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Odilon Redon war eine der zentralen Künstlerpersönlichkeiten des französischen Symbolismus. Als Zeitgenosse der Impressionisten thematisierte er in Kohlezeichnungen und Lithografien menschliches Unterbewusstsein mit seinen Ängsten und Albträumen und schuf dabeiein eindringliches, geradezu unheimlich anmutendes Werk. Zum Ende des 19.Jahrhunderts entwickelte Redon in Pastellen und Gemälden seine charakteristische intensive Farbigkeit. Von den meist in irisierende Farbnebel gehüllten Gestalten und Gegenständen, die der antiken und christlichen Welt oder der Natur entnommensind, geht eine…mehr

Produktbeschreibung
Odilon Redon war eine der zentralen Künstlerpersönlichkeiten des französischen Symbolismus. Als Zeitgenosse der Impressionisten thematisierte er in Kohlezeichnungen und Lithografien menschliches Unterbewusstsein mit seinen Ängsten und Albträumen und schuf dabeiein eindringliches, geradezu unheimlich anmutendes Werk. Zum Ende des 19.Jahrhunderts entwickelte Redon in Pastellen und Gemälden seine charakteristische intensive Farbigkeit. Von den meist in irisierende Farbnebel gehüllten Gestalten und Gegenständen, die der antiken und christlichen Welt oder der Natur entnommensind, geht eine geheimnisvoll-mystische Wirkung aus. Die Ausstellung versuchtanhand von über hundertfünfzig Werken, Redons zentrale Bedeutung für die im Entstehen begriffene Moderne darzustellen. Redon, von Cézanne, Degas und Matisse hochgeschätzt, beeinflusste jedoch auch so unterschiedliche Künstler wie Duchamp, die Surrealisten und sogar Jasper Johns. Ausstellung:Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main 28.1.- 6.5.2007
Autorenporträt
Max Hollein ist Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.02.2007

Schauder des Giftigen
Odilon Redon, ein Zeitgenosse der Impressionisten, träumte sich in unheimliche Gegenwelten hinein. Nun zeigt die Frankfurter Schirn sein Werk
In seinem berühmten Roman „A rebours” („Gegen den Strich”) beschreibt Joris-Karl Huysmans die Bilder an den Wänden jener Zimmer, in welche sich des Esseintes, der verrückte Held seines Romans, zurückgezogen hatte. Die längste und fesselndste Passage gilt den bedrohlich angehäuften Werken des eben berühmt werdenden Künstlers Odilon Redon. Eine unheimliche Parade: Da ist der Kopf im merowingischen Stil, der auf einer Schale ruht, die Riesenspinne mit menschlichem Antlitz, der Redner, welcher auf eine kolossale Kanonenkugel zeigt, da erblickt man affenähnliche Gestalten, die an die Frühzeit der Menschheit vor Erfindung der Sprache erinnern, und noch manches andere. Huysmans resümiert: „Diese Zeichnungen waren außerhalb von allem Gewohntem. Sie übersprangen die Grenzen der Malerei. In Delirium und Krankheit ersannen sie phantastische Scheinwelten.”
Nun wird man diese schwülen Beschreibungen des Romanciers, wird man deren Überhitzungen nicht schlicht beim Wort nehmen dürfen. Aber sie verraten, wie das befremdliche, unheimliche, aus Träumen aufsteigende Werk Redons um 1884, in der Grenzzeit zwischen dem endenden Naturalismus und dem aufsteigenden Symbolismus, vom literarischen Paris wahrgenommen wurde. Redons verstörende Bilder, seine schwarzen Kohlezeichnungen und Lithographien enthüllten das zweite Gesicht der französischen Moderne. Das Auge der Impressionisten, welche ja Redons unmittelbare Zeitgenossen waren, nahm das Licht, das Fluidum des großstädtischen Alltags wahr, Redon evozierte das Dunkle und Imaginäre, Okkulte und Wahnhafte. Er schuf Bilder jener Nachtseiten der Phantasie, welche, wie Poe, Baudelaire, auch Grandville gezeigt hatten, nicht weniger zur Physiognomie der Moderne gehörten als der visuelle Optimismus der „Peintres de la vie moderne”.
