»Frank Schulz hat den grandiosesten Antihelden unserer Zeit geschaffen. (...) Der Roman gehört so ziemlich zum Komischsten, was man in den vergangenen Jahren lesen durfte.« FAZ.
Der eigenwilligste Privatdetektiv der Literaturgeschichte zieht aufs Dorf. Doch die Idylle trügt gewaltig. Der dritte Onno ist beileibe kein Regionalkrimi, sondern ein Roman von Welt.
Protzten Onnos bisherige Abenteuer noch mit Kreuzfahrtschiffen und Kiezoligarchen, Popmagnaten und Rotlichteskapaden, ist der Mittelpunkt der Welt beim dritten und letzten Onno Viets das Dörfchen Finkloch. Selten gab es mehr Dorfidylle auf so wenigen Quadratmetern.
Doch Onnos scheinbar beschaulicher Sommer bei den Schwiegereltern hat einen düsteren Hintergrund: Geplagt von einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, ist der Privatdetektiv von eigenen Gnaden von Hamburg raus aufs Land geflohen. Denn seit dem dramatischen Fall um den Irren vom Kiez ist er nicht mehr er selbst: Nicht nur, dass er an der Pingpongplatte versagt, er leidet vor allem unter ausgewachsenen Panikattacken, die seine Tage zur höllischen Qual werden lassen. Dörflichkeit und kuscheliger Schoß der Schwiegerfamilie sollen für Linderung sorgen.
Doch natürlich stolpert Onno auch in Finkloch unfreiwillig in finstere Machenschaften, bei denen nicht nur gekreuzigte Pharaonenkatzen und Schusswaffen eine gewichtige Rolle spielen, sondern auch die »Katzenzenzi«, exilbayerische Esoterikerin, die es vom Astro-TV ins norddeutsche Dorf verschlagen hat, wo sie sich mit Vollmondseminaren eine goldene Nase verdient. Bald schon überschlagen sich die Ereignisse, es gibt sogar einen Toten ... doch auf einmal beginnt Frank Schulz, aus der Komik seiner Regionalfarce heraus das Schicksal ganzer Generationen zu erzählen. Das Dorfbuch mutiert zum Weltbuch und Schulz erzählt mit einer Wucht, die den Leser umhaut. Der nächste große Schulz'sche Wurf - der würdige Abschluss einer grandiosen Trilogie.
Das fehlende Puzzlestück im Onno-Universum - ein Roman mit unerwarteter Wucht.
Der eigenwilligste Privatdetektiv der Literaturgeschichte zieht aufs Dorf. Doch die Idylle trügt gewaltig. Der dritte Onno ist beileibe kein Regionalkrimi, sondern ein Roman von Welt.
Protzten Onnos bisherige Abenteuer noch mit Kreuzfahrtschiffen und Kiezoligarchen, Popmagnaten und Rotlichteskapaden, ist der Mittelpunkt der Welt beim dritten und letzten Onno Viets das Dörfchen Finkloch. Selten gab es mehr Dorfidylle auf so wenigen Quadratmetern.
Doch Onnos scheinbar beschaulicher Sommer bei den Schwiegereltern hat einen düsteren Hintergrund: Geplagt von einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, ist der Privatdetektiv von eigenen Gnaden von Hamburg raus aufs Land geflohen. Denn seit dem dramatischen Fall um den Irren vom Kiez ist er nicht mehr er selbst: Nicht nur, dass er an der Pingpongplatte versagt, er leidet vor allem unter ausgewachsenen Panikattacken, die seine Tage zur höllischen Qual werden lassen. Dörflichkeit und kuscheliger Schoß der Schwiegerfamilie sollen für Linderung sorgen.
Doch natürlich stolpert Onno auch in Finkloch unfreiwillig in finstere Machenschaften, bei denen nicht nur gekreuzigte Pharaonenkatzen und Schusswaffen eine gewichtige Rolle spielen, sondern auch die »Katzenzenzi«, exilbayerische Esoterikerin, die es vom Astro-TV ins norddeutsche Dorf verschlagen hat, wo sie sich mit Vollmondseminaren eine goldene Nase verdient. Bald schon überschlagen sich die Ereignisse, es gibt sogar einen Toten ... doch auf einmal beginnt Frank Schulz, aus der Komik seiner Regionalfarce heraus das Schicksal ganzer Generationen zu erzählen. Das Dorfbuch mutiert zum Weltbuch und Schulz erzählt mit einer Wucht, die den Leser umhaut. Der nächste große Schulz'sche Wurf - der würdige Abschluss einer grandiosen Trilogie.
Das fehlende Puzzlestück im Onno-Universum - ein Roman mit unerwarteter Wucht.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Ein drittes und vermutlich letztes Mal verliebt sich Susanne Messmer in Frank Schulz' kauzigen Nichtsnutz Onno Viets, der wie in den beiden Vorgängerromanen noch immer unter seiner posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Klar, auch dieses Mal hat die Kritikerin wieder ihre Probleme mit Schulz' Hang zum zähen Einstieg, in dem jede Figur und jedes Geräusch so akribisch beschrieben werden, dass Messmer glaubt, sie wäre ein wenig zu nahe am Geschehen. Nach ein paar Seiten hat sie das Onno-Viets-Fieber aber schnell wieder gepackt: Groteske Momente, Brachialhumor, Herzensbildung und große Themen wie Krieg gehen hier einmal mehr brillant zusammen, schwärmt die Kritikerin, die Onno in diesem Teil ins Dorfidyll seiner Schwiegereltern begleitet und bewundert, wie liebevoll, glänzend und präzise Schulz das vordergründig farblose Kleinbürgermilieu schildert. Insbesondere die Figur des Schwiegervaters, der noch immer unter den Schrecken des Zweiten Weltkriegs leidet, hat die Rezensentin beeindruckt: Schlicht genial, wie Schulz Humor und Grauen verbindet, findet sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016Aus dem Funkloch der Vergangenheit
Frank Schulz schreibt den dritten Teil seiner Trilogie um den größten Antihelden unserer Zeit. Und nebenbei noch einen großen Familienroman.
