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Irakli lebt in Tbilissi, als er eines Tages aus seiner kleinen Heimatstadt in der Nähe der wilden Berge von Swanetien eine Nachricht erhält: Sein altes Haus droht einzustürzen und das Dach muss dringend repariert werden. Während der wenigen Tage, die Irakli im Haus seines Großvaters verbringt, ist er von Erinnerungen, von der wechselhaften Geschichte und den Geschichten des Ortes überwältigt. Auf dem Dachboden entdeckt er die längst vergessene Obolé, eine alte, wunderschön gearbeitete Steinschlossflinte, von der keiner weiß, wann sie ihren letzten Schuss abgefeuert hat. In Friedenszeiten und…mehr

Produktbeschreibung
Irakli lebt in Tbilissi, als er eines Tages aus seiner kleinen Heimatstadt in der Nähe der wilden Berge von Swanetien eine Nachricht erhält: Sein altes Haus droht einzustürzen und das Dach muss dringend repariert werden. Während der wenigen Tage, die Irakli im Haus seines Großvaters verbringt, ist er von Erinnerungen, von der wechselhaften Geschichte und den Geschichten des Ortes überwältigt. Auf dem Dachboden entdeckt er die längst vergessene Obolé, eine alte, wunderschön gearbeitete Steinschlossflinte, von der keiner weiß, wann sie ihren letzten Schuss abgefeuert hat. In Friedenszeiten und wenn es keine Kinder im Haus gab, hing sie an der teppichbedeckten Wand des Wohnzimmers. Obolé stammt aus einer Zeit, als Gewehre noch Frauen glichen, und Irakli fühlt sich zu ihr hingezogen wie zu einer schönen Frau - und man muss sich nicht wundern, wenn sie doch noch einen Schuss abfeuert ...Eine Geschichte voller Nostalgie und Wehmut, meisterhaft erzählt und 2012 mit dem Saba-Preis für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet.
Autorenporträt
Aka Mortschiladse, geb. 1966 in Tbilissi, einer der bekanntesten georgischen Schriftsteller der Gegenwart. Er studierte Geschichte an der Staatlichen Universität Tbilissi, wo er später auch lehrte. In den 90er Jahren arbeitete er als Sportjournalist und Kolumnist für Zeitungen. Seit 1998 hat er zwanzig Romane und drei Kurzgeschichtenbände veröffentlicht. Für seine Romane erhielt er die wichtigsten Literaturpreise seines Landes. Er lebt und arbeitet in London.Natia Mikeladse-Bachsoliani, geb. in Tbilissi, arbeitet beim Goethe-Institut in Tbilissi und übersetzte aus dem Georgischen u. a. Tamta Melaschwilis preisgekrönten Roman »Abzählen« (2015) sowie Aka Mortschiladses Chronik eines Fantasie-Georgiens »Santa Esperanza« (2006).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2019

Die Vergangenheit ist eine rostige Flinte

Aka Mortschiladses melancholischer Heimatroman "Obolé" schildert, wie ein Mann aus Tiflis ins ländliche Westgeorgien zurückkehrt. Da schaut er den Holzwürmern bei der Arbeit zu.

Der alte Omdarié ist gestorben. Nun soll er beerdigt werden, mit allen Ritualen, die dazugehören - das halbe Städtchen kommt vorbei, um von ihm Abschied zu nehmen, und muss bewirtet werden. Die Organisation der Zeremonie obliegt einem gewissen Datulié, "früher rothaarig, heute mit Glatze und Bäuchlein", erinnert sich der Erzähler des Romans "Obolé". Er ist für zwei Tage und eine Nacht in die westgeorgische Kleinstadt zurückgekehrt, um die Reparatur des lecken Dachs des alten Hauses zu überwachen, in dem die Familie mehr als ein Jahrhundert lang gelebt hat und das nun leer steht. Der Jugendfreund ist trotz seiner ernsten Aufgabe "immer noch so fröhlich wie damals", findet Irakli, der Erzähler. "Keiner will das machen, er war mit mir verwandt, und da renne ich eben herum, du weißt schon wegen dem Totenmahl und dem Ganzen."

