Am Ende des Zweiten Weltkriegs internierten alliierte Spezialkräfte im Rahmen der "Operation Epsilon" einige der wichtigsten Atomforscher Deutschlands auf einem Landsitz des britischen Geheimdienstes namens "Farm Hall" bei Cambridge. Dort wurden sie sechs Monate festgehalten und systematisch abgehört, um den deutschen Wissensstand zum Bau der Atombombe herauszufinden. Die nun erstmals vollständig in deutscher Sprache veröffentlichten Protokolle dieser Abhöraktion geben Aufschluss über den Stand der Kernforschung im Dritten Reich und erlauben einzigartige Einblicke in die Biografien der zehn prominenten Atomforscher, unter denen sich neben den beiden Nobelpreisträgern Werner Heisenberg und Max von Laue auch Walther Gerlach, Paul Harteck und Carl Friedrich von Weizsäcker befanden. Bemerkenswert sind die Vorgänge um die Vergabe des Nobelpreises für Chemie an Otto Hahn im November 1945, der ebenfalls zu den zehn Internierten gehörte und sich dazu aus Gründen der Geheimhaltung nicht äußern durfte - erst ein Jahr später konnte er die Ehrung entgegennehmen. Das Protokoll zu den ersten Atombombenabwürfen vom 6. und 9. August 1945 zeigt den Erkenntnisstand der zehn "guests of His Majesty" zur Konstruktion und Funktionsweise einer Atombombe, vor allem aber ist es Dokument höchst ambivalenter Diskussionen über eine die Welt verändernde Innovation. Die Wissenschaft hatte damit endgültig ihre Unschuld verloren, wofür sich vor allem der Entdecker der Kernspaltung Otto Hahn mitverantwortlich fühlte. Diese bis in die heutige Zeit wirkende Debatte begann in Farm Hall und wird in den vorliegenden Protokollen detailliert dokumentiert. gnt-verlag.de/1111
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Christopher Nolans Kinofilm "Oppenheimer" nimmt Rezensent Ulf von Rauchhaupt als Aufhänger für seine Besprechung der Neuauflage von Abhörprotokollen deutscher Physiker in britischer Kriegsgefangenschaft zwischen 1945 und 1946. Dass es nicht nur das amerikanische "Manhattan Project" gab, sondern auch die Nationalsozialisten an Atomwaffen forschten, war ja schon lange bekannt. Auch die Tatsache, dass die deutschen Wissenschaftler den Amerikanern keineswegs heiß auf den Fersen gewesen waren, sondern ihnen einige Jahre hinterher hinkten überrascht ihn nicht. Die Neuauflage der Protokolle ist aber deshalb wichtig, so von Rauchhaupt, weil sie die sehr selektiv verschriftlichten O-Töne um weitere Unterlagen, unter anderem Tagebücher und Briefe der Internierten ergänzt. So lerne man mehr über die Ängste und Sorgen der deutschen Physiker in einer Situation der Ungewissheit. Was die Protokolle selbst betrifft, sei insbesondere eine vorher unveröffentlichte Rede Werner Heisenbergs vor Mitgefangenen forschungsrelevant. Heisenberg offenbare ein erstaunliches Detailwissen über die amerikanische Bombe, die über Hiroshima abgeworfen worden war. Die idealistische Gründungsgeschichte der deutschen Nachkriegsphysik, derzufolge die Forscher die eigenen Bombenpläne absichtlich nicht mit voller Kraft vorangetrieben hätten, deckt sich mit den Protokollen nicht wirklich, meint von Rauchhaupt. Vielmehr zeige insbesondere Heisenbergs Rede, dass es eher an finanziellen Ressourcen gefehlt habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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