"This book offers the reader a luminous meditation on Elizabeth Bishop's poetry. It focuses, among other things, on the restraint of her style and the power of the unsaid in her work. But more than that: Colm Toibin meshes his journey as a writer with hers, showing with unique eloquence how her poems have entered and guided his life. I have no doubt this book will become one of the essential texts on Bishop's work."--Eavan Boland, author of "A Woman Without a Country: Poems" "Colm Toibin--a sensitive critic as well as a novelist--has written an almost ideal introduction to the poetry of Elizabeth Bishop. This could become "the" introduction to Bishop for people who intend to read her for pleasure."--Stephen Burt, author of "Close Calls with Nonsense: Reading New Poetry""
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2015Wie gelesene Texte zu gelebten werden
Der irische Erzähler Colm Tóibín hat eine Abhandlung über die Dichterin Elizabeth Bishop verfasst. Seine Annäherung liest sich wie eine große Reiseerzählung zur Erkundung poetischer Sprache.
Kein Romancier könnte eine fiktive Figur sorgfältiger beobachten als dieser Schriftsteller diese Dichterin: Offen teilt er mit, dass sie sich häufig von einer Zeile zur nächsten berichtigt oder präzisiert; erhellend fällt ihm auf, dass ihre Gedichte auch da, wo sie melodisch fließen, dunkle Unterströmungen kennen; und wie in einen Entwicklungsroman über den Weg der Heldin zur eigenen Stimme charakterisiert er ihre dörfliche Heimat in Nova Scotia als einen Ort, wo Wörter die menschliche Erfahrung nicht schmücken, sondern tieferlegen sollen, "to take it down to a level where it might stay".
Der Autor dieser Formulierung, Colm Tóibín, schreibt seiner eigenen Heimat, dem irischen Südosten, eine ähnliche Nüchternheit zu - bestimmte semantische, grammatische, den Wortbestand ordnende Sachverhalte sind für ihn etwas Geographisches. Man denkt da unwillkürlich an die "Landschaft für ein Epigramm", die Karl Kraus bedichtet hat, und sieht ein, dass einer, der Welt und Sprache auf diese Weise zueinander in Beziehung setzen will, sich zum Schaffen einer Frau hingezogen fühlen muss, deren 1946 veröffentlichter erster Gedichtband "North & South" hieß und deren Schaffen zu Lebzeiten mit dem Band "Geography III" seinen Abschluss fand. Tóibíns 1990 veröffentlichter Debütroman heißt "The South"; seine Heldin flieht aus einem strengen Land in ein kaum freieres.
Die Lyrikerin Elizabeth Bishop, die Cólm Tóibíns neuestem Buch Anlass für eine Reiseerzählung durch Gegenden aus Sprache gegeben hat, schrieb Gedichte von großer persönlicher Tiefenresonanz; Verse, die auf eine ebenso erschütterbare wie formbewusste Seele schließen lassen.
Weil Gedichte als gebundene Rede eine besondere Form literarischer Autonomie verkörpern (nach einem Dichterwort sind sie von Stille begrenzt wie eine Skulptur vom Raum, der sie umgibt), verführen sie beim Lesen oft dazu, dass man sich die Person, die da spricht, vorstellt und ausmalt, gleichgültig, ob sie als konkretes lyrisches Ich in Erscheinung tritt oder nicht.
Auch Elizabeth Bishop ist von denen imaginiert und porträtiert worden, die ihr Werk angesprochen hat; die bislang anschaulichste dieser Phantasien trägt einen Film namens "Floras Raras" (deutsch, sehr blass: "Die Poetin") von Bruno Barreto aus dem Jahr 2013. Tóibíns knappe Monographie "On Elizabeth Bishop" aber bietet Bilder, neben denen alles, was eine Kamera zeigen könnte, abgegriffen aussieht: Er stellt sich neben sie ans Meer, er zeigt sie überrascht oder, beim Lesen fremder Gedichte, unbehaglich skeptisch und besitzt genug Selbstbewusstsein, nicht mit Metaphern zu geizen wie dem Vergleich von Versen mit einem Boot, das ausgesandt ist, jemanden zu retten - kurz das kleine Buch spricht seine Wahrheiten mit derselben klaren, zärtlichen und manchmal grollenden Stimme aus, die der Welt auch Tóibíns Romane wie "The Story of the Night" (1996) oder "The Testament of Mary" (2012) erzählt hat. Man lernt ihn, der heute sechzig Jahre alt wird, in "On Elizabeth Bishop" so gut kennen wie die Frau, der er da auf der Spur ist.
