Ein Bombenattentat auf das Olympia-Stadion in Stockholm, wenige Monate vor Eröffnung der Spiele, erschüttert die schwedische Öffentlichkeit. In den Trümmern findet die Polizei den zerfetzten Leichnam Christina Furhages, der Leiterin des Olympia-Komitees. Annika Bengtzon, Redaktionsleiterin der Stockholmer 'Abendpresse', recherchiert die Hintergründe des Anschlags. Bald muss sie jedoch feststellen, dass sie mit ihrer Berichterstattung gefährlichen Boden betritt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2000Olympische Mordspiele
Liza Marklund erfindet eine Kriminalreporterin, wie sie sein soll
Eine Lichtgestalt wie Christina Furhage ist hierzulande auch mit Hilfe angestrengten Nachdenkens kaum zu finden. Die 62jährige Chefin der schwedischen Olympia-Gesellschaft mit makelloser Biographie hat nicht nur ihre zögernden Landsleute davon überzeugt, daß Stockholm idealer Austragungsort für die Olympischen Sommerspiele 2000 sei, sondern auch die Herren des IOC, und dies offenbar nur mit Geist und Charme. Ihr öffentlicher Adorationsfaktor dürfte zwischen dem der schwedischen Königin und dem der gestorbenen Prinzessin von Wales liegen: Die Publizistik zollt Tribut etwa durch ihre Wahl zur "Frau des Jahres". Dieses Bild überdauert auch Frau Furhages gewaltsamen Tod um 3 Uhr 17 am Morgen des 18. Dezember 1999. Da wird sie von einer Detonation im Stockholmer Olympia-Stadion zerrissen, die gleichzeitig die Nordtribüne "ihres" Zentralbaus zerlegt, in dem sieben Monate später die Olympischen Spiele eröffnet werden sollen.
Gilt der Anschlag dem gesamten Olympia-Projekt? Die journalistische Mehrheit tendiert zu dieser Theorie, obgleich sich (noch) niemand zu dem Attentat bekennt. Annika Bengtzon - auch eine Lichtgestalt, aber anderer Art - findet hingegen Indizien und erhält Informationen, die auf einen gezielten Mord hinweisen, begangen von jemandem aus dem inneren Kreis der Olympia-Vorbereiter. Und darüber schreibt sie in der Stockholmer "Abendpresse", einem besseren Boulevardblatt, dessen Kriminalredaktion sie seit kurzer Zeit und zum großen Mißmut einiger Kolleginnen und Kollegen leitet. Sie weiß daher, daß besonders weibliche Führungskräfte Ziel beträchtlichen Aggressionspotentials sein können. Im Fall Furhage obendrein, und im Gegensatz zu ihrem - wie sich ihr schrittweise erschließt - sehr berechtigten Zorn: Der Karriereweg dieser Ikone ist gesäumt von Erpressungsopfern, gemobbten oder mißachteten Untergebenen und einem abgeschobenen und totgeschwiegenen frühen Kind; Motive auch für gravierende Schadenszufügung sind also reichlich vorhanden. Es gäbe deshalb keinen Grund, nicht tapfer an der Theorie vom Mord aus persönlichen Motiven an der Olympia-Chefin festzuhalten, ereignete sich nicht zwei Tage nach der ersten Explosion auf olympischen Terrain eine weitere, mit dem Vorarbeiter einer Baufirma als Opfer. Dieser Mord paßt zu Annika Bengtzons Erschrecken und zum höhnischen Triumph der Stinkstiefel in ihrer Redaktion so wenig ins Bild, daß sie bereit ist, ihren Job hinzuschmeißen. Da braucht es dann schon so etwas wie die väterliche Autorität des Chefredakteurs Anders Schymann, die junge Frau von einer so weitgehenden Spontanhandlung abzuhalten. Zu dieser moralischen Aufrüstung der Bedrängten kann sich der Chefredakteur im Rückblick nur gratulieren, denn es stellt sich nicht nur heraus, daß Annika Bengtzon ihren Suchscheinwerfer in die richtige Richtung gelenkt hatte, mit ihr verfügt er auch über die Inkarnation eines journalistischen Potentials, für das es sonst mindestens zweier Menschen bedarf, Woodward und Bernstein etwa, denn Frau Bengtzon weiß Quellen anzubohren, Menschen zum Reden zu bringen, unermüdlich zu recherchieren, richtig zu kombinieren und all dies flott und den Regeln journalistischer Ethik folgend zu Papier zu bringen.
