Bis heute ist die Odyssee das Urbild abenteuerlicher Unternehmungen. Ins Unbekannte und Mythische verschlagen, auf langem Umweg aber wieder heimgekehrt, macht Homers Odysseus nicht nur die Seerouten antiker Entdecker und Piraten, Händler und Kolonisatoren er-fahrbar. Im Medium des Vokalalphabets und Hexameters ermöglicht er auch erstmals das Abenteuer abendländischer Poesie. Was jedoch bei den Griechen noch als heldenhafte Verschlagenheit galt, verwirft die Spätantike und das christliche Mittelalter als Heimtücke, als Betrug an der Schöpfung und somit als selbstverschuldete Ruhelosigkeit. In Dantes Commedia wird Odysseus deshalb zu einem Abenteurer ohne Wiederkehr: Einmal über die Säulen des Herakles hinausgesegelt, hat er die äußersten Grenzen abendländischen Wissens und Könnens überschritten und endet in der schlechten Unendlichkeit des achten Höllenkreises. Erst in der Epoche der Entdeckungsfahrten gilt Odysseus wieder als jene Heldengestalt, die mit ihrer unstillbaren Neugierund ihrem klugen Machtinstinkt die Überschreitung des alteuropäischen Horizonts ermöglicht hat. Odysseus ist der Heros neuzeitlicher Globalisierung und Kolonisierung und bis heute die Galionsfigur ästhetischer Entdeckerlust: James Joyces Ulysses erfährt als anonymer »Niemand« an einem endlosen Julitag des Jahres 1904 die »innere Kolonisierung« zahlloser Bewusstseinszustände. Und Kubricks mediale Space Odyssey des Jahres 2001 reicht von der Verschlagenheit der Uraffen über die Kolonisierung des Weltraums bis zum psychedelischen Trip des gesamten Menschengeschlechts. Der Band versammelt vier Beiträge renommierter Wissenschaftler und damit unterschiedlichste Zugänge von der klassischen Philologie bis hin zur Medienwissenschaft:
Walter Burkert: Odysseen: Phantasien, Realitäten und Homer
Piero Boi
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