Von Wiebke Porombka
Dass Frank Schulz mit seinem phlegmatischen, notorisch klammen, außer "tjorp", "nech" und "öff, öff" nicht viele und beileibe keine großen Worte machenden Gelegenheits-Privatdetektiv Onno Viets den grandiosesten Antihelden unserer Zeit geschaffen hat, muss kaum noch einmal gesondert hervorgehoben werden, nun, da der mittlerweile dritte Band um den Hamburger Sozialleistungsempfänger erscheint, der seine Tischtennisfreunde regelmäßig mit seiner ungemein effektiven Passivität in den Wahnsinn treibt. "Mit steifen Knien, den Schläger in der Linken, stand Onno mir gegenüber. In Shorts, die sich (bis auf die türkisfarbenen Streifen an den Hüften) farblich kaum von der blassen, haarlosen Haut abhoben, und ebensolchem Unterhemd."
"Onno Viets und der weiße Hirsch" heißt der letzte Band der Trilogie, mit der Schulz seinen Lesern eine radikale Impfung verpasst gegen die tückischen Viren der Gegenwart, die sich in allen Spielarten von Optimierung, Schönheitswahn und smarter Eloquenz äußern. Der Verkleinerungs- und Tiefstapelei-Künstler Onno schöpft sein Heldentum gerade daraus, dass er all diese Attribute himmelweit unterläuft. Dass diese aus der Zeit gefallene Gestalt, die sich im ersten Band mit einem surreal-brutalen Kiez-Ungeheuer herumschlagen musste, was ihr unglücklicherweise eine posttraumatische Belastungsstörung eingebracht hat, so ziemlich zum Komischsten gehört, was man in den vergangenen Jahren lesen durfte, steht außer Frage. Genauso wie die Einsicht, dass die Selbstverständlichkeiten der Gegenwart reichlich merkwürdig und albern wirken, wenn man sie probehalber einmal aus der Onno-Perspektive betrachtet, nech? Tjorp.
Die gesellschaftsdiagnostischen Wirkungstreffer haben eine ähnliche Durchschlagskraft wie die linkischen Rückhandschläge, mit denen Onno an der Tischtennisplatte seinen Sparringspartnern den letzten Nerv raubt. Einer von ihnen, der Rechtsanwalt Dr. Christopher Dannewitz, fungiert in gewohnter Manier zugleich als vermeintlich seriöser, wenngleich ob seiner eingestandenen zwischenzeitlichen Abwesenheit vom Geschehen auch nicht wirklich wasserdichter Erzähler.
Der eigentliche, äußerst gewiefte und seinem Helden an Brillanz in nichts nachstehende Verkleinerungskünstler ist natürlich Frank Schulz selbst, der, getarnt durch das behauptete Genre der Kriminalliteratur und den norddeutschen Kalauer, mit "Onno Viets und der weiße Hirsch" nun klammheimlich einen großen Familien- und Nachkriegsroman geschrieben hat. Nach Reeperbahn und Kreuzfahrtschiff ist das Geschehen in das kleine Örtchen Finkloch verlegt, in dem es, wie der Name schon nahelegt, um den Handyempfang zwar erbärmlich bestellt ist, dafür aber die Frequenzen auf den Zählern aller erdenklichen - und dazu noch aller schwer vorstellbaren, weil abstrusen - Unterströmungen und Strahlungen umso heftiger ausschlagen.
Angesichts der Einsicht, dass die virtuosen, aber in ihrer behaupteten Beiläufigkeit fast unauffälligen Verknüpfungen, die Schulz entspinnt, an dieser Stelle noch nicht einmal ansatzweise nachvollzogen werden können, ließe sich das Ganze der Einfachheit halber in etwa wie folgt zusammenfassen: Am Anfang steht die Geburtstagsfeier von Onnos Schwiegervater, einem leidenschaftlichen Jäger, die Schulz zum Anlass nimmt, um in einem permanenten Wechsel von umgangssprachlicher, mit Plattdeutsch durchsetzter Schnoddrigkeit, beinahe lyrisch anmutender Lautmalerei und unangestrengt fein durchgearbeiteter Sprache die eigentlich unerträglichen, aber eben doch liebenswerten Gestalten zu umreißen, die auf so einer Feier durch den Garten staksen, nebst allen Verquickungen, die sich in einem Familien- und Dorfleben nicht vermeiden lassen.
Unschlagbar allein, wie die junge, hübsche, leider unglaublich spießige Freundin des Rechtsanwalt-Erzählers erst von dem greisen Jägergehilfen des Schwiegervaters angeflirtet wird, etwas norddeutsch hemdsärmelig allerdings und dazu mit einem Gebiss, das ein wenig aus den Fugen geraten ist und deshalb permanent Zisch- und Klappergeräusche erzeugt: "Na Hauptsache, Füße gewaschen, nn? Ft, ft." Und wie sich die feine Hanseatin schließlich in Krämpfen windet, weil sie so fein und hanseatisch ist, dass sie sich trotz höchster Not partout nicht überwinden kann, die Toilette aufzusuchen, aus Angst, einer der Gäste könnte etwaige Lautentweichungen vernehmen.
