The classic novel of freedom and the search for authenticity that defined a generation September 5th, 2017 marks the 60th anniversary of the publication of On the Road On the Road chronicles Jack Kerouac's years traveling the North American continent with his friend Neal Cassady, "a sideburned hero of the snowy West." As "Sal Paradise" and "Dean Moriarty," the two roam the country in a quest for self-knowledge and experience. Kerouac's love of America, his compassion for humanity, and his sense of language as jazz combine to make On the Road an inspirational work of lasting importance. Kerouac's classic novel of freedom and longing defined what it meant to be "Beat" and has inspired every generation since its initial publication more than fifty years ago. This Penguin Classics edition contains an introduction by Ann Charters. For more than seventy years, Penguin has been the leading publisher of classic literature in the English-speaking world. With more than 1,700 titles, Penguin Classics represents a global bookshelf of the best works throughout history and across genres and disciplines. Readers trust the series to provide authoritative texts enhanced by introductions and notes by distinguished scholars and contemporary authors, as well as up-to-date translations by award-winning translators.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010Mit Kerouac total von der Rolle
Das Manuskript war 120 000 Wörter lang - und die Übersetzung der Urfassung lange unterwegs. Jetzt erscheint "On the Road" ungefiltert auf Deutsch.
Von Tobias Döring
Die Begegnung stammt aus jener Zeit, da Literatur noch mit der Schreibmaschine aufs Papier gebracht wurde, und sie gehört zu den mythischen Urszenen, durch deren Weitergabe sich die Nachwelt ein weltschaffendes Ereignis vorzustellen versucht. Im Frühjahr 1951 erschien Jack Kerouac im New Yorker Büro seines Lektors Robert Giroux. Unter dem Arm trug er eine große weiße Rolle, die Giroux zunächst für Küchenpapier hielt. Mit Schwung entrollte Kerouac sie quer durch den gesamten Raum und erklärte, dies sei die Straße, dies sei sein neues Manuskript. "Jack, dir ist doch klar, dass du das auseinanderschneiden musst. Das muss lektoriert werden", gab Giroux, leicht konsterniert, zu bedenken. "An diesem Manuskript wird keine Zeile geändert", soll Kerouac entgegnet haben. "Das hat mir der Heilige Geist diktiert" - sprach's und verschwand wieder mit seiner Rolle. Der Verlag hörte nichts weiter von ihm.
Drei Wochen lang, vom 2. bis zum 22. April 1951, hatte Kerouac tatsächlich ein radikales Schreibexperiment gewagt. Seit zweieinhalb Jahren arbeitete er damals schon an einem Großprojekt, das seine persönlichen Reise-Erfahrungen, als er in den späten 40er Jahren kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten getrampt war, mit der gewaltigen Vision vom wahren Leben in Amerika verbinden sollte. Auf Vorschlag seines Freundes Holmes versuchte Kerouac schließlich, den gesamten Fundus an Ideen, Episoden und Erinnerungen, den er als sein "Road Material" zu bezeichnen pflegte, so zu fixieren, dass er alles mit vorsätzlicher Spontaneität und ohne Pause in die Schreibmaschine hackte. Ob mit Hilfe nur von Koffein oder auch von Benzedrin - nach drei schlaflosen Wochen jedenfalls war die Rolle Endlospapier, die er sich zu diesem Zweck gemacht hatte, mit mehr als 120 000 Wörtern vollgetippt. Ein Fließtext ohne einen einzigen Absatz.
Zur Veröffentlichung war er nie bestimmt. Kerouac, damals dreißig Jahre alt und klar bestrebt, sein Schreiben als Beruf zu etablieren, war routiniert genug zu wissen, dass ein Lektorat nun mal zum Verlagsgeschäft gehört. Die kondensierte Fassung "On the Road", die 1957 bei Viking herauskam, war zwar erheblich gestrafft und wegen juristischer Bedenken an etlichen Punkten entschärft, im Ganzen aber nicht etwa gegen den Willen des Autors entstellt worden. Sie wurde, wie man weiß, zum Kultbuch: Offenbarungstext der Beat-Generation, Erweckungsepos der Hippie-Bewegung, die Lebensfibel sämtlicher weiterer Nonkonformisten, die ihren Ausstieg aus der bürgerlich-sesshaften Fortschrittsgesellschaft mit Kerouacs vorgelebtem Straßenfernweh buchstabieren lernten.
