Als die erste Übersetzung seiner Freien Werke erschien, lasteten auch seine getreusten Anhänger dem französischen Dichter Paul Verlaine (l844-96) unerwartete charakterliche Mängel an. Sie wurde wie das Original in Frankreich sogleich beschlagnahmt. Auch der verlainebegeisterte Stefan Zweig sprach plötzlich von der unberechenbaren Persönlichkeit des Poeten der galanten bis anzüglichen Verse, der zudem als der bedeutendste katholische Dichter Frankreichs im 19.Jh. galt. Die Freien Werke gingen auch über die Vorstellung und Akzeptanz von Dr. Paul Englisch, dem liberalen Verfasser des Standardwerks Die Geschichte der erotischen Literatur von 1927, hinaus.Doch Thomas Mann trat 1920 nach Erschütterung als Fürsprecher der wüsten Bilder in anmutiger Form auf und argumentierte, das Gebiet des Sittlichen umfasse auch das des Unsittlichen. Und Kurt Tucholsky ironisierte 1922 das Reichsgericht Hannover, das an einer verhängten Geldstrafe von 500 Mark für ihre Publikation festhielt.Die heutige Zeit scheint reif für dieses Meisterwerk von Pornographie und Menschlichkeit, das hier in einer neuen Übersetzung von Serge Ehrensperger wieder vorliegt.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Keineswegs überzeugt ist der "ld." zeichnende Rezensent von Serge Ehrenspergers Übertragung von Verlaines späten erotischen Dichtungen. Eine Übersetzung von Verlaines Versen hält er für schwierig, weil seine Gedichte durch eine leichtfüßige Verbindung einfacher Aussagen mit vollkommenen sprachlichen Formen glänzen. Das gilt seines Erachtens besonders für Verlaines erotische Gedichte, die nur deshalb nicht als Pornografie zu werten seien, weil der Dichter seine Bekenntniswut durch Formkunst adle. Er hält die Übersetzung gerade in diesem Punkt für misslungen, weil sie die Zügelung des Originals völlig vermissen lässt. Ein Bemühen Ehrenspergers, dem Kunstanspruch Verlaines gerecht zu werden, kann der Rezensent beim besten Willen nicht erkennen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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