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Produktdetails
  • Verlag: Steidl
  • 2. Aufl.
  • Seitenzahl: 277
  • Deutsch
  • Abmessung: 320mm
  • Gewicht: 1982g
  • ISBN-13: 9783882437393
  • ISBN-10: 3882437391
  • Artikelnr.: 08916466
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2000

Ein listiger Mann
Kunst und Politik – und Klaus Staeck immer dabei
KLAUS STAECK: Ohne Auftrag, Unterwegs in Sachen Kunst und Politik, Steidl Verlag, Göttingen 2000. 224 Seiten, 49,80 Mark.
Die schönste Geschichte in Klaus Staecks großem Bilder- und Lese-Buch handelt von einem Beamten, den eine Kunstpostkarte des Heidelberger Meisters derart entzückte, dass er sie, im Umkreis seines Schreibtisches, dem Publikum präsentierte – sehr zum Ärger seines Vorgesetzten, der darauf bestand, das Kunstwerk zu entfernen: Staatsdiener hätten strikt neutral zu sein. Der Untergebene widersprach; der Bürgermeister (denn um einen solchen handelte es sich) blieb unerbittlich und setzte eine Abmahnung durch, die Eingang in die Personalakte des Beschuldigten fand. Aber auch der Postkartenliebhaber gab nicht auf und klagte vor dem Arbeitsgericht. Und siehe da, „zum allgemeinen Erstaunen der Fachwelt”, so das Resümee des Künstlers und Rechtsanwalts Staeck, gaben die Richter dem Mann Recht und verfügten die Entfernung der Abmahnung aus den Personalakten.
Dabei folgten sie im wesentlichen der geradezu genialen Argumentation seines Anwalts. Der hatte mit großer Überzeugungskraft vorgetragen, dass sein Mandant über die Lufthoheit seines Schreibtisches verfügen können müsse. „Ich habe dieses Urteil immer als eines der bedeutendsten gesehen, das im Streit um eine meiner Arbeiten je ergangen ist. Sollte einmal vieles, wenn nicht alles, was ich je gemacht habe, in Frage gestellt werden, so erwarte ich ein wenig Anerkennung für meinen Beitrag, den ich zur Erweiterung des Freiheitsspielraums über den Schreibtischen von Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes geleistet habe. ”
Eine vorzügliche Geschichte, denke ich, schlicht und exemplarisch zugleich. Wenn Staeck erzählt, ist er in seinem Element. Dann werden berühmte Vorfälle – Rollkommando Jenninger räumt ab – zu Indianergeschichten aus alten Zeiten. Nur kein Schaum vorm Mund! Der Autor liebt es, gerade über das Skandalöse, gegenläufig, aus gelassener Distanz zu berichten. Grimmiges Pathos ist ihm suspekt. Die großen Vorbilder, Beuys und Böll an der Spitze, bestimmen die Richtung: Sei konsequent und entschieden, bekenne Dich zur Vernunft und hüte Dich, in den Tonfall derer zu verfallen, die Du bloßstellen willst.
Klaus Staecks Bilanz „Ohne Auftrag. Unterwegs in Sachen Kunst und Politik” verdeutlicht die Arbeitsweise eines Mannes, der, über Jahrzehnte hinweg, er selbst geblieben ist – unbekümmert um rasch wechselnde Moden, deren Sachverwalter, die ewigen Wendehälse, er von Herzen verachtet. Ein Blick genügt, und der Betrachter Staeck’scher Objekte weiß, wen er vor sich hat – einen Artisten, der sein Handwerk, will heißen: die Montage heterogener Elemente, die blitzartig verblüffende Konstellationen sichtbar machen, vervollkommnet hat.
Ich bin sicher, die Zeit wird kommen, da man Staeck als einen Meister jener Emblematik würdigen wird, die, im Barock, auf dem Wechselspiel von Spruch und Bild beruhte, wobei zum Beispiel, epigrammatische Formel und Holzschnitt einander ergänzten, während Staeck Erkenntnis nicht durch Ergänzungen, sondern durch Widersprüche befördert: Der Text stellt das Bild auf den Kopf.
Wer erinnert sich nicht des berühmten Nürnberger Plakates, das Dürers Bildnis seiner dreiundsechzigjährigen Mutter, auf Litfaßsäulen plakatierte? Eine alte Frau, verhärmt, vom Leben gebeutelt, melancholisch, mitten im Straßengewimmel, ins Weite blickend – und darunter in moderner Schrift die Frage: „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?” Da wird das Gestern zum Heute, und die fromme Legende sieht sich im Zeichen des Slogans „Bettler und arme Leute haben hier nichts zu suchen” widerlegt.
