Roddy Doyle's last novel, A Star Called Henry," was chosen by the "The New York Times Book Review as one of the eleven Best Books of the Year; "The Washington Post said it was "not only Doyle's best novel yet; it is a masterpiece, an extraordinarily entertaining epic." Now Doyle, author of six bestselling novels, twice nominated for the Booker Prize and once a winner, turns his protagonist Henry Smart's rich observation and linguistic acrobatics loose on America, in an energetic saga full of epic adventures, breathless escapes, and star-crossed love. "Publishers Weekly says "Doyle just gets better and better." Our Irish hero arrives in New York in 1924 to bury himself in the teeming city and start a new life; having escaped Dublin after the 1916 Rebellion, Henry Smart is on the run from the Republicans for whom he committed murder and mayhem. Lying to the immigration officer, avoiding Irish eyes that might recognise him, hiding the photograph of himself with his wife because it shows a gun across his lap, he throws his passport into the river and tries to forge a new identity. He charms his way into the noisy, tough Lower East Side, reads to Puerto Rican cigar makers, hauls bottles for a bootlegger and composes ads on sandwich boards, finally setting up his own business with the intention of making his fortune. But he makes enemies along the way among mobsters such as Johnny No and Fast Olaf. Henry hightails it out of Manhattan with a gun at his back and Fast Olaf's hustler of a half-sister on his arm. This was a time when America was ripe for the picking, however, and a pair of good, strong con artists could have the world at their fingertips. The Depression was sending folksto ride the rails in search of a new life and new hope, and all trains led to Chicago. As Henry's past tries to catch up with him, he takes off on a journey to the great port, where music is everywhere: wild, happy music played by a man with a trumpet called Louis Armstrong. Armstrong needs a white man, and the man he chooses is Henry Smart. The bestselling A Star Called Henry followed Henry Smart from his birth in 1902 until the age of twenty, by which time he had already had a lifetime's worth of adventures in his native Ireland. With these books, Doyle was trying in some ways to write a story like Charles Dickens' David Copperfield, starting at the beginning of his life and following him through many years of adventures. To write the new book, he had to research the vanished world of pre-war America. "I went to Chicago, on the south side, to see if any of the old jazz clubs were still around. I was very keen to see what Henry would have seen as he'd stood outside, under the awnings. But all the jazz clubs that were along State Street, they're all gone; every one of them's gone. There's one that's still standing - it was, originally, The Sunset Cafe, where Louis Armstrong played, but now it's a hardware store. The Vendome Cinema, where he used to play during the intermissions, is now a parking lot for the local college. That I found upsetting. But on the other hand it was very liberating because in its absence I can invent." Music, often American soul or blues, is always important in Roddy Doyle's work, often as escapism for the working-class Dubliners in the Barrytown books. Doyle grew up listening to American music and likes to write while listening to music. For Henryin America, Doyle says, "when he hears this music, he feels he's being baptized. He's new. He feels he's gotten away from Ireland. He's gotten away from the misery of it all and he's listening to this glorious celebration." "From the Hardcover edition.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2006Pferde stehlen mit Satchmo
Ein Ire in Amerika: Roddy Doyle erzählt von einer Selbstfindung
"She die? - No. - Where she now? - Don't know. - Care? - Yeah." Roddy Doyle stopft den Dämpfer in die Trompete, wenn er von der großen Liebe tönt, und selbst ein Raymond Carver klingt dagegen wie ein vollbesetztes Sinfonieorchester. Dieser hardboiled sound aus Irland ist härter und weicher, als die deutsche Sprache es je sein kann, und so rettet sich die (im übrigen bemerkenswerte) Übersetzerin Renate Orth-Guttmann schließlich in den O-Ton. "Ist sie gestorben? - Nein. - Wo ist sie jetzt? - Weiß nicht. - Tut's weh? - Yeah."
Eine "Jazztime" ist kein Musikantenstadl, und Doyle, einst Englischlehrer aus einer Dubliner Vorstadt, weiß, wie man die Wörter swingen läßt. Und den Titel singen: "Oh, Play That Thing" heißt sein jüngster Roman emphatisch nach einer Platte von King Oliver und Louis Armstrong aus dem Jahr 1923. In der deutschen Fassung modulierte man diesen Kornettstoß allerdings zum beziehungsreich-bilderarmen Begriff "Jazztime" um. Und benannte damit eine Crux des Buches: Es bleibt ein Quentchen konstruiert, ein Quentchen bilderarm, dieses erste Werk des Bookerpreisträgers von 1993, das weg von der Heimat und bis über den großen Teich führt.
