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In der ökonomischen Theorie lassen sich verschiedene Erkenntnisprogramme identifizieren, die die Richtung der ökonomischen Forschung und damit auch den Erkenntnisfortschritt in gewisser Weise kanalisieren. In der Finanzwissenschaft existiert ein primär theoretisch ausgerichteter Forschungszweig, der seine Wurzeln bei den klassischen Autoren und ersten Marginalisten hat und sich bis zur sog. "Neuen Finanzwissenschaft" erstreckt. Zum anderen findet man eine stärker empirisch-institutionell angelegte Finanzwissenschaft vor, die ihren Ursprung im Kameralismus und der historischen Schule hat und…mehr

Produktbeschreibung
In der ökonomischen Theorie lassen sich verschiedene Erkenntnisprogramme identifizieren, die die Richtung der ökonomischen Forschung und damit auch den Erkenntnisfortschritt in gewisser Weise kanalisieren. In der Finanzwissenschaft existiert ein primär theoretisch ausgerichteter Forschungszweig, der seine Wurzeln bei den klassischen Autoren und ersten Marginalisten hat und sich bis zur sog. "Neuen Finanzwissenschaft" erstreckt. Zum anderen findet man eine stärker empirisch-institutionell angelegte Finanzwissenschaft vor, die ihren Ursprung im Kameralismus und der historischen Schule hat und bis zur Neuen Politischen Ökonomie und Konstitutionellen Finanzwissenschaft reicht. Vor diesem Hintergrund systematisiert und analysiert der Autor die finanzwissenschaftlichen Beiträge von vier theoretischen Traditionen in der Ökonomie (Klassik, Neoklassik, Alte und Neue Institutionenökonomie). Für den an finanzwissenschaftlichen Fragestellungen interessierten Leser soll mit dieser Arbeit der Versuch unternommen werden, eine vergleichende Darstellung unterschiedlicher Zugangs- und Lösungsmethoden für typische Problemstellungen der Finanzwissenschaft zu liefern, wobei die Geschichte des Fachgebietes und ihrer Entwicklungslinien in groben Zügen nachgezeichnet wird. Darüber hinaus bietet die Finanzwissenschaft aber auch ein interessantes Bild für den wissenschaftstheoretisch interessierten Leser, und zwar sowohl in Hinblick auf die vertretenen erkenntnistheoretischen Positionen als auch in Hinblick auf den Fortschritt dieser Wissenschaft. Zur Lösung dieser Fragestellungen wird die von Imre Lakatos entwickelte Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme als Grundgerüst verwendet, um sowohl die jeweils grundlegenden Erklärungsprinzipien als auch entsprechende Modifikationen pointiert darstellen zu können. Hierbei zeigt sich, dass sich die vier Forschungsprogramme - trotz zahlreicher dogmengeschichtlicher Gemeinsamkeiten - in Hinblick auf ihre "harten Kerne" signifikant voneinander unterscheiden, was zu alternativen theoretischen Erklärungen finanzwirtschaftlicher Phänomene (z.B. dauerhafter Anstieg der öffentlichen Schuld) und teilweise völlig konträren finanzpolitischen Vorschlägen (z.B. enge oder breite Steuerbemessungsgrundlagen) führt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2006

Der harte und der weiche Kern
Eine erkenntnistheoretische Untersuchung der Finanzwissenschaft

"Gebt Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist", so forderte Jesus die Seinen zu mehr Steuerehrlichkeit auf. Das war eine finanzwirtschaftliche Maxime von unüberbietbarer Schlichtheit. Heute indes hilft der Gottesbezug nicht mehr weiter. Wir haben es vielmehr mit einer höchst komplexen Finanzwissenschaft zu tun, die sich längst auch in Richtung Psychologie und Soziologie verzweigt hat. Historisch gesehen, verlief die Entwicklung indes keineswegs geradlinig. In den deutschen Landen beispielsweise stellte das Ende des Dreißigjährigen Krieges die Wende dar. Zersplittert in mehr als dreihundert konkurrierende Einzelfürstentümer, galt es, gewaltige Kriegsfolgen zu überwinden. Die Kameralisten berieten die Landesherren in der Vermehrung der fürstlichen Einkünfte. Allerdings folgten sie dabei immer dem Grundsatz, daß Zwangsabgaben nur dann von den Untertanen eingefordert werden durften, wenn die Erwerbseinkünfte - vor allem aus Domänen, zum Beispiel staatlichen Forsten, und Regalien, das heißt der Verpachtung von Hoheitsrechten - den staatlichen Gesamtbedarf nicht decken konnten.

Obwohl es sich beim Kameralismus eher um zusammengetragene Erfahrungen als um eine Wissenschaft handelte, wird er doch häufig als Ausgangspunkt der Finanzwissenschaft genannt. Auf jeden Fall ging es von da an mit der Staatsquote ständig bergauf. Aus dem "Zehnten" der vorindustriellen Zeit sind heute 50 Prozent und mehr des Nationaleinkommens geworden. Dies bedeutet aber auch, daß den öffentlichen Budgets inzwischen das gleiche Gewicht zukommt wie dem Ordnungsinstrument des Marktes.