Fünfzig Jahre später ist bei Penguin erstmals eine von Howard Cunnell herausgegebene Buchfassung von dem erschienen, was Kerouac damals unter dem Arm trug. "The Original Scroll" - der englische Ausdruck klingt passenderweise archaischer, nachgerade biblisch - musste dazu nicht nur von sämtlichen Korrekturen befreit, sondern zum Ende auch rekonstruiert werden, weil der letzte Meter der Papierrolle offenbar vom Hund eines Freundes zerkaut wurde. Dass diese Version jetzt allerdings vom deutschen Verlag als "Urfassung" verkauft wird, ist eine dreiste Stillstellung und strickt an der Legendenbildung weiter, als ob auf diese Art die Aura des ursprünglichen, unverfälschten Diktats eines Gottesworts nachträglich bestärkt werden solle. Dagegen existieren, wie den Aufsätzen im Anhang zu entnehmen ist, bereits zwei frühere sowie noch etliche weitere Textfassungen, mit denen Kerouac seiner großen Straßenrhapsodie jeweils so unterschiedliche Gestalt zu geben suchte, dass "The Scroll" besser als ein Stadium in einem langen, prinzipiell offenen Schreibprozess zu begreifen wäre, als Durchgangsstation eines unabschließbaren Romans, der immer unterwegs ist.
In eigentümlicher, für den Authentisierungsdruck der Nachkriegsmoderne charakteristischen Weise verquickt der Text Erlebtes und Erfundenes im fortwährenden Reisen, Schreiben und Imaginieren zu einer passagenweise rauschhaften Erzählbewegung. "Ich fuhr durch South Carolina und die ganze Strecke bis nach Macon, Georgia, während Neal, Louanne und Al schliefen. Ganz allein in der Nacht hing ich meinen Gedanken nach und steuerte den Wagen an der weißen Linie der heiligen Straße entlang. Was hatte ich vor? Wohin war ich unterwegs? Ich würde es bald herausfinden." Diese Art der Selbstbefragung, die wie ein Refrain wiederkehrt, gilt dem Fahrer genau wie dem Autor, denn beide können oder wollen immer erst, wenn sie am Steuer oder an der Schreibmaschine sitzen, im Vollzug herausfinden, wohin ihr rastloser Beschleunigungsdrang führt.
Tatsächlich kommen solche Eigentümlichkeiten in der Rollen-Version noch stärker zur Geltung, vor allem weil sie ohne jegliche Kapitel- oder Absatz-Markierung in einem ununterbrochenen Wortschwall durchrauscht. (Allerdings hat es das deutsche Lektorat dann doch nicht gewagt, dem Original restlos zu folgen und auch auf die Einteilung in fünf Bücher zu verzichten.)
Was diese Version sonst am merklichsten von der bekannten unterscheidet, ist die Verwendung der Klarnamen für die Protagonisten: mit Neal Cassady, Allen Ginsberg, Hal Chase oder Ed White treten sämtliche der Beatniks ohne Maske auf. Dies verschärft deutlich das Vexierspiel, das Kerouac mit den Selbstfindungsritualen dieser Gruppe inszeniert, dazu gehört vor allem die fortdauernde Selbsterfindung des zentralen Helden Neal, der im Buch von 1957 Dean Moriarty heißt.
Insgesamt jedoch kann "On the Road" in dieser Rollen-Version kaum größere Wucht oder Wirksamkeit entfalten als zuvor. Man hat die zusätzlichen Ausschweifungen oder Reise-Episoden, wie man feststellt, nicht wirklich vermisst, sie bieten kaum neue Einsichten. Das Spannende sind vielmehr beiläufige Details, die der Geschichte an entscheidenden Stellen stärkeren Biss geben. Wenn beispielsweise Teil fünf mit der Bemerkung einsetzt, dass der Korea-Krieg ausbricht, kommt unvermittelt der zeitpolitische Horizont ins Blickfeld. Wenn der Erzähler, der hier Jack anstatt Sal Paradise heißt, sich in der Wohnung seines Freundes Allen beweisen muss, dass er zum Sex mit der Freundin seines anderen Freundes Neal sehr wohl in der Lage ist, treibt er dies jetzt in einem Bett, das, wie er ausdrücklich vermerkt, das Sterbebett des eigenen Vaters ist. In der anderen Fassung war nur von "einem dicken Mann" die Rede. Oder wenn er zwischen den transkontinentalen Reisen sein Zuhause sucht, kehrt er jetzt wieder zur Mutter, nicht zur Tante, heim. Gerade diese familiären Bindungen schaffen eine Grundierung im Intimen, von der sich das rastlose Unterwegssein umso schärfer absetzt.
Umso stärker tritt beim Wiederlesen auch Widersprüchliches hervor. Sein Freiheitsdrang zur Straße, die Lust auf schnelle Autos, scharfe Mädchen wie die Suche nach dem unbegrenzbaren Amerika führt Jack immer wieder in die Klemme, aus der ihn regelmäßig Geld der Mutter, telegraphisch angefordert, erst befreit. Überhaupt fällt jetzt seine Ambivalenz zwischen den pubertären Phantasien, in jeder Frau ein williges Objekt zu finden, und der bürgerlichen Idee, das Idealweib in ein Eigenheim zu führen, erst richtig auf. Es ist zugleich die Ambivalenz des amerikanischen Traums, die darin liegt, das großartige Land, als Paradies von Gott empfangen, dennoch in Eigenarbeit zu verbessern.
