Visionär, Vollblutpolitiker, Mann der Widersprüche
Olof Palme war ein Mann der Widersprüche: Der Aristokrat, der Sozialist wurde. Der ehemalige Offizier, der zum Abrüster wurde. Der Klassenverräter, der stolz auf seine bürgerliche Familie war. Der Amerikafreund, der die Regierung der USA angriff. Der Antikommunist, der Fidel Castro umarmte. Er war damit auch ein Sinnbild für die Widersprüche seiner Zeit. Wer war Palme wirklich? Der brutale Mord auf dem Sveavägen in Stockholm in einer Februarnacht vor fast fünfundzwanzig Jahren überschattet sein Leben bis heute. Geblieben ist eine Mischung aus nostalgischen Träumen und finsteren Zerrbildern. Der Mordfall blieb unaufgeklärt, das Verhältnis der Nachwelt zu Palme ungeklärt.
In seinem Leben und Wirken begegnet man den großen Fragen dieser Zeit. Wie Willy Brandt war er Visionär und Vollblutpolitiker, ein Mann, der Bewunderung hervorrief und polarisierte. Ein Mann, der die internationale Geschichte weit über Schweden hinaus prägte undReformen durchsetzte, die seine Heimat grundlegend veränderten. "Vor uns liegen wunderbare Tage" ist die ungewöhnliche Geschichte eines faszinierenden Menschen und Politikers, dessen schillerndes Leben sich im Spannungsfeld zwischen Macht und Moral abspielte und der auf die Anforderungen seiner Zeit ganz eigene Antworten fand.
Die erste große internationale Biographie über Olof Palme.
Olof Palme war ein Mann der Widersprüche: Der Aristokrat, der Sozialist wurde. Der ehemalige Offizier, der zum Abrüster wurde. Der Klassenverräter, der stolz auf seine bürgerliche Familie war. Der Amerikafreund, der die Regierung der USA angriff. Der Antikommunist, der Fidel Castro umarmte. Er war damit auch ein Sinnbild für die Widersprüche seiner Zeit. Wer war Palme wirklich? Der brutale Mord auf dem Sveavägen in Stockholm in einer Februarnacht vor fast fünfundzwanzig Jahren überschattet sein Leben bis heute. Geblieben ist eine Mischung aus nostalgischen Träumen und finsteren Zerrbildern. Der Mordfall blieb unaufgeklärt, das Verhältnis der Nachwelt zu Palme ungeklärt.
In seinem Leben und Wirken begegnet man den großen Fragen dieser Zeit. Wie Willy Brandt war er Visionär und Vollblutpolitiker, ein Mann, der Bewunderung hervorrief und polarisierte. Ein Mann, der die internationale Geschichte weit über Schweden hinaus prägte undReformen durchsetzte, die seine Heimat grundlegend veränderten. "Vor uns liegen wunderbare Tage" ist die ungewöhnliche Geschichte eines faszinierenden Menschen und Politikers, dessen schillerndes Leben sich im Spannungsfeld zwischen Macht und Moral abspielte und der auf die Anforderungen seiner Zeit ganz eigene Antworten fand.
Die erste große internationale Biographie über Olof Palme.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2011Machtwille und Geltungssucht
Olof Palme kam aus dem schwedischen Großbürgertum und galt doch als ein Arbeiterführer. Wie war das möglich?
Von Jasper von Altenbockum
Shirley MacLaine traf Anfang der siebziger Jahre Olof Palme in New York und war hingerissen. Die Schauspielerin kam nach Schweden und diskutierte im Fernsehen mit ihm über Politik. Später würde sie behaupten, ein Verhältnis mit ihm gehabt zu haben. Sie hielt ihn für die Reinkarnation Karls des Großen. Nach seinem Tod führte sie Gespräche mit seinem Astralkörper. Diese Episode spielt in Henrik Berggrens Biographie über Olof Palme keine große Rolle. Aber es ist gut, dass er sie erwähnt. Denn Shirley MacLaines Verliebtheit in die schwedische Kultfigur steht für die Art und Weise, wie Palme vergöttert wurde, in Schweden, aber ganz besonders außerhalb Schwedens. Und sie zeigt, wie durch den tragischen Tod des Politikers aus der Bewunderung eine Mystifizierung wurde. Darin trafen sich sogar die Freunde, die ihn liebten, mit den Gegnern, die ihn hassten.
