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1987 ist sie weggegangen aus ihrem Land, weil sie mehr Freiheit brauchte, als es dort gab. Aber bei dem Mann, den sie angeblich heiraten wollte, traf Christiane nie ein. Statt dessen lebt sie illegal in New York und schlägt sich als Kellnerin durch. Dann begegnet sie Jeff, der sie an ihren eigentlichen Ehrgeiz und ihre Begabung erinnert. Unter großen Opfern bauen sie eine Experimentierbühne auf.
Acht Jahre später hat sich alles geändert: Die Mauer ist weg. Auf der Suche nach einem wahrhaftigen, alle bisherigen übertreffenden Bildes kommt die Fotografin Leah aus Westdeutschland nach New
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Produktbeschreibung
1987 ist sie weggegangen aus ihrem Land, weil sie mehr Freiheit brauchte, als es dort gab. Aber bei dem Mann, den sie angeblich heiraten wollte, traf Christiane nie ein. Statt dessen lebt sie illegal in New York und schlägt sich als Kellnerin durch. Dann begegnet sie Jeff, der sie an ihren eigentlichen Ehrgeiz und ihre Begabung erinnert. Unter großen Opfern bauen sie eine Experimentierbühne auf.

Acht Jahre später hat sich alles geändert: Die Mauer ist weg. Auf der Suche nach einem wahrhaftigen, alle bisherigen übertreffenden Bildes kommt die Fotografin Leah aus Westdeutschland nach New York. Als sie der eleganten Amerikanerin Jo begegnet, springt der Funke des Begehrens blitzartig über. Aber die Amerikanerin umgibt ein Geheimnis. Sie läßt sich nicht fotografieren. Immer wieder verschwindet sie hinter den Kulissen eines Theaters im Village. Sind die Amerikanerin Jo und Christiane ein und dieselbe Person? Beharrlich entzieht sie sich Leahs Werben, auch wenn ihr das Doppelleben bald unmöglich wird. Die Entwicklung holen Christianes Geheimnisse ein, und mit der Freiheit zu vergessen findet Leah schließlich ein Bild, das bleibt.
Autorenporträt
Rávic Strubel, Antje
Antje Rávic Strubel, geboren 1974 in Potsdam. Buchhandelslehre. Beleuchterin am Wings-Theater in New York. Studium der Amerikanistik, Psychologie und Literaturwissenschaften in Potsdam und an der NYU. Skifahrerin, Tangotänzerin und Kanutin. Lebt in Potsdam.

Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.08.2001

Flugesel
Wie Antje Rávic Strubel
den Ernst der frühen Jahre erfindet
Es gibt viele dieser Sätze bei Antje Rávic Strubel: „Sie denkt kurz an Bodo und wie das Glück sein Gesicht zu verwischen beginnt.” Oder: „Sie kaufte nichts. Es reichte ihr, die Formen zu verstehen. Sobald sie etwas kaufen würde, dachte sie, wäre alles wieder verschwunden.” Wer Bodo ist, spielt keine große Rolle. Er ist nur eine Nebenfigur, es geht nicht um
Kauf und Verkauf, es geht mehr um Christiane und Leah. Knapp und klar konturiert stehen diese Sätze da, und so konkret, dass man sich die Frau vor dem Schaufenster vorstellen kann. „Wenn das Mädchen das rechte Bein etwas hochzieht, kann es unter sich die Furchen des Weges sehen. Der Boden ist gefroren und knirscht unter den Tritten des Tiers, der Esel schiebt Atemwolken vor sich her.” Ein schönes, überaus deutliches Bild. Aber wo gibt es heute noch Esel?
So beginnt „Offene Blende”, der erste Roman von Antje Rávic Strubel. Zwei Abschnitte später gibt es eine Erklärung, die nichts verrät: Der Esel, für das Mädchen gemietet, steht unterhalb der Wartburg bereit. Das ist hier und jetzt, aber die Stimmung bleibt ein wenig märchenhaft: „Die Eselswärter am Parkplatz tragen Wattejacken und sprechen wenig, als könnten sie die Kälte so aus sich heraushalten. Sie wissen genau, daß sie von den Tieren und den Leuten gebraucht werden, es gibt sonst keine Burg, die man mit einem Esel erreichen kann.”
Der Ritt muss sein, weil die Burg auf dem gewundenen Weg hinauf kaum zu sehen ist: Sie sei, heißt es da, „ein bißchen wie die andere Hälfte der Stadt, in der sie im Januar 1961 geboren wurde. Diese Hälfte kann man nur umfahren oder vom Flugzeug aus betrachten.” Christiane, so heißt das Mädchen, ist im Westen geboren und lebt in der DDR. Das Buch „Offene Blende” ist auch ein Deutschland-Roman. Allerdings einer mit weitem geografischem Horizont. Es agieren darin vor allem moderne „Exilanten” im heutigen New York. Dort kommt das kleine Mädchen, die Esels-Christiane bald nach dem Ende des fünf Seiten langen Eisenacher Prologs an. Noch ist sie auf dem Flughafen Frankfurt, spürt man schon die Weite, die sie erwartet: „Die Sonne hätte eine Folie sein können, ein dünner, durchsichtiger Belag, der über dem gesamten Flughafengelände hing. Wenn der Wind kam, hob sich die Folie wie Wasser und sprühte Gischt aus glitzernden Schaumtropfen über die Gebäude.”
Die junge Frau ist durch eine vorgetäuschte Beziehung mit einem Amerikaner nach New York gekommen. Als Christiane in einem Obdachlosenheim nördlich der Bowery ihr erstes Zimmer bezieht, wechselt sie den Vornamen. Der Beginn eines Versteckspiels mit ihrer Umgebung. Jo will auf keinen Fall erkannt werden. Jeff, der erste Mann, der sich in sie verliebt, erkennt die Differenz jedoch schnell: „Sie sprach langsam, merkwürdig akzentuiert und mit altmodischen Worten. Es war eine schwerfällige Melodie, die er als deutsch identifizierte und die ihm klarmachte, daß sie hier noch nicht viel gesprochen hatte.”
Nutella all überall
Aus Plapper-Deutschland kommt diese Sprache nicht. Eher scheint Strubel von zwei verschiedenartigen Traditionslinien geprägt. Das eine ist die moderne anglo-amerikanische Literatur, mit ihrem Mut zum Cinemascope der Seelen – man denkt an „Engel im Schnee”, den ersten Roman von Stewart O’Nan, oder an den Iren Colum McCann, bei dem Strubel sich das Motto des Buches geliehen hat. Aber vor allem spürt man hinter den Sätzen von „Offene Blende” auch den stilisierten Ernst der deutschen Nachkriegsliteratur. Den Ernst von Uwe Johnson. Doch nichts davon ist Kopie. Strubel gehört, wie etwa Terézia Mora, zu den jungen Schriftstellern, die sich mit der Sentimentalität, die sich über Jugenderinnerungen aus dem Westen Deutschlands wie eine Schicht Nutella zu legen pflegt, nicht zufrieden geben. Schon deswegen, weil sie diese Jugend ohnehin nicht kennt und weil sie zu viel gelesen hat.
Fragwürdigkeiten bleiben: Die plakativen, allzu anspielungsreichen Kapitelüberschriften: „Über Fotografie”, „Die helle Kammer”, Susan Sontag und Roland Barthes. Dabei bleibt der Roman gerade in seinen Überlegungen zur Fotografie in den Anfängen stecken. Auch das New Yorker Kleintheater, das Christiane mit Jeff zusammen aufbaut, wirkt als Bild für das Gelingen und Scheitern kollektiver Anstrengungen über Kulturgrenzen hinweg stark strapaziert.
„Offene Blende” ist ein Bildungsroman. Die Heldin muss durch Lebensprüfungen, am Schluss ist sie etwas gescheiter, allerdings nicht besser dran. Die „Bildung” wird nicht abgerundet, das Gelingen der zu ihr gehörigen Liebesgeschichte bleibt offen: Leah, die aus West-Berlin stammt, ist Fotografin, und Jo möchte nicht fotografiert werden. Vor allem aber: Jo behauptet, sie komme aus Chicago, sie lügt auch die Liebe an und erfindet eine kulturelle Differenz, die in Wirklichkeit entlang ganz anderer Grenzen verläuft. Als Jo dann doch zur Identität Christiane Markert steht, ist das für Leah Meinau eine Erleichterung: Beide sprechen nun die gleiche Sprache. Aber auch daraus folgt nicht viel – denn noch ist hier gelogen worden. Und ein allzu scharfes Auge hat zuviel gesehen.
Ein erstaunliches Buch einer ebenso ehrgeizigen wie talentierten Schriftstellerin. Es verbindet die Innerlichkeit der Themen mit einem mutig emphatischen Stil, der alt ist und doch neu wirkt.
HANS-PETER KUNISCH
ANTJE RÁVIC STRUBEL: Offene Blende. Roman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001. 315Seiten, 28Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2001

Belichter der Großstadt
Antje R. Strubel tischt in ihrem Debüt unvergleichliche Erdnußbutter auf · Von Holger Noltze

Wieder geht es nach New York, auf den Abenteuerspielplatz der deutschen Literatur. Für Antje R. Strubel ist dies kein Zufall, denn New York, der Ort der Immigranten, zwingt zu Abgrenzung und Identität, und davon handelt auch ihr Roman, in dem zwei deutsche Frauen durch New York laufen wie einst Gesine Cresspahl. Gleich das erste Kapitel hat sie "Jahrestage" überschrieben und das, so scheint es, nicht einmal ironisch gemeint. Überhaupt: "Alles, was jetzt gesagt werden konnte, stand schon in den Büchern", heißt es, als sich Jo und Leah begegnen. Weil vielleicht, worüber nicht geschwiegen werden kann, gesprochen werden muß, treten die Autoritäten hier ganz unverschlüsselt auf: ",Auster?' fragte die Frau plötzlich und drehte sich um. ,Du hast wohl ein bißchen zu viel von ihm gelesen, was.'" - So einen Satz in einem Debütroman, der sich den Selbstvergewisserungsritualen der jüngeren Popliteratur fernhält, muß man sich leisten können. Antje Rávic Strubel kann das.

