Gewinner des Kurd-Laßwitz-Preises 2017! Aurelius, vor zehntausend Jahren auf der legendären Erde geboren, ist einer von nur sechs Menschen, die Zugang zu Omni haben, einem Zusammenschluss von Superzivilisationen, der die Macht über die Milchstraße innehat. Nun erhält Aurelius seinen letzten Auftrag: Er soll verhindern, dass ein rätselhaftes Artefakt an Bord des im Hyperraum gestrandeten Raumschiffs Kuritania in falsche Hände gerät. Eine einflussreiche Schattenorganisation ist dem Wrack bereits auf der Spur. Der Agent Forrester und seine Tochter Zinnober sollen den Fund bergen und Aurelius entführen - denn mit seiner Hilfe könnte das Artefakt wieder aktiviert werden. Doch die Mission gerät außer Kontrolle - und Aurelius, Forrester und Zinnober finden sich in einem undurchsichtigen Spiel wieder, das die Zukunft der ganzen Menschheit bedroht ...
»Science Fiction vom Allerfeinsten. Hochspannende, intelligente und philosophische Space Opera vom derzeit besten deutschen Science Fiction Autor.« buchwelten.wordpress.com 20161101
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2016Das Schreiben von Welten als unendliches Risikospiel
Andreas Brandhorst gehört zu den erfahrensten Autoren deutschsprachiger Science Fiction. Mit "Omni" beginnt er ein neues Hauptwerk.
Von Dietmar Dath
Das Buch beginnt mit einem Abschied und endet mit einem Willkommensgruß. Die Zeit dazwischen fließt in viele Richtungen. Kausalität, der Zusammenhang von Ursache und Wirkung, ist in "Omni" von Andreas Brandhorst also nicht zwingend, wie bei Romanen sonst, Voraussetzung der Handlung, sondern nur eine der Tatsachen, die von den Handelnden bewegt werden - über ein Wesen in einem Raum höherer Ordnung heißt es daher etwa einmal, es habe wohl "ein kleines Stück der Realität durch ein anderes ersetzt".
Alle Figuren bewegen sich in diesem Buch, das ein mehrbändiges Epos der fernen Zukunft eröffnet, am Abgrund einer Tiefenzeit, die weit zurückreicht - nicht als lineare Zeitleiste allerdings, sondern als System von Tunnels, die hyperintelligente Wesen in die Hintergrundwirklichkeit unseres Universums gegraben haben. Einschübe und Rückblenden fädeln das Subjektive, das Brandhorsts Romanpersonal motiviert, durch diverse Ein- und Ausgänge dieser transhistorischen Tunnels. Auch sonst stellt sich das Buch quer zu Erwartungen an gefälliges Geradeauserzählen: Held und Heldin zum Beispiel sind nicht nur kein Liebespaar (vielmehr Vater und Tochter), sondern nicht einmal unbedingt die Hauptpersonen. Diese Rolle spielt eher ein zehntausend Jahre alter Reisender im Auftrag eines Bündnisses von Superzivilisationen, dessen Name der Romantitel ist. Aber der bleibt über lange Erzählstrecken hin eigentümlich passiv, ist aber auch nicht einfach Platzhalter des lesenden Bewusstseins, sondern als eine Art lebendes Vorhängeschloss zu einer Geheimtür im Text.
So scheinbar unbeweglich dieser Idealmensch Aurelius auf vielen hundert Seiten scheint, so bewegt geht's in ihm zu, und schließlich wird das freigekitzelt, aus der Reserve gelockt vom Spion Forrester und dessen Tochter Isdina-Iaschu, die nur zur Hälfte menschlich ist und deren Name in ihrer Muttersprache das Rot ihrer Haare und ihrer Augen bezeichnet, den Brandhorst mit "Zinnober" verdeutscht. Diese junge Frau ist ein ebenso zartes wie flammendes, gleichsam präraffaelitisches Porträt; einmal hören wir ihre Gedanken, die sind "ein sanftes Tröpfeln".
