Der Dichter Bertolt Brecht war fasziniert von "diesen ungeheuren Zementtöpfen", in denen er das "klügste und fairste Publikum" vermutete. Zu jenen Stadien, deren Architektur am meisten beeindrucken, zählt das Olymiastadion Berlin - Schauplatz der Olympischen Spiele von 1936. Die 131 Hektar große Sportstätte, die damals den Namen Reichssportfeld erhielt und die ihre Entstehung einem Befehl Hitlers verdankt, zählt zu den herausragenden Geschichtsdokumenten des 20. Jahrhunderts. Sie blieb die einzige realisierte Großanlage des "Dritten Reiches". Das Buch beschäftigt sich aber auch mit den beiden anderen archäologischen Schichten, die dort vorzufinden sind: Der Vorgängerbau des Reichssportfeldes war das Deutsche Stadion, das 1934 abgerissen wurde; nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände bis 1990 teilweise von den britischen Streitkräften als Hauptquartier genutzt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2000Volksschmiede, Vergnügungspark, Willensschule, Wembley-Ersatz
Wenn Deutschland im Juli den Zuschlag für die Fußball-Weltmeisterschaft bekommen sollte - und nicht wenige wichtige und einflussreiche Menschen setzen sich dafür ein -, wird das wichtigste Fußballspiel des Jahres 2006, das Endspiel, das große Finale, im Olympiastadion von 1936 in Berlin stattfinden. Als nationales Stadion geplant und als "Schöpfung des Dritten Reiches" eingeweiht, wird es dann insbesondere mit Direktübertragungen in alle Welt Fixpunkt größter internationaler Beachtung sein. Dies ist eine kuriose Vorstellung vor dem Hintergrund, dass die Bühne der Sommerspiele von 1936, das gesamte großzügige Areal mit bemerkenswerten Bauten und Sportanlagen nach dem Krieg weitgehend aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwunden ist. Nicht der Abzug der britischen Schutzmacht, die Teile der Anlage zu ihrem Hauptquartier gemacht und für die Wiederherstellung zerstörter Substanz gesorgt hatte, nicht der Hickhack zwischen Bund und Berlin um die Kosten für Erhalt und Modernisierung der Anlagen, ohne jeden Nachhall die Olympiabewerbung Berlins mit dem Stadion als wichtigster Sportstätte, ja nicht einmal die Bereitschaft des Berliner Senats, Teile der denkmalgeschützten Flächen einem Investor für Vergnügungspark und Kaufhausbau zu überlassen, wenn er denn nur das Fußball- und Leichtathletikstadion auf neuesten Stand bringe - nichts von alledem hat zu einer auch nur einigermaßen breiten Diskussion oder gar einer Einigung darüber geführt, was aus der Anlage werden soll.
Dabei ist das Olympiastadion seit der Rückkehr von Hertha BSC in die Fußball-Bundesliga und vor allem seit der jährlichen Austragung des deutschen Pokalfinales dort ein bisschen ein deutsches Wembley geworden. Aber das ist vermutlich kein Kompliment. Das Original-Wembley in London wird in diesem Jahr abgerissen zugunsten eines Neubaus.
Ob die Zukunft des Berliner Olympiastadions wirklich die Fußball-WM und eine angemessene Modernisierung sein werden? Wer weiß denn schon, was angemessen ist, da sich das Areal hinter dem unsäglichen Namen Reichssportfeld, hinter Drahtzäunen und einer undurchsichtigen, von Legenden durchrankten Geschichte verbirgt. Man muss nur ins Stadionschwimmbad gehen, um auf die Frage zu stoßen, ob das Nationale Olympische Komitee für Deutschland wirklich gut beraten war, aus dem Einmeißeln der Namen der Olympiasieger von 1936 die Tradition abzuleiten, alle deutschen Olympiasieger seitdem auf steinernen Platten zu verewigen.