Für Nils Otte ist dies ein Grund mehr, sich dem seit langem als wenig geschlossen beklagten und von wiederkehrenden methodischen Streitfragen geprägten Bild der Finanzwissenschaft zu widmen und die unterschiedlichen Zugangs- und Lösungsmethoden für Probleme der Finanzwissenschaft miteinander zu vergleichen. Dabei konzentriert er sich auf drei finanzwissenschaftliche Problemfelder: Staatswirtschaft, Besteuerung und Staatsverschuldung. Als wissenschaftstheoretische Hintergrundfolie verwendet Otte die "Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme" von Imre Lakatos, einem Schüler Karl Poppers. Sie kann, verglichen mit dem oft als "naiv" kritisierten Falsifikationismus Poppers, insofern als weiterentwickelt ("sophisticated") gelten, als sie nicht mehr davon ausgeht, daß falsifizierte Theorien sofort eliminiert werden - eine Annahme, die vor allem der Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn als wirklichkeitsfremd kritisiert hatte. Bei Lakatos werden nicht mehr einzelne Theorien, sondern ganze Forschungsprogramme überprüft. Diese setzen sich aus mehreren rivalisierenden Theorien zusammen, die aus einem gemeinsamen "harten Kern" bestehen, der wiederum von einem "weichen Kern" aus Zusatzhypothesen umgeben ist. Erfahrungen, die einer Theorie widersprechen, führen dann nicht mehr zu deren Widerlegung - vielmehr bleibt ihr harter Kern immunisiert, während man durch Änderungen des weichen Kerns den wissenschaftlichen Fortschritt vorantreiben kann.

Otte stellt vier Forschungsprogramme der Finanzwissenschaft vor, die er im Sinne von Lakatos aufbereitet. Nach dem jeweiligen Verhältnis zwischen Theorie und Erfahrung unterscheidet er zwischen theoriegeleiteten und erfahrungsgeleiteten Programmen. Zu ersteren zählt der Autor das klassische Forschungsprogramm, das mit seiner vermenschlichten Sichtweise den Staat wie einen Privathaushalt funktionieren sieht; es wurzelt im Werk des schottischen Ökonomen und Moralphilosophen Adam Smith und endet bei den ersten Marginalisten. Theoriegeleitet ist auch das neoklassische Programm, das von der Grenznutzenschule inspiriert ist und in die "Neue Finanzwissenschaft" mündet. Als erfahrungsgeleitet bezeichnet Otte das Forschungsprogramm der aus dem Kameralismus und der Historischen Schule entstandenen "Alten" Institutionenökonomie sowie jenes der "Neuen" Institutionenökonomie, das den von Douglass North geprägten Grundsatz "Institutions matter" vom Markt auf den öffentlichen Sektor übertrug. Jedes der vier Programme wird sowohl dogmengeschichtlich als auch hinsichtlich seiner Kerne untersucht.

Otte zeigt, daß sich die vier Forschungsprogramme trotz vieler dogmengeschichtlicher Gemeinsamkeiten in ihren harten Kernen deutlich voneinander unterscheiden. Dies führt wiederum zu unterschiedlichen theoretischen Erklärungen finanzwirtschaftlicher Phänomene wie dem dauerhaften Anstieg der öffentlichen Schuld und auch zu teilweise völlig gegensätzlichen finanzpolitischen Vorschlägen, beispielsweise enge oder breite Steuerbemessungsgrundlagen. Ottes Buch ist dicht gepackt mit Schlußfolgerungen und nützlichen Literaturverweisen. Seiner zweifachen und damit recht ungewöhnlichen Aufgabenstellung folgend, richtet es sich sowohl an den finanzwissenschaftlich als auch an den wissenschaftstheoretisch interessierten Leser.

HEINZ K. STAHL.

Nils Otte: Ökonomische Erkenntnisprogramme in der Finanzwissenschaft. Eine Analyse unter der methodologischen Konzeption von Imre Lakatos. Metropolis Verlag, Marburg 2005, 372 Seiten, 44,80 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Heinz K. Stahl betont die Nutzbarkeit des Bandes sowohl für den "finanzwissenschaftlich als auch den wissenschaftstheoretisch interessierten Leser". Überhaupt scheint der Rezensent richtig dankbar, dass sich mit Nils Otter ein Autor den "wiederkehrenden methodischen Streitfragen" der drei Problemfelder Staatswirtschaft, Besteuerung, Staatsverschuldung widmet, indem er verschiedene Lösungsvorschläge komparatistisch vorstellt. Als Hintergrundfolie der Arbeit macht Stahl die "Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme" des Popper-Schülers Imre Lakatos aus, die er jenem gegenüber insofern für weiterentwickelt hält, als mit ihr nicht mehr "einzelne Theorien, sondern ganze Foschungsprogramme" überprüft würden. Nützlich findet Stahl schließlich auch Otters Unterscheidung in theorie- und erfahrungsgeleitete Forschungsprogramme (wobei Otter jedes so rubrizierte "sowohl dogmengeschichtlich als auch hinsichtlich seiner Kerne" untersucht). Von hier aus gelinge dem Autor die deutliche Scheidung der Programme und somit eine Erklärung für die Verschiedenheit finanzwirtschaftlicher Theorien.

© Perlentaucher Medien GmbH