Für Justus ist Onkel Siem unangefochtene Bezugsperson - lebensfroh und unkompliziert überspringt er alle Hürden des Lebens. Umso unfassbarer scheint es, dass Siem sich eines Tages das Leben nimmt. Die Suche nach dem wahren Onkel beginnt.
Justus reist mit seinem Onkel Siem durch die Hotels und Pensionen der niederländischen Provinz, um sie für ihre Zeitschrift "Guten Morgen" zu bewerten. Siem und seine Frau Tilly sind der genaue Gegensatz zu Justus' spießigen Eltern, und schon als Kind bewunderte Justus den Onkel für seine Lebenslust, sein Temperament und seine Unkonventionalität. Als Siem für alle unfassbar Selbstmord begeht, muss sich Justus dem wahren Bild des Onkels stellen und ihn von dem Sockel, auf den er ihn gesetzt hat, herunterholen. Und so erzählt er nach und nach von den Schattenseiten in Siems Leben, die den Selbstmord gar nicht mehr so unfassbar erscheinen lassen wie zunächst angenommen.
Ein nachdenklicher und dennoch heiterer Roman, der die niederländische Provinz in all ihrer Liebenswürdigkeit darstellt und der gleichzeitig zeigt, was der Selbstmord eines geliebten Menschen für die Angehörigen bedeutet.
Neben Leon de Winter und Harry Mulisch gehört Joost Zwagerman zu den bedeutendsten niederländischen Autoren und kann nun endlich auch von einem deutschen Publikum entdeckt werden.
Justus reist mit seinem Onkel Siem durch die Hotels und Pensionen der niederländischen Provinz, um sie für ihre Zeitschrift "Guten Morgen" zu bewerten. Siem und seine Frau Tilly sind der genaue Gegensatz zu Justus' spießigen Eltern, und schon als Kind bewunderte Justus den Onkel für seine Lebenslust, sein Temperament und seine Unkonventionalität. Als Siem für alle unfassbar Selbstmord begeht, muss sich Justus dem wahren Bild des Onkels stellen und ihn von dem Sockel, auf den er ihn gesetzt hat, herunterholen. Und so erzählt er nach und nach von den Schattenseiten in Siems Leben, die den Selbstmord gar nicht mehr so unfassbar erscheinen lassen wie zunächst angenommen.
Ein nachdenklicher und dennoch heiterer Roman, der die niederländische Provinz in all ihrer Liebenswürdigkeit darstellt und der gleichzeitig zeigt, was der Selbstmord eines geliebten Menschen für die Angehörigen bedeutet.
Neben Leon de Winter und Harry Mulisch gehört Joost Zwagerman zu den bedeutendsten niederländischen Autoren und kann nun endlich auch von einem deutschen Publikum entdeckt werden.
"Es ist immer ein Abenteuer, Joost Zwagerman zu lesen. Auf jeder Seite stellt Zwagerman sein unverwechselbares Talent unter Beweis." Harry Mulisch
"Ein herausragender Erzähler mit einem eleganten und lebhaften Stil" Maarten 't Hart
"Ein herausragender Erzähler mit einem eleganten und lebhaften Stil" Maarten 't Hart
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.07.2005Der Knick in der Klorolle
Joost Zwagerman erforscht die Seelenpein eines Neffen
Verlässt der jüngste niederländische Chefredakteur aller Zeiten seine Redaktionsräume in Amsterdam und steuert das kleine Städtchen Croisset nahe der französischen Kanalküste an, kann man das ungewöhnlich finden. Justus Merkelbach ist Hotelrezensent und sein holländisches Klientel nicht unbedingt an der Normandie interessiert. Holländer zieht es eher in südliche Gefilde. Justus allerdings fährt nicht in Urlaub, sondern will das Rezensentenleben etwas auffrischen und seinem Anzeigenblatt einen neuen Markt eröffnen. Zwar schreibt das Anzeigenblatt Guten Morgen nicht zuletzt deshalb schwarze Zahlen, weil es getestete Hotels mit Sternen versieht und im Gegenzug Anzeigen kassiert. Aber genau das kann nicht alles gewesen sein, denkt Justus und will den Anzeigenjournalismus in kulturtouristische Bereiche ausweiten. Wie wäre es zum Beispiel, rezensierte er künftig nicht nur Hotels wie das „Juliana” in Venlo, um dem Manager dann deutlich zu machen, er könne im Falle einer geschalteten Anzeige mit lobenden Worten für Matratzenqualität, Hygiene und den obligatorischen Knick in der Klorolle rechnen. Denkbar wären Mischgeschäfte. Der Guten Morgen testete natürlich weiterhin Hotels, würde gleichzeitig aber auch kulturelle Highlights empfehlen, die man von den entsprechenden Hotels aus besuchen kann. In Croisset zum Beispiel ginge es natürlich um Flaubert und das Landgut, auf dem der nachromantische Realist lebte und die wohl berühmteste Selbstmörderin der Literaturgeschichte aus dem Leben scheiden ließ.