Sein Held, Henry Smart, ist Ire, einer von denen, die sich vom hungrigen Gossenkind zum hungrigen Guerrillero gekämpft haben. Von seinen ersten zwanzig Lebensjahren erzählt "A Star Called Henry" ("Henry der Held"), die erste Folge von Doyles mehrbändigem Projekt "The Last Roundup". Dort muß der IRA-Mörder am Schluß vor seinen eigenen Auftraggebern fliehen. Er läßt Frau und Kind und alle Vaterlandsphantasien hinter sich und hat im März 1924 - zu Beginn des zweiten Henry-Romans "Jazztime" - die Freiheitsstatue vor sich. "Hier konnte man abtauchen, konnte, wenn man wollte, sterben und zu einem tollen, temporeichen Leben wiedergeboren werden. - Ich war angekommen." Und schon legt er los.
Er läuft als Sandwich-Board-Man mit Reklame durch den Asphaltdschungel, klaut die Bretter, macht sein eigenes wanderndes Marketinggeschäft auf und mischt außerdem in dieser Zeit der Prohibition im Alkoholgeschäft mit. Kurz, er ist ein kleiner, aber wortgewaltiger König der Straße, hat Frauen, Fusel, Erfolg. "Ich verkaufte Worte, nicht das Produkt. Die Story, den Zauber. Und den Sex-Appeal." Genau wie sein Erfinder Roddy Doyle, der literarische Streetworker, der Spezialist für harte Pflaster, sei's auf der Grünen Insel oder im Big Apple. Das Leben der Figuren spielt ganz unten, doch der Groove ihrer Geschichte kickt sie - und, zeitweilig, auch die Leser - ganz nach oben.
Daß Henry auf diese Weise Feinde bekommen würde und einen Haufen Ärger, war klar; daß ihn die IRA noch immer jagen würde, nicht. So oder so geht die Flucht weiter, in die Provinz, wo Henry den Bauern Löcher in die Zähne redet, um sie dann zu ziehen. Und weiter, in die Fleischpackerhölle Chicagos, wo er sich eine neue Geliebte erquasselt - eine Farbige - und eine neue Liebe ihn beinah zum Schweigen bringt: Louis Armstrong. "Endlich war ich kein Ire mehr. Als ich sie zum erstenmal hörte, noch ehe sie mir richtig ins Ohr gegangen war, stand das für mich fest ... Diese Musik war frei und ohne Worte, und der Mann mit der Trompete trieb sie voran und sah nicht zurück. Furios war sie, lustvoll und tödlich für jede andere Art von Musik. Funkelnagelneu. Wie ich ... Die Band hörte plötzlich auf zu spielen, und der Mann mit der Trompete schrie: ,Oh, play that thing!'"
Nach 180 Seiten, im zweiten von vier Teilen, trompetet der Roman den Knack- und Knickpunkt fortissimo heraus: Henry feiert seine Wiedergeburt aus dem Geiste der Musik Louis Armstrongs. Der Rest ist, na ja, Romantik. Keine Sonnenuntergangsromantik zwar, sondern Rauhbein-Romantik im Doyle-Schnodderton und wunderbar jazzig akkompagniert, aber nicht ohne Augenrollen und Wimperklimpern. Der weiße Flüchtling hilft dem schwarzen Opfer und umgekehrt; ein "Ofay" und ein "Nigger" stehen füreinander ein. Henry wird Armstrongs Anstandswauwau, und wenn die Kasse nicht stimmt, räumen sie gemeinsam Häuser aus. Bei einem dieser Einbrüche stößt Henry auf seine verschollen geglaubte irische Frau samt Tochter, zieht dann aber doch lieber mit Satchmo zurück nach New York. Dort geht einiges schief, Armstrongs - gut recherchierter - Aufstieg ist Henrys Niedergang; und immer noch jagen den irischen Killer die irischen Killer.
Ein paar Hollywood-Wendungen später - wir schreiben mittlerweile das Jahr 1946 - steht Henry in der Wüste, allein, mit einem Holzbein, wie einst sein Vater eins hatte - und wird vom Film entdeckt. "Wie ein irischer Rebell hier gelandet ist. Die wahre irische Geschichte . . . Diese Geschichte werden wir erzählen." Und der Flüchtling wie der Roman verfangen sich im amerikanischen Traum. Dabei wurde in "Jazztime" anfänglich zum unsentimentalen Gesang über New Yorks kalte Nächte aufgespielt und dann eine heißblütige Hommage an Satchmo und seine blutenden Lippen intoniert. Oh, play that thing!
