Ein Klassiker zum Wiederentdecken
Aufstehen oder liegen bleiben? Sich um dringliche Angelegenheiten des väterlichen Guts kümmern oder einen Mittagsschlaf halten? Ilja Iljitsch Oblomow weiß durchaus, wofür er sich in Situationen wie diesen entscheiden sollte, allein: er ist über alle Maßen lebensuntüchtig. So lässt er den Dingen seinen Lauf und kann sich nicht dazu aufraffen, etwas an seinem Daseinszustand zu ändern. Als die junge Olga in Oblomows Leben tritt, deutet sich die Möglichkeit einer Wende an. Doch auch in der Liebe stehen ihm seine Lethargie und fehlende Willenskraft im Weg.
Aufstehen oder liegen bleiben? Sich um dringliche Angelegenheiten des väterlichen Guts kümmern oder einen Mittagsschlaf halten? Ilja Iljitsch Oblomow weiß durchaus, wofür er sich in Situationen wie diesen entscheiden sollte, allein: er ist über alle Maßen lebensuntüchtig. So lässt er den Dingen seinen Lauf und kann sich nicht dazu aufraffen, etwas an seinem Daseinszustand zu ändern. Als die junge Olga in Oblomows Leben tritt, deutet sich die Möglichkeit einer Wende an. Doch auch in der Liebe stehen ihm seine Lethargie und fehlende Willenskraft im Weg.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2014NEUE TASCHENBÜCHER
Tiefstes
Russland
Zum Kuckuck mit dem brausenden Meer. Zum Kuckuck mit den Bergen, dem Mond, den Nachtigallen. Ruhe, ja? Sanfte Hügel, Nachmittagsschlaf. Gewitter, vor denen nicht einmal abergläubische Bauern Angst kriegen. „Auch die Zahl und die Stärke der Donnerschläge scheinen in jedem Jahr gleich zu sein, ganz so, als hätte der Fiskus dem gesamten Umkreis pro Jahr ein bestimmtes Maß an Elektrizität zugeteilt.“ Tiefstes Russland, tiefstes 19. Jahrhundert, die Heimat von Ilja Iljitsch Oblomow. Kann man es dem Mann verübeln, dass er, auf seinem Diwan liegend im feinen, ach so romantisch verspielten Sankt Petersburg, von dem Dorf seiner Kindheit träumt? Kann man diesem gutherzigen, intelligenten Menschen überhaupt etwas verübeln, und sei es, dass er an Lebensverweigerung stirbt? Lebte er heute, würde sich Oblomow aus Liebe zu seinen Freunden bei Facebook anmelden und in seinem ersten und letzten Post allen viel Glück wünschen. Iwan Gontscharow, der als Finanzbeamter sein Leben lang gegen den inneren Schweinehund kämpfte, veröffentlichte 1859 sein bestes Buch. Nun liegt es in einer erhellenden Neuübersetzung vor. Danke. TIM NESHITOV
Iwan Gontscharow:
Oblomow. Aus dem Russischen von Vera Bischitzky. dtv, München 2014.
848 Seiten, 14,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Tiefstes
Russland
Zum Kuckuck mit dem brausenden Meer. Zum Kuckuck mit den Bergen, dem Mond, den Nachtigallen. Ruhe, ja? Sanfte Hügel, Nachmittagsschlaf. Gewitter, vor denen nicht einmal abergläubische Bauern Angst kriegen. „Auch die Zahl und die Stärke der Donnerschläge scheinen in jedem Jahr gleich zu sein, ganz so, als hätte der Fiskus dem gesamten Umkreis pro Jahr ein bestimmtes Maß an Elektrizität zugeteilt.“ Tiefstes Russland, tiefstes 19. Jahrhundert, die Heimat von Ilja Iljitsch Oblomow. Kann man es dem Mann verübeln, dass er, auf seinem Diwan liegend im feinen, ach so romantisch verspielten Sankt Petersburg, von dem Dorf seiner Kindheit träumt? Kann man diesem gutherzigen, intelligenten Menschen überhaupt etwas verübeln, und sei es, dass er an Lebensverweigerung stirbt? Lebte er heute, würde sich Oblomow aus Liebe zu seinen Freunden bei Facebook anmelden und in seinem ersten und letzten Post allen viel Glück wünschen. Iwan Gontscharow, der als Finanzbeamter sein Leben lang gegen den inneren Schweinehund kämpfte, veröffentlichte 1859 sein bestes Buch. Nun liegt es in einer erhellenden Neuübersetzung vor. Danke. TIM NESHITOV
Iwan Gontscharow:
Oblomow. Aus dem Russischen von Vera Bischitzky. dtv, München 2014.
