Produktdetails
- Verlag: Laaber-Verlag
- 1997.
- Seitenzahl: 360
- Deutsch
- Abmessung: 284mm x 220mm x 30mm
- Gewicht: 1360g
- ISBN-13: 9783890071367
- ISBN-10: 3890071368
- Artikelnr.: 03116628
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.1999Der Knopf im frankophilen Ohr
Geschmeidig und nicht ohne einen kleinkrämerischen Zank gleiten Sieghart Döhring und Sabine Henze-Döhring durch die Oper
Daß es in einem "Handbuch der musikalischen Gattungen" um gattungsgeschichtliche Untersuchungen zur Musik geht, scheint an sich keiner besonderen Erklärung zu bedürfen. Verblüfft nimmt man daher die mit großem Begründungsaufwand betriebene Rechtfertigung eines "gattungsgeschichtlichen Ansatzes" zur Kenntnis, mit der Sieghart Döhring und Sabine Henze-Döhring ihren Band über "Oper und Musikdrama im 19. Jahrhundert" eröffnen. Alles ist nicht so einfach, wie man denkt, die wissenschaftliche Rückkehr zum Werk mutet "retrospektiv" an, die gattungstheoretischen Begründungen sind fraglich geworden, und so ist das ganze Unternehmen höchst diffizil, ja kühn. Letzteres vor allem, weil die Autoren sich vorgenommen haben, Ernst zu machen mit einer methodischen Forderung von Carl Dahlhaus: Die Gattungsgeschichte der Oper soll hier "im Durchgang durch die Werke und nicht neben ihnen" erfaßt werden.
Tatsächlich führen die Verfasser kenntnisreich durch die Gattungsvielfalt der Opernproduktion im neunzehnten Jahrhundert, vom Dramma per musica zum Melodramma, vorbei an Singspiel und Großer Oper, zu Grand opéra, Drame lyrique und zum Musikdrama Richard Wagners. Dabei wechselt die Perspektive geschmeidig zwischen dem Blick aufs Detail einzelner Werke und zusammenfassenden Darstellungen übergreifender Entwicklungstendenzen. Die Verbindung zwischen diesen beiden Ebenen wird jedoch eher oberflächlich gezogen. Denn hinter dem angekündigten neuen, radikal werkanalytisch orientierten Konzept steht letztlich nichts anderes als die geisteswissenschaftlich gängige Einflußgeschichte.
In ihren Betrachtungen einzelner Opern beweisen die Autoren zwar sicheres Gespür für die dramaturgische Stringenz eines Bühnengeschehens, kaum jedoch für jene musikalischen Zusammenhänge, die ohnedies nur selten in den Blick geraten. Der "gattungsgeschichtliche" Ansatz erweist sich als informative Darstellung von Konventionen und "operngeschichtlichen Trends". Folglich entscheiden Quantität, institutionelle Verankerung und öffentliches Durchsetzungsvermögen der Opernproduktion darüber, was die Autoren für ihr Thema relevant befinden und was nicht. So manches fällt dadurch unter den Tisch. Robert Schumann etwa, der sich immer wieder neu - nicht nur in seiner Oper "Genoveva" - mit den Möglichkeiten des durchkomponierten musikalischen Dramas auseinandersetzte, findet im ganzen Buch keine Erwähnung. Franz Schubert ist immerhin eine Fußnote gewidmet, die darauf hinweist, daß seine Oper "Alfonso und Estrella" erst gute dreißig Jahre nach Vollendung der Komposition uraufgeführt wurde. Das Kapitel über Beethovens "Fidelio" beschäftigt sich hauptsächlich mit Fassungsfragen, um abschließend festzustellen, daß dieses Werk die alte Gattung zwar sprengte, aber eine singuläre Erscheinung blieb, weil die "Rettungsoper" sich überlebt hatte.
Die Selektion hat jedoch auch ihren speziellen Sinn. Wenngleich die musikwissenschaftliche Methode nicht wirklich neu ist, erfährt die Einflußgeschichte hier nämlich eine neue Interpretation, deren idiosynkratischer Zug tatsächlich mit kühnen Behauptungen aufwartet. Den Autoren ist es ein Anliegen, zu entlarven, daß es eine deutsche Geschichte der Oper im neunzehnten Jahrhundert "de facto nicht gegeben hat". Die wenigen Opern, die in Deutschland komponiert wurden, so führen sie aus, ließen sich kaum in einen historischen Zusammenhang stellen. Statt dessen wollen sie zeigen, daß alle ästhetisch zukunftsweisenden Anstöße für die Gattungsentwicklung aus Frankreich kamen, in erster Linie von den Grands opéras Giacomo Meyerbeers.
