Eine sehr neutrale und sachlich interessante Darstellung von 60 Jahren k.u.k. Monarchie in Venedig
Die 150 Seiten über 60 Jahre k.u.k. Monarchie in Venedig, deren Schattenseiten, aber auch die vielen positiven Errungenschaften werden in diesem Buch sehr sachlich und neutral dargestellt. Nach
einem knapp fünfseitigen, theatralischen, sehr (künstlerisch) wirren Vorwort von Schauspieler Miguel…mehrEine sehr neutrale und sachlich interessante Darstellung von 60 Jahren k.u.k. Monarchie in Venedig
Die 150 Seiten über 60 Jahre k.u.k. Monarchie in Venedig, deren Schattenseiten, aber auch die vielen positiven Errungenschaften werden in diesem Buch sehr sachlich und neutral dargestellt. Nach einem knapp fünfseitigen, theatralischen, sehr (künstlerisch) wirren Vorwort von Schauspieler Miguel Herz-Kestranek, folgt ein lesbares Vorwort des Autors selbst, der in Venedig lebt und arbeitet. Schließlich schildert ein Venezianer selbst, Antonio A. Rizzoli, wie die Venezianer die Zeit der „tedeschi“, der „Deutschen“, wie die k.u.k. Besatzer genannt wurden, erlebt hatten. Zerrissen zwischen den Machtansprüchen der Franzosen empfanden sie die Österreicher als das „kleinere Übel“.
Im Hauptteil des Buches setzt sich dann Semrau vor allem mit der zweiten, längeren Regierungszeit der Österreicher von 1814 bis 1866 auseinander. Schon während der ersten Besatzungszeit, 1798 bis 1806, legten die Österreicher die noch heute gültige Hausnummerierung Venedigs an: eine rote Zahl auf weißem Hintergrund von eins beginnend bis 6828, der höchsten Nummer. Auch das darniederliegende Schulsystem wurde in Gang gebracht. Venedig steckte Anfang des 19. Jahrhunderts noch in mittelalterlichen Strukturen. Die Eisenbahnbrücke vom Festland, die erste feste Landverbindung, wurde erbaut, die Gasbeleuchtung in der Stadt und der „Svanzica“, eine 20-Kreuzer-Münze, wurden eingeführt. Die „Murazzi“, der Hochwasserschutz der Stadt, und die Mole an der Südspitze des Lidos, wurden erneuert und verbessert.
Ein eigenes Kapitel widmet Semrau dem Revolutionsjahr 1848, Daniele Manin und Niccolò Tommaseo, den beiden führenden Köpfen der Revolution in Venedig. Dem unfähigen Militärkommandanten der Österreicher, Ferdinand Graf Zichy-Vásonykeö, ist es zu verdanken, dass er die Stadt nicht in Schutt und Asche schießen ließ, sondern alles zurücklassend, mit mehreren Tausend Mann kampflos 1848 abzog. Heute ist jeder Venedig-Besucher für diese Entscheidung dankbar, die den Grafen ein Kriegsgerichtsverfahren, eine Degradierung und mehrere Jahre Kerkerhaft einbrachten. Kirchen und Klöster wurden renoviert, Kunstgegenstände, die die Franzosen geraubt hatten, zurückgekauft und damit auch der Grundstein für die Accademia gelegt.
Was Richard Wagner mit der österreichischen Militärmusikkapelle im Café Quadri zu tun hatte, wie es um die Feste und Bruderschaften in jener Zeit bestellt war und wie der Carnevale und der Cicibeo unter der Herrschaft der Österreicher überlebten, sind weitere spannende und unterhaltsame Themen des Buches. Handkolorierte Bilder, alte Malereien und Bilder, die venezianisch-österreichische Details zeigen, aufgenommen in der Jetztzeit, geben dem Buch auch farbliche Aspekte.
Obwohl ich schon mehrere Venedig-Bücher gelesen habe, finde ich, dass Semrau wieder viel Neues bietet und interessante Aspekte ausleuchtet, denn neben oben auszugsweise geschilderten Vorteile der Zeit der Österreicher in Venedig gab es durchaus auch viele wirtschaftliche Nachteile und großes persönliche Drangsal in der Bevölkerung. Was letztlich auch dazu führte, dass man die Zeit der österreichischen Besatzung in Venedig selbst nicht sehr positiv sieht.