Wer Staeck richtig verstehen will, tut gut daran, über seine Vorlagen, im Licht unserer Erfahrung, nachzudenken, über Dürer und Spitzweg, aber auch über Realitäts-Partikel, die heute nur noch wenige kennen. Wer weiß noch, dass das von Konservativen einst attackierte Plakat „Seit Chile wissen wir genauer, was die CDU von Demokratie hält” auf eine Äußerung des ehemaligen CDU-Generalsekretärs zurückgeht: „Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm” – im Stadion, wohlgemerkt, wo die von Pinochets Soldateska Inhaftierten zusammengepfercht waren: gezwungen, den Wachmannschaften ihre Hände vorzuweisen. (Wer Schwielen hatte, war ein Prolet, also Feind des Regimes. )
Unter solchen Aspekten hat „Ohne Auftrag” den Charakter eines Geschichtsbuches in nuce, das aus parteilicher, aber unabhängiger Sicht die jüngste Vergangenheit dokumentiert – beschrieben von einem Künstler, der aus dem verseuchten Bitterfeld ausgerechnet ins musengesegnete Heidelberg floh.
Wie viel wird da wieder präsent, wie plastisch halb schon Vergessenes erinnert: Wie war das noch mit der Drohformel FdGO (Freiheitlich-demokratische Grund-Ordnung), die kalte Krieger aller Coleur an die Stelle des großen offenen Angebots, unseres Grundgesetzes, als einschüchternde Kürzel setzten? Und was hatte es mit dem Bahn-Slogan „Alle reden vom Wetter. Wir nicht” auf sich, das K.S. hernach in „Alle reden vom Frieden. Wir nicht” den Rüstungs-Lobbyisten plakativ ins Stammbuch schrieb?
Geschichte zweier deutscher Staaten – und Staeck immer dabei, Gegner der westdeutschen Reaktion und Widersacher des SED-Regimes, von Anfang an . . . Staeck, ein Künstler, ein linker Bürger, ein Intellektueller, der um die Bedingtheit seines Metiers weiß: „Die Kunst kann keine politischen Entscheidungen ersetzen”, so, am Ende, die Quintessenz des Buchs, „aber sie kann die Richtung weisen, vor Irrtümern bewahren, Gegenbilder schaffen, die aus der oft als bedrückend empfundenen Realität hinausführen, dem Prinzip Hoffnung Farbe und Gestalt geben, dem Prinzip Verantwortung ein verlässliches Fundament schaffen. Das ist nicht wenig. ”
Nicht wenig, in der Tat – und möglich nur in einem Gemeinwesen, das immerhin Richter hat, die den scharfzüngigen Aufklärer Staeck kein einziges Mal seinen mächtigen Widersachern auslieferte.
So oft auch – für mich das interessanteste Resultat der Bilanz – eine reaktionäre Politik- und Wirtschafts-Fronde Zensur und Buße verlangte: Die Justiz ließ sich, nehmt alles in allem, nicht beirren, Kollege Staeck blieb ungeschoren, die Meinungsfreiheit wurde nicht angetastet. Ironie und Satire behielten ihre Geltung; das Recht freier Meinungsäußerung war, trotz aller Einschüchterungsversuche, verfügbar: ein Tatbestand, den Klaus Staeck über die Jahre hinweg, zu Gunsten der weniger Privilegierten, die sich nicht angemessen artikulieren können, einzuklagen versuchte – oft genug, auch im Zeichen von Rot-Grün, leider erfolglos. Aber das ficht ihn nicht. Aufzugeben war nie seine Sache. Dafür ist er zu couragiert, dieser intelligente, leise und – vor allem! – listige Mann.
WALTER JENS
Der Rezensent ist emeritierter Rhetorik-Professor in Tübingen.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jede Menge Sympathie spricht aus Walter Jens` Rezension dieses Bilder und Erinnerungstexte Staecks vereinenden Bandes. Der Künstler Staeck ist, so Jens, "ein Artist, der sein Handwerk (...) vervollkommnet hat" und einst werde man ihn noch als Meister der Emblematik in barocker Tradition schätzen lernen. Gerade auch der Erzählteil aber hat es dem Rezensenten angetan. Sehr angenehm findet er den gelassenen Tonfall, in dem auch über Haarsträubendes, nämlich über die von Staeck kommentierten Politskandale der letzten Jahrzehnte berichtet wird. Dabei bewähre sich der Band geradezu als "Geschichtsbuch in nuce". Zuletzt setzt es dann sogar noch Lob für die deutsche Justiz, die alle Frechheiten Staecks immer wieder unter den Schutz der Meinungsfreiheit gestellt hat. Das ist, so Jens in nachgerade staatstragender Manier, sogar "das interessanteste Resultat der Bilanz."

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