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War on Drugs has done almost nothing to prevent drugs from being sold or used, but it has nonetheless created a little-known surveillance state in America's most disadvantaged neighborhoods. The author introduces you to an unforgettable cast of young African American men who are caught up in this web of warrants and surveillance.

Produktbeschreibung
War on Drugs has done almost nothing to prevent drugs from being sold or used, but it has nonetheless created a little-known surveillance state in America's most disadvantaged neighborhoods. The author introduces you to an unforgettable cast of young African American men who are caught up in this web of warrants and surveillance.
Autorenporträt
Alice Goffman wurde 1982 in Philadelphia geboren und ist "Assistant Professor of Sociology" an der University of Wisconsin-Madison. Sie lebt in Madison.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2015

Kein Erbarmen im Land der Unfreien

Wer im System steckt, entkommt ihm nicht: Alice Goffman erzählt in ihrem preisgekrönten Bericht "On The Run" vom Leben der armen Nordamerikaner in einer Welt des dauernden Kriegszustandes.

Die Unruhen in Ferguson im Sommer und Herbst 2014 haben einer verblüfften Weltöffentlichkeit ein verdrängtes Faktum ins Gedächtnis zurückgerufen: Unabhängig davon, ob die Vereinigten Staaten von einem schwarzen Präsidenten regiert werden oder nicht, in den Gettos amerikanischer Großstädte hat sich längst eine Parallelgesellschaft armer, marginalisierter und entrechteter Minderheiten gebildet, unter denen die Schwarzen einen traurigen Spitzenrang einnehmen.

Dieser städtischen Minderheit armer Schwarzer hat die junge Soziologin und Ethnologin Alice Goffman eine umfangreiche, preisgekrönte Studie gewidmet, die Anfang nächster Woche auf Deutsch erscheint. "On the Run" ist weniger eine theoriegeleitete soziologische Arbeit als das Ergebnis einer sehr persönlichen, über sechs Jahre währenden teilnehmenden Beobachtung im kulturanthropologischen Sinn, mit all ihren Stärken und Schwächen: Goffman, Tochter des Soziologen Erving Goffman, hatte während nahezu ihrer gesamten Studienzeit an den Eliteuniversitäten von Pennsylvania und Princeton in einem schwarzen Getto Philadelphias Seite an Seite mit Gangs, Cracksüchtigen, Arbeitslosen und jugendlichen Verbrechern, aber eben auch mit Männern und Frauen, die sich von der Subkultur aus Drogen, Verbrechen und zahllosen Gefängnisaufenthalten bemerkenswert frei gemacht hatten, verbracht.

Als weiße Frau, als Jüdin, als Angehörige der akademischen Elite lebte sie als fremde Beobachterin inmitten einer anfangs vollkommen unverständlichen Welt, wie einst Bronislaw Malinowski unter den Trobriandinsulanern. Im Gegensatz zum Vater aller Feldforschung sympathisierte sie allerdings in bedenklichem Ausmaß mit den Gegenständen ihrer Forschung. Zwar blieb sie sich ihrer Fremdheit bewusst und entwickelte Strategien, sich als eine Art asexueller Buddy unter den Gangmitgliedern zu etablieren und sich dort beobachtend und protokollierend zu bewegen, aber in einer ebenso faszinierenden wie verstörenden Episode berichtet Goffman, wie sie sich nach der Ermordung eines Freundes aufmachte, gemeinsam mit einem der Schwarzen den gleichfalls schwarzen Täter zu suchen, um den Tod des Kameraden zu rächen. Sie war zum Rachemord bereit.