Der Mord an Olof Palme vor 25 Jahren in der Stockholmer Innenstadt war, so gesehen, das perfekte Verbrechen. Der Mörder wurde nie überführt, der Revolver, mit dem er erschossen wurde, nie gefunden. Und Palme, der Politiker, der Sozialist, der Internationalist, der Charmeur, der Charismatiker, er verschwand nach dem Mord im Nebel peinlicher Ermittlungsfehler und endloser Verschwörungstheorien. Palme starb noch einmal, und sein unaufgeklärter Tod wurde zum Trauma der Schweden. Als habe es ihn gar nicht gegeben. Wer auch immer ihn an jenem Freitag, dem 28. Februar 1986, auf dem Sveavägen auslöschen wollte, es wäre ihm beinahe gelungen. Beinahe. Denn nun gibt es diese Biographie. Sie ist viel mehr. Von vielen anderen Versuchen unterscheidet sie sich dadurch, dass sie Palme nicht im Nebel des nationalen Traumas sucht, sondern erklärt. Die nüchterne Art, wie Berggren daraus die Saga eines schwedischen Jahrhunderts macht, schützt den Biographen vor seiner Sympathie für Palme, die er immer wieder durchblicken lässt. Berggren ist Redakteur der liberalen "Dagens Nyheter", die als Flaggschiff der bürgerlichen Presse Schwedens nicht unbedingt zur Palme-Gemeinde gehörte, aber durchaus Respekt und Bewunderung für ihn übrig hatte.
Viele Brücken zwischen der bürgerlichen und der sozialdemokratischen Welt, der Arbeiterbewegung oder, wie sie Berggren öfters auch nennt, der "Volksbewegung", gab und gibt es nicht. Hier die Bauern, der König und das Stadtbürgertum, dort die Arbeiter, die Angestellten und die Gewerkschaften. Hier das linke Lager, dort das rechte. Palme wird gerne als die Gestalt gezeichnet, die noch diese wenigen Brücken eingerissen hat und die Polarisierung auf die Spitze trieb. Berggren zeigt, dass das nur die halbe Wahrheit ist, weil eine dieser Brücken Palme dazu verhalf, aus der Welt, aus der er stammte, dem Großbürgertum Stockholms, in die Arbeiterbewegung zu finden. Berggren benutzt, um diese Verbindung zu beschreiben, den Begriff des "Kulturradikalismus", der im Schwedischen geläufig ist, im Deutschen aber fehlt.
Gemeint ist protestantischer Fortschrittsglaube, Individualismus und ein literarisch gesättigter Rationalismus, der ungeduldig gegen jede Beharrung rebelliert. Das kann durchaus bürgerlich und durchaus kapitalistisch sein, ein bisschen Buddenbrook, ein bisschen Strindberg. Palme hatte von allem etwas. Die Palmes spielten in der Geschäftswelt Stockholms eine ähnliche Rolle wie die Unternehmerfamilie der Wallenbergs. Und es wehte ein Hauch von Kosmopolitismus durch das Elternhaus im Stockholmer Edelviertel Östermalm. Gunnar Palme, Olofs Vater, hatte eine baltendeutsche Adlige geheiratet, Elisabeth von Knieriem, "Müsi" genannt, ein Flüchtlingskind aus Lettland, dem Schweden allerdings nicht richtig zur Heimat werden wollte. Als Olof sieben Jahre alt war, brach die behütete Welt zusammen. Sein Vater starb. Fortan war er auf sich gestellt, erst im Internat in Sigtuna, dann in der Ausbildung zum Reserveoffizier, schließlich in Amerika auf dem Kenyon College in Ohio, fast möchte man sagen: für den Rest seines Lebens.
Doch nicht als Rebellion sieht Berggren Olof Palmes Bruch mit der bürgerlichen Welt der Palmes, sondern als Konsequenz. Was Palme in dieser Welt gelernt habe, sei "der starke Glaube an Wissenschaft und Moderne, Mehrsprachigkeit und Internationalismus, eine Mischung aus aristokratischem noblesse oblige und dem faustischen Willen zur Macht, ein Interesse an Literatur, Theater und Rhetorik sowie die felsenfeste Überzeugung, dass es notwendig ist, alle Willenskraft zu mobilisieren, wenn entscheidende Ziele erreicht werden sollen". Palme brachte es bald auf die Formel: "Politik ist Wille."
Notwendig war deshalb das Engagement ausgerechnet für die Arbeiterbewegung noch nicht. Doch Palme landete auch deshalb 1953 - er war 26 Jahre alt - im Büro des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Tage Erlander als dessen persönlicher Sekretär, weil dort die Macht war, die Zukunft, die Moderne und viel Gestaltungsspielraum. Hier ackerte Palme buchstäblich Tag und Nacht für die "starke Gesellschaft", zu der Erlander das Volksheim der Schweden formen wollte. Palme half dabei vielleicht der Gedanke, dass das Volksheim eine Erfindung seiner konservativen Vorväter war, nun aber modernistisch, egalitär und gerecht eingerichtet werden sollte.