848 Seiten, 14,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2012Das große Fressen für Weltverweigerer
Vera Bischitzkys Neuübersetzung von Iwan Gontscharows Wunderroman "Oblomow"
Von Andreas Platthaus
Es ist ein Teufelskreislauf, den Iwan Gontscharow in seinem 1859 erschienenen Roman "Oblomow" den Titelhelden abschreiten lässt. Dabei ist dieser dreißigjährige Ilja Iljitsch Oblomow nicht nur von Dämonen, sondern auch von einigen Engeln umgeben. Und das Leben könnte so angenehm für ihn sein: Als in Sankt Petersburg wohnender Gutsbesitzer gebietet er über ein Dorf mit dreihundert Seelen, also Leibeigenen, und bezieht von dort regelmäßige Einkünfte und Abgaben. Doch da ist die Unentschiedenheit von Oblomow, die ihn aus Sorge vor den Unwägbarkeiten des Schicksals zu einem gänzlich passiven Menschen werden lässt, einem Anti-Odysseus. Nennt Homer seinen fahrenden Helden einen "edlen Dulder", der umso berechtigter Ruhm und Ehre beanspruchen darf, weil er sich dem Schicksal stellt, so charakterisiert Gontscharow seine unbewegliche Hauptfigur als ängstlichen Zauderer, der das Fatum flieht. Da jede Handlung Konsequenzen hat, kann aus seiner Sicht nur völlige Apathie das Böse zuverlässig bannen. Das Gute indes bannt sie auch.
"Oblomow" ist aber nicht nur moralisch ein Schwellenbuch, sondern auch literaturgeschichtlich: der erste der großen russischen Romane aus der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Tolstoi hat ihn geliebt, und wenn man liest, was für ein Frauenbild Gontscharow in seinem Roman inszeniert, dann sieht man sofort, dass sich die Figur der Anna Karenina nicht nur dem Vorbild von Nikolai Tschernyschewskis "Was tun" verdankt (der vier Jahre nach "Oblomow" erschien, als es zum guten Ton der russischen Intelligenz gehörte, aus Gontscharows Roman zu zitieren).
Und das Buch ist ein Welterfolg. Allein acht Mal wurde der Roman ins Deutsche übertragen; die jüngste, gerade bei Hanser erschienene Fassung stammt von Vera Bischitzky, die 2010 mit ihrer fulminanten Übersetzung von Gogols "Toten Seelen" Anspruch auf den Platz anmeldete, den die im selben Jahr verstorbene großartige Svetlana Geier innehatte. Sie hatte mit ihren Neuübersetzungen der Romane Dostojewskis seit Ende der achtziger Jahre jene Welle von Publikationen ausgelöst, die uns die Hauptwerke der russischen Literatur neu geschenkt hat. Auch "Oblomow", seit 1960 nicht mehr neu ins Deutsche übertragen, ist einer ihrer Ausläufer. Hoffentlich strandet noch viel mehr an.
Vera Bischitzky übersetzt den Roman mit leichter Hand, ihre Dialoge lesen sich wunderbar, die beschreibenden Passagen sind mustergültig präzise und poetisch. In ihren reichen Anmerkungen preist sie jedoch die eigene Leistung selbst ein wenig zu sehr an, und es hat schon eine komische Komponente, dass ausgerechnet in Oblomows Brief an die von ihm geliebte Olga, der zu seiner vollsten rhetorischen Zufriedenheit ausfällt, folgende Passage in der deutschen Fassung zu lesen ist: "In meinem tiefen Kummer tröste ich mich ein wenig damit, dass mir diese kurze Episode in unserem Leben für immer eine reine, duftige Erinnerung hinterlassen wird, die allein schon bewirkt, dass ich nicht wieder in meinen früheren Dämmerzustand zurückfalle . . ." Komisch nicht, weil genau das später doch wieder geschieht, sondern weil sich Oblomow zuvor an seiner stilistischen Geschicklichkeit bei der Niederschrift erfreut hatte: "Kein einziges Mal kam es zu einer dichten, unangenehmen Begegnung zweier welcher und zweier dass." Doch genau das unterläuft Bischitzky.