Nuancen wie diese haben es dem Autor überhaupt angetan, er nutzt alle feingeschatteten poetischen Ressourcen des Science-Fiction-Genres, um sie zu erzeugen, lässt im rechten Moment chemische Notlampen aufleuchten, Wesen aus Stein tief in kalten Stollen schlafen, schwarze Implantatfragmente in Augen Muster bilden, vernachlässigt darüber aber nie die Charakterzeichnung - nicht nur psychologisch, sondern auch sozial: Alle Figuren haben ihren gesellschaftlichen Ort, der lokale Tyrann wie der alte Geheimagent, der weiß, dass er in seinem Fach zwar gegen Gesetze verstoßen muss, diese Lizenz aber nicht mit Prinzipienlosigkeit verwechselt - "offenbar gibt es heute keine gründliche Arbeit mehr bei der Agentur", beschwert er sich einmal über die Killer und Lügner, die nach ihm kommen, und in diesem Satz erfahren wir über ihn so viel wie bei John le Carré aus ähnlichen Sätzen über ähnliche Männer.
Die James-Bond-Handlungsebene, auf der solche Sätze fallen, wird beherrscht von einem Gegenstand, den alle haben wollen, einem Gral oder (wie Hitchock derlei nannte) MacGuffin, dem Brandhorst einen doppeldeutigen Namen gegeben hat: Mal heißt das Gerät "Opus", mal "Kreator", es ist also einerseits eine Schöpfung, andererseits selbst schöpferisch, oder in Märchensprache: Der erfüllte Wunsch, sich noch mehr Wünsche erfüllen lassen zu dürfen. Dass schöpferische Intelligenz in gewissem Sinne nicht Ursache, sondern eher Feldeffekt von Schöpfungsakten und Geschöpfen ist, hat die Kunst- und Literaturtheorie des letzten Jahrhunderts bekanntlich breit beschäftigt und tief verwirrt, in "Omni" gehört dieser Zusammenhang zum spekulativen Baugerüst.
2016 war ein gutes Jahr für intelligente Science Fiction: Im Mai veröffentlichte die Historikerin und Schriftstellerin Ada Palmer den atemraubenden ersten Band ihres zweibändigen Hauptwerks "Terra Ignota", das in Konzept und Sprache mehr mit Nabokov oder Arno Schmidt zu tun hat als mit der ästhetischen Stangenware, die dem Stoff "Zukunft" sonst so oft zugemutet wird; im September erschien unter dem Titel "Death's End" der abschließende dritte Teil der genialen "Drei Sonnen"-Trilogie des Chinesen Cixin Liu endlich auf Englisch und gehört seither auch für westliches Publikum zur jungen phantastischen Weltliteratur des neuen Jahrtausends, und zum Jahresende hat mit Denis Villeneuves Ted-Chiang-Verfilmung "Arrival" sogar das Kino sich aufs Niveau der genannten Bücher hochgearbeitet.
Andreas Brandhorst, der die Techniken und Themen des Genres als Heftromanschreiber erlernt hat, gehört zu den Unentwegten, die sich von solchen Anfängen her bis in eine Zeit gerettet haben, in der von Christian Kracht über Juli Zeh bis Reinhard Jirgl zahlreiche feste Größen auch des deutschsprachigen Literaturbetriebs mit Science Fiction spielen (und, seltener, damit Ernst machen). Bekannt wurde Brandhorst unter Genrefans zwischen 1979 und 1981, als er zum Autorenstamm der Heftserie "Die Terranauten" zählte, die nichts mit dem gleichnamigen neuen Roman von T. C. Boyle zu tun hat, sondern als Alternative zu "Perry Rhodan" gedacht war - während bei der älteren und berühmteren Reihe die Zukunft mit einem Ausbruch aus dem Kräftegleichgewicht des Kalten Krieges beginnt, ist die Ausgangslage bei den Terranauten die vollendete Konvergenz zwischen dem westlichen Kapitalismus und der östlichen Diktatur, die als düstere Perspektive bei Adorno und Horkheimer einfach "die verwaltete Welt" heißt. Im "Terranauten"-Kosmos liegt die Macht daher bei einem staatsmonopolistischen "Konzil der Konzerne"; ein entferntes Echo hiervon sind wohl die "Korporationen" in "Omni", wie andere Bewusstseinsspuren älterer Werke und der alten Bundesrepublik hier zu finden sind. Es gibt zum Beispiel einen bösen Revanchisten, der sich an eine schmachvolle Niederlage erinnert: "Wenn wir damals gesiegt hätten, vielleicht mit Hilfe von Omni, welchen Platz nähmen die Menschen dann heute im Sagittariusarm unserer Galaxis ein?"