Literarischer Kronprinz
„Madame Bovary” ist ein Fixpunkt in Joost Zwagermans „Onkel Siem und die Frauen”, kann allerdings nicht wirklich verhindern, dass man zu Beginn der Lektüre nicht genau weiß, welches Genre der 41-jährige holländische Autor mit seinem Roman bedienen will. Soll aus der Geschichte ein Road Movie im Stile von Dorfer/Haderers „Indien” werden, oder steuert Zwagerman wie schon 1997 mit „Kunstlicht” in Richtung einer Mediensatire. Der „Kronprinz der holländischen Literatur”, wie Zwagermann anlässlich seines Romans „Die Nebenfrau” (1994) genannt wurde, persifliert gerne die Mechanismen des Kultur- und Medienbetriebs. Je weiter man in „Onkel Siem und die Frauen” allerdings vorankommt, desto deutlicher wird, dass Madame Bovarys Selbstauslöschung der entscheidende Hinweis war.
Joost Zwagerman hat ein Familiendrama im Blick, das seinen Höhepunkt ausgerechnet dann erreicht, wenn Justus Merkelbach während einer Recherche in Flauberts Schreibheimat einen nüchternen Anruf erhält. Er weilt gerade in einem Hotel in Rouen, da ruft sein Vater an und teilt mit, Onkel Siem habe seinem Leben mit vierzig Schlaftabletten ein Ende gesetzt. In diesem Moment verändert sich das Leben des einsiedlerischen Journalisten und Hoteltesters. Der Erzählton wird melancholisch und der Roman gerät in Gefahr, dass der Ich-Erzähler in immer neuen Anläufen nur noch eines zu ergründen sucht: Wie konnte solch ein Onkel, der doch so lebenslustig schien, den definitiven Schritt überhaupt tun? Der Leidensdruck, den der Selbstmord beim Neffen hervorruft, ist zu erklären. Immerhin war Siem nicht nur der Bruder seines ungeliebten Vaters, sondern auch Arbeitgeber, Mentor, Reisegefährte, Vertrauter, Besitzer des Guten Morgen und selbst als Hoteltester unterwegs. Siem brachte dem Neffen alle Tricks bei, die man im Anzeigengeschäft parat haben muss. Bei Siem und Tante Tilly fand Justus allerdings auch schon in früher Jugend alles, was ihm der gestrenge und besserwisserische Vater versagte: Lebensfreude, Kreativität, Unterstützung.
Ein Fläschchen Ammoniak
Siem und Tilly, so die schwärmerische Schilderung, wären ideale Eltern gewesen. Dann allerdings verließ Tilly abrupt ihren Siem und es schält sich heraus, dass sowohl die Ehe als auch der Onkel Schattenseiten hatten. Die ignorierte Justus bislang. Jetzt kann er nicht mehr ausweichen und stellt sich unter anderem die Frage, warum Onkel Siem den Suizid mit einem Fläschchen Ammoniak krönte. Das tut der Speiseröhre nicht gut und macht das Sterben schmerzvoll. Justus findet keine Antwort und bleibt ein Ich-Erzähler, der den Ereignissen hinterherhinkt. Erzähltechnisch geht das in Ordnung. Dagegen steht, dass die Kreisbewegung des Neffen um das Rätsel „Onkel” nicht unbedingt abendfüllend ist, auch wenn Zwagermann immer wieder Querverweise zur Bovary streut, als seien sie und Siem Geistesverwandte.
