Interdisziplinäres Arbeiten wird auch in der Rechtswissenschaft immer wichtiger. Dabei gewinnt insbesondere das ökonomische Argument an Popularität. Anders als viele bisherige Abhandlungen zur Rechtsökonomie geht es Emanuel V. Towfigh und Niels Petersen nicht darum, ökonomische Erkenntnisse auf bestimmte Rechtsgebiete zu übertragen. Vielmehr möchten die Autoren das ökonomische Argumentieren lehren und in die ökonomische Methodik einführen, damit sozialwissenschaftliche Studien verstanden und selbstständig im juristischen Kontext fruchtbar gemacht werden können. Das Buch richtet sich dabei sowohl an Studierende, die einen ersten Zugang zur sozialwissenschaftlichen Betrachtung von Recht suchen, als auch an Wissenschaftler, die ökonomische Studien rezipieren und verstehen möchten und an Praktiker, die in ihrer Arbeit auf sozialwissenschaftliche Gutachten zurückgreifen und diese nachvollziehen müssen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2017Ökonomik für Juristen
Bedeuten höhere Strafen weniger Straftaten?
Ökonomie - für viele Juristen ein rotes Tuch. Denn anders als Betriebswirte, die sich Grundlagen des Zivilrechts aneignen, müssen sich junge Juristen in der Regel nicht mit wirtschaftswissenschaftlichen Theorien auseinandersetzen. Dieses Manko zieht sich in das Berufsleben als Ministerialbeamte oder Richter durch - mit manchmal verheerenden Folgen. Dabei wäre es so einfach, Wissensdefizite zu schließen: Durch Lektüre des hervorragenden Buches "Ökonomische Methoden im Recht" von Emanuel V. Towfigh, Professor an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden, und Niels Petersen, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster.
Das lehrbuchartige Überblickswerk gewährt einen verständlichen Einblick in ökonomische und verhaltenswissenschaftliche Methoden. Nachdem vor zwei Jahren eine englischsprachige Version unter dem Titel "Economic methods for lawyers" erschienen war, liegt nun die deutsche Version in aktualisierter und verbesserter Neuauflage vor. Dabei wurden zwei Kapitel im Vergleich zur Erstauflage 2010 komplett neu geschrieben: "Nachfrage, Angebote und Märkte", das Alexander Morell verfasst hat, und "Vertragstheorie und ökonomische Analyse des Vertragsrechts", jetzt erstellt von Ulrich Schmolke.
Neu sind auch Erläuterungen zum "Nudging", der vermeintlich sanften Veranlassung von Verhaltensänderungen. Die Kritik daran reißt nicht ab, auch weil manche Versuche zeigen, dass Nudging nicht hält, was sich viele davon erhoffen. Towfigh und Markus Englerth wollen unter deutschen Juristen sogar eine gewisse Gleichgültigkeit ausgemacht haben. "Viele der Instrumente, die heute unter dem Begriff Nudging zusammengefasst werden, sind schon von deutschen Gerichten geprüft und an den überkommenden rechtlichen Maßstäben gemessen worden", erklären sie: "Das nährt den Verdacht, dass das Konzept des Nudging am Ende nicht mehr ist als ein rhetorisches Mittel." Es gebe andere und spannendere offene Fragen in der Verhaltensökonomik, etwa den Zielkonflikt zwischen Realitätsnähe und Sparsamkeit der Modellannahmen.
Manche Vertreter des Faches wollen daher ein "Grand Design" - eine neue eigenständige Verhaltenstheorie, die Rational Choice ablöst oder zu einem situationsspezifischen Unterfall degradiert. "Man bestreitet nicht die grundsätzliche Nützlichkeit verhaltensökonomischer Forschung, wenn man derartige Ambitionen jedenfalls momentan für aussichtslos hält. Zu disparat erscheinen noch die Erkenntnisse", meinen die Autoren: "Es ist gut denkbar, dass ein verbessertes Verständnis der Funktionsweise unseres Gehirns irgendwann Abhilfe schaffen kann."
Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat kürzlich ein Modell vorgelegt, das auf der Unterscheidung zwischen einem langsamen, bewussten und einem intuitiven, automatischen Denkprozess beruht. Dieser Ansatz entfernt sich weit vom klassischen Nutzenmaximierungsmodell, kann aber nach Meinung von Englerth und Towfigh viele der beobachteten Anomalien erklären. Auch Juristen beschäftigen sich damit, etwa im Strafrecht.
Gegen die ökonomische Analyse des Rechts gab es schon immer viele Einwände. Juristen sind skeptisch gegenüber einer Wirtschaftswissenschaft, welche sich als umfassende Sozialwissenschaft versteht, die menschliches Verhalten in allen Lebensbereichen zu erklären beansprucht - von der Kriminalität über die Demokratie bis hin zur Sexualität. Kritiker sehen darin einen Wissenschaftsimperialismus, der versucht, die ökonomische Rationalität des Strebens nach dem Eigennutz auf alle Gesellschaftsbereiche zu übertragen.