Nun hat Reinhold von Walter diese Passage in seiner noch heute greifbaren klassischen Übersetzung von 1926, die Bischitzky bisweilen als (negativer) Vergleichsmaßstab dient, nicht besser gemeistert. Aber wie steht es etwa hiermit: "Ebenso vorsichtig und sachte wie mit der Phantasie ging er auch mit seinem Herzen um. Da er häufig strauchelte, musste er sich eingestehen, dass die Sphäre der Herzensdinger noch eine terra incognita war." So weit Bischitzky. Von Walter übersetzt umständlicher: "Nicht minder fein und vorsichtig wie die Phantasie beobachtete er auch das Erlebnis seines Herzens. Hier ging er freilich des öfteren in die Irre und musste bekennen, dass die Sphäre der Führungen des Herzens noch unbekanntes Land sei." Bischitzky rettet den lateinischen Terminus des Originals, lässt aber die Zuordnung ihres "Strauchelns" unklar werden. Ein simples "dabei" oder "hierbei" hätte gereicht.
Doch das Leitprinzip ihrer neuen Übersetzung ist erkennbar Entschlackung. Und das ist gut so, denn dadurch wird erkennbar, dass "Oblomow" nicht nur ein Virtuosenstück der Sprache darstellt. Es ist nun leichter, Gontscharows Roman als große Allegorie auf das zaristische Russland zu lesen - als Riesenreich, das angesichts der Herausforderungen durch Moderne und Weltpolitik in gespenstische Starre verfiel. Nicht umsonst schrieb Gontscharow am "Oblomow" während und unmittelbar nach dem Krimkrieg und siedelte das Geschehen im Buch kurz davor an. Das Verhalten seines Helden wurde denn auch sprichwörtlich, nicht nur in Russland. Im Roman prägt der deutschstämmige Freund Oblomows mit dem sprechenden Namen Andrej Stolz den berühmten Begriff für sein verhängnisvolles Zögern: oblomowschtschina - die Oblomowerei (auch Bischitzky bewahrt das eingeführte Wort). Lieber ein Schrecken ohne Ende als ein etwaiges Ende mit Schrecken.
Das entsprach zeitweise Gontscharows eigenen Erfahrungen bei der Niederschrift des Romans. Zehn Jahre mussten die russischen Leser nach der Einzelpublikation des berühmten neunten Kapitels mit dem Namen "Oblomows Traum" noch auf den fertigen "Oblomow" warten, weil Gontscharow sich immer wieder außerstande fühlte, die unterlassenen Handlungen dieses Weltverweigerers im Dienste einer Schlaraffenlandutopie, die aus nichts als Schlafen, Essen, Reden und Spazierengehen bestehen sollte, mit der nötigen Konsequenz auszumalen.
Nach Don Quijote ist Oblomow der zweite große Antiheld der Literaturgeschichte, aber sein Buch treibt ihn bis in den Tod. Man weiß es (oder spürt es sonst), und doch wünscht man ihm 750 Seiten lang nur einmal jenen Funken Initiative, der ihn gerettet hätte. Und der das Buch verdorben hätte. Denn es ist ja, wie Oblomows Freund Stolz, der am Ende des Romans zum wahren Helden (und zum am positivsten gezeichneten Deutschen in der russischen Literatur) wird, feststellt: "Das wäre eine andere Geschichte gewesen und ein anderer Held, der uns nichts angeht."
Ein Ende mit Schrecken, das wir als Leser fürchten, ist der Schlusssatz eines guten Romans. Der von "Oblomow" lädt sofort zum Wiedereinstieg am Anfang ein - zum literarischen Engelskreislauf.
Iwan Gontscharow: "Oblomow". Roman in vier Teilen.