ALEXANDRA KEDVES
Roddy Doyle: "Jazztime". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann. Hanser Verlag, München 2006. 480 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Ire in Amerika: Roddy Doyle erzählt von einer Selbstfindung
"She die? - No. - Where she now? - Don't know. - Care? - Yeah." Roddy Doyle stopft den Dämpfer in die Trompete, wenn er von der großen Liebe tönt, und selbst ein Raymond Carver klingt dagegen wie ein vollbesetztes Sinfonieorchester. Dieser hardboiled sound aus Irland ist härter und weicher, als die deutsche Sprache es je sein kann, und so rettet sich die (im übrigen bemerkenswerte) Übersetzerin Renate Orth-Guttmann schließlich in den O-Ton. "Ist sie gestorben? - Nein. - Wo ist sie jetzt? - Weiß nicht. - Tut's weh? - Yeah."
Eine "Jazztime" ist kein Musikantenstadl, und Doyle, einst Englischlehrer aus einer Dubliner Vorstadt, weiß, wie man die Wörter swingen läßt. Und den Titel singen: "Oh, Play That Thing" heißt sein jüngster Roman emphatisch nach einer Platte von King Oliver und Louis Armstrong aus dem Jahr 1923. In der deutschen Fassung modulierte man diesen Kornettstoß allerdings zum beziehungsreich-bilderarmen Begriff "Jazztime" um. Und benannte damit eine Crux des Buches: Es bleibt ein Quentchen konstruiert, ein Quentchen bilderarm, dieses erste Werk des Bookerpreisträgers von 1993, das weg von der Heimat und bis über den großen Teich führt.
Sein Held, Henry Smart, ist Ire, einer von denen, die sich vom hungrigen Gossenkind zum hungrigen Guerrillero gekämpft haben. Von seinen ersten zwanzig Lebensjahren erzählt "A Star Called Henry" ("Henry der Held"), die erste Folge von Doyles mehrbändigem Projekt "The Last Roundup". Dort muß der IRA-Mörder am Schluß vor seinen eigenen Auftraggebern fliehen. Er läßt Frau und Kind und alle Vaterlandsphantasien hinter sich und hat im März 1924 - zu Beginn des zweiten Henry-Romans "Jazztime" - die Freiheitsstatue vor sich. "Hier konnte man abtauchen, konnte, wenn man wollte, sterben und zu einem tollen, temporeichen Leben wiedergeboren werden. - Ich war angekommen." Und schon legt er los.
Er läuft als Sandwich-Board-Man mit Reklame durch den Asphaltdschungel, klaut die Bretter, macht sein eigenes wanderndes Marketinggeschäft auf und mischt außerdem in dieser Zeit der Prohibition im Alkoholgeschäft mit. Kurz, er ist ein kleiner, aber wortgewaltiger König der Straße, hat Frauen, Fusel, Erfolg. "Ich verkaufte Worte, nicht das Produkt. Die Story, den Zauber. Und den Sex-Appeal." Genau wie sein Erfinder Roddy Doyle, der literarische Streetworker, der Spezialist für harte Pflaster, sei's auf der Grünen Insel oder im Big Apple. Das Leben der Figuren spielt ganz unten, doch der Groove ihrer Geschichte kickt sie - und, zeitweilig, auch die Leser - ganz nach oben.
Daß Henry auf diese Weise Feinde bekommen würde und einen Haufen Ärger, war klar; daß ihn die IRA noch immer jagen würde, nicht. So oder so geht die Flucht weiter, in die Provinz, wo Henry den Bauern Löcher in die Zähne redet, um sie dann zu ziehen. Und weiter, in die Fleischpackerhölle Chicagos, wo er sich eine neue Geliebte erquasselt - eine Farbige - und eine neue Liebe ihn beinah zum Schweigen bringt: Louis Armstrong. "Endlich war ich kein Ire mehr. Als ich sie zum erstenmal hörte, noch ehe sie mir richtig ins Ohr gegangen war, stand das für mich fest ... Diese Musik war frei und ohne Worte, und der Mann mit der Trompete trieb sie voran und sah nicht zurück. Furios war sie, lustvoll und tödlich für jede andere Art von Musik. Funkelnagelneu. Wie ich ... Die Band hörte plötzlich auf zu spielen, und der Mann mit der Trompete schrie: ,Oh, play that thing!'"