Ob Modest Mussorgskis "Boris Godunow" oder Richard Wagners "Fliegender Holländer" - das Vorbild Meyerbeers ist der Knopf im frankophilen Ohr der Verfasser. Auch die Entstehung von Wagners "Ring des Nibelungen" haben wir seiner Begegnung mit Meyerbeers "Le prophète" zu verdanken. Denn zur Konzeption des Musikdramas (dessen grundlegende Differenz zur Oper ebenfalls eine Chimäre sei) fühlte sich Wagner gedrängt durch das entmutigende Gefühl, neben dem Komponisten dieses Werkes nicht bestehen zu können. Deshalb habe er sich entschlossen, fortan einen ganz anderen Weg einzuschlagen, der sich freilich am Ende als gar nicht so neu erweisen sollte. Schenkt man nämlich den Verfassern Glauben, so lassen sich die Übereinstimmungen zwischen der "Götterdämmerung" und dem "Prophète" bis in die musikalische "Struktur" hinein verfolgen.
Sofern man sich von "stilistischen" Unterschieden nicht irritieren ließe (zu denen auch die hier unbeachtet bleibende Harmonik zu zählen scheint), sähe man, daß an beiden Werkschlüssen "in die illustrative Schilderung des Katastrophengeschehens . . . eine große Melodie eingebettet ist, die in leitmotivischer Funktion die Idee des Werks musikalisch verschlüsselt". Man muß eben nur genau hinhören. Der kleinkrämerische Zank ums Einflußvorrecht zielt in dieser Operngeschichte allzuoft an der Größe der Werke vorbei - was mit ihm gewonnen werden soll, bleibt offen. JULIA SPINOLA
Sieghart Döhring, Sabine Henze-Döhring: "Oper und Musikdrama im 19. Jahrhundert" (Handbuch der musikalischen Gattungen, Band 13). Laaber-Verlag, Laaber 1997. 360 S., Abb., geb., 188,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geschmeidig und nicht ohne einen kleinkrämerischen Zank gleiten Sieghart Döhring und Sabine Henze-Döhring durch die Oper
Daß es in einem "Handbuch der musikalischen Gattungen" um gattungsgeschichtliche Untersuchungen zur Musik geht, scheint an sich keiner besonderen Erklärung zu bedürfen. Verblüfft nimmt man daher die mit großem Begründungsaufwand betriebene Rechtfertigung eines "gattungsgeschichtlichen Ansatzes" zur Kenntnis, mit der Sieghart Döhring und Sabine Henze-Döhring ihren Band über "Oper und Musikdrama im 19. Jahrhundert" eröffnen. Alles ist nicht so einfach, wie man denkt, die wissenschaftliche Rückkehr zum Werk mutet "retrospektiv" an, die gattungstheoretischen Begründungen sind fraglich geworden, und so ist das ganze Unternehmen höchst diffizil, ja kühn. Letzteres vor allem, weil die Autoren sich vorgenommen haben, Ernst zu machen mit einer methodischen Forderung von Carl Dahlhaus: Die Gattungsgeschichte der Oper soll hier "im Durchgang durch die Werke und nicht neben ihnen" erfaßt werden.
Tatsächlich führen die Verfasser kenntnisreich durch die Gattungsvielfalt der Opernproduktion im neunzehnten Jahrhundert, vom Dramma per musica zum Melodramma, vorbei an Singspiel und Großer Oper, zu Grand opéra, Drame lyrique und zum Musikdrama Richard Wagners. Dabei wechselt die Perspektive geschmeidig zwischen dem Blick aufs Detail einzelner Werke und zusammenfassenden Darstellungen übergreifender Entwicklungstendenzen. Die Verbindung zwischen diesen beiden Ebenen wird jedoch eher oberflächlich gezogen. Denn hinter dem angekündigten neuen, radikal werkanalytisch orientierten Konzept steht letztlich nichts anderes als die geisteswissenschaftlich gängige Einflußgeschichte.