Palme nutzte die Partei, nicht umgekehrt. Selbst als er mit 38 Jahren Minister, mit 42 Jahren Nachfolger von Erlander als Parteivorsitzender und Ministerpräsident wurde, war das noch so. Seinen größten Coup hatte er da schon hinter sich: die legendäre Anti-Vietnam-Demonstration im Februar 1968, auf der er, mit Pelzmütze bewaffnet, neben dem nordvietnamesischen Botschafter in Moskau, Nguyen Tho Chyan, einherschritt. Washington zog seinen Botschafter aus Schweden ab, Palme tat überrascht, hatte aber die Aufmerksamkeit, die er einem Kleinstaat verschaffen wollte, um international mitreden zu können. Das gelang ihm immer wieder in einer für die neutrale Peripherie Schwedens günstigen Weltlage. Seine Geltungssucht (die Berggren nicht so nennt) verstieg ihn in Erlanders Kanzlei gar zu dem Gedanken, Schweden atomar aufzurüsten, um den Rest der Welt zur Abrüstung zu zwingen.
Erst viel später kehrte sich das Verhältnis zwischen Palme und der Partei um, und auch die Welt wollte nicht mehr so wie er. Schon in Palmes Jugend war die schwedische Arbeiterpartei fast am Ende ihrer Geschichte angekommen. Anderswo schlugen sich die Genossen noch mit Marxismus und Godesberger Programm herum. In Schweden hatten sie sich längst mit der Marktwirtschaft arrangiert. Anderswo musste sozialdemokratische Regierungsfähigkeit erst unter Beweis gestellt werden. In Schweden war sie längst Routine einer Staatspartei. Ende der siebziger Jahre zeichnete sich ab, dass Palme zu einem Zeitpunkt Arbeiterführer geworden war, als die Zeit der Arbeiterführer längst vorbei war. In der Bildungs-, Familien- und Sozialpolitik hatte er getan, was getan werden musste, um Schweden in ein egalitäres Reich zu verwandeln. Jetzt wollte die Partei noch mehr, jetzt aber war Krisenmanagement angesagt - Ölkrise, Arbeitslosigkeit, Inflation, Haushaltsdefizit. Aus der starken Gesellschaft war ein allzu starker Staat geworden. Palme verlor Wahlen.
Der Wendepunkt in Palmes Karriere war vielleicht jene Kabinettssitzung im März 1976, als über einen Zeitungsartikel "Pomperipossa in Monismanien" debattiert wurde. Den hatte Astrid Lindgren aus Wut darüber geschrieben, dass sie mehr Steuern zahlen musste, als sie Geld verdient hatte - 102 Prozent. Finanzminister Sträng fand, Lindgren sei ahnungslos und verstehe nichts von Steuerpolitik. Palme daraufhin: "Begreifst du denn nicht, dass das nicht zusammenpasst?" Da sprach der einsame Palme, in dem manchmal nichts zusammenpasste, weil er sich zeit seines Lebens nach der behüteten Buddenbrook-Strindberg-Welt von Östermalm zurücksehnte.
Henrik Berggren: Olof Palme. Vor uns liegen wunderbare Tage.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf und Susanne Dahmann.
btb Verlag, München 2011. 718 S., 26,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Olof Palme kam aus dem schwedischen Großbürgertum und galt doch als ein Arbeiterführer. Wie war das möglich?
Von Jasper von Altenbockum
Shirley MacLaine traf Anfang der siebziger Jahre Olof Palme in New York und war hingerissen. Die Schauspielerin kam nach Schweden und diskutierte im Fernsehen mit ihm über Politik. Später würde sie behaupten, ein Verhältnis mit ihm gehabt zu haben. Sie hielt ihn für die Reinkarnation Karls des Großen. Nach seinem Tod führte sie Gespräche mit seinem Astralkörper. Diese Episode spielt in Henrik Berggrens Biographie über Olof Palme keine große Rolle. Aber es ist gut, dass er sie erwähnt. Denn Shirley MacLaines Verliebtheit in die schwedische Kultfigur steht für die Art und Weise, wie Palme vergöttert wurde, in Schweden, aber ganz besonders außerhalb Schwedens. Und sie zeigt, wie durch den tragischen Tod des Politikers aus der Bewunderung eine Mystifizierung wurde. Darin trafen sich sogar die Freunde, die ihn liebten, mit den Gegnern, die ihn hassten.