Daß sie sich dann noch und bisweilen bis zur Grenze der Erschöpfung hingebungsvoll ihren zwei kleinen Kindern und ihrem Gatten widmet, macht sie obendrein menschlich sympathisch, so sehr, daß man ihr dringend wünscht, der lebensbedrohlichen Bredouille, in die sie im Zuge ihrer Recherche schließlich gerät, heil zu entkommen. Was, und mehr dazu dann aber nicht, schließlich auch gelingt, wobei ein Mobiltelefon skandinavischer Produktion, das Nokia 3110, entscheidenden Anteil hat. Annika Bengtzon steht somit der "Abendpresse" als journalistisch-kriminalistische Spürhündin weiter zur Verfügung und damit auch Liza Marklund, und es ist anzunehmen, daß dieses Gespann aus Heldin und Autorin noch einige Zeit beieinander bleiben wird. Denn sie ergänzen sich sehr gut: So genau Annika Bengtzon die Welt wahrnimmt, so genau wird sie von Liza Marklund beobachtet, in diesem Fall sechs Tage lang, und man mag ihnen beiden gerne folgen, weil die Geschichte spannend und ohne die in Zeiten schwindender Lektorate sonst verstärkt vorkommenden Nachlässigkeiten ist. Liza Marklund schreibt stark welthaltig, mit plastischen, bisweilen auch plakativen Bildern, und für die Anmutung von Authentizität dürfte es wohl hilfreich sein, daß die biografische Schnittmenge der Damen Bengtzon und Marklund beträchtlich ist. Das beginnt mit Lebensalter und Familienstand und endet nicht unbedingt schon mit der beruflichen Existenz: Frau Marklund arbeitet als Reporterin und Edelfeder in einer besseren Stockholmer Boulevardzeitung namens "Aftonbladet". Die Debatte, wie tief man zur Auflagensteigerung sinken darf, wird dort ähnlich verlaufen wie bei der "Abendpresse", und man kann ihr nur wünschen, daß es auch dort einen Helden des sauberen Journalismus und sauberen menschlichen Umgangs wie Chefredakteur Schyman gibt. Und all ihren Kolleginnen und Kollegen bei allen anderen Zeitungen sowie Hörfunk und Fernsehen auch. Die Frage, warum solche Menschen eher rar sind, erscheint da doch interessanter als die, ob "Olympisches Feuer" eher dem Journalismus oder der Literatur zuzuordnen ist.
BURKHARD SCHERER
Liza Marklund: "Olympisches Feuer". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Dagmar von Missfeldt. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000. 399 S., geb., 44,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Liza Marklund erfindet eine Kriminalreporterin, wie sie sein soll
Eine Lichtgestalt wie Christina Furhage ist hierzulande auch mit Hilfe angestrengten Nachdenkens kaum zu finden. Die 62jährige Chefin der schwedischen Olympia-Gesellschaft mit makelloser Biographie hat nicht nur ihre zögernden Landsleute davon überzeugt, daß Stockholm idealer Austragungsort für die Olympischen Sommerspiele 2000 sei, sondern auch die Herren des IOC, und dies offenbar nur mit Geist und Charme. Ihr öffentlicher Adorationsfaktor dürfte zwischen dem der schwedischen Königin und dem der gestorbenen Prinzessin von Wales liegen: Die Publizistik zollt Tribut etwa durch ihre Wahl zur "Frau des Jahres". Dieses Bild überdauert auch Frau Furhages gewaltsamen Tod um 3 Uhr 17 am Morgen des 18. Dezember 1999. Da wird sie von einer Detonation im Stockholmer Olympia-Stadion zerrissen, die gleichzeitig die Nordtribüne "ihres" Zentralbaus zerlegt, in dem sieben Monate später die Olympischen Spiele eröffnet werden sollen.
