Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2012Eine Reise ins Herz der Finsternis
Keiner wird verschont: In seinem mitreißenden, gut recherchierten Abenteuerroman "Öl auf Wasser" schickt Helon Habila zwei Journalisten auf eine Fahrt durch die grauenvoll verstümmelte Landschaft Nigerias.
Eine der grauenvollsten Umweltkatastrophen unserer Zeit vollzieht sich, von der Weltöffentlichkeit fast unbeachtet, im afrikanischen Nigerdelta: Aus alten Pipelines und verlassenen, nie gewarteten Bohrköpfen treten jährlich Zehntausende Liter Erdöl aus, die Boden und Wasser vergiften. Dazu jagen die offen brennenden Abgasfackeln Wolken von giftigen Schwermetallen in die Luft. Die Schäden für Mensch und Tier sind so brutal, dass selbst hartgesottene Weltkonzerne wie Shell sich unbehaglich fühlen und bei entsprechenden Forderungen schnell zahlen. Den beißenden Geruch, der das riesige Nigerdelta durchdringt, kann man auch bei uns riechen - vor allem an den Tankstellen von Shell (dem Hauptölförderer im Delta). Von der idyllischen Flusslandschaft, die dort vor fünfzig Jahren noch existierte, ist kaum etwas übrig.
Vor diesem brisanten Hintergrund spielt Helon Habilas spannender Abenteuerroman "Öl auf Wasser". Er erzählt ganz unaufgeregt, aber psychologisch sehr genau von den Folgen der Ölpest und dem Krieg, den verschiedene Rebellengruppen dort gegen die Ölkonzerne ausgerufen haben. Die Regierung schützt die ausländischen Firmen und ihre Mitarbeiter mit mobilen Einsatztruppen - was auch nötig ist, denn die Rebellen benutzen diese Weißen als wandelnde "Geldbäume", von denen man jederzeit Dollarmillionen pflücken kann. Womit wir schon mitten in Habilas beeindruckender, sorgsam recherchierter Geschichte sind: In Lagos wird die Frau eines englischen Ölingenieurs entführt, und ihr Mann bittet den berühmten Journalisten Zaq, Kontakt mit den Rebellen aufzunehmen um herauszubekommen, ob seine Frau noch lebt.
Eigentlich ein Routineauftrag - doch als Zaq und seine Begleiter zum vereinbarten Treffpunkt kommen, finden sie nur noch die Reste eines Massakers. Da meldet sich in dem alternden Zaq, der beruflich abgestürzt und versoffen ist, gegen jede Vernunft sein politischer Jagdinstinkt zurück. Mit verzweifeltem Mut stürzt er sich in dieses Abenteuer, das vielleicht seine letzte Chance auf eine große, wichtige Story ist. Und er provoziert den zögerlichen Rufus, der ihn bewundert und eher aus Fürsorglichkeit begleitet, mit der ständigen Frage: Warum bist du eigentlich Journalist geworden?
Den Gang der Dinge zu ändern ist auch für Journalisten kaum möglich. Sie können nicht mehr tun, als geduldig ein paar Wahrheiten aufzulauern und darüber zu schreiben. Um die widersprüchlichen Gefühle, die dieser schwierige Status auslöst, geht es bei dieser Flussfahrt, und wie bei Joseph Conrad führt sie im doppelten Sinne ins Herz der Finsternis: in eine apokalyptische und grauenvoll verstümmelte Landschaft und in die Seele der Reisenden, die angesichts der elementaren Wucht der Ereignisse nicht nur räumlich die Orientierung verlieren. Rufus ist ein von Angst, Hunger und Hitze ständig überforderter Erzähler, der nur noch reflexhaft beobachtet und die Bilder wie eine Kamera aufnimmt, scheinbar ohne zu werten oder zu sortieren. Und genau darin besteht das sehr überzeugende Erzählkonzept: Weil sich immer wieder in den heikelsten Momenten seine Erinnerungen vordrängen, entsteht eine vielschichtige und durch die Zeiten springende Geschichte mit einer kunstvoll-dramatischen Struktur. Rufus Körper hat die Gerüche und Geräusche der Dörfer und des Flusses aufbewahrt, er trägt den poetischen Blick, der die Spuren verlorener Schönheit aufspürt. Und er schleudert den blutjungen Reporter, sosehr der sich auch sträubt, in seine elende Kindheit zurück. Sie endete traumatisch, als durch Leichtsinn das illegale Öllager seines Vaters explodierte, seine Schwester verstümmelt und die Familie zerstört wurde.
