Dass die Macht der Ökonomie der politischen Macht den Rang abgelaufen hat, wird niemand bestreiten. Georg Franck hat eine weitere Ökonomie entdeckt, die mit der Ökonomie des Geldes konkurriert: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit als Kampf um eine Ressource, die immer knapper wird. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit funktioniert ähnlich wie die Ökonomie des Geldes. Aufmerksamkeit, die uns entgegengebracht wird, lässt sich mit etwas Geschick verzinsen. Und wer am Ende die höchste Stufe der Aufmerksamkeit, den Ruhm erreicht hat, der kann davon ein Stück an seine Kinder vererben. Noch stärker aber als bei der Ökonomie des Geldes zieht der Umgang mit Aufmerksamkeit soziale Konsequenzen nach sich. Deshalb beschließt Georg Franck seinen Entwurf mit dem Grundriss einer Ethik der Aufmerksamkeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.1998Bezahlen Sie einfach mit Ihrem guten Namen
Zitat ist Geld: Georg Francks Ökonomie der Mediengesellschaft beweist, daß die Zinsen des Ruhms mehr zählen als die des Reichtums
Die Vorstellung, Bücher würden veröffentlicht, um Geld zu verdienen, ist ein hartnäckiger Irrglauben über den Kulturbetrieb. Warum sollte aber überhaupt jemand vernünftigerweise die Mühen des Schreibens, sagen wir einer ägyptologischen Doktorarbeit, eines Lyrikbandes oder eines Fachlexikons für Luftfahrtingenieure, auf sich nehmen? Daß die Plackerei für Gotteslohn keineswegs weltfremdem Idealismus entspringen muß, sondern Ruhm und Ehre ein durchaus rationales und effektives Anreizsystem bilden, behauptet der Wiener Publizist Georg Franck: "Die Veröffentlichung ist der professionell betriebene Kampf um Aufmerksamkeit." Sein Entwurf einer "Ökonomie der Aufmerksamkeit" beabsichtigt einen "blinden Fleck" der klassischen ökonomischen Theorie auszufüllen. Denn Aufmerksamkeit, verstanden als Oberbegriff über diverse Formen positiver wie negativer Beachtung, sei ebenso knappe Ressource wie begehrtes Einkommen, und ihr Austausch präge die Mediengesellschaft nicht weniger nachhaltig als der Fluß von Geld und Gütern. In der Menge zu baden sei ebenso erstrebenswert wie im Geld zu schwimmen.
Der Wissenschaftsbetrieb gilt Franck als idealtypische Manifestation dieser immateriellen Ökonomie. Weil hier ohnehin keine goldenen Nasen zu verdienen sind, den Akteuren trotzdem aber Rationalität unterstellt werden muß, bleibt nur die Steigerung von Reputation als Motiv übrig: Für den mühevollen Anbau geistiger Nahrung genügt dem Wissenschaftler himmlischer Lohn in Form der Anerkennung einiger weniger Fachleute, die man im Gegenzug wiederum zitiert oder im Vorwort erwähnt. Den eigenen Kontostand kann man dann im Science Citation Index nachlesen. Professorale Eitelkeit hat selten eine so intelligente Rechtfertigung gefunden, denn der Erfolg des Ganzen heiligt den Egoismus der einzelnen. Auch in der Wissenschaft hat die unsichtbare Hand ihre Finger im Spiel.
Die durchaus kulturkritisch gewendete Diagnose, daß unsere Gegenwart sich durch eine historisch beispiellose Verselbständigung des Buhlens um Aufmerksamkeit auszeichne, kann Franck an zahlreichen Einzelbeobachtungen bestätigen. Er wollte aber mehr als nur einen zeitdiagnostischen Essay schreiben, seine Rede vom "Kapital" der Aufmerksamkeit, von "Kredit" und "Zins" ist keineswegs metaphorisch gemeint. Tatsächlich kann er der Aufmerksamkeit einen universellen und quantifizierbaren Tauschwert zuschreiben. Im zwischenmenschlichen Austausch entspricht ihm die Zeit, die ich meinem jeweiligen Gegenüber widme. In der öffentlichen Sphäre ist er ablesbar an Einschaltquoten, Umfrageergebnissen oder Auflagenzahlen. So lassen sich "Einkommensklassen" wie Ruhm, Prominenz, Reputation oder Prestige unterscheiden. Schließlich ist Aufmerksamkeit auch akkumulierbar. Denn wer hat, dem wird gegeben, und ab einer bestimmten Stufe des Ruhms kann man von seinen Zinsen auch im verborgenen gut leben. In der Öffentlichkeit stehen muß man nicht mehr.