Es folgen allerhand schräges Kasperletheater und Budenzauber. Um nur ein paar Stichworte zu nennen: mutmaßliche Ermordung des Gebissträgers und Jagdgehilfen im Hochsitz, nächtlicher Schusswechsel mit Unbekanntem nebst verschwundener Leiche, ebenso esoterische wie aggressive, aus Bayern zugezogene Besitzerin unzähliger Katzen, die bei Mondschein weißgewandete Damen dies- und jenseits der Midlife-Crisis in Ekstase versetzt.
Und während Onno, der sich nach dem Aufflammen der posttraumatischen Belastungsstörung im Haus seiner Schwiegereltern verkrochen hat und deren Biervorräten schwer zusetzt, in bewährter Planlosigkeit durch Wälder und Wiesen streift, um den Absonderlichkeiten, die sich in Finkloch zutragen, auf den Grund zu gehen, bohrt sich Frank Schulz mit seinem Roman unversehens in ganz andere Tiefen. Nicht nur ein irgendwo zwischen abenteuerlicher Kolportage und historischer Tragik verortetes Stück deutsch-deutscher Familiengeschichte kommt ans Tageslicht. Schulz dringt noch ein Stück weiter in die Vergangenheit vor und legt die verdrängte und abrupt abgeschnittene Geschichte der Vertreibung und des Vaterverlusts von Onnos Schwiegervater frei.
Es mag der Tatsache geschuldet sein, dass Frank Schulz hier einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte verarbeitet, dass der Schluss der Romans ein wenig von der üblicherweise dominierenden pingponghaften Leichtigkeit einbüßt. Und dennoch liefert Schulz mit seiner letzten Meldung aus dem Onno-Universum den endgültigen Beweis dafür, dass Humor, wenn er denn so klug und hintersinnig ist wie der seine, so lange an den festen Verschraubungen unserer biographischen, sozialen und historischen Selbstwahrnehmung rüttelt, bis längst überwunden geglaubte Versehrtheiten aufbrechen, auf dass sie endlich geheilt werden können.
Frank Schulz: "Onno Viets und der weiße Hirsch". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2016. 368 S., geb., 19,99 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frank Schulz schreibt den dritten Teil seiner Trilogie um den größten Antihelden unserer Zeit. Und nebenbei noch einen großen Familienroman.
Von Wiebke Porombka
Dass Frank Schulz mit seinem phlegmatischen, notorisch klammen, außer "tjorp", "nech" und "öff, öff" nicht viele und beileibe keine großen Worte machenden Gelegenheits-Privatdetektiv Onno Viets den grandiosesten Antihelden unserer Zeit geschaffen hat, muss kaum noch einmal gesondert hervorgehoben werden, nun, da der mittlerweile dritte Band um den Hamburger Sozialleistungsempfänger erscheint, der seine Tischtennisfreunde regelmäßig mit seiner ungemein effektiven Passivität in den Wahnsinn treibt. "Mit steifen Knien, den Schläger in der Linken, stand Onno mir gegenüber. In Shorts, die sich (bis auf die türkisfarbenen Streifen an den Hüften) farblich kaum von der blassen, haarlosen Haut abhoben, und ebensolchem Unterhemd."
"Onno Viets und der weiße Hirsch" heißt der letzte Band der Trilogie, mit der Schulz seinen Lesern eine radikale Impfung verpasst gegen die tückischen Viren der Gegenwart, die sich in allen Spielarten von Optimierung, Schönheitswahn und smarter Eloquenz äußern. Der Verkleinerungs- und Tiefstapelei-Künstler Onno schöpft sein Heldentum gerade daraus, dass er all diese Attribute himmelweit unterläuft. Dass diese aus der Zeit gefallene Gestalt, die sich im ersten Band mit einem surreal-brutalen Kiez-Ungeheuer herumschlagen musste, was ihr unglücklicherweise eine posttraumatische Belastungsstörung eingebracht hat, so ziemlich zum Komischsten gehört, was man in den vergangenen Jahren lesen durfte, steht außer Frage. Genauso wie die Einsicht, dass die Selbstverständlichkeiten der Gegenwart reichlich merkwürdig und albern wirken, wenn man sie probehalber einmal aus der Onno-Perspektive betrachtet, nech? Tjorp.
Die gesellschaftsdiagnostischen Wirkungstreffer haben eine ähnliche Durchschlagskraft wie die linkischen Rückhandschläge, mit denen Onno an der Tischtennisplatte seinen Sparringspartnern den letzten Nerv raubt. Einer von ihnen, der Rechtsanwalt Dr. Christopher Dannewitz, fungiert in gewohnter Manier zugleich als vermeintlich seriöser, wenngleich ob seiner eingestandenen zwischenzeitlichen Abwesenheit vom Geschehen auch nicht wirklich wasserdichter Erzähler.
Der eigentliche, äußerst gewiefte und seinem Helden an Brillanz in nichts nachstehende Verkleinerungskünstler ist natürlich Frank Schulz selbst, der, getarnt durch das behauptete Genre der Kriminalliteratur und den norddeutschen Kalauer, mit "Onno Viets und der weiße Hirsch" nun klammheimlich einen großen Familien- und Nachkriegsroman geschrieben hat. Nach Reeperbahn und Kreuzfahrtschiff ist das Geschehen in das kleine Örtchen Finkloch verlegt, in dem es, wie der Name schon nahelegt, um den Handyempfang zwar erbärmlich bestellt ist, dafür aber die Frequenzen auf den Zählern aller erdenklichen - und dazu noch aller schwer vorstellbaren, weil abstrusen - Unterströmungen und Strahlungen umso heftiger ausschlagen.
