Oliver Sacks war der berühmteste Neurologe der Welt. Mit seinen Fallgeschichten hat er uns einen neuen Blick auf Krankheiten und Abweichungen gelehrt: was bei einem Patienten auf den ersten Blick als Störung erscheint, ermöglicht oft besondere Fähigkeiten der Wahrnehmung.
Mit diesem Buch hat Sacks eine von fesselnder Energie getriebene Autobiographie vorgelegt. Ehrlich und anrührend beschreibt er die wichtigsten Stationen seines Lebens - das enge Großbritannien der Nachkriegszeit, das anarchische Kalifornien der frühen Sechziger, schließlich das ewig pulsierende New York. Ob er in der Forschung tätig ist oder in der klinischen Praxis, konstant bleiben die Begeisterung für die Arbeit mit den Patienten und das Schreiben darüber.
Gerühmt für seine feinsinnigen Fallgeschichten, analysiert Sacks hier seinen eigenen Fall: Er erzählt von erfüllter und unerfüllter Liebe, der Beziehung zu seiner jüdischen Medizinerfamilie, zeitweiliger Drogensucht und exzessivem Bodybuilding, und von unbändigen Glücksgefühlen auf den Road Trips durch die Weiten Nordamerikas.
Die Lebensbilanz eines außergewöhnlichen Mediziners - und das Meisterwerk eines großartigen Erzählers.
Mit diesem Buch hat Sacks eine von fesselnder Energie getriebene Autobiographie vorgelegt. Ehrlich und anrührend beschreibt er die wichtigsten Stationen seines Lebens - das enge Großbritannien der Nachkriegszeit, das anarchische Kalifornien der frühen Sechziger, schließlich das ewig pulsierende New York. Ob er in der Forschung tätig ist oder in der klinischen Praxis, konstant bleiben die Begeisterung für die Arbeit mit den Patienten und das Schreiben darüber.
Gerühmt für seine feinsinnigen Fallgeschichten, analysiert Sacks hier seinen eigenen Fall: Er erzählt von erfüllter und unerfüllter Liebe, der Beziehung zu seiner jüdischen Medizinerfamilie, zeitweiliger Drogensucht und exzessivem Bodybuilding, und von unbändigen Glücksgefühlen auf den Road Trips durch die Weiten Nordamerikas.
Die Lebensbilanz eines außergewöhnlichen Mediziners - und das Meisterwerk eines großartigen Erzählers.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2015Dr. Squat oder Wie ich lernte, meine Muskeln zu lieben
Wenige Monate nach seiner Krebsdiagnose legt der Nervenarzt und Bestsellerautor Oliver Sacks seine Autobiographie vor
Oliver Sacks ist der Autor, der Neurologisches in die Bestsellerlisten brachte. Nicht wie bald nach ihm die mit großen Thesen und Spekulationen aufwartenden Kollegen aus der neurowissenschaftlichen Forschung, sondern mit dem Erzählen von Geschichten: Fallgeschichten aus der neurologischen und psychiatrischen Praxis, die vor Augen führen, wie leicht unsere Welt- und Selbstverhältnis durch Dysfunktionalitäten verschiedener Art aus dem Gleis geraten kann. Geschichten aber auch, die Sacks nie von den konkreten Fällen, also den Patienten, ablöste, die mit diesen Störungen zurechtzukommen suchen und dabei mitunter erstaunliche Findigkeit, Kompensationskunst und Ausdruckskraft unter Beweis stellen.
Im Februar dieses Jahres veröffentlichte der mittlerweile einundachtzig Jahre alte Oliver Sacks einen kurzen Beitrag in der "New York Times", in dem er berichtete, dass ihm wegen einer Krebserkrankung nur noch wenige Monate zu leben bleiben. Es war ein gelassener Text, Evokation eines reichen Lebens; eine Reihe von Büchern habe er in den letzten fünfzehn Jahren publiziert, einige andere mittlerweile fast abgeschlossen und seine Autobiographie stehe ja vor dem Erscheinen. Nun liegt sie, nur wenige Wochen nach der englischen Originalausgabe, auch auf Deutsch vor.