Es gibt eine Person, die mit Omdarié sehr viel näher verwandt war, seine Tochter, genannt "Madoné". Als Organisatorin der Beerdigung aber kommt sie nicht in Frage, denn in den unruhigen Jahren der jungen georgischen Republik, der "Zeit der Schießereien" zu Beginn der von Bürgerkriegen geprägten neunziger Jahre, hatte Madoné eine Karriere als Kleinkriminelle begonnen und war bald zur Anführerin einer gewalttätigen Bande avanciert. Inzwischen hat sie einige Jahre im Gefängnis hinter sich und ist auf der Flucht vor der Polizei. Das Begräbnis ihres Vaters könnte sie nur heimlich besuchen, es wird zur Falle, und aus dem Totengedenken der Tochter wird auch eine Prestigefrage: Wer ist stärker, die altgewordene Repräsentantin der Straßenkämpfe früherer Zeiten oder die gestärkte Staatsmacht eines Landes, das sich dem Westen annähert?

"Obolé" ist ein Roman des georgischen Autors Aka Mortschiladse, im Original 2011 erschienen, der im Zug des georgischen Gastlandauftritts ins Deutsche übertragen worden ist. Das trifft auch auf eine Reihe anderer Bücher des Autors zu, auf sein Debüt "Reise nach Karabach", den Freundschaftsroman "Der Filmvorführer", die beide zur Zeit der Bürgerkriege spielen, oder die Textsammlung "Schatten auf dem Weg", die von der georgischen Sowjetzeit berichtet. Auch der verspielte Roman "Sante Esperanza" liegt wieder im Druck vor, der allerdings durch die Zusammenführung von ursprünglich sechsunddreißig in beliebiger Reihenfolge zu lesenden Heften in nun einen einzigen umfangreichen Band einen Teil seines Reizes verliert (F.A.Z. vom 21. Juni 2018).

Unter diesen Büchern nimmt "Obolé" eine besondere Stellung ein. Der Roman erzählt nicht aus der Kriegszeit, sein Held ist auch nicht mehr so jung und orientierungsuchend wie die Protagonisten aus "Reise nach Karabach" oder "Der Filmvorführer", und von den lebensbedrohlichen Konflikten, denen diese ausgesetzt waren, bleibt Irakli zum Glück verschont.

Präsent aber ist all das in der Erinnerung derjenigen, die das Städtchen bewohnen - es wird im Roman nicht genannt, doch es dürfte sich um Zageri im westlichen Georgien handeln - und nun, in friedlicheren Zeiten, der Stadt beim Schrumpfen zusehen: Viele der Jüngeren, wie Irakli und sein Bruder, der Komponist Nika, haben die Stadt längst verlassen - Irakli lebt in Tiflis, Nika gar in Santa Barbara, und dass er so weit geflohen ist, hängt mit jener "Zeit der Schießereien" zusammen. Eine Heimreise der Exilierten ist immer zeitlich begrenzt, eine Fahrt in die Vergangenheit, die eigene und die einer ganzen Gemeinschaft, denn natürlich verändert es auch die Daheimgebliebenen, wenn die einst Vertrauten zu einem kurzen Besuch erscheinen. Dass sie auch sonst präsent sind, dass die im Dorf Gebliebenen allerlei in ihre Existenzen projizieren, wird ebenfalls deutlich. So habe ein gewisser Warlamié den "Auslandstick", sagt Irakli, weshalb er lieber den Bruder im fernen Amerika anruft, als ihn selbst im nahen Tiflis, um mitzuteilen, dass das Dach im Familienhaus undicht ist, und so die Handlung in Gang setzt.

Mortschiladse findet ein glückliches Symbol für dieses Aufeinandertreffen. Im alten, nun beschädigten und am Ende des Romans notdürftig geflickten Haus der Familie hängt ein Steinschlossgewehr aus längst vergangenen Tagen. Es wird "Obolé" genannt, also "Waise", weil es schon lange niemanden mehr gibt, der es ergreifen wollte. Es ist das Geschenk eines Adligen an einen Vorfahren, der es sich verdiente, und natürlich steht es auch für die Werte, die damals hochgehalten wurden. "Obolé war meine Schwester und Gefährtin, eine unerreichbare Schwester und Gefährtin, und ich sehnte mich nach ihr. Ich träumte davon, sie auch nur einmal zu berühren", sagt Irakli, dem es bei alldem keineswegs darum geht, Obolé als Schusswaffe zu benutzen. "Wir sind genau das - alte Steinschlossflinten", heißt es einmal, Relikte einer, wie es scheint, heldenhaften Zeit, deren Werte und deren Dekor in die heutige nicht mehr passen. Irakli ist das bewusst, und beinahe das Erste, was er überall in dem Familienhaus wahrnimmt, ist der Geruch von Holzmehl, produziert von den allgegenwärtigen Würmern.