Nun schreiben Petersen und Towfigh: "Selbstverständlich kann die Wohlfahrtssteigerung nicht alleiniges Ziel der Politik, Effizienzdenken nicht alleiniger normativer Maßstab der Rechtswissenschaft sein. Auf der anderen Seite bieten die Sozialwissenschaften im Allgemeinen und die Ökonomie im Besonderen jedoch nützliche Analyseinstrumente, die durchaus auch dem Rechtswissenschaftler die Arbeit erleichtern können." Der erste Ansatz ist die positive ökonomische Theorie des Rechts. Sie versucht, prognostische Aussagen zum Verhalten von Rechtssubjekten zu formulieren, die etwa von veränderten Anreizen bei der Einführung neuer Normen ausgehen können.
Recht wird dabei als Mechanismus verstanden, der Handlungsalternativen verbilligt oder verteuert. "Wenn die Kosten eines Diebstahls den aus dem Diebstahl gezogenen Nutzen übersteigen, führt dies nach der ökonomischen Theorie dazu, dass ein potentieller Dieb vom Stehlen absehen wird." Gegen diese Logik spricht allerdings die Erfahrung, wie der Greifswalder Strafrechtler Christian Fahl jüngst in den "Juristischen Arbeitsblättern" schrieb: Er meinte, dass die Neuregelung des Einbruchsdiebstahls im Sommer 2017 keinen einzigen Einbruchsdiebstahl verhindern werde, "weil eine höhere Strafandrohung in der Vergangenheit empirisch belegbar noch nie zum Rückgang von Kriminalität geführt hat".
Der zweite Ansatz ist die normative oder präskriptive ökonomische Theorie des Rechts, die bewertet, welche Lösung für ein Problem vorzugswürdig ist: Wie sollte das Recht gestaltet werden? Welche Ziele sollte es haben? Als Maßstab dient dabei die Philosophie des Utilitarismus. Dem Utilitarismus zufolge ist es das Ziel jeder Gesellschaftsordnung, das Glück aller Menschen zu maximieren. "Ersetzen wir nun Glück durch Präferenzen, sehen wir, wie aus der sozialwissenschaftlichen ökonomischen Theorie plötzlich normative Schlussfolgerungen gezogen werden können." Die vorzugswürdigste Gesellschaftsordnung ist nach Ansicht der Ökonomen die effizienteste. Hier bekommen viele Juristen Bauchschmerzen - sie halten es im Zweifel lieber mit Immanuel Kant und den Prinzipien von Menschenwürde und Existenzminimum.
JOCHEN ZENTHÖFER
Emanuel V. Towfigh / Niels Petersen: Ökonomische Methoden im Recht. Mohr Siebeck, 2. Auflage, Tübingen 2017. 291 Seiten. 29 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bedeuten höhere Strafen weniger Straftaten?
Ökonomie - für viele Juristen ein rotes Tuch. Denn anders als Betriebswirte, die sich Grundlagen des Zivilrechts aneignen, müssen sich junge Juristen in der Regel nicht mit wirtschaftswissenschaftlichen Theorien auseinandersetzen. Dieses Manko zieht sich in das Berufsleben als Ministerialbeamte oder Richter durch - mit manchmal verheerenden Folgen. Dabei wäre es so einfach, Wissensdefizite zu schließen: Durch Lektüre des hervorragenden Buches "Ökonomische Methoden im Recht" von Emanuel V. Towfigh, Professor an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden, und Niels Petersen, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster.
Das lehrbuchartige Überblickswerk gewährt einen verständlichen Einblick in ökonomische und verhaltenswissenschaftliche Methoden. Nachdem vor zwei Jahren eine englischsprachige Version unter dem Titel "Economic methods for lawyers" erschienen war, liegt nun die deutsche Version in aktualisierter und verbesserter Neuauflage vor. Dabei wurden zwei Kapitel im Vergleich zur Erstauflage 2010 komplett neu geschrieben: "Nachfrage, Angebote und Märkte", das Alexander Morell verfasst hat, und "Vertragstheorie und ökonomische Analyse des Vertragsrechts", jetzt erstellt von Ulrich Schmolke.
Neu sind auch Erläuterungen zum "Nudging", der vermeintlich sanften Veranlassung von Verhaltensänderungen. Die Kritik daran reißt nicht ab, auch weil manche Versuche zeigen, dass Nudging nicht hält, was sich viele davon erhoffen. Towfigh und Markus Englerth wollen unter deutschen Juristen sogar eine gewisse Gleichgültigkeit ausgemacht haben. "Viele der Instrumente, die heute unter dem Begriff Nudging zusammengefasst werden, sind schon von deutschen Gerichten geprüft und an den überkommenden rechtlichen Maßstäben gemessen worden", erklären sie: "Das nährt den Verdacht, dass das Konzept des Nudging am Ende nicht mehr ist als ein rhetorisches Mittel." Es gebe andere und spannendere offene Fragen in der Verhaltensökonomik, etwa den Zielkonflikt zwischen Realitätsnähe und Sparsamkeit der Modellannahmen.
