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Produktdetails
  • Verlag: Yale University Press
  • Seitenzahl: 235
  • Englisch
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 425g
  • ISBN-13: 9780300096866
  • Artikelnr.: 11151782
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.11.2003

Gewissenlose Freiheit
Der Bioethiker Peter Singer pfeift das Lied der Globalisierung
An einem einzigen Wort kann alles hängen. Ein solches „loaded word” hat Peter Singer zitiert, als er seine neue Ethik für das Zeitalter der Globalisierung vorgestellt hat: „unconscionable”, gewissenlos. Der 1946 in Melbourne geborene Bioethiker Singer, der seit 1999 als Professor am „Center for Human Values” der Princeton University arbeitet, war schon immer für Irritationen gut. Zwar wollte er nie etwas anderes als analytische Klarheit und logische Widerspruchslosigkeit in unserem moralischen Denken. Aber angesichts der Probleme, auf die er sich seit drei Jahrzehnten konzentriert, von „Animal Liberation” (1975) über „Rethinking Life and Death” (1997) bis zu „One World” (2002), musste dieser Wunsch provozieren. Auch dieses jüngste Werk ist eine Herausforderung. Es macht ernst mit der Idee, dass wir zunehmend in einer globalen Weltgesellschaft leben, die uns mit neuen intellektuellen und moralischen Problemen konfrontiert. Die Kerngedanken von „One World” hat Singer im November 2000 an der Yale University vorgetragen, und zwar im Rahmen der traditionsreichen Dwight H. Terry Lectures. Dabei komme es, ihrem Stifter zufolge, nicht darauf an, wissenschaftliche Untersuchungen vorzustellen, sondern darauf, eine erweiterte und aufgeklärte Religiosität anzustreben. Der christliche Geist solle erhellt werden „in the fullest light of the world’s knowledge”. Bemerkenswert ist, wie Singer seinen Auftrag erfüllt hat. In vier Kapiteln hat er das Weltwissen skizziert, sofern es direkt mit der Globalisierung zu tun hat: eine Atmosphäre; eine Ökonomie; ein Rechtssystem; eine Weltbürgergesellschaft.
Erhellend sind vor allem die Erkenntnisse, die er über die 1994 gegründete Welthandelsorganisation (WTO) vermittelt. Aber sie sind zugleich äußerst provokant. Denn wie ein trojanisches Pferd bringt Singer in diesem Kontext eine Analyse ins Spiel, deren „loaded word” die neoliberale Programmatik des freien Welthandels im Zentrum trifft. Durch die ökonomische Entwicklung, forciert durch das Machtdreieck von Internationalem Währungsfond, Weltbank und WTO, wird – meint Singer – ein Weltmarkt hergestellt, dessen kosmopolitische Dynamik allen nationalen Industrien den Boden unter den Füßen wegzieht. Singer zitiert dabei auch aus einer zwar nicht mehr ganz neuen, aber offensichtlich zunehmend aktueller werdenden Analyse: Alle festen Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampfe.
Und dann fällt das entscheidende Wort: Im Zuge der globalisierten „One Economy” habe sich die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten habe sich „die eine gewissenlose Handelsfreiheit” gesetzt, „that single, unconscionable freedom – Free Trade”. Auch die Strategen und Befürworter der WTO würden, Singer zufolge, diese Analyse teilen. Wenn da nur nicht dieses „gewissenlos” stände, mit dem Marx und Engels 1848 in ihrem Kommunistischen Manifest die sozioökonomische Entwicklung ethisch gewertet und verurteilt haben, um den Kommunismus als eine globale Alternative entwerfen zu können.
Nun ist Singer so wenig Marxist wie Richard Rorty, der 1998, „150 Jahre danach”, die Lektüre des Kommunistischen Manifests empfahl mit dem Hinweis, dass man in ihm eine „moralische Haltung” finden könne, die uns angesichts der ökonomischen Globalisierung zu inspirieren und ermutigen vermag. Auch Singer hat diesen ethischen Akzent gesetzt. Die Tendenz zu „einer Ökonomie”, deren entfesselte Handelsfreiheit ganze Volkswirtschaften zusammenbrechen lässt, bietet „the material basis for a new ethic”, die nicht prognostiziert, was tatsächlich geschehen wird, sondern vor einem Weltbürgertum zu rechtfertigen versucht, was getan werden soll. Gewissenlosigkeit kann dabei jedenfalls keine Empfehlung sein.
MANFRED GEIER
PETER SINGER: One World. The Ethics of Globalisation. Yale University Press, New Haven & London 2002. 235 Seiten, 21,95 US-Dollar.
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