Aus dem Russischen von Vera Bischitzky. Hanser Verlag, München 2012. 840 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vera Bischitzkys Neuübersetzung von Iwan Gontscharows Wunderroman "Oblomow"
Von Andreas Platthaus
Es ist ein Teufelskreislauf, den Iwan Gontscharow in seinem 1859 erschienenen Roman "Oblomow" den Titelhelden abschreiten lässt. Dabei ist dieser dreißigjährige Ilja Iljitsch Oblomow nicht nur von Dämonen, sondern auch von einigen Engeln umgeben. Und das Leben könnte so angenehm für ihn sein: Als in Sankt Petersburg wohnender Gutsbesitzer gebietet er über ein Dorf mit dreihundert Seelen, also Leibeigenen, und bezieht von dort regelmäßige Einkünfte und Abgaben. Doch da ist die Unentschiedenheit von Oblomow, die ihn aus Sorge vor den Unwägbarkeiten des Schicksals zu einem gänzlich passiven Menschen werden lässt, einem Anti-Odysseus. Nennt Homer seinen fahrenden Helden einen "edlen Dulder", der umso berechtigter Ruhm und Ehre beanspruchen darf, weil er sich dem Schicksal stellt, so charakterisiert Gontscharow seine unbewegliche Hauptfigur als ängstlichen Zauderer, der das Fatum flieht. Da jede Handlung Konsequenzen hat, kann aus seiner Sicht nur völlige Apathie das Böse zuverlässig bannen. Das Gute indes bannt sie auch.
"Oblomow" ist aber nicht nur moralisch ein Schwellenbuch, sondern auch literaturgeschichtlich: der erste der großen russischen Romane aus der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Tolstoi hat ihn geliebt, und wenn man liest, was für ein Frauenbild Gontscharow in seinem Roman inszeniert, dann sieht man sofort, dass sich die Figur der Anna Karenina nicht nur dem Vorbild von Nikolai Tschernyschewskis "Was tun" verdankt (der vier Jahre nach "Oblomow" erschien, als es zum guten Ton der russischen Intelligenz gehörte, aus Gontscharows Roman zu zitieren).
Und das Buch ist ein Welterfolg. Allein acht Mal wurde der Roman ins Deutsche übertragen; die jüngste, gerade bei Hanser erschienene Fassung stammt von Vera Bischitzky, die 2010 mit ihrer fulminanten Übersetzung von Gogols "Toten Seelen" Anspruch auf den Platz anmeldete, den die im selben Jahr verstorbene großartige Svetlana Geier innehatte. Sie hatte mit ihren Neuübersetzungen der Romane Dostojewskis seit Ende der achtziger Jahre jene Welle von Publikationen ausgelöst, die uns die Hauptwerke der russischen Literatur neu geschenkt hat. Auch "Oblomow", seit 1960 nicht mehr neu ins Deutsche übertragen, ist einer ihrer Ausläufer. Hoffentlich strandet noch viel mehr an.
Vera Bischitzky übersetzt den Roman mit leichter Hand, ihre Dialoge lesen sich wunderbar, die beschreibenden Passagen sind mustergültig präzise und poetisch. In ihren reichen Anmerkungen preist sie jedoch die eigene Leistung selbst ein wenig zu sehr an, und es hat schon eine komische Komponente, dass ausgerechnet in Oblomows Brief an die von ihm geliebte Olga, der zu seiner vollsten rhetorischen Zufriedenheit ausfällt, folgende Passage in der deutschen Fassung zu lesen ist: "In meinem tiefen Kummer tröste ich mich ein wenig damit, dass mir diese kurze Episode in unserem Leben für immer eine reine, duftige Erinnerung hinterlassen wird, die allein schon bewirkt, dass ich nicht wieder in meinen früheren Dämmerzustand zurückfalle . . ." Komisch nicht, weil genau das später doch wieder geschieht, sondern weil sich Oblomow zuvor an seiner stilistischen Geschicklichkeit bei der Niederschrift erfreut hatte: "Kein einziges Mal kam es zu einer dichten, unangenehmen Begegnung zweier welcher und zweier dass." Doch genau das unterläuft Bischitzky.