Angesichts der Einsicht, dass die virtuosen, aber in ihrer behaupteten Beiläufigkeit fast unauffälligen Verknüpfungen, die Schulz entspinnt, an dieser Stelle noch nicht einmal ansatzweise nachvollzogen werden können, ließe sich das Ganze der Einfachheit halber in etwa wie folgt zusammenfassen: Am Anfang steht die Geburtstagsfeier von Onnos Schwiegervater, einem leidenschaftlichen Jäger, die Schulz zum Anlass nimmt, um in einem permanenten Wechsel von umgangssprachlicher, mit Plattdeutsch durchsetzter Schnoddrigkeit, beinahe lyrisch anmutender Lautmalerei und unangestrengt fein durchgearbeiteter Sprache die eigentlich unerträglichen, aber eben doch liebenswerten Gestalten zu umreißen, die auf so einer Feier durch den Garten staksen, nebst allen Verquickungen, die sich in einem Familien- und Dorfleben nicht vermeiden lassen.
Unschlagbar allein, wie die junge, hübsche, leider unglaublich spießige Freundin des Rechtsanwalt-Erzählers erst von dem greisen Jägergehilfen des Schwiegervaters angeflirtet wird, etwas norddeutsch hemdsärmelig allerdings und dazu mit einem Gebiss, das ein wenig aus den Fugen geraten ist und deshalb permanent Zisch- und Klappergeräusche erzeugt: "Na Hauptsache, Füße gewaschen, nn? Ft, ft." Und wie sich die feine Hanseatin schließlich in Krämpfen windet, weil sie so fein und hanseatisch ist, dass sie sich trotz höchster Not partout nicht überwinden kann, die Toilette aufzusuchen, aus Angst, einer der Gäste könnte etwaige Lautentweichungen vernehmen.
Es folgen allerhand schräges Kasperletheater und Budenzauber. Um nur ein paar Stichworte zu nennen: mutmaßliche Ermordung des Gebissträgers und Jagdgehilfen im Hochsitz, nächtlicher Schusswechsel mit Unbekanntem nebst verschwundener Leiche, ebenso esoterische wie aggressive, aus Bayern zugezogene Besitzerin unzähliger Katzen, die bei Mondschein weißgewandete Damen dies- und jenseits der Midlife-Crisis in Ekstase versetzt.
Und während Onno, der sich nach dem Aufflammen der posttraumatischen Belastungsstörung im Haus seiner Schwiegereltern verkrochen hat und deren Biervorräten schwer zusetzt, in bewährter Planlosigkeit durch Wälder und Wiesen streift, um den Absonderlichkeiten, die sich in Finkloch zutragen, auf den Grund zu gehen, bohrt sich Frank Schulz mit seinem Roman unversehens in ganz andere Tiefen. Nicht nur ein irgendwo zwischen abenteuerlicher Kolportage und historischer Tragik verortetes Stück deutsch-deutscher Familiengeschichte kommt ans Tageslicht. Schulz dringt noch ein Stück weiter in die Vergangenheit vor und legt die verdrängte und abrupt abgeschnittene Geschichte der Vertreibung und des Vaterverlusts von Onnos Schwiegervater frei.
Es mag der Tatsache geschuldet sein, dass Frank Schulz hier einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte verarbeitet, dass der Schluss der Romans ein wenig von der üblicherweise dominierenden pingponghaften Leichtigkeit einbüßt. Und dennoch liefert Schulz mit seiner letzten Meldung aus dem Onno-Universum den endgültigen Beweis dafür, dass Humor, wenn er denn so klug und hintersinnig ist wie der seine, so lange an den festen Verschraubungen unserer biographischen, sozialen und historischen Selbstwahrnehmung rüttelt, bis längst überwunden geglaubte Versehrtheiten aufbrechen, auf dass sie endlich geheilt werden können.
Frank Schulz: "Onno Viets und der weiße Hirsch". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2016. 368 S., geb., 19,99 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.10.2016Beschwingter Tanz zum Klang einer Kreissäge
Heimatliteratur? Gewiss, aber von seltener Größe: Frank Schulz schickt seinen Serienhelden Onno Viets auf die Jagd nach dem weißen Hirschen
Der jüngste Onno-Viets-Roman von Frank Schulz verbindet das Unterhaltsame mit den Ansprüchen hoher Literatur. Er ist der unwahrscheinlichste aller Detektive: Onno Viets, gut fünfzig Jahre alt, nicht schlank, an der Grenze zum Zausel (und manchmal jenseits davon), Faulpelz und Taugenichts, Empfänger von Hartz IV von dem Tage an, als es erfunden wurde. Ohne Fortüne hat er sich in verschiedenen Jobs versucht, vom Elektriker bis zum Betreiber von „Onno’s Chaosk“, nunmehr überlässt er die Berufstätigkeit neidlos seiner Frau Edda, mit der er seit Jahrzehnten in außergewöhnlich glücklicher Ehe verheiratet ist. Kein Zweifel, ein Loser mit prolligen Zügen. Aber so wirkt er eben nicht auf seine Umgebung. Er besitzt, was im Buch „Charisma für Arme“ heißt. Obwohl er im entscheidenden Moment selten mehr beisteuert als ein „Tjorp, nech“ – er stammt aus Ostfriesland –, hat er etwas, das ihm die Herzen der Menschen öffnet, etwas, das sich für den Leser nicht aus seiner Personenbeschreibung ergibt, sondern, episch weit effektiver, aus den Reaktionen der anderen.
Nach „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ und „Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen“ lässt Frank Schulz seinen Helden nunmehr auf seinen dritten Fall los, und natürlich stolpert er auch in „Onno Viets und der weiße Hirsch“ eher hinein, als dass er ihn eigentlich annimmt. Frank Schulz hat es der deutschen Kritik seit einiger Zeit sehr angetan; und es wurde nötig, so viel Begeisterung einmal auf den Zahn zu fühlen. Jens Jessen hat das in der Zeit unternommen. Das betrübliche Ergebnis: Die begeisterten Kritiker fühlen möglicherweise das Richtige, aber wenn sie es sagen sollen, geht es schief.