Das Erfahrungs- und Deutungsgewebe, in dem Tóibíns Sprache hier die der Dichterin am Ende durchdringt, als hätte nicht allein er sie, sondern auch sie ihn gelesen, spannt er gegen Ende des Buches noch einmal bis kurz vor den Zerreißpunkt, indem er indirekt die Frage stellt, ob das, was er da getan hat, überhaupt statthaft sei - darf man philologische Befunde wie Erlebnisse behandeln, darf man aus gelesenen Texten gelebte machen? Bishops Vertraute, berichtet Tóibín, Leute wie Robert Lowell und Marianne Moore, haben das auch getan, sie selbst ebenfalls.
An diesem Punkt der Abhandlung scheint ein Rätsel auf, das interessanter ist als alle Vermutungen, die man beim Lesen von Gedichten über den Charakter der Individuen anstellen kann, die sie schreiben: Wer sind eigentlich die idealen Adressaten für Verse? Sind es, wie nicht nur Harold Bloom vermutet hat, am Ende überhaupt keine natürlichen Personen, die man etwa einer amorphen Menge namens "das Publikum" zuschlagen könnte, sondern, auf Augenhöhe, immer nur andere Dichter?
Zu Beginn von Barretos Film liest Elizabeth Bishop eines ihrer Gedichte Robert Lowell auf der Parkbank vor; die Szene gehört zu den sehr wenigen glaubwürdig gefilmten Lesungen der Kinogeschichte. Wo Colm Tóibín Fragen nach dem inneren Seelenwert eines Gedichts als Fragen der Landschaft wie der Sprachrhythmen untersucht, legt er eine andere Antwort nahe, eine, die noch kühner ist als Blooms Einfluss- und Abstoßungsmodell: Die Lyrik redet nicht einmal mit den Lyrikern, sie redet mit ihren möglichen Sehnsuchtsorten, zwischen denen sie sich, anders als die Menschen auf der Welt, nie eindeutig entscheiden muss.
DIETMAR DATH
Colm Tóibín: "On Elizabeth Bishop".
Princeton University Press, Princeton 2015. 224 S.,
geb., 19,95 $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der irische Erzähler Colm Tóibín hat eine Abhandlung über die Dichterin Elizabeth Bishop verfasst. Seine Annäherung liest sich wie eine große Reiseerzählung zur Erkundung poetischer Sprache.
Kein Romancier könnte eine fiktive Figur sorgfältiger beobachten als dieser Schriftsteller diese Dichterin: Offen teilt er mit, dass sie sich häufig von einer Zeile zur nächsten berichtigt oder präzisiert; erhellend fällt ihm auf, dass ihre Gedichte auch da, wo sie melodisch fließen, dunkle Unterströmungen kennen; und wie in einen Entwicklungsroman über den Weg der Heldin zur eigenen Stimme charakterisiert er ihre dörfliche Heimat in Nova Scotia als einen Ort, wo Wörter die menschliche Erfahrung nicht schmücken, sondern tieferlegen sollen, "to take it down to a level where it might stay".
Der Autor dieser Formulierung, Colm Tóibín, schreibt seiner eigenen Heimat, dem irischen Südosten, eine ähnliche Nüchternheit zu - bestimmte semantische, grammatische, den Wortbestand ordnende Sachverhalte sind für ihn etwas Geographisches. Man denkt da unwillkürlich an die "Landschaft für ein Epigramm", die Karl Kraus bedichtet hat, und sieht ein, dass einer, der Welt und Sprache auf diese Weise zueinander in Beziehung setzen will, sich zum Schaffen einer Frau hingezogen fühlen muss, deren 1946 veröffentlichter erster Gedichtband "North & South" hieß und deren Schaffen zu Lebzeiten mit dem Band "Geography III" seinen Abschluss fand. Tóibíns 1990 veröffentlichter Debütroman heißt "The South"; seine Heldin flieht aus einem strengen Land in ein kaum freieres.