Nun hat Reinhold von Walter diese Passage in seiner noch heute greifbaren klassischen Übersetzung von 1926, die Bischitzky bisweilen als (negativer) Vergleichsmaßstab dient, nicht besser gemeistert. Aber wie steht es etwa hiermit: "Ebenso vorsichtig und sachte wie mit der Phantasie ging er auch mit seinem Herzen um. Da er häufig strauchelte, musste er sich eingestehen, dass die Sphäre der Herzensdinger noch eine terra incognita war." So weit Bischitzky. Von Walter übersetzt umständlicher: "Nicht minder fein und vorsichtig wie die Phantasie beobachtete er auch das Erlebnis seines Herzens. Hier ging er freilich des öfteren in die Irre und musste bekennen, dass die Sphäre der Führungen des Herzens noch unbekanntes Land sei." Bischitzky rettet den lateinischen Terminus des Originals, lässt aber die Zuordnung ihres "Strauchelns" unklar werden. Ein simples "dabei" oder "hierbei" hätte gereicht.
Doch das Leitprinzip ihrer neuen Übersetzung ist erkennbar Entschlackung. Und das ist gut so, denn dadurch wird erkennbar, dass "Oblomow" nicht nur ein Virtuosenstück der Sprache darstellt. Es ist nun leichter, Gontscharows Roman als große Allegorie auf das zaristische Russland zu lesen - als Riesenreich, das angesichts der Herausforderungen durch Moderne und Weltpolitik in gespenstische Starre verfiel. Nicht umsonst schrieb Gontscharow am "Oblomow" während und unmittelbar nach dem Krimkrieg und siedelte das Geschehen im Buch kurz davor an. Das Verhalten seines Helden wurde denn auch sprichwörtlich, nicht nur in Russland. Im Roman prägt der deutschstämmige Freund Oblomows mit dem sprechenden Namen Andrej Stolz den berühmten Begriff für sein verhängnisvolles Zögern: oblomowschtschina - die Oblomowerei (auch Bischitzky bewahrt das eingeführte Wort). Lieber ein Schrecken ohne Ende als ein etwaiges Ende mit Schrecken.
Das entsprach zeitweise Gontscharows eigenen Erfahrungen bei der Niederschrift des Romans. Zehn Jahre mussten die russischen Leser nach der Einzelpublikation des berühmten neunten Kapitels mit dem Namen "Oblomows Traum" noch auf den fertigen "Oblomow" warten, weil Gontscharow sich immer wieder außerstande fühlte, die unterlassenen Handlungen dieses Weltverweigerers im Dienste einer Schlaraffenlandutopie, die aus nichts als Schlafen, Essen, Reden und Spazierengehen bestehen sollte, mit der nötigen Konsequenz auszumalen.
Nach Don Quijote ist Oblomow der zweite große Antiheld der Literaturgeschichte, aber sein Buch treibt ihn bis in den Tod. Man weiß es (oder spürt es sonst), und doch wünscht man ihm 750 Seiten lang nur einmal jenen Funken Initiative, der ihn gerettet hätte. Und der das Buch verdorben hätte. Denn es ist ja, wie Oblomows Freund Stolz, der am Ende des Romans zum wahren Helden (und zum am positivsten gezeichneten Deutschen in der russischen Literatur) wird, feststellt: "Das wäre eine andere Geschichte gewesen und ein anderer Held, der uns nichts angeht."
Ein Ende mit Schrecken, das wir als Leser fürchten, ist der Schlusssatz eines guten Romans. Der von "Oblomow" lädt sofort zum Wiedereinstieg am Anfang ein - zum literarischen Engelskreislauf.
Iwan Gontscharow: "Oblomow". Roman in vier Teilen.
