Produktdetails
- Verlag: Pearson Education Limited
- ISBN-13: 9780582402652
- Artikelnr.: 08116910
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2007Immer brennen, nie gähnen
Fünfzig Jahre unterwegs: Jack Kerouacs "On the Road"
NEW YORK, 4. September
Als am 5. September 1957 Jack Kerouacs als romanhafter Reisebericht verkleidete Zeit-, Welt- und Selbstergründungsrhapsodie "On the Road" erschien, sprach der Kritiker der "New York Times" von einem historischen Ereignis. Gilbert Millstein fühlte sich in Gegenwart eines Schriftstellers, der auf der Suche nach Bestätigung und Glaube die am schönsten ausgearbeitete, klarste und wichtigste Aussage einer Generation vorlegte, der Beat-Generation. Norman Podhoretz, der sich später als einer der Wegbereiter der Neocons profilieren sollte, empörte sich in der "Partisan Review" über ein Buch, das seine Leser dazu auffordere, sämtliche Intellektuelle, die schlüssig reden könnten, und jeden, der sich ernstlich um einen Job, eine Sache oder eine Frau bemühe, zu killen.
Beide Reaktionen sind seltsam aktuell geblieben. Und beide haben sie "Unterwegs", so der deutsche Titel, einen sagenhaften Erfolg beschert, der sich bis in unsere Zeit fortsetzt. Allein in Amerika werden jährlich noch hunderttausend Exemplare verkauft, und das fünfzigste Jubiläum wird nun nicht nur mit der fälligen Jubiläumsausgabe gefeiert. Edie Kerouac-Parker, dem Autor bezeichnend kurzfristig als erste Ehefrau angetraut, ergreift postum in dem Memoirenband "You'll Be Okay" das Wort, die noble Library of America legt im Luxusband Kerouacs fünf "Road-Novels" vor, und auch Hollywood-Ehren sind für "On the Road" wieder einmal vorgesehen.
Die Geburtstagsparty ist derart in Schwung, dass John Leland keine Mühe hat, sie mit "Why Kerouac Matters: The Lessons of ,On the Road' (They're Not What You Think)" zielsicher zu stören. Das Buch hält, was der Titel etwas wichtigtuerisch verspricht. Leland liest die Bibel der Beatniks und aller ihnen folgenden Outcasts radikal gegen ihren Ruf. Statt einer Hymne aufs ungebremste Leben, die frei flottierende Liebe und den Triumph über Brauchtum und Sitte, hört er ein geradezu frommes Kirchenlied, in dem der Katholik Kerouac sich zu seiner Sehnsucht nach Familie, Geborgenheit und Lebenssinn bekennt. Nicht in den Hippies, sondern in den evangelikalen Charismatikern von heute sollen wir darum die wahren Erben des Beat-Chronisten erkennen. Podhoretz hätte sich ganz umsonst aufgeregt: Kerouac und er, zwei Seelenverwandte?
Auch Allen Ginsberg, der als Carlo Marx fiktionalisierte Freund und Mitbeatnik, wunderte sich schon über Kerouacs Beharren auf Familienwerten. Der Versuch jedoch, "On the Road" einem konservativ bürgerlichen Weltbild einzuverleiben, stößt dann doch auf einige Probleme. Es ist wahr, der Drogennebel, die zügige Lustabfuhr, die Experimente mit dem Trampen, Klauen und sehr gelegentlichem Jobben bringen nichts oder nicht viel; am Ende bleibt das Sehnen. Aber im Sehnen, in der chaotischen Suche, die den Bruch mit dem in starre Bahnen gezwängten Dasein nicht scheut, und vor allem in der trotzigen, sinnlichen, leidenschaftlichen Selbstbefragung des Erzählers hat sich das Buch bis heute seine Kraft bewahrt. Worauf das alles hinausläuft, der Kater, der sich nach dem transkontinentalen Reiserausch einstellt, wird da fast schon zur Nebensache.
Aus "On the Road" ist keine Gebrauchsanweisung fürs wohlgeordnete Leben zu zimmern, solange der Erzähler schwärmen darf: "Die einzigen Menschen für mich sind die verrückten, die verrückt aufs Leben sind, verrückt aufs Reden, verrückt danach, gerettet zu werden, die alles auf einmal begehren, die, die nie gähnen oder gewöhnliche Sachen sagen, sondern brennen, brennen, brennen wie fabelhafte Wunderkerzen, die wie Feuerräder über die Sterne hinweg explodieren, während du siehst, wie in der Mitte der blaue Lichtkern knallt, und alle ,Ahhh!' machen."