Die Lyrikerin Elizabeth Bishop, die Cólm Tóibíns neuestem Buch Anlass für eine Reiseerzählung durch Gegenden aus Sprache gegeben hat, schrieb Gedichte von großer persönlicher Tiefenresonanz; Verse, die auf eine ebenso erschütterbare wie formbewusste Seele schließen lassen.
Weil Gedichte als gebundene Rede eine besondere Form literarischer Autonomie verkörpern (nach einem Dichterwort sind sie von Stille begrenzt wie eine Skulptur vom Raum, der sie umgibt), verführen sie beim Lesen oft dazu, dass man sich die Person, die da spricht, vorstellt und ausmalt, gleichgültig, ob sie als konkretes lyrisches Ich in Erscheinung tritt oder nicht.
Auch Elizabeth Bishop ist von denen imaginiert und porträtiert worden, die ihr Werk angesprochen hat; die bislang anschaulichste dieser Phantasien trägt einen Film namens "Floras Raras" (deutsch, sehr blass: "Die Poetin") von Bruno Barreto aus dem Jahr 2013. Tóibíns knappe Monographie "On Elizabeth Bishop" aber bietet Bilder, neben denen alles, was eine Kamera zeigen könnte, abgegriffen aussieht: Er stellt sich neben sie ans Meer, er zeigt sie überrascht oder, beim Lesen fremder Gedichte, unbehaglich skeptisch und besitzt genug Selbstbewusstsein, nicht mit Metaphern zu geizen wie dem Vergleich von Versen mit einem Boot, das ausgesandt ist, jemanden zu retten - kurz das kleine Buch spricht seine Wahrheiten mit derselben klaren, zärtlichen und manchmal grollenden Stimme aus, die der Welt auch Tóibíns Romane wie "The Story of the Night" (1996) oder "The Testament of Mary" (2012) erzählt hat. Man lernt ihn, der heute sechzig Jahre alt wird, in "On Elizabeth Bishop" so gut kennen wie die Frau, der er da auf der Spur ist.
Das Erfahrungs- und Deutungsgewebe, in dem Tóibíns Sprache hier die der Dichterin am Ende durchdringt, als hätte nicht allein er sie, sondern auch sie ihn gelesen, spannt er gegen Ende des Buches noch einmal bis kurz vor den Zerreißpunkt, indem er indirekt die Frage stellt, ob das, was er da getan hat, überhaupt statthaft sei - darf man philologische Befunde wie Erlebnisse behandeln, darf man aus gelesenen Texten gelebte machen? Bishops Vertraute, berichtet Tóibín, Leute wie Robert Lowell und Marianne Moore, haben das auch getan, sie selbst ebenfalls.
An diesem Punkt der Abhandlung scheint ein Rätsel auf, das interessanter ist als alle Vermutungen, die man beim Lesen von Gedichten über den Charakter der Individuen anstellen kann, die sie schreiben: Wer sind eigentlich die idealen Adressaten für Verse? Sind es, wie nicht nur Harold Bloom vermutet hat, am Ende überhaupt keine natürlichen Personen, die man etwa einer amorphen Menge namens "das Publikum" zuschlagen könnte, sondern, auf Augenhöhe, immer nur andere Dichter?
Zu Beginn von Barretos Film liest Elizabeth Bishop eines ihrer Gedichte Robert Lowell auf der Parkbank vor; die Szene gehört zu den sehr wenigen glaubwürdig gefilmten Lesungen der Kinogeschichte. Wo Colm Tóibín Fragen nach dem inneren Seelenwert eines Gedichts als Fragen der Landschaft wie der Sprachrhythmen untersucht, legt er eine andere Antwort nahe, eine, die noch kühner ist als Blooms Einfluss- und Abstoßungsmodell: Die Lyrik redet nicht einmal mit den Lyrikern, sie redet mit ihren möglichen Sehnsuchtsorten, zwischen denen sie sich, anders als die Menschen auf der Welt, nie eindeutig entscheiden muss.
DIETMAR DATH
Colm Tóibín: "On Elizabeth Bishop".
Princeton University Press, Princeton 2015. 224 S.,
geb., 19,95 $.
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