Aus dem Russischen von Vera Bischitzky. Hanser Verlag, München 2012. 840 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Lothar Müller kitzelt in seiner Rezension das Unkomische, Unmelancholische, das ganz und gar Abgründige dieser Figur, dieses Helden der Untätigkeit, heraus. Zwar rät er dem Leser, etwa zur sagenhaften Liebesgeschichte zwischen Oblomow und Olga schön Bellini zu hören. Doch die Kunst, mit der Iwan Gontscharow seine Gestalt über die Langeweile nach der dunklen Seite hin aufschließt, flößt ihm noch mehr Respekt ein. Einen Vorläufer der späteren Beckett-Helden meint er in Oblomow zu erkennen. Sodann zur Neuübertragung: Dankbar zeigt sich Müller, ja sogar überzeugt von der Lebendigkeit und Stilsicherheit Vera Bischitzkys und ihren nützlichen Anmerkungen. Nur geht ihm die Übersetzerin mitunter zu weit, wenn sie ältere Übersetzungen regelrecht hinrichtet, wie Müller erklärt. Reinhold von Walters Oblomow von 1925 jedenfalls möchte der Rezensent gerne auch weiterhin gelten lassen. Die Aufträge für die Neuübersetzung und für das Nachwort, rät Müller schließlich, seien doch des möglichen höheren Niveaus wegen bitte getrennt zu vergeben, nicht als Rundum-Sorglos-Paket. Dieses Nachwort, da ist Müller sich sicher, unterschreitet die Qualität der Übertragung leider deutlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Vera Bischitzky übersetzt den Roman mit leichter Hand, ihre Dialoge lesen sich wunderbar, die beschreibenden Passagen sind mustergültig präzise und poetisch." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.03.12
"Jetzt wurde das Buch endlich neu übersetzt. Eine Meisterleistung.[...] Nach sieben Übertragungen ins Deutsche [...] hat sich die Slawistin Vera Bischitzky der großen Sache angenommen, und sie präsentiert einen Roman, dessen ruhiger Fluss, dessen Innehalten und Mäandern in jeder Passage, in jedem einzelnen Satz im Deutschen fühlbar wird. Die versunkene Welt, die sie wiederauferstehen lässt, kann wieder besichtigt, gehört, ertastet, geschmeckt und gerochen werden." Elke Schmitter, Der Spiegel, 15/2012
"Ein völlig entstaubter, ganz heutiger ,Oblomow'." Karlheiz Kasper, Neues Deutschland, 17.06.12
"Bischitzky arbeitet mit dem Florett, treffsicher und elegant, alles fließt, pulsiert, verbindet sich logisch und wirkt nie forciert modern, was ja manchmal schlimmer schmerzt als Holperigkeit. Leiden und die Lethargie Oblomows haben hier sprachlich die optimale Therapie erfahren: So überlebt auch ein Lebensuntüchtiger die nächsten 100 Jahre." Werner Theurich, Spiegel Online, 18.06.12
"Ein Jahrhundertwerk. In der neuen Übersetzung von Vera Bischitzky überzeugt es mehr denn je - sowohl durch seinen Witz wie durch seine Tiefe. Ist dieser Roman wirklich schon gut 150 Jahre alt?" Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 24.06.12
"Eine exquisite Neuübersetzung: Vera Bischitzky hat es nun im Rahmen der verdienstvollen Reihe von Klassiker-Neuübersetzungen im Hanser-Verlag unternommen, ,Oblomow' eine neue sprachliche Gestalt zu geben. Dabei geht es ihr gerade nicht um Modernisierung, sondern sie versucht, das Zeitkolorit des Romans auch im Deutschen zu bewahren." Ulrich M. Schmid, Neue Zürcher Zeitung,16.06.12
"Diese Fassung liest sich vorzüglich und leichthändig; macht den feinen Witz des Romans deutlicher, bringt die einfache, aber rhythmisch versierte Prosa Gontscharows zur Geltung, frischt den Roman auf, ohne sich willkürliche Modernisierungen zuschulden kommen zu lassen. Ein Lektürevergnügen." Wolfgang Schneider, DeutschlandradioKultur, 06.06.12
"Die Neuübersetzung des Romans "Oblomow" lädt dazu ein, die Abgründe der Untätigkeit zu erkunden." Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung, 18.06.12