Schicht für Schicht legt Habila mit liebevoller Geduld die Hintergründe dieser Schicksalsfahrt durch ein Totenreich offen: die Eheprobleme des britischen Paares, die sie zum idealen Opfer werden lassen; die Angst von Zaq, in dem elenden Zeitungsbüro, in dem er in Lagos gestrandet war, zu sterben, und die seelische Lähmung und Unentschlossenheit von Rufus. Sie durchmessen die ganze Absurdität und Grausamkeit eines aussichtslosen Krieges, treffen auf einen Major, der verblüffend dem wahnsinnigen Colonel Kurtz aus "Apokalypse Now" ähnelt und reden mit selbstverliebten Freiheitskämpfern, die halb verwirrt, halb geschäftstüchtig wirken und wie nebenbei morden. Mit filmischer Genauigkeit sind diese Szenen geschildert und brennen sich dem Gedächtnis ein, vor allem die beiläufigen, scheinbar unspektakulären: der Blick in hastig verlassene Zimmer oder auf eine flüchtende Familie in wackeligen Booten, eine klägliche Armada, die sich in unsichere Gewässer wagt. Rufus erlebt sogar an dem einzig heilen Ort des Romans, der Siedlung einer Sekte von Sonnenanbetern, in deren Krankenstation Zaq stirbt, eine spröde Liebesnacht. Zwar wird auch dieser Ort von Hubschraubern bombardiert, doch die unerschütterlichen Gläubigen bauen ihn wieder auf: eines der beiden vorsichtigen Hoffnungszeichen des Romans. Die Rückkehr von Rufus und das Zusammentreffen mit seiner Schwester dort geraten leicht süßlich - vielleicht die einzige Schwachstelle dieses grandiosen Buches.
Helon Habila, der 1967 in Nigeria geboren wurde, arbeitete nach seinem Literaturstudium lange als Journalist in Lagos, er kennt die armseligen Redaktionsstuben und die gnadenlose Hackordnung unter den Journalisten, die er so pointiert beschreibt. Sein klarer, lakonischer Stil ist weit von jeder Anklage entfernt, denn Rufus verwandelt als staunender, anfangs naiver Betrachter diese trostlose Welt in einen fruchtbaren Ort für Geschichten. Er will seiner zu schreibenden Story gerecht werden, stellt unermüdlich Fragen und entgeht so allen vorschnellen Antworten. Zuletzt, das ist das zweite Hoffnungszeichen, ist aus einem unsicher-ängstlichen Anfänger ein würdiger Nachfolger des lebensklugen Zaq geworden.
NICOLE HENNEBERG
Helon Habila: "Öl auf Wasser". Roman.
Aus dem Englischen von Thomas Brückner. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2012. 240 S., geb., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Keiner wird verschont: In seinem mitreißenden, gut recherchierten Abenteuerroman "Öl auf Wasser" schickt Helon Habila zwei Journalisten auf eine Fahrt durch die grauenvoll verstümmelte Landschaft Nigerias.
Eine der grauenvollsten Umweltkatastrophen unserer Zeit vollzieht sich, von der Weltöffentlichkeit fast unbeachtet, im afrikanischen Nigerdelta: Aus alten Pipelines und verlassenen, nie gewarteten Bohrköpfen treten jährlich Zehntausende Liter Erdöl aus, die Boden und Wasser vergiften. Dazu jagen die offen brennenden Abgasfackeln Wolken von giftigen Schwermetallen in die Luft. Die Schäden für Mensch und Tier sind so brutal, dass selbst hartgesottene Weltkonzerne wie Shell sich unbehaglich fühlen und bei entsprechenden Forderungen schnell zahlen. Den beißenden Geruch, der das riesige Nigerdelta durchdringt, kann man auch bei uns riechen - vor allem an den Tankstellen von Shell (dem Hauptölförderer im Delta). Von der idyllischen Flusslandschaft, die dort vor fünfzig Jahren noch existierte, ist kaum etwas übrig.
Vor diesem brisanten Hintergrund spielt Helon Habilas spannender Abenteuerroman "Öl auf Wasser". Er erzählt ganz unaufgeregt, aber psychologisch sehr genau von den Folgen der Ölpest und dem Krieg, den verschiedene Rebellengruppen dort gegen die Ölkonzerne ausgerufen haben. Die Regierung schützt die ausländischen Firmen und ihre Mitarbeiter mit mobilen Einsatztruppen - was auch nötig ist, denn die Rebellen benutzen diese Weißen als wandelnde "Geldbäume", von denen man jederzeit Dollarmillionen pflücken kann. Womit wir schon mitten in Habilas beeindruckender, sorgsam recherchierter Geschichte sind: In Lagos wird die Frau eines englischen Ölingenieurs entführt, und ihr Mann bittet den berühmten Journalisten Zaq, Kontakt mit den Rebellen aufzunehmen um herauszubekommen, ob seine Frau noch lebt.
