'A brilliant, glittering intelligence' Sunday Times On Women brings together Susan Sontag's most fearless and incisive writing on women, a crucial aspect of her work that has not until now received the attention it deserves Written during the height of second-wave feminism, Sontag's essays remain strikingly relevant to our contemporary conversations. At times powerfully in sync and at others powerfully at odds with them, they are always characteristically original in their examinations of the 'biological division of labour', the double-standard for ageing and the dynamics of women's power and powerlessness. As Merve Emre writes in her introduction, On Women offers us 'the spectacle of a ferocious intellect setting itself to the task at hand: to articulate the politics and aesthetics of being a woman in the United States, the Americas and the world.' 'Boldly provocative' iNews 'On Women demonstrates a powerful mind and equally forceful personality' The Herald
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Süddeutsche ZeitungMochte Susan Sontag Frauen?
Der Band „On Women“ entdeckt bislang unbekannte Texte der berühmten Essayistin
– und aktualisiert ihren Beziehungsstatus zum eigenen Geschlecht
VON ANNA-LISA DIETER
Susan Sontag, die große US-amerikanische Intellektuelle des 20. Jahrhunderts, hatte ein kompliziertes Verhältnis zu Frauen. Sie liebte Frauen, ohne sich als lesbisch zu outen. Mit der Starfotografin Annie Leibovitz war sie seit Ende der Achtziger bis zu ihrem Tod im Jahr 2004 zusammen, aber offiziell zueinander bekannt haben sie sich nicht. Sontag liebte Frauen, schrieb aber lieber über Männer. Ihre bekanntesten Porträts sind Figuren gewidmet, deren literarische Größe sie bewundert hat: Walter Benjamin, Roland Barthes, Elias Canetti, W. G. Sebald. Einer von ihnen wollte sie sein. Sontags Denken war, wie sie es einmal über die jüdische Philosophin Hannah Arendt gesagt hat, „männlich geprägt“.
Weniger bekannt ist, dass sich Sontag in den frühen Siebzigern, als der Feminismus die öffentliche Debatte in den USA bestimmte, in einer Reihe von Zeitschriftentexten sehr wohl mit „Frauen“ beschäftigt hat. Nur fanden diese Texte, anders als die meisten ihrer Beiträge in Zeitschriften, später nicht den Weg in einen Essayband. Jetzt ist, zunächst auf Englisch, ein Buch erschienen, das diese, mit einer Ausnahme bislang nicht ins Deutsche übersetzten, Essays und Interviews versammelt. Es heißt schlicht „On Women“ und wurde wie schon Sontags Tagebücher von ihrem Sohn David Rieff herausgegeben. Korrigiert dieser Band, der sieben Texte aus den Jahren 1972 bis 1975 enthält, den Eindruck, dass Sontag nur wenig mit dem Feminismus anfangen konnte? Und eignen sich ihre Thesen noch für heutige Debatten?
Gleich der erste Text des Buches, der sich dem noch immer heiklen Zusammenhang von Altern und Geschlecht widmet, zeigt Sontags Gabe, den Finger in die Wunde, in diesem Fall der Geschlechterungleichheit, zu legen und ihre Neigung, dabei übers Ziel hinauszuschießen. Im Jahr 1972, kurz vor ihrem 40. Geburtstag, verfasst, beschreibt „The Double Standard of Aging“ die unterschiedlichen Maßstäbe, die westliche Gesellschaften beim Älterwerden an Frauen und Männer anlegen.
Der Titel von Sontags Essay, der im Englischen zu einer sprichwörtlichen Wendung wurde, bezieht sich auf einen heute gemeinhin bekannten Gedanken, den Sontag vermutlich als eine der ersten pointiert hat: Während das Älterwerden bei Frauen als Mangel definiert wird (Verlust von jugendlicher Attraktivität), bedeutet es für Männer etwas Positives (Zugewinn an Attraktivität durch Prestige).
Sontag gilt als eine der ersten Denkerinnen, die das Älterwerden als Problem der Kultur, nicht der Biologie verstanden haben. Ähnlich wie sie wenige Jahre später den Krebs als Krankheit der Metaphern beschreiben wird, die ihn mit Bedeutung beschweren, so betrachtet sie das weibliche Altern als Prozess, bei dem die kulturelle Imagination entscheidend ist. Die Gesellschaft nehme die Vorstellungskraft der älterwerdenden Frau in Besitz und schränke ihre Freiheit ein, sich selbst (anders als negativ) zu imaginieren.