Gilt der Anschlag dem gesamten Olympia-Projekt? Die journalistische Mehrheit tendiert zu dieser Theorie, obgleich sich (noch) niemand zu dem Attentat bekennt. Annika Bengtzon - auch eine Lichtgestalt, aber anderer Art - findet hingegen Indizien und erhält Informationen, die auf einen gezielten Mord hinweisen, begangen von jemandem aus dem inneren Kreis der Olympia-Vorbereiter. Und darüber schreibt sie in der Stockholmer "Abendpresse", einem besseren Boulevardblatt, dessen Kriminalredaktion sie seit kurzer Zeit und zum großen Mißmut einiger Kolleginnen und Kollegen leitet. Sie weiß daher, daß besonders weibliche Führungskräfte Ziel beträchtlichen Aggressionspotentials sein können. Im Fall Furhage obendrein, und im Gegensatz zu ihrem - wie sich ihr schrittweise erschließt - sehr berechtigten Zorn: Der Karriereweg dieser Ikone ist gesäumt von Erpressungsopfern, gemobbten oder mißachteten Untergebenen und einem abgeschobenen und totgeschwiegenen frühen Kind; Motive auch für gravierende Schadenszufügung sind also reichlich vorhanden. Es gäbe deshalb keinen Grund, nicht tapfer an der Theorie vom Mord aus persönlichen Motiven an der Olympia-Chefin festzuhalten, ereignete sich nicht zwei Tage nach der ersten Explosion auf olympischen Terrain eine weitere, mit dem Vorarbeiter einer Baufirma als Opfer. Dieser Mord paßt zu Annika Bengtzons Erschrecken und zum höhnischen Triumph der Stinkstiefel in ihrer Redaktion so wenig ins Bild, daß sie bereit ist, ihren Job hinzuschmeißen. Da braucht es dann schon so etwas wie die väterliche Autorität des Chefredakteurs Anders Schymann, die junge Frau von einer so weitgehenden Spontanhandlung abzuhalten. Zu dieser moralischen Aufrüstung der Bedrängten kann sich der Chefredakteur im Rückblick nur gratulieren, denn es stellt sich nicht nur heraus, daß Annika Bengtzon ihren Suchscheinwerfer in die richtige Richtung gelenkt hatte, mit ihr verfügt er auch über die Inkarnation eines journalistischen Potentials, für das es sonst mindestens zweier Menschen bedarf, Woodward und Bernstein etwa, denn Frau Bengtzon weiß Quellen anzubohren, Menschen zum Reden zu bringen, unermüdlich zu recherchieren, richtig zu kombinieren und all dies flott und den Regeln journalistischer Ethik folgend zu Papier zu bringen.
Daß sie sich dann noch und bisweilen bis zur Grenze der Erschöpfung hingebungsvoll ihren zwei kleinen Kindern und ihrem Gatten widmet, macht sie obendrein menschlich sympathisch, so sehr, daß man ihr dringend wünscht, der lebensbedrohlichen Bredouille, in die sie im Zuge ihrer Recherche schließlich gerät, heil zu entkommen. Was, und mehr dazu dann aber nicht, schließlich auch gelingt, wobei ein Mobiltelefon skandinavischer Produktion, das Nokia 3110, entscheidenden Anteil hat. Annika Bengtzon steht somit der "Abendpresse" als journalistisch-kriminalistische Spürhündin weiter zur Verfügung und damit auch Liza Marklund, und es ist anzunehmen, daß dieses Gespann aus Heldin und Autorin noch einige Zeit beieinander bleiben wird. Denn sie ergänzen sich sehr gut: So genau Annika Bengtzon die Welt wahrnimmt, so genau wird sie von Liza Marklund beobachtet, in diesem Fall sechs Tage lang, und man mag ihnen beiden gerne folgen, weil die Geschichte spannend und ohne die in Zeiten schwindender Lektorate sonst verstärkt vorkommenden Nachlässigkeiten ist. Liza Marklund schreibt stark welthaltig, mit plastischen, bisweilen auch plakativen Bildern, und für die Anmutung von Authentizität dürfte es wohl hilfreich sein, daß die biografische Schnittmenge der Damen Bengtzon und Marklund beträchtlich ist. Das beginnt mit Lebensalter und Familienstand und endet nicht unbedingt schon mit der beruflichen Existenz: Frau Marklund arbeitet als Reporterin und Edelfeder in einer besseren Stockholmer Boulevardzeitung namens "Aftonbladet". Die Debatte, wie tief man zur Auflagensteigerung sinken darf, wird dort ähnlich verlaufen wie bei der "Abendpresse", und man kann ihr nur wünschen, daß es auch dort einen Helden des sauberen Journalismus und sauberen menschlichen Umgangs wie Chefredakteur Schyman gibt. Und all ihren Kolleginnen und Kollegen bei allen anderen Zeitungen sowie Hörfunk und Fernsehen auch. Die Frage, warum solche Menschen eher rar sind, erscheint da doch interessanter als die, ob "Olympisches Feuer" eher dem Journalismus oder der Literatur zuzuordnen ist.
BURKHARD SCHERER
Liza Marklund: "Olympisches Feuer". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Dagmar von Missfeldt. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000. 399 S., geb., 44,90 DM.
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