24,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 3-5 Tagen
Produktdetails
  • Verlag: Metropol
  • Seitenzahl: 397
  • Erscheinungstermin: 8. Mai 2008
  • Deutsch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 668g
  • ISBN-13: 9783938690840
  • ISBN-10: 3938690844
  • Artikelnr.: 23421669

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.09.2008

Volkswohlfahrt und Volkshochschulen verhindern die Revolution
Bildung statt Vergesellschaftung: Matthias Steinbach untersucht den Professorensozialismus in der thüringischen Provinz
Nicht nur deutschen Gelehrten haftet das Klischee an, dass sie dem gesellschaftlichen Leben wirklichkeitsfremd gegenüberstehen, selbstbezogen handeln und sozialem Engagement abgeneigt sind. Oder – wenn sie Partei ergreifen – zumeist auf Seiten der konservativen Kräfte stehen. Dessen ungeachtet hat es immer wieder Professoren gegeben, die sich dringender sozialer, vor allem sozialpädagogischer Probleme angenommen haben. Matthias Steinbach, Professor für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der TU Braunschweig, hält deshalb die These vom „großen Kerker-Kontinuum” (Foucault) bürgerlicher Reformbemühungen ebenso wie die vulgär-marxistische Einschätzung der Universitäten als „Hort der Reaktion” für viel zu pauschal, als dass sie allgemeine Gültigkeit beanspruchen könnten.
In seiner Studie untersucht Steinbach am Beispiel der Universität Jena, wie wissenschaftliche Innovation, sozialer Sinn und politische Aktivitäten ineinandergegriffen und das Leben in Stadt und Territorium beeinflusst haben. Der Zeitschnitt erfasst die Epochen zwischen Frühaufklärung und Zweitem Weltkrieg. Dabei folgt der Autor dem Rat des Historikers Dieter Langewiesche, das Wechselspiel zwischen Liberalismus und Staatsräson dort zu analysieren, wo liberale Bestrebungen die stärkste Praxisrelevanz hatten: in der Provinz, genauer gesagt in der „akademischen Provinz” und ihrem kommunalen Umfeld.
Die Jenaer Alma Mater, eine klassische, liberal-protestantische Universität, bietet sich dafür geradezu an. Nicht nur weil Studenten und Lehrkörper durch die enge Verbindung von naturwissenschaftlicher Forschung und Industrie (Zeiss, Schott) dem Muff anderer Provinzuniversitäten enthoben waren, sondern auch weil von Jena wie von Thüringen überhaupt wesentliche Impulse für die bürgerliche Reformpädagogik ausgingen. In der Stadt und den umliegenden Gemeinden entwickelte sich eine extraordinäre Bewegung, die ohne Rücksicht auf die soziale Stellung des Einzelnen eine allgemeine Volksbildung nicht nur erstrebte, sondern in vielen Fällen auch praktisch realisieren konnte.
Es wurden Volkshochschulen eingerichtet, die dazu notwendige Pädagogik erlangte akademische Reverenz. Berufliche und allgemeine Weiterbildung wurden institutionalisiert, entsprechende Vereine und Lehrgänge erfreuten sich großen Zuspruchs; die Rede vom gebildeten Zeiss-Arbeiter war in Mitteldeutschland allgegenwärtig. Lesehalle, Bibliotheken, Armenfürsorge, Jugendbetreuung, an fast alles ist gedacht worden. Studenten traten als Lehrer in Arbeiterbildungskursen auf und in den Armenschulen der Vorstädte. Aber nicht nur „reine” Wissenschaft wurde vermittelt, in zunehmendem Maße referierten Professoren auch über nationalökonomische Themen.