Im Erzählstrom entsteht der Schattenriss eines ambivalenten Mannes. Lebenslustig war der Onkel und immer bereit, sich mit verrückten Projekten zu ruinieren. Er litt aber auch darunter, dass die Liebe seines Lebens, Tante Tilly, aufgrund der kinderlosen Ehe ihre Sexualität einfror. Er wurde zum Schürzenjäger und nutzte seine Testreisen weidlich. Diese Erzähllinie ist tragfähig. Lässt Zwagerman dagegen immer wieder die Seelenpein von Justus anklingen, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem man sich gerne zum Therapeuten suizidgeschädigter Angehöriger ausbilden lassen möchte, um dem armen Neffen helfen zu können.
JÜRGEN BERGER
JOOST ZWAGERMAN: Onkel Siem und die Frauen. Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 219 S., 17,90 Euro.
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Joost Zwagerman erforscht die Seelenpein eines Neffen
Verlässt der jüngste niederländische Chefredakteur aller Zeiten seine Redaktionsräume in Amsterdam und steuert das kleine Städtchen Croisset nahe der französischen Kanalküste an, kann man das ungewöhnlich finden. Justus Merkelbach ist Hotelrezensent und sein holländisches Klientel nicht unbedingt an der Normandie interessiert. Holländer zieht es eher in südliche Gefilde. Justus allerdings fährt nicht in Urlaub, sondern will das Rezensentenleben etwas auffrischen und seinem Anzeigenblatt einen neuen Markt eröffnen. Zwar schreibt das Anzeigenblatt Guten Morgen nicht zuletzt deshalb schwarze Zahlen, weil es getestete Hotels mit Sternen versieht und im Gegenzug Anzeigen kassiert. Aber genau das kann nicht alles gewesen sein, denkt Justus und will den Anzeigenjournalismus in kulturtouristische Bereiche ausweiten. Wie wäre es zum Beispiel, rezensierte er künftig nicht nur Hotels wie das „Juliana” in Venlo, um dem Manager dann deutlich zu machen, er könne im Falle einer geschalteten Anzeige mit lobenden Worten für Matratzenqualität, Hygiene und den obligatorischen Knick in der Klorolle rechnen. Denkbar wären Mischgeschäfte. Der Guten Morgen testete natürlich weiterhin Hotels, würde gleichzeitig aber auch kulturelle Highlights empfehlen, die man von den entsprechenden Hotels aus besuchen kann. In Croisset zum Beispiel ginge es natürlich um Flaubert und das Landgut, auf dem der nachromantische Realist lebte und die wohl berühmteste Selbstmörderin der Literaturgeschichte aus dem Leben scheiden ließ.
Literarischer Kronprinz
„Madame Bovary” ist ein Fixpunkt in Joost Zwagermans „Onkel Siem und die Frauen”, kann allerdings nicht wirklich verhindern, dass man zu Beginn der Lektüre nicht genau weiß, welches Genre der 41-jährige holländische Autor mit seinem Roman bedienen will. Soll aus der Geschichte ein Road Movie im Stile von Dorfer/Haderers „Indien” werden, oder steuert Zwagerman wie schon 1997 mit „Kunstlicht” in Richtung einer Mediensatire. Der „Kronprinz der holländischen Literatur”, wie Zwagermann anlässlich seines Romans „Die Nebenfrau” (1994) genannt wurde, persifliert gerne die Mechanismen des Kultur- und Medienbetriebs. Je weiter man in „Onkel Siem und die Frauen” allerdings vorankommt, desto deutlicher wird, dass Madame Bovarys Selbstauslöschung der entscheidende Hinweis war.