Das eigentliche Ereignis der deutschen Neuausgabe ist aber die Sprache. Der kongeniale Übersetzer Ulrich Blumenbach legt alle Nuancen in diesen einen atemlosen Monolog eines unendlich Mitteilsamen, der - und das ist die Kunst - hier wirklich nach gesprochener Sprache klingt, nach echtem Männerkneipen-Talk. Tatsächlich ist Kerouacs Maschinentext ganz deutlich von der Mündlichkeit seiner Muttersprache durchgeformt, dem Französischen, das in der frankokanadischen Enklave von Massachusetts, wo er aufwuchs, wie in der Familie gesprochen wurde. Das Englische dagegen war für ihn von Anfang an vor allem Schriftsprache großer Literatur, insbesondere der amerikanischen, deren Helden- und Fluchtgeschichten von "Moby Dick" über "Huckleberry Finn" bis zu "Der große Gatsby" er als halber Außenseiter mit seinem Selbstbildungsroman fortschrieb. Daraus erklärt sich auch sein Wahlname "Salvatore Paradise" in der bekannteren Buchfassung, ein heilsgewisser Jedermann, der wie sämtliche Amerikaner ins Paradies als Immigrant gelangt ist.
Wenn wir dagegen in der aktuellen Rollenfassung statt seiner einem "Jack" begegnen, erscheint diese Mythenwelt ein Stück entzaubert. So gespannt man auf "The Scroll" auch war, man liest den Text daher bald mit Ernüchterung. Die wahren Paradiese, das zeigt "On the Road" erneut, sind letztlich doch die lektorierten.
Jack Kerouac: "On the Road". Die Urfassung. Deutsch von Ulrich Blumenbach. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010. 575 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Manuskript war 120 000 Wörter lang - und die Übersetzung der Urfassung lange unterwegs. Jetzt erscheint "On the Road" ungefiltert auf Deutsch.
Von Tobias Döring
Die Begegnung stammt aus jener Zeit, da Literatur noch mit der Schreibmaschine aufs Papier gebracht wurde, und sie gehört zu den mythischen Urszenen, durch deren Weitergabe sich die Nachwelt ein weltschaffendes Ereignis vorzustellen versucht. Im Frühjahr 1951 erschien Jack Kerouac im New Yorker Büro seines Lektors Robert Giroux. Unter dem Arm trug er eine große weiße Rolle, die Giroux zunächst für Küchenpapier hielt. Mit Schwung entrollte Kerouac sie quer durch den gesamten Raum und erklärte, dies sei die Straße, dies sei sein neues Manuskript. "Jack, dir ist doch klar, dass du das auseinanderschneiden musst. Das muss lektoriert werden", gab Giroux, leicht konsterniert, zu bedenken. "An diesem Manuskript wird keine Zeile geändert", soll Kerouac entgegnet haben. "Das hat mir der Heilige Geist diktiert" - sprach's und verschwand wieder mit seiner Rolle. Der Verlag hörte nichts weiter von ihm.
Drei Wochen lang, vom 2. bis zum 22. April 1951, hatte Kerouac tatsächlich ein radikales Schreibexperiment gewagt. Seit zweieinhalb Jahren arbeitete er damals schon an einem Großprojekt, das seine persönlichen Reise-Erfahrungen, als er in den späten 40er Jahren kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten getrampt war, mit der gewaltigen Vision vom wahren Leben in Amerika verbinden sollte. Auf Vorschlag seines Freundes Holmes versuchte Kerouac schließlich, den gesamten Fundus an Ideen, Episoden und Erinnerungen, den er als sein "Road Material" zu bezeichnen pflegte, so zu fixieren, dass er alles mit vorsätzlicher Spontaneität und ohne Pause in die Schreibmaschine hackte. Ob mit Hilfe nur von Koffein oder auch von Benzedrin - nach drei schlaflosen Wochen jedenfalls war die Rolle Endlospapier, die er sich zu diesem Zweck gemacht hatte, mit mehr als 120 000 Wörtern vollgetippt. Ein Fließtext ohne einen einzigen Absatz.
Zur Veröffentlichung war er nie bestimmt. Kerouac, damals dreißig Jahre alt und klar bestrebt, sein Schreiben als Beruf zu etablieren, war routiniert genug zu wissen, dass ein Lektorat nun mal zum Verlagsgeschäft gehört. Die kondensierte Fassung "On the Road", die 1957 bei Viking herauskam, war zwar erheblich gestrafft und wegen juristischer Bedenken an etlichen Punkten entschärft, im Ganzen aber nicht etwa gegen den Willen des Autors entstellt worden. Sie wurde, wie man weiß, zum Kultbuch: Offenbarungstext der Beat-Generation, Erweckungsepos der Hippie-Bewegung, die Lebensfibel sämtlicher weiterer Nonkonformisten, die ihren Ausstieg aus der bürgerlich-sesshaften Fortschrittsgesellschaft mit Kerouacs vorgelebtem Straßenfernweh buchstabieren lernten.