Sontags Kritik trifft immer noch einen empfindlichen Punkt, aber womöglich ist daran inzwischen ein Wandel zu bemerken. Einerseits begreifen heute auch Männer das Altern stärker als körperlichen und geistigen Prozess, den es zu gestalten gilt. Andererseits wird das kulturelle Imaginäre seit einiger Zeit in verschiedenen Medien – in Pornografie (MILF), Kino (etwa in Nicolette Krebitz’ Film „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“), Serien (siehe die Figur der Sylvie Grateau in der Netflix-Produktion „Emily in Paris“) und Büchern (Annie Ernaux’ Erzählung „Der junge Mann“) – so bearbeitet, dass die älterwerdende Frau als attraktives, begehrendes Subjekt in den Mittelpunkt rückt. Darin steckt das Potenzial, unsere patriarchal geformten Sehgewohnheiten zu verändern und neue Bilder der reizvoll alternden Frau zu prägen.
Sontags Essay ist in den Passagen, die die gesellschaftliche Diskriminierung der Frauen nachzeichnen, eine quälende Lektüre: „Von Frauen wird erwartet, dass sie Erwachsene zweiter Klasse sind, deren natürlicher Zustand der einer dankbaren Abhängigkeit von Männern ist, und das sind sie oft auch, weil sie dazu erzogen wurden.“ Sontags Kritik der Misogynie klingt oft selbst misogyn und so, als habe es die radikale feministische Befreiungsbewegung der Sechziger und Siebziger in den USA nie gegeben. Wenn Sontag davon schreibt, dass „nur wenige Männer Frauen wirklich mögen (obwohl sie einzelne Frauen lieben)“, so könnte das auch ihre eigene Haltung umreißen. Die britische Schriftstellerin Olivia Laing fragt daher treffend: „Mochte Susan Sontag Frauen?“
Sontags Text endet mit einem Appell. Frauen sollten sich dem „doppelten Maßstab“, unter dem sie leiden, bewusstwerden und aufhören, auf die Frage nach ihrem Alter mit Scham und Lügen zu reagieren: „Frauen sollten ihren Gesichtern erlauben, die Leben zu zeigen, die sie gelebt haben. Frauen sollten die Wahrheit sagen.“ Ein moralisches Plädoyer, das zu seiner Zeit ein Aufruf zur Selbstermächtigung war. Heute erkennt man daran aber auch Sontags blinde Flecken für den mitschwingenden Vorwurf: Frauen seien an der Krise des Alterns im Grunde selbst schuld.
50 Jahre nach Sontags Essay wird die Frage, ob es in Ordnung ist, dass sich Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, zum Beispiel beim Online-Dating, ein paar Jahre jünger machen, immer noch diskutiert. Dabei ist der moralische Blick auf das Älterwerden, wie er für Sontag charakteristisch ist, einem permissiveren Umgang mit dem Altern gewichen. Den hat vor Kurzem die Celebrity-Wellness-Unternehmerin Gwyneth Paltrow in einem Interview mit der britischen Vogue auf den Punkt gebracht: „There’s definitively a double standard.“ Aber Frauen, so Paltrow, wollten schon altern. Es solle nur jede so machen, wie sie es möchte: Manche Frauen wollten alles ästhetisch angehen, und manche eine fabelhafte französische Großmutter werden, die nie etwas an sich machen lässt.
Zwei kürzere Texte, beide 1975 in der Vogue erschienen, widmet Sontag dem Thema der Schönheit, das an das Altern anschließt. In „A Woman’s Beauty: Put-Down or Power Source?“ definiert sie Schönheit als eine „Form der Macht“. Und zwar die Form der Macht, „zu der die meisten Frauen ermutigt werden“. Eine Macht, die nur bezogen auf Männer existiere. „Es ist nicht die Macht, etwas zu tun, sondern die Macht, etwas anzuziehen. Es ist eine Macht, die sich selbst negiert. Denn diese Macht ist keine, die frei gewählt werden kann – zumindest nicht von Frauen – oder auf die man ohne gesellschaftliche Zensur verzichten kann.“ Das führt Sontag zu dem Schluss, die Schönheit müsse „vor den Frauen – und für sie“ gerettet werden. Wiederum traut sie den weiblichen Subjekten wenig zu, jedenfalls keinen souveränen oder lustvollen Umgang mit der eigenen Attraktivität, erst recht nicht außerhalb des männlichen Blicks.