Schwarze Träume
Doch Redons schwarze Zeichnungen waren nicht einfach diffus und phantastisch, wie man nach Huysmans düsterer Schilderung vermuten möchte. Liest man Redons gänzlich unbombastischen, leisen Lebensbericht nach, den er unter dem Titel „Confidences d’Artiste” niedergeschrieben hat, so spricht er ganz im Gegenteil von der „Clairvoyance” und der „Logique”, dem „Scharfblick” und der „Logik”, ja sogar der „Tenue”, welche für das Zeichnen mit der Kohle erforderlich seien. Der Träumer trieb botanisch genaue Naturstudien, näherte sich dem Imaginären mit positivistischer Akribie, besuchte Aquarien und blickte durch Mikroskope, ließ sich von den Illustrationen naturwissenschaftlicher Werke inspirieren. Er war durchaus ein Zeitgenosse, kein retrospektiver Romantiker, der sich im Ungefähren verlor.
In der Schirn in Frankfurt ist jetzt eine große, vorzügliche Ausstellung zu sehen, die zwar nicht vollständig, aber in einer bewunderungswürdig reichen und vor allem treffsicheren Auswahl das ganze Schaffen Redons ausbreitet. Die Schirn, an sich ja ein scheußliches Gebäude, wenn man es von außen betrachtet, bewährt sich abermals als ein konzentrierter, in sich gesammelter Ausstellungsort. Auf meist in einem hellen Grau getönten Wänden, in unterteilenden Kojen hängen Zeichnungen, Lithographien, Pastelle und Gemälde ruhig in einem gleichmäßigen Licht. Von Inszenierung möchte man nicht reden, aber wohl von einer klugen und sensiblen Balance zwischen chronologischer und thematischer Präsentation. Rühren die Traumwelten Redons an jene esoterischen, pseudo-religiösen Empfindungen, die man während der letzten Jahrzehnte immer wieder beobachten konnte? Das mag sein, aber diese sauber gearbeitete Ausstellung, die von einem intelligenten und ausnahmsweise einmal nicht geschwätzigen Katalog begleitet wird, hat sich nicht auf billige Weise der Aktualität verschrieben. Margret Stuffmann, die profunde Kennerin der französischen Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts, welche die Schau kuratiert hat, wollte nichts als das Werk eines Künstlers präsentieren, den sie als einen peripheren Großen, als eine dunkle Gegenfigur im leuchtenden Paris der Belle Eqoque bewundert.
Redon gehörte zu den Künstlern, welche Zeit brauchen, um abseits von den Tagesströmungen in sich hineinzuhorchen und ihre spezifische Originalität zu finden. 1840 in Bordeaux geboren, wuchs er in der Umgebung auf dem Lande auf, in einer einsamen düsteren Gegend, wie man sie aus den Romanen von François Mauriac kennt. Ein örtlicher Mentor, der Botaniker Clavaud, legte dem Jüngling Poe und Baudelaire in die Hand und machte ihn mit seinen naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Vorstellungen vertraut. Von Bresdin lernte er graphische Techniken. Er versuchte in Paris unter anderem bei Gérome zu studieren. In der Ausstellung werden einige frühe Blätter und Bilder gezeigt: zart skizzierte Bäume, düster melancholische Landschaften mit Staffagen wie Dante und Vergil oder Roland in Roncevaux. Sie sind anrührend, aber noch unsicher und tastend.
Erst nachdem er die Dreißig längst überschritten hatte, fand Redon mit der Kohlezeichnung auf gelblich verfärbtem Papier zu einer künstlerischen Sprache, in welcher er das Unheimliche seiner Wachträume auszudrücken vermochte, und entdeckte im Schwarz die dem Unbewussten gemäße „Farbe”. Es war, als ob die Zeit auf ihn gewartet hätte. Seine Selbstfindung fiel zusammen mit der Geburtsstunde des literarischen Symbolismus. 1882 pries Huysmans in seinem Aufsatz „Le Monstre” Redon als den einzigen Künstler, welcher sich gegenwärtig für das Phantastische begeistere.
In der Ausstellung steht man betroffen vor den großen Kohlezeichnungen der Jahre um 1880, welche die ungeheuerlichsten Erfindungen des Träumers Redon bleiben. Der sensationelle Luftballon des Photographen Nadar verwandelt sich in einen Augenaufschlag zum Unendlichen. Das mythische Einauge, wie man es von Fabelwesen der Alten und Zyklopen erinnert, wurde zum Leitmotiv von Redons Phantastik. Während für die Impressionisten das Auge nur noch als Retina existierte, erschien auf den Blättern Redons der Blick als Erwachen aus tiefsten Seelenträumen.
