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»Ohio« erzählt die letzten fünf Tage im Leben von Adrian Lazzeroni. Der selbstverschuldete Unfall seines fünfjährigen Sohnes und das unaufhaltsame Auseinanderbrechen seiner Ehe mit Merete führen ihn am 8. Oktober 2001 nach Durban, Südafrika, wo er ein letztes Mal mit seinem Vater telefoniert, bevor dieser an einem Herzinfarkt stirbt. Adrian, der selber Arzt ist, untersucht seine eigenen Depressionen, als wären es diejenigen eines Fremden. In Durban stößt er nicht nur auf die Spuren von Mahatma Gandhi und Fernando Pessoa, sondern auch auf die verschwiegenen Familiengeschichten, die…mehr

Produktbeschreibung
»Ohio« erzählt die letzten fünf Tage im Leben von Adrian Lazzeroni. Der selbstverschuldete Unfall seines fünfjährigen Sohnes und das unaufhaltsame Auseinanderbrechen seiner Ehe mit Merete führen ihn am 8. Oktober 2001 nach Durban, Südafrika, wo er ein letztes Mal mit seinem Vater telefoniert, bevor dieser an einem Herzinfarkt stirbt. Adrian, der selber Arzt ist, untersucht seine eigenen Depressionen, als wären es diejenigen eines Fremden. In Durban stößt er nicht nur auf die Spuren von Mahatma Gandhi und Fernando Pessoa, sondern auch auf die verschwiegenen Familiengeschichten, die zurückreichen bis ins Breslau der letzten Kriegstage. Ohio, einst kindliche Baumschnitzerei seines Vaters, wird dabei zur generationenübergreifenden Chiffre für die Fragilität und die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz.
Autorenporträt
Ruth Schweikert wurde 1965 in Aarau geboren, wo sie auch heute noch lebt. Theaterausbildung und abgebrochenes Germanistikstudium, verschiedene Theaterprojekte. "Erdnüsse. Totschlagen" ist ihr erstes Buch. 1998 erschien ihr Roman "Augen zu".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Beeindruckt und mit Sympathie betrachtet Stefan Kister das inhaltliche wie narrative Durcheinander des neuen Romans von Ruth Schweikert. "Konsequent" sei das Prinzip, ein Leben ohne Eckpunkte als Puzzle zu sehen und auch so zu erzählen. So sei ein vielstimmiges "Panorama der neueren Geschichte" entstanden, von der Nachkriegszeit über die 68er bis in die Gegenwart, in dem die Einzelschicksale ebenso zerstückelt erscheinen wie die historischen Epochen. Glücklicherweise übernehme die Autorin dabei nicht die Rolle einer ordnenden Hand, die alles in ein logisches Ganzes zusammenfügt, sondern belasse es beim vorhandenen Chaos - konsequent, wie gesagt, und intelligent dazu. Selbst am Ende steht ein Kunstgriff, stellt Kister fest: Schweikert übertrage die Autorenschaft einer Romanfigur und bewahre sich so davor, "in ihr eigenes Messer zu laufen".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Das ist Literatur! Sie ist die neue Ingeborg Bachmann". (Peter Bichsel) - "Ruth Schweikert schreibt eine scharfe, gelenkige, von hellwacher Sebstwahrnehmung gesteuerte Prosa, zärtlich im Blick fürs Detail und doch pointiert durch gnadenlose Ironie: Donnerwetter". (Urs Jenny, Der Spiegel)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2005

Das verflixte neunte Jahr
Schweizer Ehen ohne Ruh: Ruth Schweikerts Roman "Ohio"

Immer wieder hatte der Verlag die erwartungsvolle Neugier der Bewunderer mit der Aussicht auf den nächsten Roman der Autorin angefüttert. Jedesmal folgte auf der Stelle der Rückzug. Zuerst hätte Ruth Schweikerts drittes Buch im Herbst 2002 erscheinen sollen, später annoncierte der Verlag die Ankunft für das Frühjahr 2003. Die Zwischenzeit verkürzte die Schriftstellerin mit kleinen Portionen aus dem Manuskript, die sie in Lesungen oder als Vorabdruck feilbot. Jetzt ist der Liebes-, Ehe- und Beziehungsroman "Ohio" erschienen, und die Befürchtungen, die sich mit zunehmender Wartezeit nicht mehr unterdrücken ließen, haben sich zur Gewißheit verdichtet: "Ohio" ist ein unheimlich konfuses Buch geworden.

Jahrelang wurde die heute vierzigjährige Schweizer Autorin Ruth Schweikert von den helvetischen Medien zur einzigen, zur unnachahmlichen Nachwuchsgöttin stilisiert, in euphorisch überzogenem Stil, der sich prompt gegen die Autorin gewendet hat. Da große literarische Begabungen in der kleinen Schweiz dünn gesät sind, werden notgedrungen die immer gleichen Autoren lobend erwähnt und Entdeckungen manches Mal geradezu ekstatisch gefeiert. Dieser Prozeß hat sich im sieben Jahre währenden Schweigen der Autorin auf gespenstische Weise verselbständigt - und sie damit unter einen Erwartungsdruck gesetzt, den sie kaum erfüllen konnte.