Zu sehen und also auch zu verstehen wird fortan ein wunderbares Geschichtsbuch mit dem Untertitel "Steine beginnen zu reden" helfen. Volker Kluge hat es verfasst. Kaum jemals dürfte jemand mehr Details und Quellen zu diesem Thema zusammengetragen und ausgewertet, Zeitzeugen und deren Nachkommen nach Erinnerungen und Aufzeichnungen gefragt haben als er. Doch der Journalist und Chronist verliert sich nicht im Kleinklein, sondern beschreibt das Stadion und seine Bedeutung weit über den Sport hinaus - wie sonst wollte man ihm gerecht werden? Er beschreibt die Rolle der Architekten Otto, Walter und Werner March, Vater und Söhne, und er weist nach, wie Werner March nach dem Krieg bemüht war, seine Rolle als Architekt des Olympiastadions zum Unbedeutenden hin zu korrigieren. Er erzählt, wie der von Skandalen unberührte ehemalige Minister Viktor von Podbielski sich für den Bau des Stadions einsetzte, wie Carl Diem über die Jahre sich buchstäblich immer an vorderster Front für diesen Ort als Stätte nationaler Leibeserziehung und nationalistischer Opferbereitschaft einsetzte; bis hin zu einem Appell an die Opferbereitschaft von Hitlerjungen in den letzten Tagen des Krieges.
Doch nicht nur das macht schaudern. Schon die Namen, die in den zwanziger Jahren für das zentrale Sportforum erwogen wurden - von "Deutsche Volksschmiede" bis "Deutsche Kraft- und Willensschule" -, zeigen, mit welcher Gewalt Spiel und Sport zu nationalistisch erzieherischer und militaristisch gedrillter Leibesübung umgebogen wurden. Hitler musste, um seinen Propagandaerfolg Olympische Spiele zu sichern, mit harter Hand Fanatiker stoppen, die Leistungssport und Olympische Spiele als internationalistisch und liberalistisch ablehnten und etwa 1932 aus Protest Eichen auf der Laufbahn des Deutschen Stadions pflanzten, des Vorgängerbaus des Olympiastadions.
In ruhiger Meisterschaft bildet der Fotograf Harf Zimmermann Verfall und Abnutzung der Bauten und die Größe der Architektur zugleich ab; nicht wenige Gebäude sind offensichtlich der Moderne, nicht rückwärts gewandtem Pathos verpflichtet. Die Fotos haben einen erzählerischen Ton, der leise klingt, obwohl er nur ausnahmsweise Menschen in der Umgebung der sportlichen Bühne und der Ränge für einst hunderttausend Zuschauer zeigt. Man wünscht dem Buch schon ihretwillen ein größeres Format.
MICHAEL REINSCH
Besprochenes Buch: Volker Kluge: "Olympiastadion Berlin. Steine beginnen zu reden". Fotografiert von Harf Zimmermann. (Aus der Reihe: Straßen, Plätze und Bauten Berlins.) Parthas-Verlag, Berlin. 192 Seiten, 58 Mark.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn Deutschland im Juli den Zuschlag für die Fußball-Weltmeisterschaft bekommen sollte - und nicht wenige wichtige und einflussreiche Menschen setzen sich dafür ein -, wird das wichtigste Fußballspiel des Jahres 2006, das Endspiel, das große Finale, im Olympiastadion von 1936 in Berlin stattfinden. Als nationales Stadion geplant und als "Schöpfung des Dritten Reiches" eingeweiht, wird es dann insbesondere mit Direktübertragungen in alle Welt Fixpunkt größter internationaler Beachtung sein. Dies ist eine kuriose Vorstellung vor dem Hintergrund, dass die Bühne der Sommerspiele von 1936, das gesamte großzügige Areal mit bemerkenswerten Bauten und Sportanlagen nach dem Krieg weitgehend aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwunden ist. Nicht der Abzug der britischen Schutzmacht, die Teile der Anlage zu ihrem Hauptquartier gemacht und für die Wiederherstellung zerstörter Substanz gesorgt hatte, nicht der Hickhack zwischen Bund und Berlin um die Kosten für Erhalt und Modernisierung der Anlagen, ohne jeden Nachhall die Olympiabewerbung Berlins mit dem Stadion als wichtigster Sportstätte, ja nicht einmal die Bereitschaft des Berliner Senats, Teile der denkmalgeschützten Flächen einem Investor für Vergnügungspark und Kaufhausbau zu überlassen, wenn er denn nur das Fußball- und Leichtathletikstadion auf neuesten Stand bringe - nichts von alledem hat zu einer auch nur einigermaßen breiten Diskussion oder gar einer Einigung darüber geführt, was aus der Anlage werden soll.