"On the Move" ist kein auskomponiertes Buch, sondern eine Folge von bewegten Geschichten, die aneinandergereiht werden. Die beginnt 1933 in London, wo Sacks als Kind eines jüdischen Ärzteehepaars - der Vater ist Allgemeinmediziner, die Mutter Chirurgin - zur Welt kommt. Der Sohn folgt mit seiner Berufswahl den Eltern, nachdem ihn lange die Chemie faszinierte, wovon er in "Onkel Wolfram", seinem vor Jahren schon erschienenen Rückblick auf die Jugendjahre berichtete. Noch in England beginnt er seine ärztliche Tätigkeit, geht dann aber, um der Wehrpflicht zu entkommen, Anfang der sechziger Jahre in die Vereinigten Staaten: zuerst nach San Francisco, einige Jahre später nach New York, wo er am Einstein College versucht, sein Interesse an Neuropathologie und Neurochemie in Laborarbeit umzusetzen, aber doch schnell erkennt, dass darin nicht seine Stärke liegt.
Ein gerader Karriereweg wird es nicht. Aber den Patienten in der Kopfschmerzklinik in der Bronx weiß er zuzuhören. Sein erstes Buch, über Migräne, verdankt sich ihrem Anstoß. Zuvor schon hatte er Bücher des sowjetischen Neuropsychologen Alexander Lurija entdeckt, der ihm mit seinen Fallgeschichten, die gewieftes Erzählen und Wissenschaft verknüpfen, den Weg weist. Mit "Awakenings" macht er 1973 den ersten Versuch: Er hatte Überlebende der großen Schlafkrankheit-Epidemie der zwanziger Jahre entdeckt, die seitdem weitgehend regungslos im Pflegeheim lebten. Er behandelte sie mit der Droge L-dopa - und die Erstarrten erwachten zu eigenwilligem Leben; es ist keine Heilung, er muss die Droge auch wieder absetzen, aber doch eine spektakuläre, anrührende Wirkung.
1990 inszeniert man sie dann in Hollywood, andere Filme nach Sacks' Büchern sollten folgen. Denn der Durchbruch als Autor war ihm da bereits gelungen, Mitte der achtziger Jahre, als seine erste Sammlung von Fallgeschichten erschien, "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte". Zuvor hatte er ein eigentlich noch beeindruckenderes Buch publiziert, "Der Tag, als mein Bein fortging", das von ihm selbst als Fall handelt. Als Arzt und Berater psychiatrischer Abteilungen New Yorker Krankenhäuser arbeitete Sacks weiterhin, in späten Jahren kam noch eine Professur hinzu.
Was nun aber alles geradliniger und wohlgeordneter klingt, als es das Buch ist, ein Flickenteppich von Geschichten, die sich gar nicht an die Chronologie halten. Da stehen am Beginn die entsetzte Reaktion der Mutter über die homosexuelle Neigung ihres Sohnes. Bevor er diese ausleben konnte, stand sogar ein Besuch bei einer von Verwandten ausgesuchten Prostituierten in Paris auf dem Programm. Aber auch sie kann den gut aussehenden und schüchternen Londoner nicht auf die von der Familie als richtig erachtete Geschlechtsseite ziehen.
Und von Liebes- und Bettgeschichten und Familienerfahrungen ist dann noch oft die Rede und von der tiefen Faszination am Motorradfahren, vom intensiv betriebenenen Gewichtheben im Londoner Club oder später am Muscle Beach von Venice, wo "Dr. Squat" - der Name steht für eine schweißtreibende Hantelübung - sich mit seinen muskulösen 115 Kilo Respekt zu verschaffen weiß, von der Drogenerfahrung dank exzessiven Amphetaminkonsums, von Freunden und Typen aus ganz verschiedenen Ecken der Gesellschaft, von Häusern und Reisen, Schreibblockaden und Autorenglück.