Nach 180 Seiten, im zweiten von vier Teilen, trompetet der Roman den Knack- und Knickpunkt fortissimo heraus: Henry feiert seine Wiedergeburt aus dem Geiste der Musik Louis Armstrongs. Der Rest ist, na ja, Romantik. Keine Sonnenuntergangsromantik zwar, sondern Rauhbein-Romantik im Doyle-Schnodderton und wunderbar jazzig akkompagniert, aber nicht ohne Augenrollen und Wimperklimpern. Der weiße Flüchtling hilft dem schwarzen Opfer und umgekehrt; ein "Ofay" und ein "Nigger" stehen füreinander ein. Henry wird Armstrongs Anstandswauwau, und wenn die Kasse nicht stimmt, räumen sie gemeinsam Häuser aus. Bei einem dieser Einbrüche stößt Henry auf seine verschollen geglaubte irische Frau samt Tochter, zieht dann aber doch lieber mit Satchmo zurück nach New York. Dort geht einiges schief, Armstrongs - gut recherchierter - Aufstieg ist Henrys Niedergang; und immer noch jagen den irischen Killer die irischen Killer.
Ein paar Hollywood-Wendungen später - wir schreiben mittlerweile das Jahr 1946 - steht Henry in der Wüste, allein, mit einem Holzbein, wie einst sein Vater eins hatte - und wird vom Film entdeckt. "Wie ein irischer Rebell hier gelandet ist. Die wahre irische Geschichte . . . Diese Geschichte werden wir erzählen." Und der Flüchtling wie der Roman verfangen sich im amerikanischen Traum. Dabei wurde in "Jazztime" anfänglich zum unsentimentalen Gesang über New Yorks kalte Nächte aufgespielt und dann eine heißblütige Hommage an Satchmo und seine blutenden Lippen intoniert. Oh, play that thing!
ALEXANDRA KEDVES
Roddy Doyle: "Jazztime". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann. Hanser Verlag, München 2006. 480 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2006Der Beau und sein Problem
Allzu attraktiv: Roddy Doyles Roman „Jazztime”
Das Dilemma des attraktiven Mannes besteht darin, dass er so attraktiv ist. Er muss sich einfach irgendwohin stellen, sich die Sonne auf das Gesicht scheinen lassen, ein bisschen ernst gucken - und schon ist aller Welt klar, dass da ein attraktiver Mann steht, und sie hält ihm alles Mögliche zugute. Dem attraktiven Mann geht es daher im Prinzip wie der schönen Seele. Jede Tat ist ein Verrat an seiner Attraktivität, jeder Schritt ein potentieller Bruch seiner Verführungskraft, und jedes Wort erst - oh, was sich für Abgründe auftun können, wenn der attraktive Mann den Mund aufmacht.
Das Dilemma des attraktiven Mannes wächst ins Unermessliche, wenn er nicht selbst für seine Attraktivität einsteht, sondern es ein anderer für ihn tut. Einen Satz wie „sieh mal, was für ein attraktiver Mann” mag ja als Tuscheln zwischen Vertrauten einen praktischen Sinn haben. Sich damit an die Öffentlichkeit zu wenden, ist hingegen ein guter Anfang für unendlich viele Peinlichkeiten - denn man müsste ja danach ausführen, worin die Attraktivität bestehen soll, und schon begönne ein großes Rutschen und Stolpern.
Ganz und gar unangemessen ist es daher, wenn ein Schriftsteller über seinen Helden sagt, er sei ein attraktiver Mann, und das auch noch auf den ersten Seiten eines Romans: „Ich war mein Geld wert”, heißt es in „Jazztime”, dem jüngsten Roman des irischen Schriftstellers Roddy Doyle, auf Seite neunzehn (und vorher ist es schon ein paarmal angedeutet worden), „die Frauen überlegten, wie der Rest von dem gutaussehenden Kerl zwischen den Reklamebrettern beschaffen sein mochte.”