In ihren Betrachtungen einzelner Opern beweisen die Autoren zwar sicheres Gespür für die dramaturgische Stringenz eines Bühnengeschehens, kaum jedoch für jene musikalischen Zusammenhänge, die ohnedies nur selten in den Blick geraten. Der "gattungsgeschichtliche" Ansatz erweist sich als informative Darstellung von Konventionen und "operngeschichtlichen Trends". Folglich entscheiden Quantität, institutionelle Verankerung und öffentliches Durchsetzungsvermögen der Opernproduktion darüber, was die Autoren für ihr Thema relevant befinden und was nicht. So manches fällt dadurch unter den Tisch. Robert Schumann etwa, der sich immer wieder neu - nicht nur in seiner Oper "Genoveva" - mit den Möglichkeiten des durchkomponierten musikalischen Dramas auseinandersetzte, findet im ganzen Buch keine Erwähnung. Franz Schubert ist immerhin eine Fußnote gewidmet, die darauf hinweist, daß seine Oper "Alfonso und Estrella" erst gute dreißig Jahre nach Vollendung der Komposition uraufgeführt wurde. Das Kapitel über Beethovens "Fidelio" beschäftigt sich hauptsächlich mit Fassungsfragen, um abschließend festzustellen, daß dieses Werk die alte Gattung zwar sprengte, aber eine singuläre Erscheinung blieb, weil die "Rettungsoper" sich überlebt hatte.
Die Selektion hat jedoch auch ihren speziellen Sinn. Wenngleich die musikwissenschaftliche Methode nicht wirklich neu ist, erfährt die Einflußgeschichte hier nämlich eine neue Interpretation, deren idiosynkratischer Zug tatsächlich mit kühnen Behauptungen aufwartet. Den Autoren ist es ein Anliegen, zu entlarven, daß es eine deutsche Geschichte der Oper im neunzehnten Jahrhundert "de facto nicht gegeben hat". Die wenigen Opern, die in Deutschland komponiert wurden, so führen sie aus, ließen sich kaum in einen historischen Zusammenhang stellen. Statt dessen wollen sie zeigen, daß alle ästhetisch zukunftsweisenden Anstöße für die Gattungsentwicklung aus Frankreich kamen, in erster Linie von den Grands opéras Giacomo Meyerbeers.
Ob Modest Mussorgskis "Boris Godunow" oder Richard Wagners "Fliegender Holländer" - das Vorbild Meyerbeers ist der Knopf im frankophilen Ohr der Verfasser. Auch die Entstehung von Wagners "Ring des Nibelungen" haben wir seiner Begegnung mit Meyerbeers "Le prophète" zu verdanken. Denn zur Konzeption des Musikdramas (dessen grundlegende Differenz zur Oper ebenfalls eine Chimäre sei) fühlte sich Wagner gedrängt durch das entmutigende Gefühl, neben dem Komponisten dieses Werkes nicht bestehen zu können. Deshalb habe er sich entschlossen, fortan einen ganz anderen Weg einzuschlagen, der sich freilich am Ende als gar nicht so neu erweisen sollte. Schenkt man nämlich den Verfassern Glauben, so lassen sich die Übereinstimmungen zwischen der "Götterdämmerung" und dem "Prophète" bis in die musikalische "Struktur" hinein verfolgen.
Sofern man sich von "stilistischen" Unterschieden nicht irritieren ließe (zu denen auch die hier unbeachtet bleibende Harmonik zu zählen scheint), sähe man, daß an beiden Werkschlüssen "in die illustrative Schilderung des Katastrophengeschehens . . . eine große Melodie eingebettet ist, die in leitmotivischer Funktion die Idee des Werks musikalisch verschlüsselt". Man muß eben nur genau hinhören. Der kleinkrämerische Zank ums Einflußvorrecht zielt in dieser Operngeschichte allzuoft an der Größe der Werke vorbei - was mit ihm gewonnen werden soll, bleibt offen. JULIA SPINOLA
Sieghart Döhring, Sabine Henze-Döhring: "Oper und Musikdrama im 19. Jahrhundert" (Handbuch der musikalischen Gattungen, Band 13). Laaber-Verlag, Laaber 1997. 360 S., Abb., geb., 188,- DM.
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