Dabei ist das Olympiastadion seit der Rückkehr von Hertha BSC in die Fußball-Bundesliga und vor allem seit der jährlichen Austragung des deutschen Pokalfinales dort ein bisschen ein deutsches Wembley geworden. Aber das ist vermutlich kein Kompliment. Das Original-Wembley in London wird in diesem Jahr abgerissen zugunsten eines Neubaus.
Ob die Zukunft des Berliner Olympiastadions wirklich die Fußball-WM und eine angemessene Modernisierung sein werden? Wer weiß denn schon, was angemessen ist, da sich das Areal hinter dem unsäglichen Namen Reichssportfeld, hinter Drahtzäunen und einer undurchsichtigen, von Legenden durchrankten Geschichte verbirgt. Man muss nur ins Stadionschwimmbad gehen, um auf die Frage zu stoßen, ob das Nationale Olympische Komitee für Deutschland wirklich gut beraten war, aus dem Einmeißeln der Namen der Olympiasieger von 1936 die Tradition abzuleiten, alle deutschen Olympiasieger seitdem auf steinernen Platten zu verewigen.
Zu sehen und also auch zu verstehen wird fortan ein wunderbares Geschichtsbuch mit dem Untertitel "Steine beginnen zu reden" helfen. Volker Kluge hat es verfasst. Kaum jemals dürfte jemand mehr Details und Quellen zu diesem Thema zusammengetragen und ausgewertet, Zeitzeugen und deren Nachkommen nach Erinnerungen und Aufzeichnungen gefragt haben als er. Doch der Journalist und Chronist verliert sich nicht im Kleinklein, sondern beschreibt das Stadion und seine Bedeutung weit über den Sport hinaus - wie sonst wollte man ihm gerecht werden? Er beschreibt die Rolle der Architekten Otto, Walter und Werner March, Vater und Söhne, und er weist nach, wie Werner March nach dem Krieg bemüht war, seine Rolle als Architekt des Olympiastadions zum Unbedeutenden hin zu korrigieren. Er erzählt, wie der von Skandalen unberührte ehemalige Minister Viktor von Podbielski sich für den Bau des Stadions einsetzte, wie Carl Diem über die Jahre sich buchstäblich immer an vorderster Front für diesen Ort als Stätte nationaler Leibeserziehung und nationalistischer Opferbereitschaft einsetzte; bis hin zu einem Appell an die Opferbereitschaft von Hitlerjungen in den letzten Tagen des Krieges.
Doch nicht nur das macht schaudern. Schon die Namen, die in den zwanziger Jahren für das zentrale Sportforum erwogen wurden - von "Deutsche Volksschmiede" bis "Deutsche Kraft- und Willensschule" -, zeigen, mit welcher Gewalt Spiel und Sport zu nationalistisch erzieherischer und militaristisch gedrillter Leibesübung umgebogen wurden. Hitler musste, um seinen Propagandaerfolg Olympische Spiele zu sichern, mit harter Hand Fanatiker stoppen, die Leistungssport und Olympische Spiele als internationalistisch und liberalistisch ablehnten und etwa 1932 aus Protest Eichen auf der Laufbahn des Deutschen Stadions pflanzten, des Vorgängerbaus des Olympiastadions.
In ruhiger Meisterschaft bildet der Fotograf Harf Zimmermann Verfall und Abnutzung der Bauten und die Größe der Architektur zugleich ab; nicht wenige Gebäude sind offensichtlich der Moderne, nicht rückwärts gewandtem Pathos verpflichtet. Die Fotos haben einen erzählerischen Ton, der leise klingt, obwohl er nur ausnahmsweise Menschen in der Umgebung der sportlichen Bühne und der Ränge für einst hunderttausend Zuschauer zeigt. Man wünscht dem Buch schon ihretwillen ein größeres Format.
MICHAEL REINSCH
Besprochenes Buch: Volker Kluge: "Olympiastadion Berlin. Steine beginnen zu reden". Fotografiert von Harf Zimmermann. (Aus der Reihe: Straßen, Plätze und Bauten Berlins.) Parthas-Verlag, Berlin. 192 Seiten, 58 Mark.
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