Kein Roman (von pornographischen Werken einmal abgesehen) könnte sich von einem solchen Anfang erholen. Denn alles, was danach noch kommen könnte, die Entfaltung des Helden, sein Eintritt in die Wirklichkeit, Bewährung und Scheitern, stünde im Bann eines solches Satzes. Und wer, ehrlich gesagt, würde freiwillig einen Roman lesen, dessen Inhaltsangabe so lauten müsste: Dies ist die Geschichte eines attraktiven Mannes, der viel erlebte, bis er am Ende nicht mehr so attraktiv war?
Louis Armstrongs blutige Lippe
Roddy Doyles „Jazztime” ist ein großes Buch, groß in dem Sinne, dass sich der Autor durch eine gewaltige Menge an Stoff arbeitet. Den Protagonisten kennt er zwar schon - es ist der zum attraktiven Mann herangewachsene Gassenjunge „Henry, der Held”, dessen Leben und Abenteuer im Dublin des frühen zwanzigsten Jahrhunderts den Gegenstand des gleichnamigen Romans aus dem Jahr 1999 bildeten. Aber der Schauplatz, die Geschichte, die Gesellschaft, in denen dieses Großmaul zu überleben hat, müssen erst geschaffen werden. Denn dieser Henry, zum Auftragsmörder der IRA geworden, ist auf der Flucht. Er muss Irland verlassen und wandert 1924 in die Vereinigten Staaten aus. Er lernt New York von unten kennen, verhaspelt sich zwischen den Verbrecherbanden. Er versucht sich als wilder Zahnarzt in Connecticut, lernt in Chicago Louis Armstrong kennen und wird zu dessen ständigem Begleiter, zum weißen Mann eines berühmten Schwarzen (denn die Iren sollen ja die Schwarzen Europas sein).
Zusammen mit dem Trompeter kehrt er nach New York zurück, fällt wieder in den Dreck, steht wieder auf, fällt noch einmal, ist wieder oben und wieder unten, Wanderarbeiter und Liebhaber, bis er am Ende als einbeiniger Hobo durch den Wilden Westen fährt. Ein großes Buch, fürwahr, das Art des pikaresken Romans zum Überlaufen und Ausfransen neigt, aber auch viel zu viel von einem Buch, weil der Held seine eigene Geschichte nicht zu tragen vermag, weil er nicht interessant genug, weil er bloß ein attraktiver Mann ist.
„Der Mann war entweder fix und alle oder würde mich kurzerhand über den Haufen schießen”, heißt es irgendwo in der Mitte des Romans, und diese Stelle steht für Hunderte von ähnlichen Passagen. „Aber da war Dora, ihre Titten auf dem Arm, den er zum Schießen brauchte.” Oder anders: „Harlem hatte Platz für viele Kings. Jedes Instrument hatte seinen, jedes Unternehmen, jedes Verbrechen.” Eher, als dass sich in solchen Sätzen irgend etwas Bemerkenswertes verbergen würde, fungieren sie als Surrogate - sie beschreiben weniger als dass sie evozieren. Sie rufen auf, anstatt zu erläutern, am liebsten die einschlägigen Orte und Figuren aus der offiziellen Geschichte der zwanziger Jahre in Amerika, Ellis Island, Harlem, die blutenden Lippen von Louis Armstrong; sie sind Genre, nicht Wirklichkeit. Sie stehen still und müssen hoffen, nicht zu einer Bewegung gezwungen zu werden.
Es gibt Passagen in diesem Buch, die ein Eindruck davon vermitteln, was der Schriftsteller Roddy Doyle wirklich kann. Wenn er von den Tauben erzählt, die sich ein Schwarzbrenner auf dem Dach eines New Yorkes Mietshauses züchtet. Etwas Schreckliches war passiert, „und die Tauben waren außer Rand und Band, stießen flügelschlagend in dem engen Verschlag zusammen, der voller Blut und Federn war, hatten sich in dem Maschendraht verfangen, lagen auf dem weißgesprenkelten Boden, schwammen tot und sterbend neben Steady.” In solchen Passagen lebt die Erzählung. Der Rest besteht aus gesampleten Sounds, aus hastig geliehenen Klängen, aus der Konserve - und aus scheinbar lakonischen Dialogen, in denen jede Wortmeldung nur aus einem Wort besteht. Vielleicht sprechen attraktive Männer so, wenn sie amerikanische Gangster werden wollen. Tatsächlich aber haben diese raschen Wortwechsel eine sehr verwirrende Wirkung, weil alle der vielen Figuren dieses Buches sich derselben lakonischen Sprechweise befleißigen.
