Olivo Barbieri (geb. 1954 in Carpi) leuchtet in seinen Fotografien menschliche Lebensräume so aus, dass unbekannte Facetten der Realität ans Licht treten. Urbane Zentren in China oder Amerika dominieren seine fotografischen Serien neben Naturattraktionen, wie etwa den Dolomiten, Alpen oder der Insel Capri sowie berühmten Wasserfällen in Kanada, Argentinien, Simbabwe. Von 2003 bis 2013 fotografierte Barbieri über 40 Städte und Metropolen weltweit. Stilistisches Erkennungsmerkmal seiner Aufnahmen ist eine äußerst geringe Tiefenschärfe, die den Eindruck erweckt, es handele sich um Miniaturmodelle. Trotz Menschenmassen, Verkehrsströmen, Hochhausketten, Gebirgszügen oder Wasserfluten in satten Farben und starken Kontrasten wirken die dargestellten Welten befremdlich. Durch die lange Belichtung der künstlich erleuchteten Städte wird dieses Gefühl noch verstärkt. Barbieris erste Nachtbilder entstanden Anfang der 1980er-Jahre in Italien. Ersatz Lights präsentiert erstmals sämtliche Nachtlandschaften des Künstlers.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2015Die Magie des Lichts
Die Geburt einer Welt aus dem Geist des künstlichen Lichts. Die taghellen Nachtfotografien Olivo Barbieris, diese Zaubereien eines Bild-Erfinders in der Tradition der Romantik, liegen hier erstmals vollständig als Buchveröffentlichung vor. Nein, das sind nicht Kulturlandschaften Asiens oder Europas, wie uns die Bildtitel suggerieren, sondern Fotos aus einem anderen Universum, in dem alles aus nichts als vielfarbigem Leuchten, filigranen Strukturen, Brüchen, unerreichbaren Schichtungen und befremdenden Versatzstücken besteht, jenseits des irdisch schnöden Gedankens an Vollendetheit. Die Welt wirkt auf wunderbare Weise undurchdringlich und transparent zugleich, als wäre sie gerade dem Chaos entstiegen. Capri, das ist ein Meer aus goldenem Glitzern mit Felsen aus Rohdiamanten vor rotglühender Lava. Eine heruntergekommene Wohnblockreihe neben einem simplen Hochhaus in China, das sind strahlende Tabernakel vor einem himmelwärts strebenden Kunstwerk. Barbieris Nachtbilder zwischen Entstehen und Vergehen erzählen bisweilen verklausulierte Geschichten, bei denen Vergangenheit und Zukunft ineinanderfallen und die Zeit sich zu dehnen scheint. Kein Verweis mehr auf den Weltalltag der Epoche. Oder insgeheim doch. Gewissermaßen sind sie die konstruktive Umkehrung, das auf unheimliche Weise strahlende Negativbild unserer maroden und unübersichtlichen Wirklichkeit, wir sehen eine futuristische Idee der Welt, von der wir uns keinen Begriff machten. Diese kostbar und tiefenwirksam inszenierten, menschenleeren Szenerien bilden die Kulisse für noch unbekannte Wesen und ihr surreales Theater. Unsere Wirklichkeit neu zu imaginieren, das ist das Ziel dieser geisterhaften Farb-Licht-Fotografie. Oder radikaler gewendet: die Wirklichkeit nur noch als Medium zu benutzen, um sie zu überschreiten und hinter sich zu lassen.
lem
"Ersatz-Lights" von Olivo Barbieri. Mit einem Interview mit Olivo Barbieri und einem Text von Francesco Zanot. Italienisch/Englisch. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2015. 224 Seiten, 198 Farbfotografien. Gebunden, 58 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Geburt einer Welt aus dem Geist des künstlichen Lichts. Die taghellen Nachtfotografien Olivo Barbieris, diese Zaubereien eines Bild-Erfinders in der Tradition der Romantik, liegen hier erstmals vollständig als Buchveröffentlichung vor. Nein, das sind nicht Kulturlandschaften Asiens oder Europas, wie uns die Bildtitel suggerieren, sondern Fotos aus einem anderen Universum, in dem alles aus nichts als vielfarbigem Leuchten, filigranen Strukturen, Brüchen, unerreichbaren Schichtungen und befremdenden Versatzstücken besteht, jenseits des irdisch schnöden Gedankens an Vollendetheit. Die Welt wirkt auf wunderbare Weise undurchdringlich und transparent zugleich, als wäre sie gerade dem Chaos entstiegen. Capri, das ist ein Meer aus goldenem Glitzern mit Felsen aus Rohdiamanten vor rotglühender Lava. Eine heruntergekommene Wohnblockreihe neben einem simplen Hochhaus in China, das sind strahlende Tabernakel vor einem himmelwärts strebenden Kunstwerk. Barbieris Nachtbilder zwischen Entstehen und Vergehen erzählen bisweilen verklausulierte Geschichten, bei denen Vergangenheit und Zukunft ineinanderfallen und die Zeit sich zu dehnen scheint. Kein Verweis mehr auf den Weltalltag der Epoche. Oder insgeheim doch. Gewissermaßen sind sie die konstruktive Umkehrung, das auf unheimliche Weise strahlende Negativbild unserer maroden und unübersichtlichen Wirklichkeit, wir sehen eine futuristische Idee der Welt, von der wir uns keinen Begriff machten. Diese kostbar und tiefenwirksam inszenierten, menschenleeren Szenerien bilden die Kulisse für noch unbekannte Wesen und ihr surreales Theater. Unsere Wirklichkeit neu zu imaginieren, das ist das Ziel dieser geisterhaften Farb-Licht-Fotografie. Oder radikaler gewendet: die Wirklichkeit nur noch als Medium zu benutzen, um sie zu überschreiten und hinter sich zu lassen.
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"Ersatz-Lights" von Olivo Barbieri. Mit einem Interview mit Olivo Barbieri und einem Text von Francesco Zanot. Italienisch/Englisch. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2015. 224 Seiten, 198 Farbfotografien. Gebunden, 58 Euro.
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