Neben zeitgeschichtlichen und selbstreflexiven Momenten kommt auch das deutsch-europäische Geisteserbe zu Wort - der alte Leibniz-Gedanke von Spiel und Widerspiel des Möglichen im Wirklichen, der "Kompossibilitäten", wird in "Omni"von der metaphysischen Vermutung zur physikalischen Naturgegebenheit: "Aurelius betrachtete das Glitzern auf den kleinen Wellen des Sees noch etwas länger, befragte seine Kontinua und erfuhr, dass sich die Wahrscheinlichkeiten erneut etwas verschoben, was ihn zu der einen oder anderen Improvisation zwang."
Der Schriftsteller spiegelt sich da in seinem Sternenwanderer: Brandhorst hat eine Standleitung zum Gesamtschatz des Genres im Kopf, zu allen seinen Möglichkeiten, so wie Aurelius mit dem Superzivilisationsverbund Omni verbunden ist. So verwirklicht sich der ehemalige Heftromanautor auf der schönsten Stufe der Selbsterschaffung, die ein Schriftsteller erreichen kann, nämlich beim Neubeginn eines Erfahrenen: Nachdem er in den Achtzigern teils allein, teils gemeinsam mit Horst Pukallus Einzelwerke und Zyklen geschrieben hatte, verlegte er sich hauptsächlich aufs Übersetzen (man darf ihn unter anderem die deutsche Synchronstimme von Terry Pratchett nennen), kehrte dann im neuen Jahrtausend zur Arbeit an eigenen Werken zurück, schuf für Heyne zwei Trilogien im Kosmos der insektenartigen Kantaki und eine Transzendenzphantasie in der Tradition von Wyndham Lewis und Richard Matheson namens "Die Stadt" (2001) und ist nach dem literarischen Testflug "Das Schiff" (2015) mit dem hier besprochenen ersten "Omni"-Band jetzt im Begriff, bei Piper einen veränderten, neu konfigurierten und erweiterten Andreas Brandhorst zu erfinden.
Damit ihm das gelingt, fügt er seine jüngste Schöpfung selbstbewusst ins allgemeine Kontinuum der Science Fiction ein, indem er Anspielungen, Grüße und Danksagungen in den Text webt: Zinnober wird einmal in starrem Material versiegelt wie Han Solo in "The Empire Strikes Back", ein Krankenhaus erinnert an die Orbitalstation des irischen Science-Fiction-Autors James White, und eine Kommunikationseinrichtung, die ohne Zeitverlust den Informationsaustausch über Lichtjahrdistanzen erlaubt, heißt "Ansible" wie bei Ursula K. LeGuin, die das Genre lehrte, dass eine Vorrichtung, mit der man einander jederzeit auf den neuesten Stand bringen kann, für ein kosmisches Abenteuer wichtiger ist als schnelle Transportmittel.
Alle diese Requisiten sind Metaphern, zu denen die Science Fiction bekanntlich ein anderes Verhältnis hat als andere Künste - sie nimmt sie sehr oft wörtlich, das heißt: Wenn in mimetischer Kunst jemand "versteinert", ist das die Umschreibung eines psychologischen Tatbestands, in der Science Fiction aber häufig eine wörtliche Behauptung. Dieses Genre tanzt auf der Schneide des geistigen Messers, das direkte von indirekter Bedeutung trennt. Brandhorst reizt das mit großem Geschick bis in Kleinigkeiten aus, etwa, wenn er den Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Erkenntnisvermögen thematisiert; "Sie waren blind und taub, obwohl sie als Crohani besser sahen und hörten als Menschen."
So gut kennt er das Genre, dass er sogar dessen liebste Klischees in Frage stellen kann: Als es einmal wie in Gene Roddenberrys "Star Trek" von gewissen Wirtschaftsräumen im All heißt, sie würden "bereits ganz auf Geld verzichten", merkt Brandhorst an, dieser Verzicht sei "angeblich ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu den Superzivilisationen von Omni".