Der Mord an Olof Palme vor 25 Jahren in der Stockholmer Innenstadt war, so gesehen, das perfekte Verbrechen. Der Mörder wurde nie überführt, der Revolver, mit dem er erschossen wurde, nie gefunden. Und Palme, der Politiker, der Sozialist, der Internationalist, der Charmeur, der Charismatiker, er verschwand nach dem Mord im Nebel peinlicher Ermittlungsfehler und endloser Verschwörungstheorien. Palme starb noch einmal, und sein unaufgeklärter Tod wurde zum Trauma der Schweden. Als habe es ihn gar nicht gegeben. Wer auch immer ihn an jenem Freitag, dem 28. Februar 1986, auf dem Sveavägen auslöschen wollte, es wäre ihm beinahe gelungen. Beinahe. Denn nun gibt es diese Biographie. Sie ist viel mehr. Von vielen anderen Versuchen unterscheidet sie sich dadurch, dass sie Palme nicht im Nebel des nationalen Traumas sucht, sondern erklärt. Die nüchterne Art, wie Berggren daraus die Saga eines schwedischen Jahrhunderts macht, schützt den Biographen vor seiner Sympathie für Palme, die er immer wieder durchblicken lässt. Berggren ist Redakteur der liberalen "Dagens Nyheter", die als Flaggschiff der bürgerlichen Presse Schwedens nicht unbedingt zur Palme-Gemeinde gehörte, aber durchaus Respekt und Bewunderung für ihn übrig hatte.
Viele Brücken zwischen der bürgerlichen und der sozialdemokratischen Welt, der Arbeiterbewegung oder, wie sie Berggren öfters auch nennt, der "Volksbewegung", gab und gibt es nicht. Hier die Bauern, der König und das Stadtbürgertum, dort die Arbeiter, die Angestellten und die Gewerkschaften. Hier das linke Lager, dort das rechte. Palme wird gerne als die Gestalt gezeichnet, die noch diese wenigen Brücken eingerissen hat und die Polarisierung auf die Spitze trieb. Berggren zeigt, dass das nur die halbe Wahrheit ist, weil eine dieser Brücken Palme dazu verhalf, aus der Welt, aus der er stammte, dem Großbürgertum Stockholms, in die Arbeiterbewegung zu finden. Berggren benutzt, um diese Verbindung zu beschreiben, den Begriff des "Kulturradikalismus", der im Schwedischen geläufig ist, im Deutschen aber fehlt.
Gemeint ist protestantischer Fortschrittsglaube, Individualismus und ein literarisch gesättigter Rationalismus, der ungeduldig gegen jede Beharrung rebelliert. Das kann durchaus bürgerlich und durchaus kapitalistisch sein, ein bisschen Buddenbrook, ein bisschen Strindberg. Palme hatte von allem etwas. Die Palmes spielten in der Geschäftswelt Stockholms eine ähnliche Rolle wie die Unternehmerfamilie der Wallenbergs. Und es wehte ein Hauch von Kosmopolitismus durch das Elternhaus im Stockholmer Edelviertel Östermalm. Gunnar Palme, Olofs Vater, hatte eine baltendeutsche Adlige geheiratet, Elisabeth von Knieriem, "Müsi" genannt, ein Flüchtlingskind aus Lettland, dem Schweden allerdings nicht richtig zur Heimat werden wollte. Als Olof sieben Jahre alt war, brach die behütete Welt zusammen. Sein Vater starb. Fortan war er auf sich gestellt, erst im Internat in Sigtuna, dann in der Ausbildung zum Reserveoffizier, schließlich in Amerika auf dem Kenyon College in Ohio, fast möchte man sagen: für den Rest seines Lebens.
Doch nicht als Rebellion sieht Berggren Olof Palmes Bruch mit der bürgerlichen Welt der Palmes, sondern als Konsequenz. Was Palme in dieser Welt gelernt habe, sei "der starke Glaube an Wissenschaft und Moderne, Mehrsprachigkeit und Internationalismus, eine Mischung aus aristokratischem noblesse oblige und dem faustischen Willen zur Macht, ein Interesse an Literatur, Theater und Rhetorik sowie die felsenfeste Überzeugung, dass es notwendig ist, alle Willenskraft zu mobilisieren, wenn entscheidende Ziele erreicht werden sollen". Palme brachte es bald auf die Formel: "Politik ist Wille."