Manche Vertreter des Faches wollen daher ein "Grand Design" - eine neue eigenständige Verhaltenstheorie, die Rational Choice ablöst oder zu einem situationsspezifischen Unterfall degradiert. "Man bestreitet nicht die grundsätzliche Nützlichkeit verhaltensökonomischer Forschung, wenn man derartige Ambitionen jedenfalls momentan für aussichtslos hält. Zu disparat erscheinen noch die Erkenntnisse", meinen die Autoren: "Es ist gut denkbar, dass ein verbessertes Verständnis der Funktionsweise unseres Gehirns irgendwann Abhilfe schaffen kann."
Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat kürzlich ein Modell vorgelegt, das auf der Unterscheidung zwischen einem langsamen, bewussten und einem intuitiven, automatischen Denkprozess beruht. Dieser Ansatz entfernt sich weit vom klassischen Nutzenmaximierungsmodell, kann aber nach Meinung von Englerth und Towfigh viele der beobachteten Anomalien erklären. Auch Juristen beschäftigen sich damit, etwa im Strafrecht.
Gegen die ökonomische Analyse des Rechts gab es schon immer viele Einwände. Juristen sind skeptisch gegenüber einer Wirtschaftswissenschaft, welche sich als umfassende Sozialwissenschaft versteht, die menschliches Verhalten in allen Lebensbereichen zu erklären beansprucht - von der Kriminalität über die Demokratie bis hin zur Sexualität. Kritiker sehen darin einen Wissenschaftsimperialismus, der versucht, die ökonomische Rationalität des Strebens nach dem Eigennutz auf alle Gesellschaftsbereiche zu übertragen.
Nun schreiben Petersen und Towfigh: "Selbstverständlich kann die Wohlfahrtssteigerung nicht alleiniges Ziel der Politik, Effizienzdenken nicht alleiniger normativer Maßstab der Rechtswissenschaft sein. Auf der anderen Seite bieten die Sozialwissenschaften im Allgemeinen und die Ökonomie im Besonderen jedoch nützliche Analyseinstrumente, die durchaus auch dem Rechtswissenschaftler die Arbeit erleichtern können." Der erste Ansatz ist die positive ökonomische Theorie des Rechts. Sie versucht, prognostische Aussagen zum Verhalten von Rechtssubjekten zu formulieren, die etwa von veränderten Anreizen bei der Einführung neuer Normen ausgehen können.
Recht wird dabei als Mechanismus verstanden, der Handlungsalternativen verbilligt oder verteuert. "Wenn die Kosten eines Diebstahls den aus dem Diebstahl gezogenen Nutzen übersteigen, führt dies nach der ökonomischen Theorie dazu, dass ein potentieller Dieb vom Stehlen absehen wird." Gegen diese Logik spricht allerdings die Erfahrung, wie der Greifswalder Strafrechtler Christian Fahl jüngst in den "Juristischen Arbeitsblättern" schrieb: Er meinte, dass die Neuregelung des Einbruchsdiebstahls im Sommer 2017 keinen einzigen Einbruchsdiebstahl verhindern werde, "weil eine höhere Strafandrohung in der Vergangenheit empirisch belegbar noch nie zum Rückgang von Kriminalität geführt hat".
Der zweite Ansatz ist die normative oder präskriptive ökonomische Theorie des Rechts, die bewertet, welche Lösung für ein Problem vorzugswürdig ist: Wie sollte das Recht gestaltet werden? Welche Ziele sollte es haben? Als Maßstab dient dabei die Philosophie des Utilitarismus. Dem Utilitarismus zufolge ist es das Ziel jeder Gesellschaftsordnung, das Glück aller Menschen zu maximieren. "Ersetzen wir nun Glück durch Präferenzen, sehen wir, wie aus der sozialwissenschaftlichen ökonomischen Theorie plötzlich normative Schlussfolgerungen gezogen werden können." Die vorzugswürdigste Gesellschaftsordnung ist nach Ansicht der Ökonomen die effizienteste. Hier bekommen viele Juristen Bauchschmerzen - sie halten es im Zweifel lieber mit Immanuel Kant und den Prinzipien von Menschenwürde und Existenzminimum.
JOCHEN ZENTHÖFER
Emanuel V. Towfigh / Niels Petersen: Ökonomische Methoden im Recht. Mohr Siebeck, 2. Auflage, Tübingen 2017. 291 Seiten. 29 Euro.
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