Ein unscheinbareres Beiwort als dieses "angeblich" lässt sich kaum denken, aber darin steckt Brandhorsts wichtigstes Wissen: Wer heute die Zukunft denkt, kommt um die Kritik all der vielen Gedanken, die sich andere schon über die Zukunft gemacht haben, um die schöpferische Entfaltung der Widersprüche des bereits von Vorgängerinnen wie Le Guin und Vorgängern wie Roddenberry Geschaffenen nicht herum. Mit "Omni" ist der Eröffnungszug einer weiteren Partie in diesem riskantesten ästhetischen Spiel der Neuzeit gemacht. Und weil der Spieler so überlegt wie kühn anfängt, wird sich sein hoher Einsatz fürs Publikum lohnen.
Andreas Brandhorst: "Omni". Roman.
Piper Verlag, München 2016. 560 S., br., 15,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Andreas Brandhorst gehört zu den erfahrensten Autoren deutschsprachiger Science Fiction. Mit "Omni" beginnt er ein neues Hauptwerk.
Von Dietmar Dath
Das Buch beginnt mit einem Abschied und endet mit einem Willkommensgruß. Die Zeit dazwischen fließt in viele Richtungen. Kausalität, der Zusammenhang von Ursache und Wirkung, ist in "Omni" von Andreas Brandhorst also nicht zwingend, wie bei Romanen sonst, Voraussetzung der Handlung, sondern nur eine der Tatsachen, die von den Handelnden bewegt werden - über ein Wesen in einem Raum höherer Ordnung heißt es daher etwa einmal, es habe wohl "ein kleines Stück der Realität durch ein anderes ersetzt".
Alle Figuren bewegen sich in diesem Buch, das ein mehrbändiges Epos der fernen Zukunft eröffnet, am Abgrund einer Tiefenzeit, die weit zurückreicht - nicht als lineare Zeitleiste allerdings, sondern als System von Tunnels, die hyperintelligente Wesen in die Hintergrundwirklichkeit unseres Universums gegraben haben. Einschübe und Rückblenden fädeln das Subjektive, das Brandhorsts Romanpersonal motiviert, durch diverse Ein- und Ausgänge dieser transhistorischen Tunnels. Auch sonst stellt sich das Buch quer zu Erwartungen an gefälliges Geradeauserzählen: Held und Heldin zum Beispiel sind nicht nur kein Liebespaar (vielmehr Vater und Tochter), sondern nicht einmal unbedingt die Hauptpersonen. Diese Rolle spielt eher ein zehntausend Jahre alter Reisender im Auftrag eines Bündnisses von Superzivilisationen, dessen Name der Romantitel ist. Aber der bleibt über lange Erzählstrecken hin eigentümlich passiv, ist aber auch nicht einfach Platzhalter des lesenden Bewusstseins, sondern als eine Art lebendes Vorhängeschloss zu einer Geheimtür im Text.
So scheinbar unbeweglich dieser Idealmensch Aurelius auf vielen hundert Seiten scheint, so bewegt geht's in ihm zu, und schließlich wird das freigekitzelt, aus der Reserve gelockt vom Spion Forrester und dessen Tochter Isdina-Iaschu, die nur zur Hälfte menschlich ist und deren Name in ihrer Muttersprache das Rot ihrer Haare und ihrer Augen bezeichnet, den Brandhorst mit "Zinnober" verdeutscht. Diese junge Frau ist ein ebenso zartes wie flammendes, gleichsam präraffaelitisches Porträt; einmal hören wir ihre Gedanken, die sind "ein sanftes Tröpfeln".
Nuancen wie diese haben es dem Autor überhaupt angetan, er nutzt alle feingeschatteten poetischen Ressourcen des Science-Fiction-Genres, um sie zu erzeugen, lässt im rechten Moment chemische Notlampen aufleuchten, Wesen aus Stein tief in kalten Stollen schlafen, schwarze Implantatfragmente in Augen Muster bilden, vernachlässigt darüber aber nie die Charakterzeichnung - nicht nur psychologisch, sondern auch sozial: Alle Figuren haben ihren gesellschaftlichen Ort, der lokale Tyrann wie der alte Geheimagent, der weiß, dass er in seinem Fach zwar gegen Gesetze verstoßen muss, diese Lizenz aber nicht mit Prinzipienlosigkeit verwechselt - "offenbar gibt es heute keine gründliche Arbeit mehr bei der Agentur", beschwert er sich einmal über die Killer und Lügner, die nach ihm kommen, und in diesem Satz erfahren wir über ihn so viel wie bei John le Carré aus ähnlichen Sätzen über ähnliche Männer.