Und dieser wilde Bewusstseinsstrom, diese endlosen Sehnsuchtsarien, dieser unstillbare Lebenshunger, dieses Treibenlassen durch dunkle Affären und noch dunklere Jazzkneipen, diese Eskapaden in Begleitung eines ausgeflippten, unberechenbaren, genial verkorksten Kumpels mögen Jack alias Sal ja dazu gebracht haben, eine brav geregelte Existenz schätzen zu lernen. Die Worte liest der Leser wohl; allein die Musik, die aus ihnen dringt, übertönt die Botschaft, sogar in der offiziellen Fassung des Romans. Die Urschrift aber ist ein vom Bebop rhythmisierter Energiestoß. Ihr Typoskript, das Kerouac in drei Wochen unter Mithilfe von viel Kaffee, aber ohne verbotene Drogen in seine Schreibmaschine haute und dann zu einer mehr als sechsunddreißig Meter langen Leserolle zusammenklebte, ist jetzt, in seiner ganzen anarchischen, absatzlosen, von wenig Interpunktionspausen gestörten, alles in allem perfekten Unvollkommenheit erstmals als Buch zu erwerben.
Die Musik darin ist noch roher, rauher, schmutziger und in ihrer Maßlosigkeit überzeugender. Sexuelle Episoden werden drastisch ausbuchstabiert, Erfahrungen nicht wirklich literarisiert. Die Frage, wie solch junge Leute wohl in Goethes Deutschland hießen, die Frage also, die in der gewissenhaft redigierten Erstausgabe dem "Ahhh!" angesichts der Feuerwerksekstasen folgt, hat sich dem Autor ursprünglich nicht gestellt. Es gibt in der Rolle auch keine fiktionale Maskerade. Sal Paradise heißt noch Jack Kerouac, Dean Moriarty noch Neal Cassady. Ungeniert und unaufhaltsam verschwimmen Manifest, Roman und Leben ineinander.
Kerouac löst die Geschichte von Tom Sawyer und Huckleberry Finn sowie uramerikanische Heldensagen vom Outlaw in einem Cocktail auf, der seine berauschende Wirkung auch heute nicht verfehlt. Ja, klar, wer noch keine zwanzig ist, liest das Buch anders als ein Fünfzigjähriger. Zu bedauern wäre aber der hundertprozentig Erwachsene, der in sich keine Spur mehr von dem jugendlichen Selbst, das sich von so viel Lebensgier und übersteuerter Sprachmusik mitreißen ließ, zu entdecken vermag. Mit seinem Zeitstück hat Kerouac einen zeitlosen Nerv getroffen. Wer's nicht glaubt, möge das erklären: "On the Road" gehört nach wie vor zu den Büchern, die am häufigsten aus amerikanischen Buchhandlungen geklaut werden.
JORDAN MEJIAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fünfzig Jahre unterwegs: Jack Kerouacs "On the Road"
NEW YORK, 4. September
Als am 5. September 1957 Jack Kerouacs als romanhafter Reisebericht verkleidete Zeit-, Welt- und Selbstergründungsrhapsodie "On the Road" erschien, sprach der Kritiker der "New York Times" von einem historischen Ereignis. Gilbert Millstein fühlte sich in Gegenwart eines Schriftstellers, der auf der Suche nach Bestätigung und Glaube die am schönsten ausgearbeitete, klarste und wichtigste Aussage einer Generation vorlegte, der Beat-Generation. Norman Podhoretz, der sich später als einer der Wegbereiter der Neocons profilieren sollte, empörte sich in der "Partisan Review" über ein Buch, das seine Leser dazu auffordere, sämtliche Intellektuelle, die schlüssig reden könnten, und jeden, der sich ernstlich um einen Job, eine Sache oder eine Frau bemühe, zu killen.
Beide Reaktionen sind seltsam aktuell geblieben. Und beide haben sie "Unterwegs", so der deutsche Titel, einen sagenhaften Erfolg beschert, der sich bis in unsere Zeit fortsetzt. Allein in Amerika werden jährlich noch hunderttausend Exemplare verkauft, und das fünfzigste Jubiläum wird nun nicht nur mit der fälligen Jubiläumsausgabe gefeiert. Edie Kerouac-Parker, dem Autor bezeichnend kurzfristig als erste Ehefrau angetraut, ergreift postum in dem Memoirenband "You'll Be Okay" das Wort, die noble Library of America legt im Luxusband Kerouacs fünf "Road-Novels" vor, und auch Hollywood-Ehren sind für "On the Road" wieder einmal vorgesehen.
Die Geburtstagsparty ist derart in Schwung, dass John Leland keine Mühe hat, sie mit "Why Kerouac Matters: The Lessons of ,On the Road' (They're Not What You Think)" zielsicher zu stören. Das Buch hält, was der Titel etwas wichtigtuerisch verspricht. Leland liest die Bibel der Beatniks und aller ihnen folgenden Outcasts radikal gegen ihren Ruf. Statt einer Hymne aufs ungebremste Leben, die frei flottierende Liebe und den Triumph über Brauchtum und Sitte, hört er ein geradezu frommes Kirchenlied, in dem der Katholik Kerouac sich zu seiner Sehnsucht nach Familie, Geborgenheit und Lebenssinn bekennt. Nicht in den Hippies, sondern in den evangelikalen Charismatikern von heute sollen wir darum die wahren Erben des Beat-Chronisten erkennen. Podhoretz hätte sich ganz umsonst aufgeregt: Kerouac und er, zwei Seelenverwandte?