Joost Zwagerman hat ein Familiendrama im Blick, das seinen Höhepunkt ausgerechnet dann erreicht, wenn Justus Merkelbach während einer Recherche in Flauberts Schreibheimat einen nüchternen Anruf erhält. Er weilt gerade in einem Hotel in Rouen, da ruft sein Vater an und teilt mit, Onkel Siem habe seinem Leben mit vierzig Schlaftabletten ein Ende gesetzt. In diesem Moment verändert sich das Leben des einsiedlerischen Journalisten und Hoteltesters. Der Erzählton wird melancholisch und der Roman gerät in Gefahr, dass der Ich-Erzähler in immer neuen Anläufen nur noch eines zu ergründen sucht: Wie konnte solch ein Onkel, der doch so lebenslustig schien, den definitiven Schritt überhaupt tun? Der Leidensdruck, den der Selbstmord beim Neffen hervorruft, ist zu erklären. Immerhin war Siem nicht nur der Bruder seines ungeliebten Vaters, sondern auch Arbeitgeber, Mentor, Reisegefährte, Vertrauter, Besitzer des Guten Morgen und selbst als Hoteltester unterwegs. Siem brachte dem Neffen alle Tricks bei, die man im Anzeigengeschäft parat haben muss. Bei Siem und Tante Tilly fand Justus allerdings auch schon in früher Jugend alles, was ihm der gestrenge und besserwisserische Vater versagte: Lebensfreude, Kreativität, Unterstützung.
Ein Fläschchen Ammoniak
Siem und Tilly, so die schwärmerische Schilderung, wären ideale Eltern gewesen. Dann allerdings verließ Tilly abrupt ihren Siem und es schält sich heraus, dass sowohl die Ehe als auch der Onkel Schattenseiten hatten. Die ignorierte Justus bislang. Jetzt kann er nicht mehr ausweichen und stellt sich unter anderem die Frage, warum Onkel Siem den Suizid mit einem Fläschchen Ammoniak krönte. Das tut der Speiseröhre nicht gut und macht das Sterben schmerzvoll. Justus findet keine Antwort und bleibt ein Ich-Erzähler, der den Ereignissen hinterherhinkt. Erzähltechnisch geht das in Ordnung. Dagegen steht, dass die Kreisbewegung des Neffen um das Rätsel „Onkel” nicht unbedingt abendfüllend ist, auch wenn Zwagermann immer wieder Querverweise zur Bovary streut, als seien sie und Siem Geistesverwandte.
Im Erzählstrom entsteht der Schattenriss eines ambivalenten Mannes. Lebenslustig war der Onkel und immer bereit, sich mit verrückten Projekten zu ruinieren. Er litt aber auch darunter, dass die Liebe seines Lebens, Tante Tilly, aufgrund der kinderlosen Ehe ihre Sexualität einfror. Er wurde zum Schürzenjäger und nutzte seine Testreisen weidlich. Diese Erzähllinie ist tragfähig. Lässt Zwagerman dagegen immer wieder die Seelenpein von Justus anklingen, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem man sich gerne zum Therapeuten suizidgeschädigter Angehöriger ausbilden lassen möchte, um dem armen Neffen helfen zu können.
JÜRGEN BERGER
JOOST ZWAGERMAN: Onkel Siem und die Frauen. Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 219 S., 17,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Schwankt das anvisierte Genre von Joost Zwagermans jüngstem Roman anfänglich noch zwischen "Road Novel" und "Mediensatire", entpuppt sich die Geschichte schließlich als "Familiendrama", dessen literarischer Bezugspunkt in Flauberts "Madame Bovary" zu finden ist, erklärt Jürgen Berger. Der Hotelkritiker Justus Merkelbach erfährt auf einer Dienstreise, dass sich sein geliebter Onkel Siem das Leben genommen hat. Dieser Onkel war für seine außerehelichen Eskapaden bekannt, fasst der Rezensent zusammen, der den Erzählstrang, der sich mit Siem befasst, verhalten als "tragfähig" lobt. Etwas auf die Nerven dagegen gehen ihm die immer größeren Raum einnehmenden gedanklichen "Kreisbewegungen", mit denen der Neffe zu ergründen versucht, warum sich sein Onkel umgebracht hat. Dies sei "nicht unbedingt abendfüllend", mäkelt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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