Eigentlich ein Routineauftrag - doch als Zaq und seine Begleiter zum vereinbarten Treffpunkt kommen, finden sie nur noch die Reste eines Massakers. Da meldet sich in dem alternden Zaq, der beruflich abgestürzt und versoffen ist, gegen jede Vernunft sein politischer Jagdinstinkt zurück. Mit verzweifeltem Mut stürzt er sich in dieses Abenteuer, das vielleicht seine letzte Chance auf eine große, wichtige Story ist. Und er provoziert den zögerlichen Rufus, der ihn bewundert und eher aus Fürsorglichkeit begleitet, mit der ständigen Frage: Warum bist du eigentlich Journalist geworden?
Den Gang der Dinge zu ändern ist auch für Journalisten kaum möglich. Sie können nicht mehr tun, als geduldig ein paar Wahrheiten aufzulauern und darüber zu schreiben. Um die widersprüchlichen Gefühle, die dieser schwierige Status auslöst, geht es bei dieser Flussfahrt, und wie bei Joseph Conrad führt sie im doppelten Sinne ins Herz der Finsternis: in eine apokalyptische und grauenvoll verstümmelte Landschaft und in die Seele der Reisenden, die angesichts der elementaren Wucht der Ereignisse nicht nur räumlich die Orientierung verlieren. Rufus ist ein von Angst, Hunger und Hitze ständig überforderter Erzähler, der nur noch reflexhaft beobachtet und die Bilder wie eine Kamera aufnimmt, scheinbar ohne zu werten oder zu sortieren. Und genau darin besteht das sehr überzeugende Erzählkonzept: Weil sich immer wieder in den heikelsten Momenten seine Erinnerungen vordrängen, entsteht eine vielschichtige und durch die Zeiten springende Geschichte mit einer kunstvoll-dramatischen Struktur. Rufus Körper hat die Gerüche und Geräusche der Dörfer und des Flusses aufbewahrt, er trägt den poetischen Blick, der die Spuren verlorener Schönheit aufspürt. Und er schleudert den blutjungen Reporter, sosehr der sich auch sträubt, in seine elende Kindheit zurück. Sie endete traumatisch, als durch Leichtsinn das illegale Öllager seines Vaters explodierte, seine Schwester verstümmelt und die Familie zerstört wurde.
Schicht für Schicht legt Habila mit liebevoller Geduld die Hintergründe dieser Schicksalsfahrt durch ein Totenreich offen: die Eheprobleme des britischen Paares, die sie zum idealen Opfer werden lassen; die Angst von Zaq, in dem elenden Zeitungsbüro, in dem er in Lagos gestrandet war, zu sterben, und die seelische Lähmung und Unentschlossenheit von Rufus. Sie durchmessen die ganze Absurdität und Grausamkeit eines aussichtslosen Krieges, treffen auf einen Major, der verblüffend dem wahnsinnigen Colonel Kurtz aus "Apokalypse Now" ähnelt und reden mit selbstverliebten Freiheitskämpfern, die halb verwirrt, halb geschäftstüchtig wirken und wie nebenbei morden. Mit filmischer Genauigkeit sind diese Szenen geschildert und brennen sich dem Gedächtnis ein, vor allem die beiläufigen, scheinbar unspektakulären: der Blick in hastig verlassene Zimmer oder auf eine flüchtende Familie in wackeligen Booten, eine klägliche Armada, die sich in unsichere Gewässer wagt. Rufus erlebt sogar an dem einzig heilen Ort des Romans, der Siedlung einer Sekte von Sonnenanbetern, in deren Krankenstation Zaq stirbt, eine spröde Liebesnacht. Zwar wird auch dieser Ort von Hubschraubern bombardiert, doch die unerschütterlichen Gläubigen bauen ihn wieder auf: eines der beiden vorsichtigen Hoffnungszeichen des Romans. Die Rückkehr von Rufus und das Zusammentreffen mit seiner Schwester dort geraten leicht süßlich - vielleicht die einzige Schwachstelle dieses grandiosen Buches.
Helon Habila, der 1967 in Nigeria geboren wurde, arbeitete nach seinem Literaturstudium lange als Journalist in Lagos, er kennt die armseligen Redaktionsstuben und die gnadenlose Hackordnung unter den Journalisten, die er so pointiert beschreibt. Sein klarer, lakonischer Stil ist weit von jeder Anklage entfernt, denn Rufus verwandelt als staunender, anfangs naiver Betrachter diese trostlose Welt in einen fruchtbaren Ort für Geschichten. Er will seiner zu schreibenden Story gerecht werden, stellt unermüdlich Fragen und entgeht so allen vorschnellen Antworten. Zuletzt, das ist das zweite Hoffnungszeichen, ist aus einem unsicher-ängstlichen Anfänger ein würdiger Nachfolger des lebensklugen Zaq geworden.
NICOLE HENNEBERG
Helon Habila: "Öl auf Wasser". Roman.
Aus dem Englischen von Thomas Brückner. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2012. 240 S., geb., 24,80 [Euro].
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