In dieser Lage könnte die Besinnung auf Traditionen Halt geben, seien es die der Familie im engeren Sinn oder die der ganzen Stadt, was hier fast dasselbe ist, denn die Bewohner des Viertels stammen fast alle von einem inzwischen schon legendären Vorfahren namens Timoté ab, geboren 1864, der die Geschichte der Sippe seit dem 16. Jahrhundert in einer Reihe von Heften aufgeschrieben hat, die sich noch immer im Haus finden. Über Timotés Nachkommen sagt Irakli: "Es gibt uns immer noch, trotz des ganzen Leids und der Mühen, die wir erlitten haben, und es wird uns auch weiterhin geben." Dies allerdings, gemünzt auf die Gemeinschaft rund um Timotés Haus, nur dann, wenn die entfernten Angehörigen nicht eines Tages ganz ausbleiben, "weil ihnen das Plumpsklo nicht mehr gefällt". Oder wenn ihnen niemand mehr von Timoté erzählt.

Der Schilderung alter Bräuche, vor allem jener, die mit Mahlzeiten und da vor allem mit Trinkritualen zu tun haben, widmet Mortschiladses Erzähler einigen Raum. Allerdings wird auch er von den Daheimgebliebenen oft genug belehrt, weil das etwas ist, was sie dem Bewohner der Hauptstadt voraus haben, und es ist von besonderem Reiz, wie Irakli immer wieder deutlich macht, dass auch er diese Kluft wahrnimmt. Es sind dann Träume, die sie überbrücken, und Mortschiladse leistet sich sogar ein Ende, von dem völlig unklar ist, was sich davon einem eben gerauchten Joint verdankt und was tatsächlich geschah. In jedem Fall aber ist Iraklis Überzeugung, er verstehe jetzt, am Ende seines Besuchs, seinen Urgroßvater, eng mit dem Genuss des Rauschmittels verbunden und daher auch zeitlich begrenzt.

So wächst die Handlung von "Obolé" weit über das hinaus, was sie tatsächlich erzählt, und im gleichen Maß berichtet das Buch über viel mehr als die georgische Provinz zwischen Inneretien und Swanetien - auch wenn das Buch voller Anspielungen auf georgische Kultur ist, die dankenswerterweise in Fußnoten aufgeklärt werden, und voller Zitate georgischer Literatur.

Es geht um die persönliche Freiheit und wie sie schleichend verlorengeht, wenn man nicht aufpasst, es geht um die Kraft, die das Bewusstsein für die eigene Herkunft verleiht, und zugleich um die Fesseln, die aus der Nähe zur Heimat erwachsen können. Eine Lösung dafür hat Irakli nicht, natürlich, und dass er sich nach den Tagen im Holzstaub zur vollständigen Rückkehr entschließen wird, ist unwahrscheinlich. Dass er dies alles aber auch in Tiflis nicht loswerden wird, ist sicher.

TILMAN SPRECKELSEN.

Aka Mortschiladse: "Obolé". Roman.

Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani.

Mitteldeutscher Verlag, Halle 2018. 248 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Tilman Spreckelsen freut sich, dass Aka Morchiladse durch den georgischen Gastlandauftritt bei der vergangenen Frankfurter Buchmesse nun auch hierzulande bekannt ist. Gebannt nimmt der Kritiker den inzwischen vierten ins Deutsche übertragenen, im Original bereits 2011 erschienenen Roman zur Hand, der, anders als die Vorgänger, nicht von der Kriegszeit erzählt, sondern schildert, wie ein Mann aus Tiflis zur Beerdigung eines alten Bekannten ins ländliche Westgeorgien zurückkehrt. Wie Morchiladse das Zusammentreffen jener, die zu Bürgerkriegszeiten in den Neunzigern das kleine Städtchen verlassen haben und jener, die geblieben sind und alte Traditionen lebendig halten, gestaltet, gefällt dem Kritiker gut. Vor allem aber staunt Spreckelsen, wie allgemeingültig der Autor in seiner mit Anspielungen auf die georgische Kultur reich gespickten Geschichte vom Verlust persönlicher Freiheit und der Bedeutung der eigenen Herkunft erzählt. 

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