Peer Gynt in Ibsens Drama geraten, nicht geradeaus zu gehen, sondern einen Umweg zu machen – aus Bequemlichkeit. Ist das ein Gegenbeispiel zu Kays Thesen? Keineswegs. Denn einen Umweg zu machen, bedeutet nicht, die Zeit zu vertrödeln, wie Peer es tut. Kay ist ein schöner Erfolgsratgeber gelungen.
Ulrich Brömmling
John Kay: Obliquity: Die Kunst des Umwegs. Oder wie man am besten sein Ziel erreicht. Aus dem Englischen von Franka Reinhart. dtv Verlag, München 2011. 220 Seiten. 14,90 Euro.
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Der Umweg
ist das Ziel
Seit zehn Jahren überschwemmen Lifestyle- und Managementratgeber den Buchmarkt. Jetzt sollen wir also in der Wirtschaft wie im Privaten auch noch einen Umweg machen, um unser Leben in Griff zu bekommen? John Kays Buch über die Kunst des Umwegs ist alles andere als ein weiteres nutzloses Produkt. Der frühere Oxford-Professor hat tatsächlich erstaunliche Erkenntnisse zu bieten. Das englische Wort „Obliquity“ findet im Deutschen kein Pendant; man würde es in anderen Zusammenhängen als „Schieflage“ bezeichnen. Doch Obliquity steht für die Möglichkeiten, komplexe Absichten zu verwirklichen, indem man die Ziele auf Umwegen erreicht.
Der Beispiele sind viele. Man kommt nicht mit dem Kopf durch die Wand; zumindest nicht schmerzfrei. Der Panama-Kanal wurde eben nicht dort gebaut, wo er die kürzeste Verbindung zwischen logischem Pazifik- und Atlantik-Seeweg dargestellt hätte, sondern viel weiter südlich, wo Mittelamerika am schmalsten ist. Und die Moderne in der Architektur hat ihr Versagen mit dem Abriss der Hochhaussiedlung Pruitt-Igoe in Missouri bewiesen. Moderne, das ist für den Autor das Gegenteil von Obliquity. Plattmachen und dann eine ganze Stadt planen, ist seiner Ansicht nach weniger erfolgreich als behutsam erneuern.
Kay, der auch als Unternehmensberater arbeitete, geißelt dieses Konzept des „Business Reengineering“, das er beinahe mit Lenins und Pol Pots Überzeugungen gleichsetzt, man müsse einen Plan, der in einem einzelnen Kopf gereift sei, eins zu eins umsetzen und könne daher alles Bisherige, Erfahrungen und historische Entwicklung über Bord werfen.
Weder Politiker noch Manager verfolgen Standardmodelle rationaler Entscheidungsfindungen, auch wenn sie sich das manchmal selbst vormachen. Irak und die Finanzkrise nennt der Autor in seinem Vorwort; Atomausstieg und Libyen kann man aktuell getrost hinzufügen. Wenn die Menschen aber schon nicht klaren Konzepten folgen, sollten die Berater besser aufhören, solche klaren Konzepte zu entwickeln und sich dann zu ärgern, dass die Umsetzung ausbleibt. Sie sollten besser verstehen, wie der Mensch wirklich denkt und entscheidet, Umwege durchaus gutheißen und genau diese Umwege effektiver machen.
Denn auch wenn man durch Umwege besser ans Ziel kommt: Kay rät nicht, jeden beliebigen Umweg einzuschlagen. Der Autor zeigt, dass die profitabelsten Unternehmen nicht die gewinnorientiertesten, die reichsten Menschen nicht die geldgierigsten sind. Umwege nennt er so wichtig für den Erfolg, weil wir es stets mit komplexen Systemen zu tun haben. Nicht nur das eigene Tun entscheidet, sondern auch die Sicht der anderen auf vermeintliche Motive des Handelns.
Wer Umwege erfolgreich beschritten hat, wird sich also selten auf einen großen Plan berufen, so Kay. Er handelt vielmehr in kleinen Schritten und trifft Entscheidungen nach und nach. Denn es gibt für nahezu jedes Problem, für jede Aufgabe mehrere Lösungen. Wie so große Aufgaben wie „Gott ehren“ oder „gut leben“ keinen geradlinigen Weg bereithalten, bleibt auch bei kleinen Herausforderungen Flexibilität wichtig.
Dabei zieht Kay Figuren der Zeitgeschichte heran, den Schriftsteller Jorge Luis Borges ebenso wie den Philosophen Isaiah Berlin. Den „Großen Krummen“ erwähnt er nicht. Der hatte Peer Gynt in Ibsens Drama geraten, nicht geradeaus zu gehen, sondern einen Umweg zu machen – aus Bequemlichkeit. Ist das ein Gegenbeispiel zu Kays Thesen? Keineswegs. Denn einen Umweg zu machen, bedeutet nicht, die Zeit zu vertrödeln, wie Peer es tut. Kay ist ein schöner Erfolgsratgeber gelungen.
Ulrich Brömmling
John Kay: Obliquity: Die Kunst des Umwegs. Oder wie man am besten sein Ziel erreicht. Aus dem Englischen von Franka Reinhart. dtv Verlag, München 2011. 220 Seiten. 14,90 Euro.
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This is an elegant, simple book and, rarely for a business book, is written by a man who actually understands the academics and philosophers he quotes. The best nine quid you'll spend this year Jeremy Hazlehurst City AM