Onno Viets und Frank Schulz sind garantiert weder „barock“ noch „expressionistisch“, denn jedes Pathos steht ihnen fern. Dass eine „furiose Mischung von Schelmen-, Heimat-, Sitten- und Sozialroman“ vorliegen soll, macht mit seinem Fortissimo eher ratlos: Ja was denn nun? Und dass man um dieses Autors willen dreißig Jahre deutsche Literatur glattweg aussortieren müsse, ist gewiss auch übertrieben. Kann man nicht den einen hochleben und trotzdem die anderen leben lassen?
Jessen lässt es zu, dass Frank Schulz von seinen hilflosen Lobrednern in den Abgrund gerissen wird. Und konzediert, dass der Autor im Rahmen der Sache seine Sache sehr gut mache; aber von der Sache selbst hält er eben nicht viel. Sie ist für ihn ein schlimmer Heimat- und Einfache-Leute-Kitsch. Mit Erstaunen sieht man, dass dieser Autor von zwei entgegengesetzten Seiten Unrecht erfährt. Es ist richtig, dass der Roman es mit Heimat in ihrer tief ländlichen Variante und mit einfachen Leuten zu tun hat, deren Beziehungen sich vorwiegend harmonisch gestalten. Doch es gelingt Schulz, das Dumpfe der Scholle ebenso zu meiden wie das Seichte von Friede, Freude, Eierkuchen. Es ist ganz sicher für einen Schriftsteller ebenso viel schwieriger, zwischenmenschliche Harmonie statt Konfliktlagen darzustellen, wie es einem Rezensenten schwerer fällt, treffend zu loben als zu tadeln.
Man sollte sich anschauen, wie Schulz das macht. Beispielsweise, wenn er Onnos Schwägerin charakterisiert: „,Weil Oma momentan nicht ans Telefon geht‘, sagte Rosemarie. Nein, quakte Rosemarie. Ihr Timbre ähnelte dem Daisy Ducks. Sie kultivierte es, um angsteinflößende Einflüsse zu verniedlichen. Ja, phasenweise schien sie sich mit der gesamten Außenwelt nur noch im Umgangston Entenhausens verständigen zu mögen. Anderthalb Jahre jünger als Edda, fehlte Rosemarie doch deren Unbeschwertheit. Gut, sie war buchstäblich schwerer noch, und nicht nur, weil fünf Zentimeter größer. Den Ausschlag aber gab wohl die sonderbar lastende Intelligenz im Blick. Ein irritierender Gegensatz zum Entensopran.“ Einer Frau zu bescheinigen, sie quake wie Daisy Duck, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben, dazu gehört viel Respekt und Feingefühl sowie die Überzeugung, dass Leute, die in einem Dorf mit 300 Einwohnern daheim sind und nicht studiert haben, keine geringere seelische Komplexität aufweisen als ihre kosmopolitischen Zeitgenossen.
Onno nimmt sich nach den seelischen Erschütterungen seines vorletzten Falls eine Auszeit und streift, obwohl von Haus eher ein Stadtgewächs, mit seinem Schwiegervater, dem alten Förster Henry, durchs Revier: „Er wusste sehr wohl ein- und überhaupt zu schätzen, welches Maß an Weitherzig- und Duldsamkeit ein zutiefst konservativer Mensch wie Henry gegenüber einem im Kern anarchischen wie Onno als Gatte einer so geliebten Tochter wie Edda aufzubringen hatte.“
Ein runder Geburtstag wird so gefeiert: „Zu den Fifties-Schlagern und Rock’n’Roll-Medleys der Finklocher Dörpsmus’kanten wurde das Tanzbein geschwungen – Arthritis hin, Arthrose her –, und dann ging’s humba humba humba täterä! Mit glühenden Gesichtern tobte das vorjährige Silberhochzeitspaar Ulrike und Werner Lahm übers steinerne Parkett, und wieder einmal staunten Onno und Edda, wie man so harmonisch tanzen konnte, ohne sich um die Musik zu scheren – sie würden auch zu einer Kreissäge tanzen.“
Die Versuchung für den Leser ist groß, beim Humba Täterä die Augen zu verdrehen. Aber das ist der Stoff, nicht der Stil des Buchs, das es seinerseits hält wie die Silberjubilare: die beschwingtesten Figuren zum Klang einer Kreissäge aufs Parkett zu legen. Auch röhrende Hirsche kommen vor, doch ausschließlich als Zimmerschmuck der Bewohner von Finkloch. Die Realität des Jägers auf nächtlichem Ansitz sieht bei Schulz, in kitschfreier Original-Anschauung, hingegen ganz anders aus: „So hockten sie da, auf schmalem Brette eng nebeneinander in einer überdachten Kiste aus Schlaghobeldielen auf zwei Meter hohen Stelzen – von Henry mit eigener Hand in fünfzig bis sechzig Arbeitsstunden erbaut –, und spähten unter den Satanspfoten der Eichenblätter hindurch, die wie Ornamente vor den rahmenlosen Fenstern hingen, spähten mal nach links hinüber zum Scherenschnitt der Kastanienallee unterm angefressenen Mond in seinem diesigen Hof, mal geradeaus ins Panorama der schimmelig wimmelnden Silowiese, zumeist aber nach rechts hinüber, nach Tamerlans Tannen, deren Rain da funzelte wie auf einem Fotonegativ.“
Diese langen Zitate waren erforderlich, um Onno und seinen Autor gegen die Geräusche des Rühmens und Tadelns selber zu Wort kommen zu lassen, damit der Leser zur Einsicht gelangt: Auf dem platten Land mag zwar nichts los sein, aber gerade dieser Tatbestand kann sich als äußerst interessant erweisen. Es gibt auch einen Ich-Erzähler, einen befreundeten Juristen, der sich jedoch bescheiden im Hintergrund hält. Natürlich existiert auch eine Handlung. Neben den zwei manifesten Schwestern Edda und Rosemarie geistert die beklommene Erinnerung an eine dritte durch den Familienkreis, die den eigentümlichen Namen Nelkenheini trägt. Onno und Henry spüren im nächtlichen Wald plötzlich eine lastende dämonische Präsenz, die sie in Panik vom Ansitz vertreibt, ja sogar die Jagdhündin Diana empfindet das Grauen – es muss also mehr dran sein als bloße Einbildung.