Wie in fast allen ihrer Essays sagt Sontag auch hier nicht „Ich“ und verzichtet darauf, die theoretische Reflexion über Schönheit mit ihrer eigenen persönlichen Erfahrung zu verbinden. Sich selbst als äußerst attraktive Frau und glamouröse Denkerin, deren intellektueller Appeal auch mit ihrem Look zusammenhing, bringt sie nicht ins Spiel. Hier hätte man gerne etwas davon erfahren, wie Sontag mit Anfang 40 auf ihr viel fotografiertes, jugendliches Selbst zurückblickt und auf ihren frühen Ruhm im New York der Sechziger.
Der zweite Text über Schönheit „Beauty: How Will It Change Next?“ arbeitet eine Erkenntnis heraus, die heute so selbstverständlich ist, dass sie kaum noch bemerkenswert erscheint. Schönheit sei nicht natürlich oder zeitlos, sondern wechselnden Idealen unterworfen: „Es gehört nun zur Essenz der Schönheit, dass sie sich verändert“. Eine Veränderung, die, wie Sontag betont, den Imperativen der Konsumgesellschaft folgt. Diese Konsumierbarkeit von Schönheit ist nach wie vor eine alltägliche Erfahrung. Sie begegnet uns in Gestalt einer Beautyindustrie, die unaufhörlich neue Produkte zur ästhetischen Selbstoptimierung auf den Markt bringt.
„The Third World of Women“, 1973 in der Zeitschrift Partisan Review veröffentlicht, enthält Sontags Antworten auf einen Fragebogen, der sich mit der Emanzipation der Frau beschäftigt. Hier fällt ihr häufig zitierter Satz: „Ich bin immer eine Feministin gewesen“. Allerdings behauptet sie auch, es sei ihr während ihres gesamten Studiums nicht aufgefallen, dass es im professionellen Umgang mit Männern ein Problem gebe und beschreibt sich selbst als „Ausnahme“. Es sei easy, eine emanzipierte Frau zu sein, wenn die Mehrheit der Frauen nicht emanzipiert ist. Am Schluss des Textes formuliert sie zwei Pflichten: „Die erste Pflicht einer ‚emanzipierten‘ Frau ist es, ein möglichst erfülltes, freies und fantasievolles Leben zu führen. Die zweite Pflicht ist ihre Solidarität mit anderen Frauen.“ Sontag tat sich mit der ersten Pflicht deutlich leichter als mit der zweiten.
Wie schwer es ihr fiel, sich mit Feministinnen zu solidarisieren, zeigt ein anderer Text des Bandes aus dem Jahr 1975: „Feminism and Fascism“, ein Austausch mit der feministischen Dichterin Adrienne Rich über Sontags Sicht auf die Filmemacherin Leni Riefenstahl. Sontag schreibt an Rich: „Wie alle großen moralischen Wahrheiten ist auch der Feminismus ein wenig einfältig.“ Sie wirft dem Feminismus vor, dass er zu extrem allgemeinen Schlussfolgerungen tendiere. – Genau das ist auch das Problem an diversen Stellen dieses Buches. Sontags Schreiben wird dann brillant, wenn sie sich wie in dem wiederabgedruckten Essay „Faszinierender Faschismus“ (auf deutsch bereits im Band „Im Zeichen des Saturn“ erschienen) einem konkreten Gegenstand zuwendet, nämlich der Filmkunst Leni Riefenstahls.
„On Women“ ist vor allem als Dokument einer Zwischenphase in Sontags Werk interessant: nach den Essays der Sechziger und vor ihren Texten über Fotografie und Krankheit Ende der Siebziger. Der Band zeigt Sontags Ringen um eine Haltung zum Feminismus, ein Thema, das ihr weniger lag als die Themen ihrer großen Essays.
Heute gehen Frauen mit dem
Altern lockerer um, man frage
nur mal Gwyneth Paltrow
Ein fantasievolles Leben zu
führen fiel Sontag leichter als die
feministische Solidarität
Susan Sontag:
On Women. Edited by David Rieff. Introduction by Merve Emre.