Notwendig war deshalb das Engagement ausgerechnet für die Arbeiterbewegung noch nicht. Doch Palme landete auch deshalb 1953 - er war 26 Jahre alt - im Büro des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Tage Erlander als dessen persönlicher Sekretär, weil dort die Macht war, die Zukunft, die Moderne und viel Gestaltungsspielraum. Hier ackerte Palme buchstäblich Tag und Nacht für die "starke Gesellschaft", zu der Erlander das Volksheim der Schweden formen wollte. Palme half dabei vielleicht der Gedanke, dass das Volksheim eine Erfindung seiner konservativen Vorväter war, nun aber modernistisch, egalitär und gerecht eingerichtet werden sollte.
Palme nutzte die Partei, nicht umgekehrt. Selbst als er mit 38 Jahren Minister, mit 42 Jahren Nachfolger von Erlander als Parteivorsitzender und Ministerpräsident wurde, war das noch so. Seinen größten Coup hatte er da schon hinter sich: die legendäre Anti-Vietnam-Demonstration im Februar 1968, auf der er, mit Pelzmütze bewaffnet, neben dem nordvietnamesischen Botschafter in Moskau, Nguyen Tho Chyan, einherschritt. Washington zog seinen Botschafter aus Schweden ab, Palme tat überrascht, hatte aber die Aufmerksamkeit, die er einem Kleinstaat verschaffen wollte, um international mitreden zu können. Das gelang ihm immer wieder in einer für die neutrale Peripherie Schwedens günstigen Weltlage. Seine Geltungssucht (die Berggren nicht so nennt) verstieg ihn in Erlanders Kanzlei gar zu dem Gedanken, Schweden atomar aufzurüsten, um den Rest der Welt zur Abrüstung zu zwingen.
Erst viel später kehrte sich das Verhältnis zwischen Palme und der Partei um, und auch die Welt wollte nicht mehr so wie er. Schon in Palmes Jugend war die schwedische Arbeiterpartei fast am Ende ihrer Geschichte angekommen. Anderswo schlugen sich die Genossen noch mit Marxismus und Godesberger Programm herum. In Schweden hatten sie sich längst mit der Marktwirtschaft arrangiert. Anderswo musste sozialdemokratische Regierungsfähigkeit erst unter Beweis gestellt werden. In Schweden war sie längst Routine einer Staatspartei. Ende der siebziger Jahre zeichnete sich ab, dass Palme zu einem Zeitpunkt Arbeiterführer geworden war, als die Zeit der Arbeiterführer längst vorbei war. In der Bildungs-, Familien- und Sozialpolitik hatte er getan, was getan werden musste, um Schweden in ein egalitäres Reich zu verwandeln. Jetzt wollte die Partei noch mehr, jetzt aber war Krisenmanagement angesagt - Ölkrise, Arbeitslosigkeit, Inflation, Haushaltsdefizit. Aus der starken Gesellschaft war ein allzu starker Staat geworden. Palme verlor Wahlen.
Der Wendepunkt in Palmes Karriere war vielleicht jene Kabinettssitzung im März 1976, als über einen Zeitungsartikel "Pomperipossa in Monismanien" debattiert wurde. Den hatte Astrid Lindgren aus Wut darüber geschrieben, dass sie mehr Steuern zahlen musste, als sie Geld verdient hatte - 102 Prozent. Finanzminister Sträng fand, Lindgren sei ahnungslos und verstehe nichts von Steuerpolitik. Palme daraufhin: "Begreifst du denn nicht, dass das nicht zusammenpasst?" Da sprach der einsame Palme, in dem manchmal nichts zusammenpasste, weil er sich zeit seines Lebens nach der behüteten Buddenbrook-Strindberg-Welt von Östermalm zurücksehnte.
Henrik Berggren: Olof Palme. Vor uns liegen wunderbare Tage.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf und Susanne Dahmann.
btb Verlag, München 2011. 718 S., 26,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Andreas Fanizadeh nimmt Henrik Berggrens umfangreiche Biografie des vor 25 Jahren ermordeten schwedischen Sozialdemokraten Olof Palme sehr positiv auf. Er attestiert dem Autor, das Leben des aus einem konservativ-bürgerlichen Elternhaus stammenden Politikers, der die Sozialdemokratische Partei in Schweden zum Erfolg führte und als Ministerpräsident sein Land von 1969 bis 1976 und von 1982 bis 1986 regierte, überaus packend zu beschreiben. Zudem gelingt es Berggren seines Erachtens, die Ereignisse in Schweden und die Politik der Sozialdemokratischen Partei im Kalten Krieg mit der weltpolitischen Lage erhellend zu verbinden. Entstanden ist in seinen Augen ein imponierendes"spannend und leicht" zu lesendes Werk, das in Schweden verständlicherweise zum Bestseller avancierte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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