Dethlefsen entschlüsselt in seinem letzten Werk das Geheimnis der Tragödie - und damit nicht weniger als das Geheimnis unseres Menschseins selbst! Im antiken Griechenland waren Tragödienaufführungen für die Gemeinschaft eine Möglichkeit, sich auf allgemein akzeptierte Art von psychischem Druck zu befreien. Der Mensch erkannte sich wieder in den gesichtslosen Figuren auf der Bühne: Während er ihr Schicksal mit durchlebte, befreite er sich von seinen aufgestauten Konflikten. Dass es diese Möglichkeit der »kollektiven Psychotherapie« in unserer materialistischen Kultur nicht mehr gibt, ist - so Dethlefsen - sehr zu bedauern. Denn die antike Tragödie, und insbesondere der Ödipus-Mythos, birgt auch für den heutigen Menschen Lebenshilfe. Wir projizieren unsere Probleme auf die sogenannte Umwelt und setzen uns so mit deren Themen und Personen kämpferisch auseinander. Wir verstehen dabei nicht, dass die Wurzeln aller Konflikte, wenn auch unbewusst, in uns selbst liegen. In einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den beiden Tragödien »König Ödipus« und »Ödipus auf Kolonos« von Sophokles entwickelt Thorwald Dethlefsen jenes lebensbejahende Grundmuster, das hinter jedem Schicksal steht: Der Mensch agiert in der Polarität zwischen Schuld und Scheitern und kann die Erlösung nur dann erringen, wenn er lernt, das Außen abzustreifen und den Weg nach innen zu gehen.