Dass er an diesem Text, für den sich der obsessive Tagebuchschreiber auf seine Notizbücher stützte, lange gebosselt hätte, wie das bei seinen Fallgeschichten offenbar manchmal der Fall war, wird man kaum annehmen. Literarischen Anspruch erhebt er nicht. Und ob man wirklich wissen muss, wo der Mohnkuchen am saftigsten war, wie die Geschichte mit dem explodierenden Fitnessgetränk im Club der starken Männer lief oder der Orgasmus zur Unzeit mit Mel - dem Leser bleibt die Antwort überlassen. Aber selbst wenn man zu jenen zählt, die etwas weniger Anekdotengestöber vorziehen - diesem ganz uneitlen Mann, der sich durch die Geschichten seines Lebens schlägt, kann man den Respekt unmöglich versagen.
HELMUT MAYER
Oliver Sacks: "On the Move". Mein Leben.
Aus dem Englischen von Hainer Kober. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2015. 445 S., Abb., geb. 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenige Monate nach seiner Krebsdiagnose legt der Nervenarzt und Bestsellerautor Oliver Sacks seine Autobiographie vor
Oliver Sacks ist der Autor, der Neurologisches in die Bestsellerlisten brachte. Nicht wie bald nach ihm die mit großen Thesen und Spekulationen aufwartenden Kollegen aus der neurowissenschaftlichen Forschung, sondern mit dem Erzählen von Geschichten: Fallgeschichten aus der neurologischen und psychiatrischen Praxis, die vor Augen führen, wie leicht unsere Welt- und Selbstverhältnis durch Dysfunktionalitäten verschiedener Art aus dem Gleis geraten kann. Geschichten aber auch, die Sacks nie von den konkreten Fällen, also den Patienten, ablöste, die mit diesen Störungen zurechtzukommen suchen und dabei mitunter erstaunliche Findigkeit, Kompensationskunst und Ausdruckskraft unter Beweis stellen.
Im Februar dieses Jahres veröffentlichte der mittlerweile einundachtzig Jahre alte Oliver Sacks einen kurzen Beitrag in der "New York Times", in dem er berichtete, dass ihm wegen einer Krebserkrankung nur noch wenige Monate zu leben bleiben. Es war ein gelassener Text, Evokation eines reichen Lebens; eine Reihe von Büchern habe er in den letzten fünfzehn Jahren publiziert, einige andere mittlerweile fast abgeschlossen und seine Autobiographie stehe ja vor dem Erscheinen. Nun liegt sie, nur wenige Wochen nach der englischen Originalausgabe, auch auf Deutsch vor.
"On the Move" ist kein auskomponiertes Buch, sondern eine Folge von bewegten Geschichten, die aneinandergereiht werden. Die beginnt 1933 in London, wo Sacks als Kind eines jüdischen Ärzteehepaars - der Vater ist Allgemeinmediziner, die Mutter Chirurgin - zur Welt kommt. Der Sohn folgt mit seiner Berufswahl den Eltern, nachdem ihn lange die Chemie faszinierte, wovon er in "Onkel Wolfram", seinem vor Jahren schon erschienenen Rückblick auf die Jugendjahre berichtete. Noch in England beginnt er seine ärztliche Tätigkeit, geht dann aber, um der Wehrpflicht zu entkommen, Anfang der sechziger Jahre in die Vereinigten Staaten: zuerst nach San Francisco, einige Jahre später nach New York, wo er am Einstein College versucht, sein Interesse an Neuropathologie und Neurochemie in Laborarbeit umzusetzen, aber doch schnell erkennt, dass darin nicht seine Stärke liegt.
Ein gerader Karriereweg wird es nicht. Aber den Patienten in der Kopfschmerzklinik in der Bronx weiß er zuzuhören. Sein erstes Buch, über Migräne, verdankt sich ihrem Anstoß. Zuvor schon hatte er Bücher des sowjetischen Neuropsychologen Alexander Lurija entdeckt, der ihm mit seinen Fallgeschichten, die gewieftes Erzählen und Wissenschaft verknüpfen, den Weg weist. Mit "Awakenings" macht er 1973 den ersten Versuch: Er hatte Überlebende der großen Schlafkrankheit-Epidemie der zwanziger Jahre entdeckt, die seitdem weitgehend regungslos im Pflegeheim lebten. Er behandelte sie mit der Droge L-dopa - und die Erstarrten erwachten zu eigenwilligem Leben; es ist keine Heilung, er muss die Droge auch wieder absetzen, aber doch eine spektakuläre, anrührende Wirkung.