Nistet hier das dunkle Geheimnis des Buchs (auch zwei Tote fallen vor, und ein rätselhafter Schusswechsel in der Finsternis), so sorgt das Treiben der Katzenzenzi für das komödienhafte Element. Vier Zentner schwer, vor Jahrzehnten aus Bayern zugewandert und gänzlich integrationsunwillig, stört sie mit ihren fünfzig Katzen den jagdlichen Frieden und strapaziert mit ihren Mond-Seminaren die Geduld der Dorfbewohner. Je 27 gut zahlende Schwestern schleppt sie auf die nächtliche Waldwiese, „vertreten alle Haarfarben, Konfektionsgrößen und Altersgruppen vom staksigen Bambi über die peri- und postmenopausalen Moppel-Ichs bis hin zur sehnigen Seniorin“, um dann den großen Gesang ans Nachtgestirn anzuheben: „,Schau uns oo! Schau mi oo, mei g’liebta Herr und Entführer, mi, dei G’liebte, die du einst kraftvoll begatteteeest (…). LULULULU...!‘“
Dies wirkt sehr befremdlich auf die Finklocher, die Lynchgelüste empfinden, jedoch erkennen müssen: „,Opbummeln? Den Dragoner? Dor brukst du ’n Kran.‘“ Der Roman hat also Witz und Spannung. Dennoch ist es der Plot, dem man zwei Einwendungen machen muss. Erstens, der Spannungsknoten löst sich zu rasch und zu glatt. Das mag damit zusammenhängen, dass Schulz sich den Konventionen des Krimis, die allmähliche Einkreisung von Täter und Tat verlangt, nicht verpflichtet fühlt, oder dass er seinem arbeitsscheuen Onno nicht die Mühsal der Recherche aufbürden wollte.
Zweitens verliert sich das Buch am Ende etwas zu sehr in Vergangenheitsbewältigung, und zwar nicht nur der Siebzigerjahre, als das Doppel-Drama von Nelkenheini und Katzenzenzi seinen Anfang nahm, sondern der Geschichte der Vertreibung von Henry und seiner Familie aus den deutschen Ostgebieten. Onno und Henry erleben, jeder auf seine Weise, eine Art Therapie. Das alles beeinträchtigt, zumal es sich auf den Schluss konzentriert, den Genuss dieses Buchs nur am Rande.
Die Bücher von Frank Schulz, und speziell dieses, haben eine seltene und in dieser Form tatsächlich einzigartige Qualität: Sie verbinden das Leichte und Vergnügliche eines Unterhaltungsromans mit jener Art von Befriedigung, wie sie nur Literatur im anspruchsvollen Sinn des Worts spendet. Übrigens ist es ein Gerücht, dass „Onno Viets und der weiße Hirsch“ ein Buch nur für Männer oder gar für „harte Männer“ wäre: auch Frauen lesen es mit großer Freude – und könnten höchstens bemängeln, dass es aus der edlen Bruderschaft der Waidmänner nicht annähernd so viel humoristische Funken schlägt wie aus den Mondschwestern.
BURKHARD MÜLLER
Es war sehr nötig, der
Begeisterung für Frank Schulz
einmal auf den Zahn zu fühlen
Das Humba Täterä, bei dem man
die Augen verdrehen möchte, ist
der Stoff des Buches, nicht der Stil
Der Roman hat Witz und
Spannung, doch muss man
gegen den Plot Einwände machen
Frank Schulz: Onno Viets und der weiße Hirsch.
Roman. Galiani Berlin Verlag, Berlin 2016. 368 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Heimatliteratur? Gewiss, aber von seltener Größe: Frank Schulz schickt seinen Serienhelden Onno Viets auf die Jagd nach dem weißen Hirschen
Der jüngste Onno-Viets-Roman von Frank Schulz verbindet das Unterhaltsame mit den Ansprüchen hoher Literatur. Er ist der unwahrscheinlichste aller Detektive: Onno Viets, gut fünfzig Jahre alt, nicht schlank, an der Grenze zum Zausel (und manchmal jenseits davon), Faulpelz und Taugenichts, Empfänger von Hartz IV von dem Tage an, als es erfunden wurde. Ohne Fortüne hat er sich in verschiedenen Jobs versucht, vom Elektriker bis zum Betreiber von „Onno’s Chaosk“, nunmehr überlässt er die Berufstätigkeit neidlos seiner Frau Edda, mit der er seit Jahrzehnten in außergewöhnlich glücklicher Ehe verheiratet ist. Kein Zweifel, ein Loser mit prolligen Zügen. Aber so wirkt er eben nicht auf seine Umgebung. Er besitzt, was im Buch „Charisma für Arme“ heißt. Obwohl er im entscheidenden Moment selten mehr beisteuert als ein „Tjorp, nech“ – er stammt aus Ostfriesland –, hat er etwas, das ihm die Herzen der Menschen öffnet, etwas, das sich für den Leser nicht aus seiner Personenbeschreibung ergibt, sondern, episch weit effektiver, aus den Reaktionen der anderen.