Auch Allen Ginsberg, der als Carlo Marx fiktionalisierte Freund und Mitbeatnik, wunderte sich schon über Kerouacs Beharren auf Familienwerten. Der Versuch jedoch, "On the Road" einem konservativ bürgerlichen Weltbild einzuverleiben, stößt dann doch auf einige Probleme. Es ist wahr, der Drogennebel, die zügige Lustabfuhr, die Experimente mit dem Trampen, Klauen und sehr gelegentlichem Jobben bringen nichts oder nicht viel; am Ende bleibt das Sehnen. Aber im Sehnen, in der chaotischen Suche, die den Bruch mit dem in starre Bahnen gezwängten Dasein nicht scheut, und vor allem in der trotzigen, sinnlichen, leidenschaftlichen Selbstbefragung des Erzählers hat sich das Buch bis heute seine Kraft bewahrt. Worauf das alles hinausläuft, der Kater, der sich nach dem transkontinentalen Reiserausch einstellt, wird da fast schon zur Nebensache.
Aus "On the Road" ist keine Gebrauchsanweisung fürs wohlgeordnete Leben zu zimmern, solange der Erzähler schwärmen darf: "Die einzigen Menschen für mich sind die verrückten, die verrückt aufs Leben sind, verrückt aufs Reden, verrückt danach, gerettet zu werden, die alles auf einmal begehren, die, die nie gähnen oder gewöhnliche Sachen sagen, sondern brennen, brennen, brennen wie fabelhafte Wunderkerzen, die wie Feuerräder über die Sterne hinweg explodieren, während du siehst, wie in der Mitte der blaue Lichtkern knallt, und alle ,Ahhh!' machen."
Und dieser wilde Bewusstseinsstrom, diese endlosen Sehnsuchtsarien, dieser unstillbare Lebenshunger, dieses Treibenlassen durch dunkle Affären und noch dunklere Jazzkneipen, diese Eskapaden in Begleitung eines ausgeflippten, unberechenbaren, genial verkorksten Kumpels mögen Jack alias Sal ja dazu gebracht haben, eine brav geregelte Existenz schätzen zu lernen. Die Worte liest der Leser wohl; allein die Musik, die aus ihnen dringt, übertönt die Botschaft, sogar in der offiziellen Fassung des Romans. Die Urschrift aber ist ein vom Bebop rhythmisierter Energiestoß. Ihr Typoskript, das Kerouac in drei Wochen unter Mithilfe von viel Kaffee, aber ohne verbotene Drogen in seine Schreibmaschine haute und dann zu einer mehr als sechsunddreißig Meter langen Leserolle zusammenklebte, ist jetzt, in seiner ganzen anarchischen, absatzlosen, von wenig Interpunktionspausen gestörten, alles in allem perfekten Unvollkommenheit erstmals als Buch zu erwerben.
Die Musik darin ist noch roher, rauher, schmutziger und in ihrer Maßlosigkeit überzeugender. Sexuelle Episoden werden drastisch ausbuchstabiert, Erfahrungen nicht wirklich literarisiert. Die Frage, wie solch junge Leute wohl in Goethes Deutschland hießen, die Frage also, die in der gewissenhaft redigierten Erstausgabe dem "Ahhh!" angesichts der Feuerwerksekstasen folgt, hat sich dem Autor ursprünglich nicht gestellt. Es gibt in der Rolle auch keine fiktionale Maskerade. Sal Paradise heißt noch Jack Kerouac, Dean Moriarty noch Neal Cassady. Ungeniert und unaufhaltsam verschwimmen Manifest, Roman und Leben ineinander.
Kerouac löst die Geschichte von Tom Sawyer und Huckleberry Finn sowie uramerikanische Heldensagen vom Outlaw in einem Cocktail auf, der seine berauschende Wirkung auch heute nicht verfehlt. Ja, klar, wer noch keine zwanzig ist, liest das Buch anders als ein Fünfzigjähriger. Zu bedauern wäre aber der hundertprozentig Erwachsene, der in sich keine Spur mehr von dem jugendlichen Selbst, das sich von so viel Lebensgier und übersteuerter Sprachmusik mitreißen ließ, zu entdecken vermag. Mit seinem Zeitstück hat Kerouac einen zeitlosen Nerv getroffen. Wer's nicht glaubt, möge das erklären: "On the Road" gehört nach wie vor zu den Büchern, die am häufigsten aus amerikanischen Buchhandlungen geklaut werden.
JORDAN MEJIAS
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