Neben Nadars Luftballon hängt an der gleichen Wand das furchterweckende Blatt mit der riesigen schwarzen Spinne und ihrem affenähnlichen Antlitz. Längst hatte das positivistische Zeitalter die Fauna klassifiziert und mumifiziert. Im Albtraum der phantastischen Kunst trat das Monströse und Grauenvolle, wie es tierische Natur für den Menschen haben kann, wieder zutage, der Schauder des Giftigen. Aber Redons Spiel mit der Gegenvernunft hatte seinen Preis. Die auf kostbaren Schalen schlummernden Köpfe, die stilisierten Sumpfblüten, die wie Glockenblumen nicken, das von Rembrandt erwärmte Antlitz, welches hinter einem vergitterten Fenster erscheint, das sind Grenzgänge am Rande des Sentimentalen. Nicht immer entging dieser Träumer im Zeitalter der Elektrizität und des Telegraphen der Fatalität des Unheimlichen.
Redon war Leser, vor allem Leser überspannter, imaginärer Literatur von Poe bis zu den belgischen Schriftstellern am Fin de Siècle. Eine von Rembrandts Faust-Radierung inspirierte Lithographie zeigt in dämmriger Stube einen Alten, welcher versunken über einem Folianten sitzt.
Der Kaktusmann
In graphischen Folgen hat Redon sich mit der Erinnerung an besondere Lektüren beschäftigt. Gleich dreimal hat er sich an die „Versuchung des heiligen Antonius” gewagt, Flauberts schwierigstes, sperriges Buch, das sogar Freunde befremdete. Redon jedoch wurde durch diesen Text angezogen. Seine Annäherungen sind keine Illustrationen. Aus dem Dunkel tauchen jene monströsen Gestalten auf, welche bei Flaubert den Wüstenheiligen umgeistern. Redons Lithographien sind der kühne Versuch einer sublunaren Synästhesie zwischen poetischer und bildlicher Imagination.
Etwa ab 1880 tauchte Redon seine Träume in Farben. Anstelle des Dunklen und Unheimlichen erscheinen neue, sehnsüchtige Themen, etwa Blicke durch Kirchenfenster, die vom „Renouveau Catholique” angestoßen sein könnten. Am Ende der Ausstellung hat man jenen Bibliotheksraum rekonstruiert, den Redon im Kloster Fontfroide mit den Wandbildern „Tag” und „Nacht” geschmückt hatte. Musik erklingt und man sieht sich umgeben von Bildern eines zivilisationsflüchtigen Glücks, wie man sie zwischen Jugendstil und Erstem Weltkrieg an manchen Orten findet. Das ist so bezaubernd wie mondän.
Aber dann wendet man sich zurück zu dem schwarzen Redon. Dort stößt man auf den „Kaktusmann”, der richtiger „Kaktusphysiognomie” hieße. Stachelig wächst, reckt sich der Kaktus aus dem Topf. In einer monströsen Metamorphose zeigt er ein menschliches Gesicht mit negroiden Zügen. Für einen kurzen Augenblick ist Redon so groß wie Goya, der über sein erstes „Capricho” den Satz schrieb: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.”
Doch Vorsicht! Zwischen Goya und Redon wartet Darwin. Der Kaktus mit dem primitiven Menschenantlitz ist ein Gleichnis der Evolutions- und Rassentheorien. Das Monströse wird durchkreuzt von der Wissenschaft und ihren Obsessionen. WILLIBALD SAUERLÄNDER
„Wie im Traum. Odilon Redon”. Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 29. April. Telefon: 089 / 29 98 82 - 118. Der Katalog (Hatje Cantz Verlag) kostet 29,80 Euro.
„Eine grauenerregende Spinne, die in der Mitte ihres Körpers ein Menschenantlitz beherbergt . . .” So beschrieb Joris-Karl Huysmans in seinem Roman „A rebours” im Jahr 1884 die drei Jahre zuvor entstandene Kohlezeichnung von Odilon Redon, die den Titel „Die lächelnde Spinne” trägt und rund hundert Jahre später als Bestandteil der Schenkung von Suzanne und Arï Redon in den Besitz des Musée d’Orsay in Paris übergegangen ist. Abb.: Katalog
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