Ein Umsturz der ungerechten Besitzverhältnisse in Sachen Beachtung droht nach Franck nicht. Der "mentale Kapitalismus" sei nichts für Klassenkämpfer, da er "als Form des Aufstands nur die Palastrevolution zu kennen scheint". Sein Proletariat, "das nichts mehr zu verlieren hat als seine Unscheinbarkeit", erstrebe eben nichts mehr, als selber einmal ins Rampenlicht zu treten und die anderen in den Schatten zu stellen. Konsequenterweise führt Franck die Macht der Massenmedien auf ein Ausbeutungsverhältnis zurück. Zugunsten der reichen Beachtung einer kleinen Zahl von Personen und Produkten werde die kostbare Zeit von Millionen Zuschauern kolonialisiert. In Francks Ausführungen über die gezielte Herstellung von Attraktivität im Starkult, über einen allgegenwärtigen "Hyperrealismus für die Stielaugen" in der Werbung oder die Medienästhetik der "hochleistenden Attraktion" erscheinen viele kulturkritische Gemeinplätze in neuem, tadellos geschnittenem Gewand: "Mode ist die Gesamtveranstaltung der Nutzung von Neuigkeitswert zur Steigerung persönlicher Attraktivität."
Der Gefahr, einer totalen Vergesellschaftung des Individuums das Wort zu reden, ist sich Franck bewußt: "Die Vorstellung, daß die Wertschätzung, die meine Person genießt, einen Marktpreis darstellt, ist noch unerträglicher als die, daß meine Arbeitskraft eine Ware ist." Aber die Frage bleibt, ob er nicht selber die Ökonomisierung befördert, die er zu beschreiben vorgibt. Sein brillanter Essay ist möglicherweise wider Willen des Autors eine Verhaltenslehre unserer neusachlichen Ellbogengesellschaft, ein Handorakel für das Medienzeitalter, das zum kühl kalkulierten Wuchern mit den eigenen Pfunden anhält: Beachte deinen Nächsten wie er dich selbst - um des Mehrwerts willen.
Am Ende bringt Franck überraschend die Kategorie des "Herzens" als Korrektiv dieser aufs Ökonomische verengten Rationalität ins Spiel. Das intentionale Bewußtsein "von etwas", dem auch die Beachtung eines anderen zuzurechnen ist, unterscheidet er von einem phänomenalen Bewußtsein, einer inhaltslosen Präsenz des "Daseins" im Sinne Heideggers, dessen Erfahrung uns Zivilisationsgeschädigten zur "Herzensbildung" frommen könne. Der Weg nach innen solle dem Laufsteg der öffentlichen Anerkennung vorgezogen werden. Emmanuel Lévinas' Denken des anderen wird als Alternative gegen eine rein zweckorientierte Zwischenmenschlichkeit stark gemacht. Aus solcherart nichtintentionaler Selbstaufmerksamkeit folge eine Präferenz für "wohltätiges Interpretieren", eine Art Sofortkredit für den möglicherweise unscheinbaren anderen. Marx hätte hier wohl nur den Versuch entdeckt, dem Volk außerhalb des Scheinwerferkegels ein Opiumpfeifchen anzustecken. Ein seelenökologischer Umbau der Aufmerksamkeitsökonomie macht jedenfalls den Bruch mit der Logik der Wirtschaft zwingend. RICHARD KÄMMERLINGS
Georg Franck: "Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. Carl Hanser Verlag, München 1998. 256 S., br., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zitat ist Geld: Georg Francks Ökonomie der Mediengesellschaft beweist, daß die Zinsen des Ruhms mehr zählen als die des Reichtums