Picador, London 2023. 208 Seiten, 15,35 Euro.
Ihre Berühmtheit als glamouröse Denkerin hing auch mit ihrem Look zusammen: Susan Sontag (rechts), hier als Regisseurin mit Adriana Asti, die in ihrem Film „Duet for Cannibals“ von 1969 als Schauspielerin auftrat.
Foto: Susan Wood/Getty Images
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Band „On Women“ entdeckt bislang unbekannte Texte der berühmten Essayistin
– und aktualisiert ihren Beziehungsstatus zum eigenen Geschlecht
VON ANNA-LISA DIETER
Susan Sontag, die große US-amerikanische Intellektuelle des 20. Jahrhunderts, hatte ein kompliziertes Verhältnis zu Frauen. Sie liebte Frauen, ohne sich als lesbisch zu outen. Mit der Starfotografin Annie Leibovitz war sie seit Ende der Achtziger bis zu ihrem Tod im Jahr 2004 zusammen, aber offiziell zueinander bekannt haben sie sich nicht. Sontag liebte Frauen, schrieb aber lieber über Männer. Ihre bekanntesten Porträts sind Figuren gewidmet, deren literarische Größe sie bewundert hat: Walter Benjamin, Roland Barthes, Elias Canetti, W. G. Sebald. Einer von ihnen wollte sie sein. Sontags Denken war, wie sie es einmal über die jüdische Philosophin Hannah Arendt gesagt hat, „männlich geprägt“.
Weniger bekannt ist, dass sich Sontag in den frühen Siebzigern, als der Feminismus die öffentliche Debatte in den USA bestimmte, in einer Reihe von Zeitschriftentexten sehr wohl mit „Frauen“ beschäftigt hat. Nur fanden diese Texte, anders als die meisten ihrer Beiträge in Zeitschriften, später nicht den Weg in einen Essayband. Jetzt ist, zunächst auf Englisch, ein Buch erschienen, das diese, mit einer Ausnahme bislang nicht ins Deutsche übersetzten, Essays und Interviews versammelt. Es heißt schlicht „On Women“ und wurde wie schon Sontags Tagebücher von ihrem Sohn David Rieff herausgegeben. Korrigiert dieser Band, der sieben Texte aus den Jahren 1972 bis 1975 enthält, den Eindruck, dass Sontag nur wenig mit dem Feminismus anfangen konnte? Und eignen sich ihre Thesen noch für heutige Debatten?
Gleich der erste Text des Buches, der sich dem noch immer heiklen Zusammenhang von Altern und Geschlecht widmet, zeigt Sontags Gabe, den Finger in die Wunde, in diesem Fall der Geschlechterungleichheit, zu legen und ihre Neigung, dabei übers Ziel hinauszuschießen. Im Jahr 1972, kurz vor ihrem 40. Geburtstag, verfasst, beschreibt „The Double Standard of Aging“ die unterschiedlichen Maßstäbe, die westliche Gesellschaften beim Älterwerden an Frauen und Männer anlegen.
Der Titel von Sontags Essay, der im Englischen zu einer sprichwörtlichen Wendung wurde, bezieht sich auf einen heute gemeinhin bekannten Gedanken, den Sontag vermutlich als eine der ersten pointiert hat: Während das Älterwerden bei Frauen als Mangel definiert wird (Verlust von jugendlicher Attraktivität), bedeutet es für Männer etwas Positives (Zugewinn an Attraktivität durch Prestige).
Sontag gilt als eine der ersten Denkerinnen, die das Älterwerden als Problem der Kultur, nicht der Biologie verstanden haben. Ähnlich wie sie wenige Jahre später den Krebs als Krankheit der Metaphern beschreiben wird, die ihn mit Bedeutung beschweren, so betrachtet sie das weibliche Altern als Prozess, bei dem die kulturelle Imagination entscheidend ist. Die Gesellschaft nehme die Vorstellungskraft der älterwerdenden Frau in Besitz und schränke ihre Freiheit ein, sich selbst (anders als negativ) zu imaginieren.