Rávic: Des Klanges wegen habe sie den nom de guerre gewählt. Es klingt dunkel nach Samt, Blut und Amselfeld. Schlicht als Antje Strubel arbeitet die siebenundzwanzigjährige Potsdamerin journalistisch. "Offene Blende" ist ihr erster Roman, der zweite bereits für den Herbst angekündigt. Bei den diesjährigen Klagenfurter Tagen der deutschen Literatur gewann Antje Rávic Strubel den Ernst-Willner-Preis. Nach einer Buchhandelslehre studierte sie Amerikanistik und Literaturwissenschaft in Potsdam und New York, wo sie als Beleuchterin an einem Off-Theater arbeitete. Hierhin führt auch der Weg jener Christiane aus Eisenach, die Mitte der achtziger Jahre durch das Heiratsversprechen des Fotografen Bodo die Ausreisegenehmigung erwirkt, in New York den Mann dann aber nicht trifft und unter dem neuen Namen Jo versucht, Amerikanerin zu werden. Jo kellnert. "Alle Kellnerinnen im Village sind Schauspielerinnen", sagt eines Tages der Programmierer Jeff zu ihr. Mit seiner Hilfe eröffnet sie nun in einem Off-Off-Theater eine Experimentalbühne.

Zur Amerikanerin wird die DDR-Flüchtige Jo erst in der Begegnung mit der westdeutschen Fotografin Leah, die ihr die Legende, sie stamme aus Chicago, überraschenderweise abnimmt. Zu den nicht geringen Qualitäten von Strubels unaufgeregtem Erzählen gehört es, daß solche Ungereimtheiten erträglich bleiben und daß die Kontrast-Konstruktionen, Ostdeutsche - Westdeutsche, Theater - Fotografie, fast selbstverständlich wirken. Denn Strubels New York ist zwar die große Stadt, und dennoch läuft man sich ständig über den Weg. War das nicht der Barjunge aus dem Theater gestern abend? Und Harvey, den greisen Kunsthändler und ersten Nothelfer Jos in der Fremde, streckt der Schlaganfall gerade vor die Füße Leahs, die ihrerseits begleitet wird von Bodo, der sich als der verlassene Scheinverlobter Jos erweist.

So wird sie, die die Zeitung mit der Schlagzeile vom Mauerfall seinerzeit nicht einmal anschauen wollte, von der Vergangenheit doch noch eingeholt. Schon hatte der Roman sich zu einer Durststrecke für Leser entwickelt, die von der Dramaturgie des Vor und Zurück, von Begehren und Fliehen einer Liebe unter Frauen nicht endlos fasziniert sind, da birgt das Geheimnis der wahren Herkunft Jos neue Dynamik. Kurz vor Schluß gelingt der Autorin eine staunenswerte Steigerung. Als Leah, die belogene Geliebte, in die Theaterfestung einbricht, die gerade von innen im Konflikt zwischen Jeff und Jo zu bröckeln beginnt, wird der Bühnenraum unversehens zum Hirntheater, in dem Bilder der Kindheit Christiane-Jos aufscheinen: der Eselsritt zur Wartburg, der Geruch der Westpakete, die Besuche der Stasiherrren beim Vater, die Mutter auf dem Flughafentower.

Mit Konsequenz führt Antje Rávic Strubel ihre Motive von Belichtung und Beleuchtung am Ende zusammen. "Der ganze Streß und die Tränen bleiben nutzlos zurück", sagt Jo. "Dann sucht man Trost im Vergessen und nennt es Erinnerung." Sie fährt zurück nach Deutschland. Und Leah entdeckt die fotografische Technik, mit der sie Jo hätte aufnehmen müssen, "mit einer Belichtungszeit, die sie im Material eingeschrieben, aber letztendlich auf dem Foto unsichtbar gemacht hätte". Erinnern als konsolatorische Technik des Vergessens: in der Dauerbelichtung verschwinden die beweglichen Dinge. "Das Foto hätte die Straße ohne sie gezeigt." Was bleibt, ist "das berühmte, blasse New Yorker Licht".

Aus den langen Schatten des literaturgeschichtlich mächtigen Johnson-Buildings hat sich Antje Rávic Strubel freigeschrieben. Dem New-York-Kitsch und der Village-Idylle ist sie dagegen nicht ganz entgangen. Da lädt, als Jo und Leah sich endlich, wenn auch nicht schließlich haben, der Blumenhändler zu Kaffee ein, es wird ein bißchen viel gelächelt, und "der Mond zieht flußabwärts, bis ihn die Streben der Brooklyn Bridge zerteilen". Und zum Sonntagsfrühstück gibt es Bagels mit der "unvergleichlichen Erdnußbutter". Da fahren wir bestimmt wieder hin.

Antje Rávic Strubel: "Offene Blende". Roman. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2001. 315 S., br., 28,- DM.

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