In seinem Roman, der auf authentischen Quellen beruht, erzählt Ketil Bjørnstad vom Leben einer Frau, die als "vraie princesse de la bohème" gefeiert wurde, die ihren Weg zwischen dem konservativ-bürgerlichen und dem neuen, emanzipatorischen Denken suchte. Die Geschichte von Oda Krohg, die ihrer Überzeugung gemäß zu leben versuchte, die ausbrach aus dem starren Schema von Ehe und Familie, um die Wahrheit ihrer Gefühle zu leben.Oda Krohg (1860-1935) war eine norwegische Landschafts- und Porträtmalerin. Eine Beamtentochter, die zur Protagonistin der Bohemebewegung in Oslo wurde. Eine Frau mit bahnbrechenden Gedanken. Viele zeitgenössische Künstler und Schriftsteller wurden von ihr beeinflußt: Edvard Munch, Hans Jæger, Gunnar Heiberg und nicht zuletzt Christian Krohg, mit dem sie in zweiter Ehe verheiratet war.Oda wächst in einem konservativ-liberalen Elternhaus auf, zusammen mit acht Schwestern und zwei Brüdern. Mittelpunkt des Hauses ist die Mutter, Enkelin einer russischen Fürstin.Früh heiratet Oda einen Unternehmer, bekommt zwei Kinder, merkt aber bald, daß das nicht das Leben ist, das sie führen möchte. Sie nimmt sich eine eigene Wohnung, wird Schülerin von Christian Krohg. Die Malerei und das Leben mit den Künstlern bestimmen fortan ihren weiteren Weg. Sie geht nach Paris, beginnt dort ein Verhältnis mit dem Maler Jappe Nilsson, lebt mit Krohg und den Kindern in Berlin, und geht schließlich wieder nach Oslo zurück, wo sie berühmt und einsam stirbt."Ich glaube, alle Männer, denen ich begegnet bin, flohen vor den Realitäten. Sie erwarteten sich immer etwas anderes, etwas mehr als das, was war."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2008Die umtriebige Oda und ihre Affären
Ketil Bjørnstads eleganter Roman über eine früh Emanzipierte
Von Matthias Hannemann
Natürlich war das kein Umgang, nicht für ein Mädchen aus gutem Hause. Und zunächst lief es ja auch noch so, wie es sich der Vater erhofft hatte: Othilia imitierte die Liebe, machte einen Unternehmer zum Ehemann, schenkte ihm im Handumdrehen zwei Kinder und ignorierte das Gefühl, wie Ibsens Nora in ein Puppenhaus gesteckt worden zu sein, in eine furchteinflößend fürsorgliche Ehekulisse, künstlich bis auf die Matratze. Der Anbruch einer "neuen Zeit" aber war selbst im Hause des Ministerialrats ein heißdiskutiertes Thema, und die Faszination der "Kristiania-Bohème", der Maler und Schriftsteller, die Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Norwegens Hauptstadt mit bewusstseinserweiternden Drogen wie dem Absinth und dem Liberalismus experimentierten, gewaltig: Also verließ Othilia, genannt Oda, ihren Mann. Sie zeigte sich selbstbewusst in den Cafés der Stadt. Und weil sie ein besonderes Gespür für das Licht und die Farben zu haben schien, ließ sie sich von Christian Krogh, dem norwegischen Skagenmaler, in die Geheimnisse der Malerei einführen.
Dies war der eigentliche Beginn eines leidenschaftlichen, oft auch tieftraurigen Künstlerlebens - faszinierend vielleicht erst aus dem Blickwinkel derjenigen, die es in der Retrospektive, in dem eleganten neuen Roman von Ketil Bjørnstad, besichtigen dürfen und dabei aus dem Staunen nicht herauskommen, wie sehr sich in dieser einen Person die skandinavische Kulturgeschichte des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts widerspiegelt. Denn nicht nur bewegt sich Oda in Kristiania, dem heutigen Oslo, im Umfeld von Männern wie Hans Jæger oder Edvard Munch; dem Erstgenannten, einem stets am Rande des Wahns balancierenden Bürgerschreck, der ein Buch über Kondome zu schreiben gedenkt, wird sie den Kopf bis hin zu Suizidgedanken verdrehen, Letztgenannten zu seiner "Melancholie" inspirieren. Sie reist auch umher, nach Paris etwa und nach Deutschland, das für skandinavische Künstler einst der zentrale Kanal zur Welt war. Und in Deutschland, im Umfeld des Munch-Skandals 1892, wird sie auch August Strindberg treffen.