Die James-Bond-Handlungsebene, auf der solche Sätze fallen, wird beherrscht von einem Gegenstand, den alle haben wollen, einem Gral oder (wie Hitchock derlei nannte) MacGuffin, dem Brandhorst einen doppeldeutigen Namen gegeben hat: Mal heißt das Gerät "Opus", mal "Kreator", es ist also einerseits eine Schöpfung, andererseits selbst schöpferisch, oder in Märchensprache: Der erfüllte Wunsch, sich noch mehr Wünsche erfüllen lassen zu dürfen. Dass schöpferische Intelligenz in gewissem Sinne nicht Ursache, sondern eher Feldeffekt von Schöpfungsakten und Geschöpfen ist, hat die Kunst- und Literaturtheorie des letzten Jahrhunderts bekanntlich breit beschäftigt und tief verwirrt, in "Omni" gehört dieser Zusammenhang zum spekulativen Baugerüst.
2016 war ein gutes Jahr für intelligente Science Fiction: Im Mai veröffentlichte die Historikerin und Schriftstellerin Ada Palmer den atemraubenden ersten Band ihres zweibändigen Hauptwerks "Terra Ignota", das in Konzept und Sprache mehr mit Nabokov oder Arno Schmidt zu tun hat als mit der ästhetischen Stangenware, die dem Stoff "Zukunft" sonst so oft zugemutet wird; im September erschien unter dem Titel "Death's End" der abschließende dritte Teil der genialen "Drei Sonnen"-Trilogie des Chinesen Cixin Liu endlich auf Englisch und gehört seither auch für westliches Publikum zur jungen phantastischen Weltliteratur des neuen Jahrtausends, und zum Jahresende hat mit Denis Villeneuves Ted-Chiang-Verfilmung "Arrival" sogar das Kino sich aufs Niveau der genannten Bücher hochgearbeitet.
Andreas Brandhorst, der die Techniken und Themen des Genres als Heftromanschreiber erlernt hat, gehört zu den Unentwegten, die sich von solchen Anfängen her bis in eine Zeit gerettet haben, in der von Christian Kracht über Juli Zeh bis Reinhard Jirgl zahlreiche feste Größen auch des deutschsprachigen Literaturbetriebs mit Science Fiction spielen (und, seltener, damit Ernst machen). Bekannt wurde Brandhorst unter Genrefans zwischen 1979 und 1981, als er zum Autorenstamm der Heftserie "Die Terranauten" zählte, die nichts mit dem gleichnamigen neuen Roman von T. C. Boyle zu tun hat, sondern als Alternative zu "Perry Rhodan" gedacht war - während bei der älteren und berühmteren Reihe die Zukunft mit einem Ausbruch aus dem Kräftegleichgewicht des Kalten Krieges beginnt, ist die Ausgangslage bei den Terranauten die vollendete Konvergenz zwischen dem westlichen Kapitalismus und der östlichen Diktatur, die als düstere Perspektive bei Adorno und Horkheimer einfach "die verwaltete Welt" heißt. Im "Terranauten"-Kosmos liegt die Macht daher bei einem staatsmonopolistischen "Konzil der Konzerne"; ein entferntes Echo hiervon sind wohl die "Korporationen" in "Omni", wie andere Bewusstseinsspuren älterer Werke und der alten Bundesrepublik hier zu finden sind. Es gibt zum Beispiel einen bösen Revanchisten, der sich an eine schmachvolle Niederlage erinnert: "Wenn wir damals gesiegt hätten, vielleicht mit Hilfe von Omni, welchen Platz nähmen die Menschen dann heute im Sagittariusarm unserer Galaxis ein?"
Neben zeitgeschichtlichen und selbstreflexiven Momenten kommt auch das deutsch-europäische Geisteserbe zu Wort - der alte Leibniz-Gedanke von Spiel und Widerspiel des Möglichen im Wirklichen, der "Kompossibilitäten", wird in "Omni"von der metaphysischen Vermutung zur physikalischen Naturgegebenheit: "Aurelius betrachtete das Glitzern auf den kleinen Wellen des Sees noch etwas länger, befragte seine Kontinua und erfuhr, dass sich die Wahrscheinlichkeiten erneut etwas verschoben, was ihn zu der einen oder anderen Improvisation zwang."