1990 inszeniert man sie dann in Hollywood, andere Filme nach Sacks' Büchern sollten folgen. Denn der Durchbruch als Autor war ihm da bereits gelungen, Mitte der achtziger Jahre, als seine erste Sammlung von Fallgeschichten erschien, "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte". Zuvor hatte er ein eigentlich noch beeindruckenderes Buch publiziert, "Der Tag, als mein Bein fortging", das von ihm selbst als Fall handelt. Als Arzt und Berater psychiatrischer Abteilungen New Yorker Krankenhäuser arbeitete Sacks weiterhin, in späten Jahren kam noch eine Professur hinzu.
Was nun aber alles geradliniger und wohlgeordneter klingt, als es das Buch ist, ein Flickenteppich von Geschichten, die sich gar nicht an die Chronologie halten. Da stehen am Beginn die entsetzte Reaktion der Mutter über die homosexuelle Neigung ihres Sohnes. Bevor er diese ausleben konnte, stand sogar ein Besuch bei einer von Verwandten ausgesuchten Prostituierten in Paris auf dem Programm. Aber auch sie kann den gut aussehenden und schüchternen Londoner nicht auf die von der Familie als richtig erachtete Geschlechtsseite ziehen.
Und von Liebes- und Bettgeschichten und Familienerfahrungen ist dann noch oft die Rede und von der tiefen Faszination am Motorradfahren, vom intensiv betriebenenen Gewichtheben im Londoner Club oder später am Muscle Beach von Venice, wo "Dr. Squat" - der Name steht für eine schweißtreibende Hantelübung - sich mit seinen muskulösen 115 Kilo Respekt zu verschaffen weiß, von der Drogenerfahrung dank exzessiven Amphetaminkonsums, von Freunden und Typen aus ganz verschiedenen Ecken der Gesellschaft, von Häusern und Reisen, Schreibblockaden und Autorenglück.
Dass er an diesem Text, für den sich der obsessive Tagebuchschreiber auf seine Notizbücher stützte, lange gebosselt hätte, wie das bei seinen Fallgeschichten offenbar manchmal der Fall war, wird man kaum annehmen. Literarischen Anspruch erhebt er nicht. Und ob man wirklich wissen muss, wo der Mohnkuchen am saftigsten war, wie die Geschichte mit dem explodierenden Fitnessgetränk im Club der starken Männer lief oder der Orgasmus zur Unzeit mit Mel - dem Leser bleibt die Antwort überlassen. Aber selbst wenn man zu jenen zählt, die etwas weniger Anekdotengestöber vorziehen - diesem ganz uneitlen Mann, der sich durch die Geschichten seines Lebens schlägt, kann man den Respekt unmöglich versagen.
HELMUT MAYER
Oliver Sacks: "On the Move". Mein Leben.
Aus dem Englischen von Hainer Kober. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2015. 445 S., Abb., geb. 24,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Helmut Mayer hat Respekt vor Oliver Sacks, selbst wenn er nicht Literarisches an dieser Autobiografie findet, die ihm doch arg lax zusammengestellt erscheint, lauter Anekdoten übers Forschen, Schreiben, Drogennehmen, Lieben, Gewichtheben und Mohnkuchenessen, weder chronologisch noch sonstwie geordnet. Und doch: Wie sich der inzwischen 81-jährige Sacks durchs Leben gehangelt und es schließlich zum gefeierten Autor von Fallgeschichten aus der Neuropathologie geschafft hat, das scheint Mayer trotz allem unterhaltsam zu lesen zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Seine Schriften werden, wie das Licht von einem fernen Stern, dauerhaft das Leben seiner Leser erleuchten, auch wenn die Quelle des Lichts längst erloschen ist. The New York Review of Books