"Natürlich kenne ich Sie, Frau Krogh", wird der begnadete Frauenhasser dabei zetern, "Sie sind schließlich der Prototyp, wenn ich so sagen darf. Der Prototyp des Oberflächlichen, Verantwortungslosen. Sie können nicht lieben, Frau Krogh. Sie können nur betrügen, im Stich lassen." Nicht jeder verfiel Odas Charme und Körper hemmungslos. Es sind Szenen wie diese, mit denen Bjørnstad eine vorschnelle Stilisierung Odas zur Ikone der Emanzipation oder gar der "freien Liebe" hinauszögert. Er hat zusammengetragen, was über die umtriebige Oda und ihre Affären schon von Zeitgenossen festgehalten wurde; er hat Briefe und Selbstzeugnisse der "Kristiania-Bohème" aufgestöbert; er hat das Tagebuch Edvard Munchs gesichtet, dem er ebenfalls einen Dokumentarroman widmete (und als Jazzpianist, gemeinsam mit Kari Bremnes, ein grandioses Album, so wie sich parallel zu "Oda" auch ein Oda Krogh gewidmeter Titel auf dem neuen Album "The Light" findet).
Und dies alles, die Musikalität inklusive, streut er in den Roman mit großer Selbstverständlichkeit ein, um die Inszenierungen derjenigen zu hinterfragen, die ein exemplarisches Leben leben wollten, und zu verstehen, was mitunter kaum zu erklären ist: die Psychologie einer Frau, die sich auf immer neue Abenteuer einließ, nach einer eigenen Identität suchend und eingezwängt zwar von den Konventionen der Zeit, in ihrer Abwehr zugleich aber durchaus kopf- und skrupellos.
Bjørnstad ist kein origineller, aber ein verlässlicher, behende die Themen und Perspektiven wechselnder Erzähler, und das ist gerade bei einem biographischen Roman, der in der Fremde spielt, viel wert; es gibt genug überambitionierte Bücher, zuletzt Jan Arnalds Künstlerbiographie "Maria und Artur" - auch dort der Versuch, in der nordischen Vergangenheit vermeintlich moderne Liebesentwürfe aufzuspüren -, denen es schlichtweg an diesem Sinn für das Erzählerische, am Erzählfluss, mangelt.
Doch was heißt das überhaupt: in der Fremde? "Oda" taucht im Grunde ja bloß ein in die alte und unlösbare Frage danach, was ein Leben und eine Liebe ausmacht, ausmachen soll. "Sie war ein Mensch ohne Identität. Sie war für alles empfänglich", schreibt Bjørnstad, wie nebenher. Das ist es wohl, was dieses im Original bereits 1983 und mit einem Ausrufezeichen im Titel erschienene Buch so empfehlenswert macht. Die Emanzipation mag seit Odas Zeiten einige Schritte vorangekommen sein. Das Rätsel des Menschseins aber: bleibt.
- Ketil Bjørnstad. Oda. Roman. Aus dem Norwegischen übersetzt von Lothar Schneider. Insel Verlag. 429 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ketil Bjørnstads eleganter Roman über eine früh Emanzipierte
Von Matthias Hannemann
Natürlich war das kein Umgang, nicht für ein Mädchen aus gutem Hause. Und zunächst lief es ja auch noch so, wie es sich der Vater erhofft hatte: Othilia imitierte die Liebe, machte einen Unternehmer zum Ehemann, schenkte ihm im Handumdrehen zwei Kinder und ignorierte das Gefühl, wie Ibsens Nora in ein Puppenhaus gesteckt worden zu sein, in eine furchteinflößend fürsorgliche Ehekulisse, künstlich bis auf die Matratze. Der Anbruch einer "neuen Zeit" aber war selbst im Hause des Ministerialrats ein heißdiskutiertes Thema, und die Faszination der "Kristiania-Bohème", der Maler und Schriftsteller, die Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Norwegens Hauptstadt mit bewusstseinserweiternden Drogen wie dem Absinth und dem Liberalismus experimentierten, gewaltig: Also verließ Othilia, genannt Oda, ihren Mann. Sie zeigte sich selbstbewusst in den Cafés der Stadt. Und weil sie ein besonderes Gespür für das Licht und die Farben zu haben schien, ließ sie sich von Christian Krogh, dem norwegischen Skagenmaler, in die Geheimnisse der Malerei einführen.
