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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2001

Zusammenarbeit zum Vorteil aller Beteiligten
Eine ökonomische Theorie der Handlungen, Interaktionen und Institutionen

Karl Homann/Andreas Suchanek: Ökonomik: Eine Einführung. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2000, 479 Seiten, 49 DM.

In seinem 1971 erschienenen Buch "A Theory of Justice" begreift der Sozialphilosoph John Rawls die Gesellschaft als "ein Unternehmen der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil". Karl Homann, Professor für Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der philosophischen und ethischen Grundlagen der Ökonomik an der Universität München, und sein Schüler Andreas Suchanek, Privatdozent für Volkswirtschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt, entwerfen auf Grundlage dieser Auffassung eine Konzeption von Ökonomik, die weit über das herrschende Verständnis von Wirtschaftswissenschaft hinausgeht. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtung stehen nicht ausschließlich individuelle Handlungen zum Vorteil eines einzelnen Menschen, sondern vielmehr die Interaktion (Zusammenarbeit) der Mitglieder einer Gesellschaft zum gegenseitigen, aber jeweils individuellen Vorteil. Homann und Suchanek bezeichnen ihren fest in der Tradition der individualistischen Sozialtheorie verankerten Ökonomik-Entwurf deshalb ausdrücklich als Interaktionsökonomik.

Diese besteht aus drei Theorieteilen: der Handlungstheorie, der Interaktionstheorie und der Institutionentheorie. Im Rahmen der Handlungstheorie wird auf die ökonomische Neoklassik und deren Modell des rationalen, eigeninteressierten Akteurs (Homo oeconomicus) zurückgegriffen. Die traditionelle Annahme lautet: Individuen maximieren ihren Nutzen unter Restriktionen.

Die einzelnen Menschen sind aber zumindest - und dies ist modellhaft in einer Interaktionstheorie darzustellen - über die Knappheit der natürlichen Ressourcen in einen einzigen, umfassenden Interaktionszusammenhang eingebunden. Ihr Zusammenleben und Zusammenarbeiten in der modernen Gesellschaft findet immer unter den Bedingungen von Arbeitsteilung und Interdependenz des individuellen Verhaltens statt. Hieraus folgt nach Homann und Suchanek, daß dem Interaktionsproblem der systematische Vorrang vor dem Knappheitsproblem zukommt.

Diese Annahme, die den Unterschied zum herrschenden Verständnis von Wirtschaftswissenschaft markiert, wird durch das Beispiel von Robinson auf der einsamen Insel verdeutlicht. Robinson hat Entscheidungen über die Einteilung seiner Zeit, über die Befriedigung seiner verschiedenen Bedürfnisse, über seine investive Vorratshaltung und anderes zu treffen. Sein Verhalten läßt sich deshalb analysieren - hier ist die berühmte Ökonomik-Definition von Lionel Robbins von 1932 zu zitieren - "als eine Beziehung zwischen Zielen und knappen Mitteln, die unterschiedliche Verwendung finden können".

Diese "Robinson-Ökonomik" kann jedoch, so meinen Homann und Suchanek, nicht ernsthaft als Modell für eine moderne Ökonomik im Zusammenhang einer Volkswirtschaft oder gar der globalen Weltwirtschaft dienen. Denn die Robinson-Ökonomik verharre in handlungstheoretischen Kategorien. Sie übertrage das handlungstheoretische Kalkül der Kosten-Nutzen-Maximierung des einzelnen Menschen unzulässigerweise auf die Gesamtgesellschaft und vernachlässige dadurch systematisch die Strukturen der Probleme in der modernen Wirtschaft und Gesellschaft.

In der Robinson-Welt gebe es insbesondere keine Interessenkonflikte und kein strategisches Handeln von Gegenspielern, die das Ergebnis der individuell rationalen Handlungen des einzelnen Menschen beeinflußten. Dadurch würden die Interessen der Akteure als Störfaktoren einer effizienten Mittelverwendung eingestuft, was letztlich kennzeichnend für paternalistische Diktaturen oder kommunistische Traumwelten sei. Erst durch die Ankunft von Freitag auf Robinsons Insel werde ansatzweise deutlich, daß nicht die rein technologische Lösung des Knappheitsproblems im Sinne von Lionel Robbins das ökonomische Kernproblem bilde, sondern die aus dem Zusammenleben und Zusammenarbeiten von Menschen folgenden Interessenkonflikte. Im Rahmen einer Interaktionstheorie sei deshalb zu berücksichtigen, daß in jeder möglichen Interaktion aufgrund der strategischen Interdependenz der Akteure genuin neue Chancen und Probleme für die Akteure entstünden. Aus dem Zusammentreffen von Robinson und Freitag ergebe sich für jeden einzelnen ein gemeinsames Interesse an der Realisierung von Kooperationsgewinnen sowie ein konfligierendes Interesse hinsichtlich der einzelnen Beiträge zur Leistungserstellung sowie hinsichtlich der Aufteilung der Kooperationsgewinne.

Da die Realisierung möglicher Kooperationsgewinne durch Informationsprobleme und durch Anreizprobleme erschwert oder gar verhindert werden kann, wird aufbauend auf der Handlungstheorie und der Interaktionstheorie im Rahmen einer Institutionentheorie der Frage nachgegangen, wie Institutionen gestaltet werden müssen, damit Interaktionen so strukturiert werden, daß für alle Beteiligten Kooperationsgewinne entstehen.

Insgesamt haben Karl Homann und Andreas Suchanek mit ihrer Interaktionsökonomik - in der viele Argumente von Karl Popper, John Rawls, Friedrich August von Hayek, James Buchanan, Ronald Coase und Oliver Williamson, aber auch von Niklas Luhmann verwendet und systematisch zusammengeführt werden - eine Methode zur Bearbeitung eines Problems entwickelt, das schon der Freiburger Ordo-Liberale Walter Eucken in seinem Buch "Grundsätze der Wirtschaftspolitik" gesehen hat. Eucken hatte jedoch Schwierigkeiten, das Problem der "Koordination von Einzelinteresse und Gesamtinteresse als ordnungspolitische Aufgabe" begrifflich so zu fassen, daß es im Rahmen einer liberalen, individualistischen Sozialtheorie methodisch kontrolliert und widerspruchsfrei bearbeitet werden kann. Insbesondere durch die regulative Idee der Realisierung von Kooperationsgewinnen wird diese Lücke systematisch geschlossen.

NORBERT TOFALL

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Norbert Tofall versichert in seiner Besprechung, dass dieses Buch eine "Lücke" schließe, die der Ordo-Liberale Walter Eucken noch offengelassen hat. Eingeführt wird in eine Interaktionsökonomik, die im Buch am Beispiel des schiffbrüchigen Robinson erläutert wird, so Tofall. Robinson hat auf seiner Insel kein anderes Problem, als seine viele Zeit und die knappen Ressourcen einzuteilen. So scheinen die meisten Wirtschaftswissenschaftler auch die Ökonomik zu sehen, wenn wir Tofall richtig verstehen: Knappe Ressourcen, die durch individuelle Handlungen zum Vorteil eines Einzelnen ausgebeutet werden. Doch der Mensch ist keine Insel! So werde durch die Ankunft Freitags deutlich, dass die Interessenkonflikte zwischen konkurrierenden Parteien der Kern des ökonomischen Problems sei. Und hier kommt die Interaktionstheorie ins Spiel. Denn sie untersucht laut Tofall, welche "Chancen und Probleme" beim Zusammenleben mehrerer Akteure entstehen und wie Kooperationsgewinne sichergestellt werden können.

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