Nach „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ und „Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen“ lässt Frank Schulz seinen Helden nunmehr auf seinen dritten Fall los, und natürlich stolpert er auch in „Onno Viets und der weiße Hirsch“ eher hinein, als dass er ihn eigentlich annimmt. Frank Schulz hat es der deutschen Kritik seit einiger Zeit sehr angetan; und es wurde nötig, so viel Begeisterung einmal auf den Zahn zu fühlen. Jens Jessen hat das in der Zeit unternommen. Das betrübliche Ergebnis: Die begeisterten Kritiker fühlen möglicherweise das Richtige, aber wenn sie es sagen sollen, geht es schief.
Onno Viets und Frank Schulz sind garantiert weder „barock“ noch „expressionistisch“, denn jedes Pathos steht ihnen fern. Dass eine „furiose Mischung von Schelmen-, Heimat-, Sitten- und Sozialroman“ vorliegen soll, macht mit seinem Fortissimo eher ratlos: Ja was denn nun? Und dass man um dieses Autors willen dreißig Jahre deutsche Literatur glattweg aussortieren müsse, ist gewiss auch übertrieben. Kann man nicht den einen hochleben und trotzdem die anderen leben lassen?
Jessen lässt es zu, dass Frank Schulz von seinen hilflosen Lobrednern in den Abgrund gerissen wird. Und konzediert, dass der Autor im Rahmen der Sache seine Sache sehr gut mache; aber von der Sache selbst hält er eben nicht viel. Sie ist für ihn ein schlimmer Heimat- und Einfache-Leute-Kitsch. Mit Erstaunen sieht man, dass dieser Autor von zwei entgegengesetzten Seiten Unrecht erfährt. Es ist richtig, dass der Roman es mit Heimat in ihrer tief ländlichen Variante und mit einfachen Leuten zu tun hat, deren Beziehungen sich vorwiegend harmonisch gestalten. Doch es gelingt Schulz, das Dumpfe der Scholle ebenso zu meiden wie das Seichte von Friede, Freude, Eierkuchen. Es ist ganz sicher für einen Schriftsteller ebenso viel schwieriger, zwischenmenschliche Harmonie statt Konfliktlagen darzustellen, wie es einem Rezensenten schwerer fällt, treffend zu loben als zu tadeln.
Man sollte sich anschauen, wie Schulz das macht. Beispielsweise, wenn er Onnos Schwägerin charakterisiert: „,Weil Oma momentan nicht ans Telefon geht‘, sagte Rosemarie. Nein, quakte Rosemarie. Ihr Timbre ähnelte dem Daisy Ducks. Sie kultivierte es, um angsteinflößende Einflüsse zu verniedlichen. Ja, phasenweise schien sie sich mit der gesamten Außenwelt nur noch im Umgangston Entenhausens verständigen zu mögen. Anderthalb Jahre jünger als Edda, fehlte Rosemarie doch deren Unbeschwertheit. Gut, sie war buchstäblich schwerer noch, und nicht nur, weil fünf Zentimeter größer. Den Ausschlag aber gab wohl die sonderbar lastende Intelligenz im Blick. Ein irritierender Gegensatz zum Entensopran.“ Einer Frau zu bescheinigen, sie quake wie Daisy Duck, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben, dazu gehört viel Respekt und Feingefühl sowie die Überzeugung, dass Leute, die in einem Dorf mit 300 Einwohnern daheim sind und nicht studiert haben, keine geringere seelische Komplexität aufweisen als ihre kosmopolitischen Zeitgenossen.
Onno nimmt sich nach den seelischen Erschütterungen seines vorletzten Falls eine Auszeit und streift, obwohl von Haus eher ein Stadtgewächs, mit seinem Schwiegervater, dem alten Förster Henry, durchs Revier: „Er wusste sehr wohl ein- und überhaupt zu schätzen, welches Maß an Weitherzig- und Duldsamkeit ein zutiefst konservativer Mensch wie Henry gegenüber einem im Kern anarchischen wie Onno als Gatte einer so geliebten Tochter wie Edda aufzubringen hatte.“
Ein runder Geburtstag wird so gefeiert: „Zu den Fifties-Schlagern und Rock’n’Roll-Medleys der Finklocher Dörpsmus’kanten wurde das Tanzbein geschwungen – Arthritis hin, Arthrose her –, und dann ging’s humba humba humba täterä! Mit glühenden Gesichtern tobte das vorjährige Silberhochzeitspaar Ulrike und Werner Lahm übers steinerne Parkett, und wieder einmal staunten Onno und Edda, wie man so harmonisch tanzen konnte, ohne sich um die Musik zu scheren – sie würden auch zu einer Kreissäge tanzen.“
Die Versuchung für den Leser ist groß, beim Humba Täterä die Augen zu verdrehen. Aber das ist der Stoff, nicht der Stil des Buchs, das es seinerseits hält wie die Silberjubilare: die beschwingtesten Figuren zum Klang einer Kreissäge aufs Parkett zu legen. Auch röhrende Hirsche kommen vor, doch ausschließlich als Zimmerschmuck der Bewohner von Finkloch. Die Realität des Jägers auf nächtlichem Ansitz sieht bei Schulz, in kitschfreier Original-Anschauung, hingegen ganz anders aus: „So hockten sie da, auf schmalem Brette eng nebeneinander in einer überdachten Kiste aus Schlaghobeldielen auf zwei Meter hohen Stelzen – von Henry mit eigener Hand in fünfzig bis sechzig Arbeitsstunden erbaut –, und spähten unter den Satanspfoten der Eichenblätter hindurch, die wie Ornamente vor den rahmenlosen Fenstern hingen, spähten mal nach links hinüber zum Scherenschnitt der Kastanienallee unterm angefressenen Mond in seinem diesigen Hof, mal geradeaus ins Panorama der schimmelig wimmelnden Silowiese, zumeist aber nach rechts hinüber, nach Tamerlans Tannen, deren Rain da funzelte wie auf einem Fotonegativ.“
Diese langen Zitate waren erforderlich, um Onno und seinen Autor gegen die Geräusche des Rühmens und Tadelns selber zu Wort kommen zu lassen, damit der Leser zur Einsicht gelangt: Auf dem platten Land mag zwar nichts los sein, aber gerade dieser Tatbestand kann sich als äußerst interessant erweisen. Es gibt auch einen Ich-Erzähler, einen befreundeten Juristen, der sich jedoch bescheiden im Hintergrund hält. Natürlich existiert auch eine Handlung. Neben den zwei manifesten Schwestern Edda und Rosemarie geistert die beklommene Erinnerung an eine dritte durch den Familienkreis, die den eigentümlichen Namen Nelkenheini trägt. Onno und Henry spüren im nächtlichen Wald plötzlich eine lastende dämonische Präsenz, die sie in Panik vom Ansitz vertreibt, ja sogar die Jagdhündin Diana empfindet das Grauen – es muss also mehr dran sein als bloße Einbildung.