Sontags Kritik trifft immer noch einen empfindlichen Punkt, aber womöglich ist daran inzwischen ein Wandel zu bemerken. Einerseits begreifen heute auch Männer das Altern stärker als körperlichen und geistigen Prozess, den es zu gestalten gilt. Andererseits wird das kulturelle Imaginäre seit einiger Zeit in verschiedenen Medien – in Pornografie (MILF), Kino (etwa in Nicolette Krebitz’ Film „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“), Serien (siehe die Figur der Sylvie Grateau in der Netflix-Produktion „Emily in Paris“) und Büchern (Annie Ernaux’ Erzählung „Der junge Mann“) – so bearbeitet, dass die älterwerdende Frau als attraktives, begehrendes Subjekt in den Mittelpunkt rückt. Darin steckt das Potenzial, unsere patriarchal geformten Sehgewohnheiten zu verändern und neue Bilder der reizvoll alternden Frau zu prägen.
Sontags Essay ist in den Passagen, die die gesellschaftliche Diskriminierung der Frauen nachzeichnen, eine quälende Lektüre: „Von Frauen wird erwartet, dass sie Erwachsene zweiter Klasse sind, deren natürlicher Zustand der einer dankbaren Abhängigkeit von Männern ist, und das sind sie oft auch, weil sie dazu erzogen wurden.“ Sontags Kritik der Misogynie klingt oft selbst misogyn und so, als habe es die radikale feministische Befreiungsbewegung der Sechziger und Siebziger in den USA nie gegeben. Wenn Sontag davon schreibt, dass „nur wenige Männer Frauen wirklich mögen (obwohl sie einzelne Frauen lieben)“, so könnte das auch ihre eigene Haltung umreißen. Die britische Schriftstellerin Olivia Laing fragt daher treffend: „Mochte Susan Sontag Frauen?“
Sontags Text endet mit einem Appell. Frauen sollten sich dem „doppelten Maßstab“, unter dem sie leiden, bewusstwerden und aufhören, auf die Frage nach ihrem Alter mit Scham und Lügen zu reagieren: „Frauen sollten ihren Gesichtern erlauben, die Leben zu zeigen, die sie gelebt haben. Frauen sollten die Wahrheit sagen.“ Ein moralisches Plädoyer, das zu seiner Zeit ein Aufruf zur Selbstermächtigung war. Heute erkennt man daran aber auch Sontags blinde Flecken für den mitschwingenden Vorwurf: Frauen seien an der Krise des Alterns im Grunde selbst schuld.
50 Jahre nach Sontags Essay wird die Frage, ob es in Ordnung ist, dass sich Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, zum Beispiel beim Online-Dating, ein paar Jahre jünger machen, immer noch diskutiert. Dabei ist der moralische Blick auf das Älterwerden, wie er für Sontag charakteristisch ist, einem permissiveren Umgang mit dem Altern gewichen. Den hat vor Kurzem die Celebrity-Wellness-Unternehmerin Gwyneth Paltrow in einem Interview mit der britischen Vogue auf den Punkt gebracht: „There’s definitively a double standard.“ Aber Frauen, so Paltrow, wollten schon altern. Es solle nur jede so machen, wie sie es möchte: Manche Frauen wollten alles ästhetisch angehen, und manche eine fabelhafte französische Großmutter werden, die nie etwas an sich machen lässt.
Zwei kürzere Texte, beide 1975 in der Vogue erschienen, widmet Sontag dem Thema der Schönheit, das an das Altern anschließt. In „A Woman’s Beauty: Put-Down or Power Source?“ definiert sie Schönheit als eine „Form der Macht“. Und zwar die Form der Macht, „zu der die meisten Frauen ermutigt werden“. Eine Macht, die nur bezogen auf Männer existiere. „Es ist nicht die Macht, etwas zu tun, sondern die Macht, etwas anzuziehen. Es ist eine Macht, die sich selbst negiert. Denn diese Macht ist keine, die frei gewählt werden kann – zumindest nicht von Frauen – oder auf die man ohne gesellschaftliche Zensur verzichten kann.“ Das führt Sontag zu dem Schluss, die Schönheit müsse „vor den Frauen – und für sie“ gerettet werden. Wiederum traut sie den weiblichen Subjekten wenig zu, jedenfalls keinen souveränen oder lustvollen Umgang mit der eigenen Attraktivität, erst recht nicht außerhalb des männlichen Blicks.