Fünfzig Jahre später ist bei Penguin erstmals eine von Howard Cunnell herausgegebene Buchfassung von dem erschienen, was Kerouac damals unter dem Arm trug. "The Original Scroll" - der englische Ausdruck klingt passenderweise archaischer, nachgerade biblisch - musste dazu nicht nur von sämtlichen Korrekturen befreit, sondern zum Ende auch rekonstruiert werden, weil der letzte Meter der Papierrolle offenbar vom Hund eines Freundes zerkaut wurde. Dass diese Version jetzt allerdings vom deutschen Verlag als "Urfassung" verkauft wird, ist eine dreiste Stillstellung und strickt an der Legendenbildung weiter, als ob auf diese Art die Aura des ursprünglichen, unverfälschten Diktats eines Gottesworts nachträglich bestärkt werden solle. Dagegen existieren, wie den Aufsätzen im Anhang zu entnehmen ist, bereits zwei frühere sowie noch etliche weitere Textfassungen, mit denen Kerouac seiner großen Straßenrhapsodie jeweils so unterschiedliche Gestalt zu geben suchte, dass "The Scroll" besser als ein Stadium in einem langen, prinzipiell offenen Schreibprozess zu begreifen wäre, als Durchgangsstation eines unabschließbaren Romans, der immer unterwegs ist.
In eigentümlicher, für den Authentisierungsdruck der Nachkriegsmoderne charakteristischen Weise verquickt der Text Erlebtes und Erfundenes im fortwährenden Reisen, Schreiben und Imaginieren zu einer passagenweise rauschhaften Erzählbewegung. "Ich fuhr durch South Carolina und die ganze Strecke bis nach Macon, Georgia, während Neal, Louanne und Al schliefen. Ganz allein in der Nacht hing ich meinen Gedanken nach und steuerte den Wagen an der weißen Linie der heiligen Straße entlang. Was hatte ich vor? Wohin war ich unterwegs? Ich würde es bald herausfinden." Diese Art der Selbstbefragung, die wie ein Refrain wiederkehrt, gilt dem Fahrer genau wie dem Autor, denn beide können oder wollen immer erst, wenn sie am Steuer oder an der Schreibmaschine sitzen, im Vollzug herausfinden, wohin ihr rastloser Beschleunigungsdrang führt.
Tatsächlich kommen solche Eigentümlichkeiten in der Rollen-Version noch stärker zur Geltung, vor allem weil sie ohne jegliche Kapitel- oder Absatz-Markierung in einem ununterbrochenen Wortschwall durchrauscht. (Allerdings hat es das deutsche Lektorat dann doch nicht gewagt, dem Original restlos zu folgen und auch auf die Einteilung in fünf Bücher zu verzichten.)
Was diese Version sonst am merklichsten von der bekannten unterscheidet, ist die Verwendung der Klarnamen für die Protagonisten: mit Neal Cassady, Allen Ginsberg, Hal Chase oder Ed White treten sämtliche der Beatniks ohne Maske auf. Dies verschärft deutlich das Vexierspiel, das Kerouac mit den Selbstfindungsritualen dieser Gruppe inszeniert, dazu gehört vor allem die fortdauernde Selbsterfindung des zentralen Helden Neal, der im Buch von 1957 Dean Moriarty heißt.
Insgesamt jedoch kann "On the Road" in dieser Rollen-Version kaum größere Wucht oder Wirksamkeit entfalten als zuvor. Man hat die zusätzlichen Ausschweifungen oder Reise-Episoden, wie man feststellt, nicht wirklich vermisst, sie bieten kaum neue Einsichten. Das Spannende sind vielmehr beiläufige Details, die der Geschichte an entscheidenden Stellen stärkeren Biss geben. Wenn beispielsweise Teil fünf mit der Bemerkung einsetzt, dass der Korea-Krieg ausbricht, kommt unvermittelt der zeitpolitische Horizont ins Blickfeld. Wenn der Erzähler, der hier Jack anstatt Sal Paradise heißt, sich in der Wohnung seines Freundes Allen beweisen muss, dass er zum Sex mit der Freundin seines anderen Freundes Neal sehr wohl in der Lage ist, treibt er dies jetzt in einem Bett, das, wie er ausdrücklich vermerkt, das Sterbebett des eigenen Vaters ist. In der anderen Fassung war nur von "einem dicken Mann" die Rede. Oder wenn er zwischen den transkontinentalen Reisen sein Zuhause sucht, kehrt er jetzt wieder zur Mutter, nicht zur Tante, heim. Gerade diese familiären Bindungen schaffen eine Grundierung im Intimen, von der sich das rastlose Unterwegssein umso schärfer absetzt.