Nistet hier das dunkle Geheimnis des Buchs (auch zwei Tote fallen vor, und ein rätselhafter Schusswechsel in der Finsternis), so sorgt das Treiben der Katzenzenzi für das komödienhafte Element. Vier Zentner schwer, vor Jahrzehnten aus Bayern zugewandert und gänzlich integrationsunwillig, stört sie mit ihren fünfzig Katzen den jagdlichen Frieden und strapaziert mit ihren Mond-Seminaren die Geduld der Dorfbewohner. Je 27 gut zahlende Schwestern schleppt sie auf die nächtliche Waldwiese, „vertreten alle Haarfarben, Konfektionsgrößen und Altersgruppen vom staksigen Bambi über die peri- und postmenopausalen Moppel-Ichs bis hin zur sehnigen Seniorin“, um dann den großen Gesang ans Nachtgestirn anzuheben: „,Schau uns oo! Schau mi oo, mei g’liebta Herr und Entführer, mi, dei G’liebte, die du einst kraftvoll begatteteeest (…). LULULULU...!‘“
Dies wirkt sehr befremdlich auf die Finklocher, die Lynchgelüste empfinden, jedoch erkennen müssen: „,Opbummeln? Den Dragoner? Dor brukst du ’n Kran.‘“ Der Roman hat also Witz und Spannung. Dennoch ist es der Plot, dem man zwei Einwendungen machen muss. Erstens, der Spannungsknoten löst sich zu rasch und zu glatt. Das mag damit zusammenhängen, dass Schulz sich den Konventionen des Krimis, die allmähliche Einkreisung von Täter und Tat verlangt, nicht verpflichtet fühlt, oder dass er seinem arbeitsscheuen Onno nicht die Mühsal der Recherche aufbürden wollte.
Zweitens verliert sich das Buch am Ende etwas zu sehr in Vergangenheitsbewältigung, und zwar nicht nur der Siebzigerjahre, als das Doppel-Drama von Nelkenheini und Katzenzenzi seinen Anfang nahm, sondern der Geschichte der Vertreibung von Henry und seiner Familie aus den deutschen Ostgebieten. Onno und Henry erleben, jeder auf seine Weise, eine Art Therapie. Das alles beeinträchtigt, zumal es sich auf den Schluss konzentriert, den Genuss dieses Buchs nur am Rande.
Die Bücher von Frank Schulz, und speziell dieses, haben eine seltene und in dieser Form tatsächlich einzigartige Qualität: Sie verbinden das Leichte und Vergnügliche eines Unterhaltungsromans mit jener Art von Befriedigung, wie sie nur Literatur im anspruchsvollen Sinn des Worts spendet. Übrigens ist es ein Gerücht, dass „Onno Viets und der weiße Hirsch“ ein Buch nur für Männer oder gar für „harte Männer“ wäre: auch Frauen lesen es mit großer Freude – und könnten höchstens bemängeln, dass es aus der edlen Bruderschaft der Waidmänner nicht annähernd so viel humoristische Funken schlägt wie aus den Mondschwestern.
BURKHARD MÜLLER
Es war sehr nötig, der
Begeisterung für Frank Schulz
einmal auf den Zahn zu fühlen
Das Humba Täterä, bei dem man
die Augen verdrehen möchte, ist
der Stoff des Buches, nicht der Stil
Der Roman hat Witz und
Spannung, doch muss man
gegen den Plot Einwände machen
Frank Schulz: Onno Viets und der weiße Hirsch.
Roman. Galiani Berlin Verlag, Berlin 2016. 368 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 17,99 Euro.
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Onno Viets und der weiße Hirsch schlägt auf 350 Seiten so manchen Haken, aber das entspricht der Struktur seiner Hauptfigur. Stringentes Handeln ist nicht Onnos Stärke. Er verzettelt sich gern, sein Leben ist ein einziges Auf und Ab, viel gebacken bekommen hat er auch nicht. Aber Onno ist ein grundsympathischer und aufrechter Typ, der von seiner Familie und seinen Freunden für seine Loyalität geliebt wird. Hamburger Abendblatt