In den Zwanzigerjahren suchte eine Gruppe hochbegabter junger Lyriker und Erzähler in Helsinki nach neuen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten. Sie fanden sie in einem ganz eigenen Amalgam aus der lebensbejahenden Anarchie des Dada, dem übersteigerten Ausdruckswillen des Expressionismus, den Formspielen des Kubismus, der jungen Stummfilmkunst und den Rhythmen und Klängen des Jazz. Einer von ihnen war Henry Parland. Er wuchs mehrsprachig auf und verfasste sein durch den frühen Tod jäh abgebrochenes Werk ausgerechnet in der Sprache, die er erst mit vierzehn lernte - Schwedisch. Die Fremdsprache brachte eine Distanz mit sich, die ihm Mut und Freiheit im Schreiben ermöglichte: Seine Gedichte - hier großteils erstmals ins Deutsche übertragen - sind Schnappschüsse des Alltäglichen, die die Grenzen der etablierten poetischen Formen überwinden. In seinem einzigen längeren Erzählwerk Zerbrochen eifert er keinem Geringeren nach als Marcel Proust. Doch statt einer Kopie liefert er einen hoch originellen, überraschend modernen Beitrag zur Poetik des autobiografischen Schreibens und zum Prozess des Erinnerns: einen Meta-Roman und eine Liebesgeschichte, in der es nicht um Liebe geht, sondern um die Unfähigkeit, den anderen zu erkennen, um die Konstruktion von Erinnerungen - und der Geliebten selbst. Ein spielerisches Werk von trauriger Schönheit und leiser Komik.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Nico Bleutge freut sich in seiner umfangreichen Besprechung, den finnlandschwedischen Avantgardisten Henry Parland in einem von Renate Bleibtreu kundig übersetzten Auswahlband entdecken zu können. Die Gedichte und der Manuskript gebliebene Roman lassen großes Talent erkennen, sich der freien Assoziation und der unmittelbaren Bildlichkeit der Sprache hinzugeben, so schlafen die Kinos "wie Krokodile in der Sonne" und der Mensch trägt die "Seele eingenäht im Hosenaufschlag." Bleutge liest surrealistische und expressionistische Einflüsse, aber vor allem den Rhythmus des Jazz und im Roman, der an die Liebesgeschichte der Protagonisten Henry und Ami erinnern soll, eine Reminiszenz an Marcel Proust. Das einzige Manko des Bandes ist, dass die finnlandschwedischen Originale nicht beigefügt sind, aber darüber kann der Kritiker ob dieser großen Entdeckung hinwegsehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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