Umso stärker tritt beim Wiederlesen auch Widersprüchliches hervor. Sein Freiheitsdrang zur Straße, die Lust auf schnelle Autos, scharfe Mädchen wie die Suche nach dem unbegrenzbaren Amerika führt Jack immer wieder in die Klemme, aus der ihn regelmäßig Geld der Mutter, telegraphisch angefordert, erst befreit. Überhaupt fällt jetzt seine Ambivalenz zwischen den pubertären Phantasien, in jeder Frau ein williges Objekt zu finden, und der bürgerlichen Idee, das Idealweib in ein Eigenheim zu führen, erst richtig auf. Es ist zugleich die Ambivalenz des amerikanischen Traums, die darin liegt, das großartige Land, als Paradies von Gott empfangen, dennoch in Eigenarbeit zu verbessern.
Das eigentliche Ereignis der deutschen Neuausgabe ist aber die Sprache. Der kongeniale Übersetzer Ulrich Blumenbach legt alle Nuancen in diesen einen atemlosen Monolog eines unendlich Mitteilsamen, der - und das ist die Kunst - hier wirklich nach gesprochener Sprache klingt, nach echtem Männerkneipen-Talk. Tatsächlich ist Kerouacs Maschinentext ganz deutlich von der Mündlichkeit seiner Muttersprache durchgeformt, dem Französischen, das in der frankokanadischen Enklave von Massachusetts, wo er aufwuchs, wie in der Familie gesprochen wurde. Das Englische dagegen war für ihn von Anfang an vor allem Schriftsprache großer Literatur, insbesondere der amerikanischen, deren Helden- und Fluchtgeschichten von "Moby Dick" über "Huckleberry Finn" bis zu "Der große Gatsby" er als halber Außenseiter mit seinem Selbstbildungsroman fortschrieb. Daraus erklärt sich auch sein Wahlname "Salvatore Paradise" in der bekannteren Buchfassung, ein heilsgewisser Jedermann, der wie sämtliche Amerikaner ins Paradies als Immigrant gelangt ist.
Wenn wir dagegen in der aktuellen Rollenfassung statt seiner einem "Jack" begegnen, erscheint diese Mythenwelt ein Stück entzaubert. So gespannt man auf "The Scroll" auch war, man liest den Text daher bald mit Ernüchterung. Die wahren Paradiese, das zeigt "On the Road" erneut, sind letztlich doch die lektorierten.
Jack Kerouac: "On the Road". Die Urfassung. Deutsch von Ulrich Blumenbach. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010. 575 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.02.2011Das Glück in Funken
Fünfzig Jahre nach der Erstveröffentlichung ist die Urfassung von Jack Kerouacs Kultroman „On the Road“ erschienen
Als Jack und Neal einmal den Mississippi überqueren, taucht am Horizont New Orleans auf: „Über den braunen Fluten und dem dunklen Treibholz lagen an dem Abend mystische Nebelschwaden; auf der anderen Seite glühte die Stadt orangerot mit ein paar dunklen Schiffen am Saum, gespenstisch nebelwärts wandernden Cereno-Schiffen mit spanischen Vorbauten und ornamentalen Hecks, bis man näher kam und stinknormale Frachter aus Schweden und Panama erkannte“. Vielleicht ist es die eigentliche Kunst Jack Kerouacs, dass er diese Bewegung in „On the Road“ einfach umkehrt. Jeden Frachter und jede noch so rostige Hütte, die er auf seinen Fahrten quer durch die USA wahrnimmt, verwandelt er mit seinen Sätzen in ein literarisches Gespinst. In ein Ding, das es zu entdecken und zu feiern gilt, über dem bisweilen mystische Nebelschwaden liegen – und in dem mit ein bisschen Glück ein Funken vom Paradies aufglüht.
Es mag dies einer der Gründe dafür sein, dass „On the Road“ zum Kultbuch werden konnte, auch wenn sein Autor das so nie gewollt hat. Beinahe noch berühmter als das Buch selbst jedoch ist die Geschichte seiner Entstehung. In nur zwanzig Tagen, vom 2. bis zum 22. April 1951, schrieb Kerouac den Text herunter – so jedenfalls will es der Mythos. Das Typoskript besteht aus einer vierzig Meter langen Rolle von Papierbögen, die Kerouac selbst zusammengeklebt hat, wobei sich heute nicht mehr entscheiden lässt, ob er die Rolle während des Tippens angefertigt hat oder erst danach. Die Figuren haben hier noch keine Kunstnamen, der Erzähler, aus dem in der Druckfassung Sal Paradise werden wird, heißt Jack Kerouac, und der spätere Dean Moriarty trägt noch seinen ursprünglichen Namen: Neal Cassady. Diese „Urfassung“ des Textes liegt jetzt als Buch vor. Der englische Schriftsteller Howard Cunnell hat es zusammen mit Freunden herausgegeben und mit einigen Nachworten versehen. Darin rücken die Autoren nicht nur die Legenden um „On the Road“ zurecht, sondern versuchen auch die Größe der Urfassung zu zeigen.
„Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, hungrig, hysterisch, nackt“ – so eröffnet Allen Ginsberg sein berühmtes Langgedicht „Howl“, eines der anderen Gründungsbücher der Beat-Generation. Ein neues, freieres Amerika pulste den Beatpoeten in den Köpfen, das die Lasten des Zweiten Weltkriegs und des beginnenden Kalten Krieges mit seiner Verfolgungshysterie überwinden sollte. Wobei Ginsbergs „Geheul“ genau genommen schon der Abgesang auf diese Art des Erlebens und Denkens ist, „Visionen! Vorahnungen! Halluzinationen! Wunder! Ekstasen! alles den amerikanischen Bach runter!“, schreibt er in einer Strophe.
Bei Jack Kerouac indes lässt sich das Lebensgefühl der Beatniks gewissermaßen noch im Fluss bestaunen. „Erregung“ lautet das Zauberwort des Buches. Erregung und die Erkenntnis der Dinge. Den Impulsgeber für diese Erregung, für Intensität und Gegenwärtigkeit, findet Kerouac in der dauernden Bewegung. Stillstand, ein Verharren gar, würde ein Ende jener Wahrnehmungsfunken und emotionalen Stacheln bedeuten, die für Kerouac allein Lebendigkeit ausmachen. Und das heißt zunächst einmal, mit dem Auto oder dem Bus über die Highways zu rasen, „wie ein Pfeil, der über die ganze Strecke hinwegschießen konnte“. Wenn die beiden Protagonisten nicht gerade stundenlang reden, besuchen sie Freunde, tauchen in das Nachtleben der Städte ab, um Mädchen aufzureißen oder, das vor allem, in kleinen rauchigen Clubs Jazz zu hören. Diese „Reinheit der Bewegung und des Unterwegsseins“ ist in der Urfassung mit ihren vielen ausfransenden Geschichten und atmosphärischen Einsprengseln gewiss noch intensiver als in der späteren Druckversion.
Doch es sind nicht nur die „Studien der Nacht“, die für Erregung sorgen. Auch die amerikanische Landschaft wird in Szenen und fast ekstatischen Augenblicksbildern immer wieder beschworen. Dabei gibt es kaum Einschränkungen: Mal gilt der Lobgesang den Maisfeldern von Indiana, dann wieder ist es eine Abenddämmerung mitten in Kansas oder der weite „summende Westküstenhimmel“. Bisweilen meint Jack auf den tagelangen Autofahrten fast zu spüren, wie die Straße in ihn „hineinrollt“. Am Ende jedes Trips quer über den Kontinent haben sich Jack und Neal so sehr ans Unterwegssein gewöhnt, dass sie erst einmal stundenlang durch New York laufen müssen, um wieder ruhiger zu werden.
Nichts war Kerouac wichtiger, als diese Intensität des Erlebens in der Sprache spürbar zu machen. Dabei orientierte er sich weniger an klassischen Romanvorstellungen (er nannte es den „europäischen Roman“) als am Jazz. Ein „spontaner Bop-Stil“ schwebte ihm vor, der den „Rhythmus der Gedanken im nackten und grenzenlosen Hirn“ aufsaugen sollte, wie Ginsberg es einmal beschrieben hat. Es ist faszinierend zu sehen, wie hart sich Kerouac diesen lockeren Stil erarbeiten musste. Was oft wie im Rausch hingeworfen erscheint, wurde langwierig vorbereitet – und hier überschneiden sich die Arbeit an dem Buch und seine Editionsgeschichte. Obwohl das Buch erst 1957 veröffentlicht wurde, hat Kerouac es fast zehn Jahre früher begonnen. Spätestens seit Mitte 1948 schrieb er an ersten Kapiteln, kämpfte sich dann von Entwurf zu Entwurf, kürzte wieder, notierte vor. Als er endlich zu tippen anfing, in jenem April 1951, war die Schreibmaschine dicht umgeben von aufgeklappten Notizbüchern und Kladden, Zetteln und Skizzen.
Aber ist die Urfassung bei aller Intensität nun wirklich das bessere Buch? Gewiss suggeriert die Verwendung der echten Namen und die Beschwörung sexueller Szenen stärker als bisher, die Sätze würden direkt aus dem Leben fließen. Auch ist die Sprache mit ihrer Ruppigkeit und den rhythmischen Schlenkern näher an Kerouacs Idee eines „brennenden Tons“. Doch sind in dem Text auch zahllose abgegriffene Formulierungen stehen geblieben, „weit wie das Meer“ und „wild“ gehören da noch zu den harmloseren Beispielen. Dazu hat der Text seine Längen: Nicht selten verfängt man sich beim Lesen in unmotivierten Wiederholungen und Schleifen. Das eigentlich Schöne an der deutschen Ausgabe ist wohl eher die Übersetzung von Ulrich Blumenbach. Es gelingt ihm, Kerouacs schuppiges Gefüge aus Dialogen, langen und knappen Sätzen im Deutschen einzufangen. Zugleich reichert er die Sprache mit Slangausdrücken an, ohne doch anbiedernd zeitgemäß zu klingen. So stößt man hier auf so schöne Wörter wie „kobolzen“ oder „Schmonzes“.