Die Vorstellung, Bücher würden veröffentlicht, um Geld zu verdienen, ist ein hartnäckiger Irrglauben über den Kulturbetrieb. Warum sollte aber überhaupt jemand vernünftigerweise die Mühen des Schreibens, sagen wir einer ägyptologischen Doktorarbeit, eines Lyrikbandes oder eines Fachlexikons für Luftfahrtingenieure, auf sich nehmen? Daß die Plackerei für Gotteslohn keineswegs weltfremdem Idealismus entspringen muß, sondern Ruhm und Ehre ein durchaus rationales und effektives Anreizsystem bilden, behauptet der Wiener Publizist Georg Franck: "Die Veröffentlichung ist der professionell betriebene Kampf um Aufmerksamkeit." Sein Entwurf einer "Ökonomie der Aufmerksamkeit" beabsichtigt einen "blinden Fleck" der klassischen ökonomischen Theorie auszufüllen. Denn Aufmerksamkeit, verstanden als Oberbegriff über diverse Formen positiver wie negativer Beachtung, sei ebenso knappe Ressource wie begehrtes Einkommen, und ihr Austausch präge die Mediengesellschaft nicht weniger nachhaltig als der Fluß von Geld und Gütern. In der Menge zu baden sei ebenso erstrebenswert wie im Geld zu schwimmen.
Der Wissenschaftsbetrieb gilt Franck als idealtypische Manifestation dieser immateriellen Ökonomie. Weil hier ohnehin keine goldenen Nasen zu verdienen sind, den Akteuren trotzdem aber Rationalität unterstellt werden muß, bleibt nur die Steigerung von Reputation als Motiv übrig: Für den mühevollen Anbau geistiger Nahrung genügt dem Wissenschaftler himmlischer Lohn in Form der Anerkennung einiger weniger Fachleute, die man im Gegenzug wiederum zitiert oder im Vorwort erwähnt. Den eigenen Kontostand kann man dann im Science Citation Index nachlesen. Professorale Eitelkeit hat selten eine so intelligente Rechtfertigung gefunden, denn der Erfolg des Ganzen heiligt den Egoismus der einzelnen. Auch in der Wissenschaft hat die unsichtbare Hand ihre Finger im Spiel.
Die durchaus kulturkritisch gewendete Diagnose, daß unsere Gegenwart sich durch eine historisch beispiellose Verselbständigung des Buhlens um Aufmerksamkeit auszeichne, kann Franck an zahlreichen Einzelbeobachtungen bestätigen. Er wollte aber mehr als nur einen zeitdiagnostischen Essay schreiben, seine Rede vom "Kapital" der Aufmerksamkeit, von "Kredit" und "Zins" ist keineswegs metaphorisch gemeint. Tatsächlich kann er der Aufmerksamkeit einen universellen und quantifizierbaren Tauschwert zuschreiben. Im zwischenmenschlichen Austausch entspricht ihm die Zeit, die ich meinem jeweiligen Gegenüber widme. In der öffentlichen Sphäre ist er ablesbar an Einschaltquoten, Umfrageergebnissen oder Auflagenzahlen. So lassen sich "Einkommensklassen" wie Ruhm, Prominenz, Reputation oder Prestige unterscheiden. Schließlich ist Aufmerksamkeit auch akkumulierbar. Denn wer hat, dem wird gegeben, und ab einer bestimmten Stufe des Ruhms kann man von seinen Zinsen auch im verborgenen gut leben. In der Öffentlichkeit stehen muß man nicht mehr.