Spätestens hier verschwimmen die Grenzen zwischen teilnehmender Beobachtung und dem exotischen Abenteuer in einer tribalen Dschungelgesellschaft doch arg. Dennoch bleibt diese Geschichte eine Ausnahme. Ganz überwiegend, wenn auch nicht frei von Redundanzen, schildert Goffman mit Sympathie und Anteilnahme, aber zugleich mit analytischer Präzision das Leben junger schwarzer Männer im Getto - ein Leben in beständiger Flucht vor der Polizei. Denn hier täuscht der Untertitel der holprigen und fehlerhaften deutschen Übersetzung. Es geht nicht um die Kriminalisierung der Armen in den Vereinigten Staaten generell, zumal Latinos und Asiaten ebenso wenig vorkommen wie arme Weiße, es geht um die Strategien schwarzer Kleinverbrecher, sich der Polizei zu entziehen, indem sie auf Verwandte und Freunde zurückgreifen. Tatsächlich besteht das Leben dieser jungen Männer - junge Frauen kommen hier nur als minderjährige Mütter, als Sexualobjekte oder als treulose Verräterinnen vor - fast ausschließlich darin, sich dem polizeilichen Zugriff zu entziehen. Ansonsten bestimmen Drogenkriminalität und Gewalt ihr Leben, wenn sie nicht die Zeit mit Würfeln oder Videospielen totschlagen. Eine Zukunft jenseits dieser Leere kennen sie nicht.

Umgekehrt beschreibt Goffman eindringlich die latente Gewalt, die von einem Polizeisystem ausgeht, das in einem kiffenden weißen Studenten an einer Eliteuniversität den künftigen Anwalt, Unternehmer und Politiker wahrnimmt, im kiffenden schwarzen Jugendlichen aber den Schwerverbrecher von übermorgen. Schwarze werden auf offener Straße zusammengeschlagen, Wohnungen von Zugriffskommandos verschiedener Polizeidienststellen verwüstet. Selbst Goffman gerät einmal in die Mühlen des Apparats und wird grob misshandelt. Über allem aber schweben die Polizeihubschrauber und beobachten eine abgeschlossene Welt. Dieses System, das als Krieg gegen Drogen und Kriminalität daherkommt und sich in der weißen Mittelklasse vieler Anhänger erfreut, kennt kein Erbarmen selbst gegenüber Kleindelikten, sondern setzt, indem es rücksichtslos gegen alle Verdächtigen aus den Unterklassen vorgeht, einen kaum zu unterbrechenden Kreislauf von Verbrechen, Verfolgung und Haft in Gang, der durch die alles beherrschende Armut nicht besser wird.

Niemandem kommt es dabei in den Sinn, die sozialen und kulturellen Ursachen von Gewaltverbrechen zu benennen, geschweige denn, diese tödliche Spirale zu unterbrechen, weil es die Politik Wählerstimmen und die Polizei und Gefängnisverwaltung Jobs kosten würde. Wer aber einmal im System ist, dem wird jedes Entkommen verstellt. Gleichwohl ergeht sich Goffman nicht in mitleidigem Gutmenschentum. Sie weist auf Erfolgsgeschichten inmitten des Chaos hin, Menschen, denen es gelingt, sich konsequent von jeglicher Kleinkriminalität fernzuhalten. Worin aber liegen die Unterschiede zwischen diesem resistenten Personenkreis und jenen, die im Sumpf der Kriminalität und Unterdrückung untergehen?

Darauf gibt Goffman keine Antwort und kann sie auch nicht geben, denn ihre Methode gibt das nicht her. Ihrer Art der teilnehmenden Beobachtung mangelt es an einem übergeordneten Standpunkt. Selbst ihr Methodenkapitel bleibt überwiegend dem Narrativen verhaftet. Alles, was analytisch über die unmittelbare Lebenswelt der zentralen Protagonisten hinausgeht, wird allenfalls angedeutet.

Ein weiteres Problem der Studie hängt ebenfalls mit der gewählten Methode zusammen. Man hat den Eindruck, die Autorin erliege dem reizvollen Charme einer Welt im dauernden Kriegszustand. Die inhärente Gewaltkultur des Gettos wird nicht kritisiert, sondern hingenommen, womit zugleich das Fremde an den Gangmitgliedern betont wird. Gleichzeitig wird sie verabsolutiert. Die schwarzen Jugendlichen werden zu Exoten im eigenen Land, welche die Welt der Weißen nicht mehr verstehen können und wollen und die deswegen im Umkehrschluss von den Weißen gar nicht verstanden werden können. Und die Beobachterin sieht staunend zu.

MICHAEL HOCHGESCHWENDER

Alice Goffman: "On the Run". Die Kriminalisierung der Armen in Amerika. Aus dem Amerikanischen von Noemi von Alemann, Gabriele Gockel und Thomas Wollermann. Antje Kunstmann Verlag, München 2015. 320 S., geb., 19,95 [Euro].

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