Wer in die Fremde reist, stößt dort kaum auf das ganz Unbekannte. Die Amerikaberichte aus dem 16. Jahrhundert, denen sich die Autorin widmet, führen das auf lehrreiche und auch kurzweilige Art vor Augen: Ihre protestantischen Autoren entdecken in der neuen Welt einen Spiegel der alten, und sie benutzen diese Gegenbilder im konfessionellen Streit. In solcher Perspektive rücken protestantische Märtyrer und die Opfer des Kannibalismus zusammen, und selbst die Eucharistie gerät in schlimme Nachbarschaft.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Literaturwissenschaftlerin Kirsten Mahlke untersuche mit ihrer Studie ein nur wenig bekanntes Feld des europäischen Kolonialismus, klärt Rezensent Kersten Knipp auf. Neben der katholischen Eroberung der beiden Amerikas durch Spanien und Portugal habe es auch ein protestantisch-französisches Konkurrenzunternehmen gegeben. Und natürlich sei dies mit einer gleichermaßen ideologisch-religiösen Inspiration verbunden gewesen, mit umgekehrtem Vorzeichen vor dem Hintergrund der Religionskriege in Europa. Kurz bevor die Hugenotten in Frankreich ihrerseits Opfer der Verfolgung wurden, haben sie so noch eine gute Tat und das Bild vom "edlen Wilden" hinterlassen. Die Protestanten, referiert Knipp, haben in den Expeditionen respektive der Neuen Welt eine Art heilsgeschichtliche Utopie gesehen, in der sie sich als "Erneuerer des Alten Bundes zwischen Gott und seinem erwählten Volk" verstanden. Über mitunter kabbalistische theologisch-politische Konstruktionen habe sich auch eine "demütige Haltung" gegenüber der Neuen Welt und ihren Bewohnern entwickelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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