Der Schriftsteller spiegelt sich da in seinem Sternenwanderer: Brandhorst hat eine Standleitung zum Gesamtschatz des Genres im Kopf, zu allen seinen Möglichkeiten, so wie Aurelius mit dem Superzivilisationsverbund Omni verbunden ist. So verwirklicht sich der ehemalige Heftromanautor auf der schönsten Stufe der Selbsterschaffung, die ein Schriftsteller erreichen kann, nämlich beim Neubeginn eines Erfahrenen: Nachdem er in den Achtzigern teils allein, teils gemeinsam mit Horst Pukallus Einzelwerke und Zyklen geschrieben hatte, verlegte er sich hauptsächlich aufs Übersetzen (man darf ihn unter anderem die deutsche Synchronstimme von Terry Pratchett nennen), kehrte dann im neuen Jahrtausend zur Arbeit an eigenen Werken zurück, schuf für Heyne zwei Trilogien im Kosmos der insektenartigen Kantaki und eine Transzendenzphantasie in der Tradition von Wyndham Lewis und Richard Matheson namens "Die Stadt" (2001) und ist nach dem literarischen Testflug "Das Schiff" (2015) mit dem hier besprochenen ersten "Omni"-Band jetzt im Begriff, bei Piper einen veränderten, neu konfigurierten und erweiterten Andreas Brandhorst zu erfinden.
Damit ihm das gelingt, fügt er seine jüngste Schöpfung selbstbewusst ins allgemeine Kontinuum der Science Fiction ein, indem er Anspielungen, Grüße und Danksagungen in den Text webt: Zinnober wird einmal in starrem Material versiegelt wie Han Solo in "The Empire Strikes Back", ein Krankenhaus erinnert an die Orbitalstation des irischen Science-Fiction-Autors James White, und eine Kommunikationseinrichtung, die ohne Zeitverlust den Informationsaustausch über Lichtjahrdistanzen erlaubt, heißt "Ansible" wie bei Ursula K. LeGuin, die das Genre lehrte, dass eine Vorrichtung, mit der man einander jederzeit auf den neuesten Stand bringen kann, für ein kosmisches Abenteuer wichtiger ist als schnelle Transportmittel.
Alle diese Requisiten sind Metaphern, zu denen die Science Fiction bekanntlich ein anderes Verhältnis hat als andere Künste - sie nimmt sie sehr oft wörtlich, das heißt: Wenn in mimetischer Kunst jemand "versteinert", ist das die Umschreibung eines psychologischen Tatbestands, in der Science Fiction aber häufig eine wörtliche Behauptung. Dieses Genre tanzt auf der Schneide des geistigen Messers, das direkte von indirekter Bedeutung trennt. Brandhorst reizt das mit großem Geschick bis in Kleinigkeiten aus, etwa, wenn er den Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Erkenntnisvermögen thematisiert; "Sie waren blind und taub, obwohl sie als Crohani besser sahen und hörten als Menschen."
So gut kennt er das Genre, dass er sogar dessen liebste Klischees in Frage stellen kann: Als es einmal wie in Gene Roddenberrys "Star Trek" von gewissen Wirtschaftsräumen im All heißt, sie würden "bereits ganz auf Geld verzichten", merkt Brandhorst an, dieser Verzicht sei "angeblich ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu den Superzivilisationen von Omni".
Ein unscheinbareres Beiwort als dieses "angeblich" lässt sich kaum denken, aber darin steckt Brandhorsts wichtigstes Wissen: Wer heute die Zukunft denkt, kommt um die Kritik all der vielen Gedanken, die sich andere schon über die Zukunft gemacht haben, um die schöpferische Entfaltung der Widersprüche des bereits von Vorgängerinnen wie Le Guin und Vorgängern wie Roddenberry Geschaffenen nicht herum. Mit "Omni" ist der Eröffnungszug einer weiteren Partie in diesem riskantesten ästhetischen Spiel der Neuzeit gemacht. Und weil der Spieler so überlegt wie kühn anfängt, wird sich sein hoher Einsatz fürs Publikum lohnen.
Andreas Brandhorst: "Omni". Roman.
Piper Verlag, München 2016. 560 S., br., 15,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main