Roddy Doyle hat gute Bücher geschrieben, kompakte, interessante kleine Werke. Dazu gehören „The Commitments” von 1987, die Geschichte einer Band aus den Arbeitervierteln Dublins, die ihre Seele und ihren Erfolg im Blues, in einer schwarzen Musik entdeckt, aber auch „Paddy Clarke Ha Ha Ha” von 1993, die fiktive Biographie eines Dubliner Jungen, die ebenfalls in die Vereinigten Staaten führt. Ihnen allen ist eines gemeinsam: dass sie aus einer Differenz heraus geschrieben sind, aus der Spannung, die sich einstellt, wenn man sich auf etwas Sprödes, sich Widersetzendes, Neues, Unerschlossenes einlassen will. Das Dilemma von „Jazztime” hingegen besteht darin, dass sein Autor glaubt, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, den Wind beim Schreiben stets im Rücken zu haben, nicht wirklich erzählen zu müssen, weil alles schon evident ist. Es ist das Dilemma des attraktiven Mannes.
THOMAS STEINFELD
RODDY DOYLE: Jazztime. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2005. 480 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Allzu attraktiv: Roddy Doyles Roman „Jazztime”
Das Dilemma des attraktiven Mannes besteht darin, dass er so attraktiv ist. Er muss sich einfach irgendwohin stellen, sich die Sonne auf das Gesicht scheinen lassen, ein bisschen ernst gucken - und schon ist aller Welt klar, dass da ein attraktiver Mann steht, und sie hält ihm alles Mögliche zugute. Dem attraktiven Mann geht es daher im Prinzip wie der schönen Seele. Jede Tat ist ein Verrat an seiner Attraktivität, jeder Schritt ein potentieller Bruch seiner Verführungskraft, und jedes Wort erst - oh, was sich für Abgründe auftun können, wenn der attraktive Mann den Mund aufmacht.
Das Dilemma des attraktiven Mannes wächst ins Unermessliche, wenn er nicht selbst für seine Attraktivität einsteht, sondern es ein anderer für ihn tut. Einen Satz wie „sieh mal, was für ein attraktiver Mann” mag ja als Tuscheln zwischen Vertrauten einen praktischen Sinn haben. Sich damit an die Öffentlichkeit zu wenden, ist hingegen ein guter Anfang für unendlich viele Peinlichkeiten - denn man müsste ja danach ausführen, worin die Attraktivität bestehen soll, und schon begönne ein großes Rutschen und Stolpern.
Ganz und gar unangemessen ist es daher, wenn ein Schriftsteller über seinen Helden sagt, er sei ein attraktiver Mann, und das auch noch auf den ersten Seiten eines Romans: „Ich war mein Geld wert”, heißt es in „Jazztime”, dem jüngsten Roman des irischen Schriftstellers Roddy Doyle, auf Seite neunzehn (und vorher ist es schon ein paarmal angedeutet worden), „die Frauen überlegten, wie der Rest von dem gutaussehenden Kerl zwischen den Reklamebrettern beschaffen sein mochte.”
Kein Roman (von pornographischen Werken einmal abgesehen) könnte sich von einem solchen Anfang erholen. Denn alles, was danach noch kommen könnte, die Entfaltung des Helden, sein Eintritt in die Wirklichkeit, Bewährung und Scheitern, stünde im Bann eines solches Satzes. Und wer, ehrlich gesagt, würde freiwillig einen Roman lesen, dessen Inhaltsangabe so lauten müsste: Dies ist die Geschichte eines attraktiven Mannes, der viel erlebte, bis er am Ende nicht mehr so attraktiv war?
Louis Armstrongs blutige Lippe
Roddy Doyles „Jazztime” ist ein großes Buch, groß in dem Sinne, dass sich der Autor durch eine gewaltige Menge an Stoff arbeitet. Den Protagonisten kennt er zwar schon - es ist der zum attraktiven Mann herangewachsene Gassenjunge „Henry, der Held”, dessen Leben und Abenteuer im Dublin des frühen zwanzigsten Jahrhunderts den Gegenstand des gleichnamigen Romans aus dem Jahr 1999 bildeten. Aber der Schauplatz, die Geschichte, die Gesellschaft, in denen dieses Großmaul zu überleben hat, müssen erst geschaffen werden. Denn dieser Henry, zum Auftragsmörder der IRA geworden, ist auf der Flucht. Er muss Irland verlassen und wandert 1924 in die Vereinigten Staaten aus. Er lernt New York von unten kennen, verhaspelt sich zwischen den Verbrecherbanden. Er versucht sich als wilder Zahnarzt in Connecticut, lernt in Chicago Louis Armstrong kennen und wird zu dessen ständigem Begleiter, zum weißen Mann eines berühmten Schwarzen (denn die Iren sollen ja die Schwarzen Europas sein).