"Ohio" ist das präzise Protokoll der Auswirkungen von überspannten Forderungen und des mißglückten Versuchs der Autorin, dem Wunsch nach einer repräsentativen Frauenfigur in der Schweizer Literatur nachzukommen. Dabei hat sie das Terrain verlassen, auf dem sie tatsächlich einmal stark war. In ihren ersten beiden Büchern, den Erzählungen "Erdnüsse, Totschlagen" (1994) und dem Roman "Augen zu" (1998) erkundet sie unverkrampft und radikal zugleich das Frauenleben und steckt mit literarischen Mitteln das explosive Feld von Mutterleben und Tochterleiden ab. Im neuen Roman "Ohio" stößt sie sich zwar von diesem Themenkomplex ab, katapultiert sich dann aber in Höhen, in denen ihr offenbar schwindlig wurde. Noch immer steht mit der Trennungsgeschichte von Merete und Andreas, die sich nach neun Jahren brüsk voneinander verabschieden, die Perspektive der weiblichen Biographie im Vordergrund. Aber jetzt will Ruth Schweikert höher hinaus. Die Geschichte des Scheiterns einer Ehe und einer neuen Liebe ist eingespannt in ein Familienepos, ein Drama aufzuckender Passionen und in Rückgriffen auf Zeitgeschichte und politische Aktualitäten. Atemlos reißt die Autorin Schublade um Schublade der Erinnerung auf, wühlt hektisch im Erlebnisinhalt, greift das eine oder andere Objekt heraus, aber nur, um sich schon im nächsten Moment auf weitere lockende Erinnerungsfetzen zu stürzen.

Merete und Andreas verbringen eine letzte Nacht im Hotel im südafrikanischen Durban. So stumm, wie ihre Beziehung begonnen hat, endet sie auch. Andreas schläfert Merete mit einem Schlafmittel ein und sucht den Tod im Meer. Zuvor hatten sie "von früher geredet", hatten nostalgische Streifzüge in die gemeinsame Vergangenheit unternommen, sich daran erinnert, wie sie sich früher einmal in kindlich-regressivem "amour fou" gegenseitig gefüttert hatten und wie sie einander verfallen waren - eine sentimentale Rückblende im Bewußtsein der definitiven Beschädigung. Die anstrengende Ehe mit den beiden Kindern, die Merete an die eigenen Grenzen und Andreas in den Jähzorn trieb, hat tiefe Erosionsspuren hinterlassen. Einmal droht Merete ihrem Kind, es aus dem Fenster zu werfen; Andreas wiederum schleudert im Schlafzimmer in hilfloser Ohnmacht eine Lampe gegen die Wand und überdeckt das Ehebett, auf dem das schlafende Kind liegt, mit Tausenden von Scherben. Doch dann verliebt sich Merete in einen anderen Mann, einen Schriftsteller, der drei erwachsene Töchter hat und seit Jahren in einem Behindertenheim arbeitet. Der Verrat an der eigenen Ehe vollzieht sich halb im Schatten, in Millimeterbewegungen, bis er sich nicht mehr verdrängen läßt. Sie sei verloren, sagt Merete ihrem Mann, als sie nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, nicht mehr arbeiten kann.

Soweit das an Drastik keineswegs arme Szenario, dem man einiges hätte abgewinnen können. Anstatt aber konsequent ihre Fährte zu verfolgen, schweift Ruth Schweikert ab und überlädt den Roman mit einer Vielzahl geschwätziger Binnengeschichten über die Ehen der Eltern und Großeltern, die sich ebenfalls mehr recht als schlecht miteinander über die Runden quälten. Damit soll wohl der psychoanalytische Humus unterlegt werden, auf dem sich das eigene Scheitern rekonstruieren ließe. Gleichzeitig ergeht sich die Autorin in prätentiösen Abschweifungen über den Zweiten Weltkrieg, über das Schicksal des deutschen Vaters, der aus russischer Gefangenschaft heimkehrte, äußert sich zur Vertriebenenproblematik. Schließlich versucht sie sich mit dem Porträt der neureichen Eltern Meretes, die in steriler und gestylter Ehe am Zürichberg dahinsurfen und ihre Tochter zur neurotischen Selbstbeschädigung treiben, an einer sozialkritischen Analyse.

Diese Vielzahl wild geknüpfter Geschichten werden im Zürich der neunziger Jahre verankert, dessen Atmosphäre mit ebenso ambitionierten wie hilflosen Bemerkungen zu Politik, Wirtschaft und Fungesellschaft evoziert werden soll. Ruth Schweikert ist eine begabte Autorin, die sich in der Schweizer Medienlandschaft verlaufen und ermüdet hat. Knüpft sie wieder dort an, wo sie einmal erfolgreich war, werden ihr die authentischen Stoffe von selbst zufallen.

PIA REINACHER

Ruth Schweikert: "Ohio". Roman. Ammann Verlag, Zürich 2005. 215 S., geb., 18,90 [Euro].

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