Ein Umsturz der ungerechten Besitzverhältnisse in Sachen Beachtung droht nach Franck nicht. Der "mentale Kapitalismus" sei nichts für Klassenkämpfer, da er "als Form des Aufstands nur die Palastrevolution zu kennen scheint". Sein Proletariat, "das nichts mehr zu verlieren hat als seine Unscheinbarkeit", erstrebe eben nichts mehr, als selber einmal ins Rampenlicht zu treten und die anderen in den Schatten zu stellen. Konsequenterweise führt Franck die Macht der Massenmedien auf ein Ausbeutungsverhältnis zurück. Zugunsten der reichen Beachtung einer kleinen Zahl von Personen und Produkten werde die kostbare Zeit von Millionen Zuschauern kolonialisiert. In Francks Ausführungen über die gezielte Herstellung von Attraktivität im Starkult, über einen allgegenwärtigen "Hyperrealismus für die Stielaugen" in der Werbung oder die Medienästhetik der "hochleistenden Attraktion" erscheinen viele kulturkritische Gemeinplätze in neuem, tadellos geschnittenem Gewand: "Mode ist die Gesamtveranstaltung der Nutzung von Neuigkeitswert zur Steigerung persönlicher Attraktivität."
Der Gefahr, einer totalen Vergesellschaftung des Individuums das Wort zu reden, ist sich Franck bewußt: "Die Vorstellung, daß die Wertschätzung, die meine Person genießt, einen Marktpreis darstellt, ist noch unerträglicher als die, daß meine Arbeitskraft eine Ware ist." Aber die Frage bleibt, ob er nicht selber die Ökonomisierung befördert, die er zu beschreiben vorgibt. Sein brillanter Essay ist möglicherweise wider Willen des Autors eine Verhaltenslehre unserer neusachlichen Ellbogengesellschaft, ein Handorakel für das Medienzeitalter, das zum kühl kalkulierten Wuchern mit den eigenen Pfunden anhält: Beachte deinen Nächsten wie er dich selbst - um des Mehrwerts willen.
Am Ende bringt Franck überraschend die Kategorie des "Herzens" als Korrektiv dieser aufs Ökonomische verengten Rationalität ins Spiel. Das intentionale Bewußtsein "von etwas", dem auch die Beachtung eines anderen zuzurechnen ist, unterscheidet er von einem phänomenalen Bewußtsein, einer inhaltslosen Präsenz des "Daseins" im Sinne Heideggers, dessen Erfahrung uns Zivilisationsgeschädigten zur "Herzensbildung" frommen könne. Der Weg nach innen solle dem Laufsteg der öffentlichen Anerkennung vorgezogen werden. Emmanuel Lévinas' Denken des anderen wird als Alternative gegen eine rein zweckorientierte Zwischenmenschlichkeit stark gemacht. Aus solcherart nichtintentionaler Selbstaufmerksamkeit folge eine Präferenz für "wohltätiges Interpretieren", eine Art Sofortkredit für den möglicherweise unscheinbaren anderen. Marx hätte hier wohl nur den Versuch entdeckt, dem Volk außerhalb des Scheinwerferkegels ein Opiumpfeifchen anzustecken. Ein seelenökologischer Umbau der Aufmerksamkeitsökonomie macht jedenfalls den Bruch mit der Logik der Wirtschaft zwingend. RICHARD KÄMMERLINGS
Georg Franck: "Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. Carl Hanser Verlag, München 1998. 256 S., br., 36,- DM.
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"Georg Franck hat - mit der Brillanz des Aussenseiters - die ökonomischen Grundlagen dieses Wettbewerbs um die Präsenz im öffentlichen Rampenlicht analysiert ... Wenn es einen Preis gäbe, um sozialwissenschaftliche Theorien auszuzeichnen, die öffentliche Beachtung verdienen, Franck wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt einer der Anwärter für solch eine Trophäe."
Stephan Russ-Mohl, Neue Zürcher Zeitung, 29.01.1999
"Sein Buch "Ökonomie der Aufmerksamkeit" gilt als Kult."
Wirtschaftswoche, 19.02.2004
"Brillianter Essay"
Richard Kämmerlings, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.08.1998
Stephan Russ-Mohl, Neue Zürcher Zeitung, 29.01.1999
"Sein Buch "Ökonomie der Aufmerksamkeit" gilt als Kult."
Wirtschaftswoche, 19.02.2004
"Brillianter Essay"
Richard Kämmerlings, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.08.1998