Zusammen mit dem Trompeter kehrt er nach New York zurück, fällt wieder in den Dreck, steht wieder auf, fällt noch einmal, ist wieder oben und wieder unten, Wanderarbeiter und Liebhaber, bis er am Ende als einbeiniger Hobo durch den Wilden Westen fährt. Ein großes Buch, fürwahr, das Art des pikaresken Romans zum Überlaufen und Ausfransen neigt, aber auch viel zu viel von einem Buch, weil der Held seine eigene Geschichte nicht zu tragen vermag, weil er nicht interessant genug, weil er bloß ein attraktiver Mann ist.
„Der Mann war entweder fix und alle oder würde mich kurzerhand über den Haufen schießen”, heißt es irgendwo in der Mitte des Romans, und diese Stelle steht für Hunderte von ähnlichen Passagen. „Aber da war Dora, ihre Titten auf dem Arm, den er zum Schießen brauchte.” Oder anders: „Harlem hatte Platz für viele Kings. Jedes Instrument hatte seinen, jedes Unternehmen, jedes Verbrechen.” Eher, als dass sich in solchen Sätzen irgend etwas Bemerkenswertes verbergen würde, fungieren sie als Surrogate - sie beschreiben weniger als dass sie evozieren. Sie rufen auf, anstatt zu erläutern, am liebsten die einschlägigen Orte und Figuren aus der offiziellen Geschichte der zwanziger Jahre in Amerika, Ellis Island, Harlem, die blutenden Lippen von Louis Armstrong; sie sind Genre, nicht Wirklichkeit. Sie stehen still und müssen hoffen, nicht zu einer Bewegung gezwungen zu werden.
Es gibt Passagen in diesem Buch, die ein Eindruck davon vermitteln, was der Schriftsteller Roddy Doyle wirklich kann. Wenn er von den Tauben erzählt, die sich ein Schwarzbrenner auf dem Dach eines New Yorkes Mietshauses züchtet. Etwas Schreckliches war passiert, „und die Tauben waren außer Rand und Band, stießen flügelschlagend in dem engen Verschlag zusammen, der voller Blut und Federn war, hatten sich in dem Maschendraht verfangen, lagen auf dem weißgesprenkelten Boden, schwammen tot und sterbend neben Steady.” In solchen Passagen lebt die Erzählung. Der Rest besteht aus gesampleten Sounds, aus hastig geliehenen Klängen, aus der Konserve - und aus scheinbar lakonischen Dialogen, in denen jede Wortmeldung nur aus einem Wort besteht. Vielleicht sprechen attraktive Männer so, wenn sie amerikanische Gangster werden wollen. Tatsächlich aber haben diese raschen Wortwechsel eine sehr verwirrende Wirkung, weil alle der vielen Figuren dieses Buches sich derselben lakonischen Sprechweise befleißigen.
Roddy Doyle hat gute Bücher geschrieben, kompakte, interessante kleine Werke. Dazu gehören „The Commitments” von 1987, die Geschichte einer Band aus den Arbeitervierteln Dublins, die ihre Seele und ihren Erfolg im Blues, in einer schwarzen Musik entdeckt, aber auch „Paddy Clarke Ha Ha Ha” von 1993, die fiktive Biographie eines Dubliner Jungen, die ebenfalls in die Vereinigten Staaten führt. Ihnen allen ist eines gemeinsam: dass sie aus einer Differenz heraus geschrieben sind, aus der Spannung, die sich einstellt, wenn man sich auf etwas Sprödes, sich Widersetzendes, Neues, Unerschlossenes einlassen will. Das Dilemma von „Jazztime” hingegen besteht darin, dass sein Autor glaubt, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, den Wind beim Schreiben stets im Rücken zu haben, nicht wirklich erzählen zu müssen, weil alles schon evident ist. Es ist das Dilemma des attraktiven Mannes.
THOMAS STEINFELD
RODDY DOYLE: Jazztime. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2005. 480 Seiten, 24,90 Euro.
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