Als die Druckfassung von „On the Road“ 1957 erschien, war ihre Form nicht nur der Suchbewegung ihres Autors geschuldet. Sie verdankte sich auch den Eingriffen von Lektoren und Anwälten, die Angst vor Verleumdungsklagen oder einem Verbot hatten. Jack Kerouac selbst war weder mit der Druckfassung noch mit der Urfassung zufrieden. Er suchte weiter nach einem Schreiben, das es ihm ermöglichen sollte, die Zeit aufzuheben und sich selbst zu finden. Und ganz nebenbei ein Bild jenes „alten, baufälligen, heiligen Amerika“ zu entwerfen, das er auch in „On the Road“ beschwört. NICO BLEUTGE
JACK KEROUAC: On the Road. Die Urfassung. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010. 575 Seiten, 24,95 Euro.
Bei Kerouac lässt sich
das ekstatische Lebensgefühl
der Beatniks im Fluss bestaunen
Mit „On the Road“ fing er das Lebensgefühl der Beat-Generation ein: Unser Foto zeigt Jack Kerouac 1959, wie er seiner eigenen Stimme im Radio lauscht. Foto: John Cohen / Getty Images
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Fünfzig Jahre nach der Erstveröffentlichung ist die Urfassung von Jack Kerouacs Kultroman „On the Road“ erschienen
Als Jack und Neal einmal den Mississippi überqueren, taucht am Horizont New Orleans auf: „Über den braunen Fluten und dem dunklen Treibholz lagen an dem Abend mystische Nebelschwaden; auf der anderen Seite glühte die Stadt orangerot mit ein paar dunklen Schiffen am Saum, gespenstisch nebelwärts wandernden Cereno-Schiffen mit spanischen Vorbauten und ornamentalen Hecks, bis man näher kam und stinknormale Frachter aus Schweden und Panama erkannte“. Vielleicht ist es die eigentliche Kunst Jack Kerouacs, dass er diese Bewegung in „On the Road“ einfach umkehrt. Jeden Frachter und jede noch so rostige Hütte, die er auf seinen Fahrten quer durch die USA wahrnimmt, verwandelt er mit seinen Sätzen in ein literarisches Gespinst. In ein Ding, das es zu entdecken und zu feiern gilt, über dem bisweilen mystische Nebelschwaden liegen – und in dem mit ein bisschen Glück ein Funken vom Paradies aufglüht.
Es mag dies einer der Gründe dafür sein, dass „On the Road“ zum Kultbuch werden konnte, auch wenn sein Autor das so nie gewollt hat. Beinahe noch berühmter als das Buch selbst jedoch ist die Geschichte seiner Entstehung. In nur zwanzig Tagen, vom 2. bis zum 22. April 1951, schrieb Kerouac den Text herunter – so jedenfalls will es der Mythos. Das Typoskript besteht aus einer vierzig Meter langen Rolle von Papierbögen, die Kerouac selbst zusammengeklebt hat, wobei sich heute nicht mehr entscheiden lässt, ob er die Rolle während des Tippens angefertigt hat oder erst danach. Die Figuren haben hier noch keine Kunstnamen, der Erzähler, aus dem in der Druckfassung Sal Paradise werden wird, heißt Jack Kerouac, und der spätere Dean Moriarty trägt noch seinen ursprünglichen Namen: Neal Cassady. Diese „Urfassung“ des Textes liegt jetzt als Buch vor. Der englische Schriftsteller Howard Cunnell hat es zusammen mit Freunden herausgegeben und mit einigen Nachworten versehen. Darin rücken die Autoren nicht nur die Legenden um „On the Road“ zurecht, sondern versuchen auch die Größe der Urfassung zu zeigen.
„Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, hungrig, hysterisch, nackt“ – so eröffnet Allen Ginsberg sein berühmtes Langgedicht „Howl“, eines der anderen Gründungsbücher der Beat-Generation. Ein neues, freieres Amerika pulste den Beatpoeten in den Köpfen, das die Lasten des Zweiten Weltkriegs und des beginnenden Kalten Krieges mit seiner Verfolgungshysterie überwinden sollte. Wobei Ginsbergs „Geheul“ genau genommen schon der Abgesang auf diese Art des Erlebens und Denkens ist, „Visionen! Vorahnungen! Halluzinationen! Wunder! Ekstasen! alles den amerikanischen Bach runter!“, schreibt er in einer Strophe.
Bei Jack Kerouac indes lässt sich das Lebensgefühl der Beatniks gewissermaßen noch im Fluss bestaunen. „Erregung“ lautet das Zauberwort des Buches. Erregung und die Erkenntnis der Dinge. Den Impulsgeber für diese Erregung, für Intensität und Gegenwärtigkeit, findet Kerouac in der dauernden Bewegung. Stillstand, ein Verharren gar, würde ein Ende jener Wahrnehmungsfunken und emotionalen Stacheln bedeuten, die für Kerouac allein Lebendigkeit ausmachen. Und das heißt zunächst einmal, mit dem Auto oder dem Bus über die Highways zu rasen, „wie ein Pfeil, der über die ganze Strecke hinwegschießen konnte“. Wenn die beiden Protagonisten nicht gerade stundenlang reden, besuchen sie Freunde, tauchen in das Nachtleben der Städte ab, um Mädchen aufzureißen oder, das vor allem, in kleinen rauchigen Clubs Jazz zu hören. Diese „Reinheit der Bewegung und des Unterwegsseins“ ist in der Urfassung mit ihren vielen ausfransenden Geschichten und atmosphärischen Einsprengseln gewiss noch intensiver als in der späteren Druckversion.