"Jetzt kann man die Urgestalt all dieser Zuschreibungen neu entdecken: in der poetisch-rhythmischen "Oblomow"-Übersetzung von Vera Bischitzky ... Bischitzkys Übersetzung legt vor allem Energien und Dynamiken des Originaltexts frei, die die Zeitgenossen von Gontscharow so begeisterten, etwa, wenn sie das Dekor von Oblomows Wohnung zu Beginn des Romans in einer Form entfaltet, dass sich der Leser in den Text betten möchte." Gerald Heidegger, ORF.at, 18.03.12
"Vera Bischitzky [...] verleiht dem Text einen neuen Glanz, indem sie, anders als ihre Vorgänger, die sprachliche Struktur des russischen Originals mit all ihren stilistischen Eigentümlichkeiten zu erhalten sucht. Gleichsam Archäologin der Sprache gräbt sie sich durch die Sprachschichten und hebt so manchen Wortschatz, den sie im eindrucksvollen Anmerkungsapparat begeisternd dem Leser von heute näher bringt. Man liest die Anmerkungen der Übersetzerin mit größtem Vergnügen und Gewinn." Ursula Keller, rbb Kulturradio, 02.03.12
"Jetzt wurde das Buch endlich neu übersetzt. Eine Meisterleistung.[...] Nach sieben Übertragungen ins Deutsche [...] hat sich die Slawistin Vera Bischitzky der großen Sache angenommen, und sie präsentiert einen Roman, dessen ruhiger Fluss, dessen Innehalten und Mäandern in jeder Passage, in jedem einzelnen Satz im Deutschen fühlbar wird. Die versunkene Welt, die sie wiederauferstehen lässt, kann wieder besichtigt, gehört, ertastet, geschmeckt und gerochen werden." Elke Schmitter, Der Spiegel, 15/2012
"Ein völlig entstaubter, ganz heutiger ,Oblomow'." Karlheiz Kasper, Neues Deutschland, 17.06.12
"Bischitzky arbeitet mit dem Florett, treffsicher und elegant, alles fließt, pulsiert, verbindet sich logisch und wirkt nie forciert modern, was ja manchmal schlimmer schmerzt als Holperigkeit. Leiden und die Lethargie Oblomows haben hier sprachlich die optimale Therapie erfahren: So überlebt auch ein Lebensuntüchtiger die nächsten 100 Jahre." Werner Theurich, Spiegel Online, 18.06.12
"Ein Jahrhundertwerk. In der neuen Übersetzung von Vera Bischitzky überzeugt es mehr denn je - sowohl durch seinen Witz wie durch seine Tiefe. Ist dieser Roman wirklich schon gut 150 Jahre alt?" Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 24.06.12
"Eine exquisite Neuübersetzung: Vera Bischitzky hat es nun im Rahmen der verdienstvollen Reihe von Klassiker-Neuübersetzungen im Hanser-Verlag unternommen, ,Oblomow' eine neue sprachliche Gestalt zu geben. Dabei geht es ihr gerade nicht um Modernisierung, sondern sie versucht, das Zeitkolorit des Romans auch im Deutschen zu bewahren." Ulrich M. Schmid, Neue Zürcher Zeitung,16.06.12
"Diese Fassung liest sich vorzüglich und leichthändig; macht den feinen Witz des Romans deutlicher, bringt die einfache, aber rhythmisch versierte Prosa Gontscharows zur Geltung, frischt den Roman auf, ohne sich willkürliche Modernisierungen zuschulden kommen zu lassen. Ein Lektürevergnügen." Wolfgang Schneider, DeutschlandradioKultur, 06.06.12
"Die Neuübersetzung des Romans "Oblomow" lädt dazu ein, die Abgründe der Untätigkeit zu erkunden." Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung, 18.06.12
"Jetzt kann man die Urgestalt all dieser Zuschreibungen neu entdecken: in der poetisch-rhythmischen "Oblomow"-Übersetzung von Vera Bischitzky ... Bischitzkys Übersetzung legt vor allem Energien und Dynamiken des Originaltexts frei, die die Zeitgenossen von Gontscharow so begeisterten, etwa, wenn sie das Dekor von Oblomows Wohnung zu Beginn des Romans in einer Form entfaltet, dass sich der Leser in den Text betten möchte." Gerald Heidegger, ORF.at, 18.03.12
"Vera Bischitzky [...] verleiht dem Text einen neuen Glanz, indem sie, anders als ihre Vorgänger, die sprachliche Struktur des russischen Originals mit all ihren stilistischen Eigentümlichkeiten zu erhalten sucht. Gleichsam Archäologin der Sprache gräbt sie sich durch die Sprachschichten und hebt so manchen Wortschatz, den sie im eindrucksvollen Anmerkungsapparat begeisternd dem Leser von heute näher bringt. Man liest die Anmerkungen der Übersetzerin mit größtem Vergnügen und Gewinn." Ursula Keller, rbb Kulturradio, 02.03.12