Um die Jahrhundertwende hatte sich in Jena ein Netzwerk wissenschaftlicher, politischer und publizistischer Eliten formiert, die sich den sozialen Ausgleich auf die Fahne geschrieben hatten und deren Wirken in der Gründung des Nationalsozialen Vereins durch den Reformpolitiker Friedrich Naumann ihren Höhepunkt fand. Steinbach schätzt ein, dass die sozial-libertären Anstrengungen der Gebildeten des Jenaer Fin de Siècle trotz aller politischen Beschränkung und Staatskonformität im Hinblick auf Volksbildung und Armenfürsorge eine Erfolgsgeschichte waren. Er führt für diese neuhumanistische Bewegung den Begriff „Professorensozialismus” ein, als Chiffre für Einstellungen, wie er sagt, die in sich den Liberalismus der Jahre vor 1848 und den „kommunalen, respektive Sozialliberalismus des späten Kaiserreichs” vereinen.
Zuerst aufgetaucht ist der Begriff als Schimpfwort gegen vermeintlich sozialdemokratische Agitation betreibende Professoren. Es verwundert nicht, dass im Kernland des deutschen Protestantismus vielfach die christliche Soziallehre Ausgangspunkt der Überlegungen war, sodass die Bezeichnungen „Professorensozialismus” und „Pastorensozialismus” in einem Atemzug genannt wurden. Aber was war daran sozialistisch? Die Protagonisten der im Einzelnen lobenswerten Bildungsaktivitäten verfolgten ein dezidiert antisozialistisches Konzept in der Absicht, die Sozialdemokratie zu schwächen. Durch Volkswohlfahrt und Volksbildung sollten revolutionäre Systemveränderungen verhindert werden.
Matthias Steinbach dokumentiert die versöhnlerische Tendenz der Jenaer Reformpädagogen ausgiebig. Seine Arbeit ist eine exzellente Studie regionaler Bildungspolitik, die keinen Bogen um Ambivalenzen macht, und es gelingt ihm auch, in dem gewählten Fokus die übliche „Staatslastigkeit im deutschen Denken und in der deutschen Geschichtswissenschaft zu korrigieren” (Langewiesche). Was fehlt, ist eine Begriffsdiskussion. Da „Professorensozialismus” im Untertitel erscheint, vermutet der Leser, dass der Autor dieses Wort ernst nimmt; dann aber wäre eine Definition und Reflexion des Sinngehaltes angebracht gewesen.
Dem Jenaer Professorensozialismus lag das gleiche Konzept wie der Wiener Ethikschule um Friedrich Jodl zugrunde, die ebenfalls an der ablehnenden Haltung zur organisierten Sozialdemokratie zerbrach; die Gruppe um Ferdinand Tönnies, der eine ethische Bewegung, welche nicht das Ziel habe, die Produktionsmittel zu vergesellschaften, als das „letzte Angstprodukt der bürgerlichen Gesellschaft” bezeichnete, trennte sich. Folgerichtig gingen die Wiener Opportunisten, wie die Mehrzahl der Jenaer Liberalen, im nationalistischen Fahrwasser unter. Die guten Absichten einzelner Professoren in allen Ehren, aber die brennenden sozialen Fragen durch Bildungsoffensiven zu lösen, war eben doch ein Trugschluss und musste scheitern. GERT LANGE
MATTHIAS STEINBACH: Ökonomisten, Philanthropen, Humanitäre. Professorensozialismus in der akademischen Provinz. Metropol Verlag, Berlin 2008. 397 Seiten, 24 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2009