Wie in fast allen ihrer Essays sagt Sontag auch hier nicht „Ich“ und verzichtet darauf, die theoretische Reflexion über Schönheit mit ihrer eigenen persönlichen Erfahrung zu verbinden. Sich selbst als äußerst attraktive Frau und glamouröse Denkerin, deren intellektueller Appeal auch mit ihrem Look zusammenhing, bringt sie nicht ins Spiel. Hier hätte man gerne etwas davon erfahren, wie Sontag mit Anfang 40 auf ihr viel fotografiertes, jugendliches Selbst zurückblickt und auf ihren frühen Ruhm im New York der Sechziger.
Der zweite Text über Schönheit „Beauty: How Will It Change Next?“ arbeitet eine Erkenntnis heraus, die heute so selbstverständlich ist, dass sie kaum noch bemerkenswert erscheint. Schönheit sei nicht natürlich oder zeitlos, sondern wechselnden Idealen unterworfen: „Es gehört nun zur Essenz der Schönheit, dass sie sich verändert“. Eine Veränderung, die, wie Sontag betont, den Imperativen der Konsumgesellschaft folgt. Diese Konsumierbarkeit von Schönheit ist nach wie vor eine alltägliche Erfahrung. Sie begegnet uns in Gestalt einer Beautyindustrie, die unaufhörlich neue Produkte zur ästhetischen Selbstoptimierung auf den Markt bringt.
„The Third World of Women“, 1973 in der Zeitschrift Partisan Review veröffentlicht, enthält Sontags Antworten auf einen Fragebogen, der sich mit der Emanzipation der Frau beschäftigt. Hier fällt ihr häufig zitierter Satz: „Ich bin immer eine Feministin gewesen“. Allerdings behauptet sie auch, es sei ihr während ihres gesamten Studiums nicht aufgefallen, dass es im professionellen Umgang mit Männern ein Problem gebe und beschreibt sich selbst als „Ausnahme“. Es sei easy, eine emanzipierte Frau zu sein, wenn die Mehrheit der Frauen nicht emanzipiert ist. Am Schluss des Textes formuliert sie zwei Pflichten: „Die erste Pflicht einer ‚emanzipierten‘ Frau ist es, ein möglichst erfülltes, freies und fantasievolles Leben zu führen. Die zweite Pflicht ist ihre Solidarität mit anderen Frauen.“ Sontag tat sich mit der ersten Pflicht deutlich leichter als mit der zweiten.
Wie schwer es ihr fiel, sich mit Feministinnen zu solidarisieren, zeigt ein anderer Text des Bandes aus dem Jahr 1975: „Feminism and Fascism“, ein Austausch mit der feministischen Dichterin Adrienne Rich über Sontags Sicht auf die Filmemacherin Leni Riefenstahl. Sontag schreibt an Rich: „Wie alle großen moralischen Wahrheiten ist auch der Feminismus ein wenig einfältig.“ Sie wirft dem Feminismus vor, dass er zu extrem allgemeinen Schlussfolgerungen tendiere. – Genau das ist auch das Problem an diversen Stellen dieses Buches. Sontags Schreiben wird dann brillant, wenn sie sich wie in dem wiederabgedruckten Essay „Faszinierender Faschismus“ (auf deutsch bereits im Band „Im Zeichen des Saturn“ erschienen) einem konkreten Gegenstand zuwendet, nämlich der Filmkunst Leni Riefenstahls.
„On Women“ ist vor allem als Dokument einer Zwischenphase in Sontags Werk interessant: nach den Essays der Sechziger und vor ihren Texten über Fotografie und Krankheit Ende der Siebziger. Der Band zeigt Sontags Ringen um eine Haltung zum Feminismus, ein Thema, das ihr weniger lag als die Themen ihrer großen Essays.
Heute gehen Frauen mit dem
Altern lockerer um, man frage
nur mal Gwyneth Paltrow
Ein fantasievolles Leben zu
führen fiel Sontag leichter als die
feministische Solidarität
Susan Sontag:
On Women. Edited by David Rieff. Introduction by Merve Emre.
Picador, London 2023. 208 Seiten, 15,35 Euro.
Ihre Berühmtheit als glamouröse Denkerin hing auch mit ihrem Look zusammen: Susan Sontag (rechts), hier als Regisseurin mit Adriana Asti, die in ihrem Film „Duet for Cannibals“ von 1969 als Schauspielerin auftrat.
Foto: Susan Wood/Getty Images
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