Doch es sind nicht nur die „Studien der Nacht“, die für Erregung sorgen. Auch die amerikanische Landschaft wird in Szenen und fast ekstatischen Augenblicksbildern immer wieder beschworen. Dabei gibt es kaum Einschränkungen: Mal gilt der Lobgesang den Maisfeldern von Indiana, dann wieder ist es eine Abenddämmerung mitten in Kansas oder der weite „summende Westküstenhimmel“. Bisweilen meint Jack auf den tagelangen Autofahrten fast zu spüren, wie die Straße in ihn „hineinrollt“. Am Ende jedes Trips quer über den Kontinent haben sich Jack und Neal so sehr ans Unterwegssein gewöhnt, dass sie erst einmal stundenlang durch New York laufen müssen, um wieder ruhiger zu werden.
Nichts war Kerouac wichtiger, als diese Intensität des Erlebens in der Sprache spürbar zu machen. Dabei orientierte er sich weniger an klassischen Romanvorstellungen (er nannte es den „europäischen Roman“) als am Jazz. Ein „spontaner Bop-Stil“ schwebte ihm vor, der den „Rhythmus der Gedanken im nackten und grenzenlosen Hirn“ aufsaugen sollte, wie Ginsberg es einmal beschrieben hat. Es ist faszinierend zu sehen, wie hart sich Kerouac diesen lockeren Stil erarbeiten musste. Was oft wie im Rausch hingeworfen erscheint, wurde langwierig vorbereitet – und hier überschneiden sich die Arbeit an dem Buch und seine Editionsgeschichte. Obwohl das Buch erst 1957 veröffentlicht wurde, hat Kerouac es fast zehn Jahre früher begonnen. Spätestens seit Mitte 1948 schrieb er an ersten Kapiteln, kämpfte sich dann von Entwurf zu Entwurf, kürzte wieder, notierte vor. Als er endlich zu tippen anfing, in jenem April 1951, war die Schreibmaschine dicht umgeben von aufgeklappten Notizbüchern und Kladden, Zetteln und Skizzen.
Aber ist die Urfassung bei aller Intensität nun wirklich das bessere Buch? Gewiss suggeriert die Verwendung der echten Namen und die Beschwörung sexueller Szenen stärker als bisher, die Sätze würden direkt aus dem Leben fließen. Auch ist die Sprache mit ihrer Ruppigkeit und den rhythmischen Schlenkern näher an Kerouacs Idee eines „brennenden Tons“. Doch sind in dem Text auch zahllose abgegriffene Formulierungen stehen geblieben, „weit wie das Meer“ und „wild“ gehören da noch zu den harmloseren Beispielen. Dazu hat der Text seine Längen: Nicht selten verfängt man sich beim Lesen in unmotivierten Wiederholungen und Schleifen. Das eigentlich Schöne an der deutschen Ausgabe ist wohl eher die Übersetzung von Ulrich Blumenbach. Es gelingt ihm, Kerouacs schuppiges Gefüge aus Dialogen, langen und knappen Sätzen im Deutschen einzufangen. Zugleich reichert er die Sprache mit Slangausdrücken an, ohne doch anbiedernd zeitgemäß zu klingen. So stößt man hier auf so schöne Wörter wie „kobolzen“ oder „Schmonzes“.
Als die Druckfassung von „On the Road“ 1957 erschien, war ihre Form nicht nur der Suchbewegung ihres Autors geschuldet. Sie verdankte sich auch den Eingriffen von Lektoren und Anwälten, die Angst vor Verleumdungsklagen oder einem Verbot hatten. Jack Kerouac selbst war weder mit der Druckfassung noch mit der Urfassung zufrieden. Er suchte weiter nach einem Schreiben, das es ihm ermöglichen sollte, die Zeit aufzuheben und sich selbst zu finden. Und ganz nebenbei ein Bild jenes „alten, baufälligen, heiligen Amerika“ zu entwerfen, das er auch in „On the Road“ beschwört. NICO BLEUTGE
JACK KEROUAC: On the Road. Die Urfassung. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010. 575 Seiten, 24,95 Euro.
Bei Kerouac lässt sich
das ekstatische Lebensgefühl
der Beatniks im Fluss bestaunen
Mit „On the Road“ fing er das Lebensgefühl der Beat-Generation ein: Unser Foto zeigt Jack Kerouac 1959, wie er seiner eigenen Stimme im Radio lauscht. Foto: John Cohen / Getty Images
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