Dies war der eigentliche Beginn eines leidenschaftlichen, oft auch tieftraurigen Künstlerlebens - faszinierend vielleicht erst aus dem Blickwinkel derjenigen, die es in der Retrospektive, in dem eleganten neuen Roman von Ketil Bjørnstad, besichtigen dürfen und dabei aus dem Staunen nicht herauskommen, wie sehr sich in dieser einen Person die skandinavische Kulturgeschichte des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts widerspiegelt. Denn nicht nur bewegt sich Oda in Kristiania, dem heutigen Oslo, im Umfeld von Männern wie Hans Jæger oder Edvard Munch; dem Erstgenannten, einem stets am Rande des Wahns balancierenden Bürgerschreck, der ein Buch über Kondome zu schreiben gedenkt, wird sie den Kopf bis hin zu Suizidgedanken verdrehen, Letztgenannten zu seiner "Melancholie" inspirieren. Sie reist auch umher, nach Paris etwa und nach Deutschland, das für skandinavische Künstler einst der zentrale Kanal zur Welt war. Und in Deutschland, im Umfeld des Munch-Skandals 1892, wird sie auch August Strindberg treffen.
"Natürlich kenne ich Sie, Frau Krogh", wird der begnadete Frauenhasser dabei zetern, "Sie sind schließlich der Prototyp, wenn ich so sagen darf. Der Prototyp des Oberflächlichen, Verantwortungslosen. Sie können nicht lieben, Frau Krogh. Sie können nur betrügen, im Stich lassen." Nicht jeder verfiel Odas Charme und Körper hemmungslos. Es sind Szenen wie diese, mit denen Bjørnstad eine vorschnelle Stilisierung Odas zur Ikone der Emanzipation oder gar der "freien Liebe" hinauszögert. Er hat zusammengetragen, was über die umtriebige Oda und ihre Affären schon von Zeitgenossen festgehalten wurde; er hat Briefe und Selbstzeugnisse der "Kristiania-Bohème" aufgestöbert; er hat das Tagebuch Edvard Munchs gesichtet, dem er ebenfalls einen Dokumentarroman widmete (und als Jazzpianist, gemeinsam mit Kari Bremnes, ein grandioses Album, so wie sich parallel zu "Oda" auch ein Oda Krogh gewidmeter Titel auf dem neuen Album "The Light" findet).
Und dies alles, die Musikalität inklusive, streut er in den Roman mit großer Selbstverständlichkeit ein, um die Inszenierungen derjenigen zu hinterfragen, die ein exemplarisches Leben leben wollten, und zu verstehen, was mitunter kaum zu erklären ist: die Psychologie einer Frau, die sich auf immer neue Abenteuer einließ, nach einer eigenen Identität suchend und eingezwängt zwar von den Konventionen der Zeit, in ihrer Abwehr zugleich aber durchaus kopf- und skrupellos.
Bjørnstad ist kein origineller, aber ein verlässlicher, behende die Themen und Perspektiven wechselnder Erzähler, und das ist gerade bei einem biographischen Roman, der in der Fremde spielt, viel wert; es gibt genug überambitionierte Bücher, zuletzt Jan Arnalds Künstlerbiographie "Maria und Artur" - auch dort der Versuch, in der nordischen Vergangenheit vermeintlich moderne Liebesentwürfe aufzuspüren -, denen es schlichtweg an diesem Sinn für das Erzählerische, am Erzählfluss, mangelt.
Doch was heißt das überhaupt: in der Fremde? "Oda" taucht im Grunde ja bloß ein in die alte und unlösbare Frage danach, was ein Leben und eine Liebe ausmacht, ausmachen soll. "Sie war ein Mensch ohne Identität. Sie war für alles empfänglich", schreibt Bjørnstad, wie nebenher. Das ist es wohl, was dieses im Original bereits 1983 und mit einem Ausrufezeichen im Titel erschienene Buch so empfehlenswert macht. Die Emanzipation mag seit Odas Zeiten einige Schritte vorangekommen sein. Das Rätsel des Menschseins aber: bleibt.
- Ketil Bjørnstad. Oda. Roman. Aus dem Norwegischen übersetzt von Lothar Schneider. Insel Verlag. 429 S., geb., 19,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gelungen und elegant findet Rezensent Matthias Hannemann den Roman "Oda" von Ketil Bjornstad. Erzählt wird darin die Lebensgeschichte der emanzipierten Malerin Oda Krogh, einer Prinzessin der Boheme Kristianias, des späteren Oslo, im ausgehenden 19. Jahrhundert. Hannemann ist erstaunt, wie sehr Oda "Ikone" ihrer Zeit und der skandinavischen Kulturgeschichte ist und lobt den Autor ausdrücklich dafür, dass er sie nicht voreilig zu einem "Prototyp der Emanzipation und der freien Liebe" verherrlicht. Bjornstad habe sorgfältig recherchiert und erweise sich als zwar nicht sehr ausgefallener, aber doch talentierter Erzähler, der die Psychologie seiner Protagonistin geschickt zu entfalten verstehe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein leidenschaftliches, auch tieftrauriges Künstlerleben.«
Matthias Hannemann, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Matthias Hannemann, Frankfurter Allgemeine Zeitung