Soziale Professoren
Ein anregender Bericht aus der akademischen Provinz

In Zeiten der Krise ist der Ruf nach sozialer Verantwortung allenthalben zu hören. Aufgerufen ist das soziale Gewissen von Unternehmern und Managern ebenso wie das von Konsumenten und Politikern - doch nur selten kommt dabei die Zunft in den Blick, die gern selbst in der ersten Reihe der Mahner steht: die Professoren. Dass diese zuweilen auch mehr waren als Mahner, kann man nun in der gut lesbaren und lesenswerten Habilitationsschrift des an der TU Braunschweig lehrenden Historikers Matthias Steinbach studieren.

Mit seinem Bericht aus der "akademischen Provinz" - so seine liebenswerte Umschreibung für das Jena der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - kommen Persönlichkeiten in den Blick, denen die soziale Frage ihrer Zeit nicht nur Anlass zur wissenschaftlichen Reflexion, sondern auch Grund zur politischen Tat war. Am bekanntesten ist sicherlich das Wirken des "Unternehmerprofessors" und Miteigentümers der Zeiss-Werke, Ernst Abbe. Seine Einführung des Achtstundenarbeitstages, durchaus auch aus betriebswirtschaftlichem Kalkül heraus, ist hier ebenso anzuführen wie sein Engagement für die "Lesehallenbewegung", ganz nach dem Vorbild des Stahlmagnaten Andrew Carnegie, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten über 100 Bibliotheken gründete.

Doch nicht nur Abbe, der selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammte und um die Schwierigkeiten des sozialen Aufstiegs wusste, sondern eine große Zahl weiterer Jenaer Professoren waren kommunalpolitische Akteure, unter ihnen nicht wenige Ökonomen. So räumt Steinbach en passant mit einem hartnäckigen Vorurteil gegen über den "Kathedersozialisten" um Gustav Schmoller auf. Viele von ihnen haben Sozialpolitik eben nicht nur vom Katheder aus doziert, sondern in ihrem Umfeld auch soziale Verantwortung praktiziert. Bereits 1826 gründete der Agrarökonom Friedrich Gottlob Schulze das Jenaer Landwirtschaftliche Institut, das er mit seinem alljährlich stattfindenden öffentlichen Probepflügen mit den neuesten Maschinen, Kursen zum Hufbeschlag, zur Schafzucht und Wollkunde mit Leben füllte.

Was heute wie eine unterhaltsame Anekdote klingen mag, war ein Reformprojekt ersten Ranges: Landwirten die Pforten zur (akademischen) Bildung zu öffnen war ein klares sozialpolitisches Signal in einer Gesellschaft, in der die Landbevölkerung immer noch den weitaus größten Teil der Bevölkerung stellte. In Steinbachs Buch findet sich eine Vielzahl anschaulicher und konkreter Projekte von Professoren, deren durchgängiges Ziel es war, Mittel und Wege zu finden, die Bildung - in heutiger Diktion - der "bildungsfernen Schichten" zu verbessern. Ein Projekt, das wenig an Aktualität verloren hat.

NILS GOLDSCHMIDT

(Universität der Bundeswehr München und Walter Eucken Institut, Freiburg)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Respektvoll, aber wenig kommentierend schreibt Gert Lange über Matthias Steinbachs historische Auseinandersetzung mit sozialen Bildungsreformen und politischen Auswirkungen zwischen Frühaufklärung und Zweitem Weltkrieg. Er nennt das Buch "eine exzellente Studie regionaler Bildungspolitik", die genau und dezidiert über das Thema aufkläre. Außer dass er sich eine reflektiertere Begriffsklärung des von Steinbach eingeführten Begriffs "Professorensozialismus" gewünscht hätte, hat Lange nichts zu bemängeln und resümiert stattdessen die Inhalte des Buchs. Hier wolle Steinbach am Beispiel der Universität Jena aufzeigen, dass es durchaus Professoren mit sozialem Engagement und sozialpädagogischer Initiative gegeben habe, die die Bildungslandschaft erheblich beeinflussen konnten. Jena stelle ein gutes Beispiel dar, weil hier "wesentliche Impulse für die bürgerliche Reformpädagogik ausgingen": diese seien einem elitären Netzwerk geschuldet, dass sich um die Jahrhundertwende bildete und unter Friedrich Nauman und dem nationalsozialen Verein einen Höhepunkt fand. Doch aus sozial-libertären Bemühungen wurde ein Konzept, das im Grunde gegen egalitäre Bewegungen und dem damaligen Ruf des "Professorensozialismus" arbeitete: "Durch Volkswohlfahrt und Volksbildung sollten revolutionäre Systemveränderungen verhindert werden", fasst Lange zusammen.

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr