Die Gäste des pompösen Wiener Opernballs werden zum Ziel eines Terroranschlags. Ein Fernsehjournalist, der die Live-Übertragung aus den Ballsälen koordinieren soll, beobachtet das Verbrechen auf den Monitoren. Sein eigener Sohn ist unter den Opfern. Die Kameras laufen weiter und senden weltweit das Sterben von Tausenden. Das Attentat verändert die politische Landschaft. Der Journalist versucht, von Trauer um seinen Sohn getrieben, die Hintergründe des Anschlags zu klären. Sie sind verworren wie das Weltbild jener kleinen Gruppe von 'Entschlossenen', die das Morden vorbereitete.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995Geringstes mit großen Folgen
Erfolgreich unelegant: Josef Haslinger besucht den Opernball
Der Schriftsteller, das macht den naturgemäßen Größenwahn der Spezies aus, ist seit eh und je Herr über Leben und Tod seiner Phantasiefiguren. Daran haben wir uns längst gewöhnt, aber auch an den Brauch, daß Autoren von Rang die letalen Möglichkeiten in der Regel sparsam nutzen. Schon Shakespeare wurde bekanntlich postum für seinen "Titus Andronicus" gerügt, weil die allzu hohe Mortalitätsrate der "dramatis personae" und die darin vorgeführten, geballten Greuel den guten Geschmack verletzten. Auch der österreichische Erzähler und Essayist Josef Haslinger erntet mit seinem ersten Roman nicht nur Lob und Verkaufserfolg.
Die moralisierende Kritik, als ästhetische verkleidet, zielt auf angeblich spekulative Absichten. Haslinger habe "so klug wie gnadenlos auf einen Bestseller hingeschrieben", lesen wir da, oder: "Das Konzept des Buches böckelt ein bißchen nach kalkuliertem Skandal." Lassen sich diese, vor allem in Österreich erhobenen, Vorwürfe aufrechterhalten? Ich glaube nicht.
Gewiß, rund dreitausend Menschen werden in "Opernball" auf grauenhafte Art umgebracht. Eine vergleichsweise kleine Minderheit von immerhin vierundzwanzig "Gastarbeitern" kommt bei einem Brandanschlag um, in der Wiener Staatsoper sterben durch neonazistischen Giftgas-Terror unübersehbare Mengen - all die Prominenz aus dem In- und Ausland, die Schönen und die Reichen und die Mächtigen krepieren elendiglich. Ein rechter Super-Gau, Auschwitz heute, "Apocalypse Now" - Schlagworte sonder Zahl drängen sich auf. Zudem wurde der Band gerade in jenen Wochen ausgeliefert, als vier Roma im Burgenland einem Bombenattentat zum Opfer fielen. Grund genug, die erschreckende Aktualität des Romans zu beklagen, doch sicherlich kein Anlaß, sie dem Verfasser anzukreiden, der sich offenbar mehrere Jahre damit beschäftigt hat.
"Opernball" ist ein in deutscher Sprache unübliches literarisches Unternehmen: keine Literatur-Literatur, sondern ein Politthriller mit gesellschaftskritischem Anspruch. Fakten und Fiktion gehen hier eine Ehe oder bloß ein illegitimes Verhältnis nach amerikanischem Muster ein. Kurt Fraser, die Hauptperson, war einst Kriegsberichterstatter. Am Abend des Opernballs ist er als Sendeleiter für die europäische Fernsehanstalt ETV im Einsatz. Hilflos muß er auf Dutzenden Bildschirmen mitansehen, wie die leicht halbseidene Amüsier-Society, unter der sich auch sein Sohn als Kameramann befindet, erstickt.
Der Vater will sich das Unerklärliche des Horrorszenarios erklären. Er begibt sich auf Spurensuche. In Tonbandprotokollen monologisieren ein Attentäter, ein Polizist und Überlebende. Geschickt sind die verschiedenen Rückblende-Geschichten zusammengeschnitten. Nicht zuletzt dem Kunstgriff des Unterbrechens und Verzögerns verdankt sich die Spannung bei der Lektüre. Wir erfahren einiges von der Stimmung, von der fatalen Mißstimmung in der Wiener Exekutive; wir lernen das aberwitzige Sekten-Grüppchen der "Entschlossenen" kennen, das sich um seinen Führer schart. Der "Geringste", eine seltsam charismatische Gestalt mit religiös-fanatischen Zügen, inszeniert das Massaker als Fanal für die bürgerlich-demokratische Welt.
Zugleich entsteht jedoch ein wenig schmeichelhaftes Sittengemälde der derzeitigen Republik Österreich. Der Verdacht, daß die Spitzen der Sicherheitskräfte mit der rechtsextremen Szene zumindest sympathisieren, wird ebenso geweckt wie jener, daß die Oberen des Medienriesen ETV über den geplanten Massenmord vorab informiert waren und ihn als Einschaltquotenknüller bewußt in Kauf nahmen. Wer die Klischeehaftigkeit so mancher Aussagen und Charaktere bemängelt, der vergißt eine betrübliche Tatsache: Leider sind die Klischees in diesem Fall ein ziemlich genaues Abbild realer Tendenzen. Die durch die Beseitigung fast der gesamten Bundesregierung notwendig gewordenen Wahlen gewinnt die populistische, ausländerfeindliche "Nationale Partei".
Haslinger differenziert die einzelnen Stimmen stilistisch nur in Andeutungen, allein - es stört kaum, denn die knappen, parataktischen Sätze erzeugen beträchtliche Sogwirkung. Enttäuscht wird man freilich im Finale. Der Versuch, die Erzählstränge zu einem Knoten zu schürzen und diesen auf flotte Art befriedigend zu lösen, hat sein Fragwürdiges. Ein bißchen erinnert er an die Methode von Alexander dem Großen, der mit dem Schwert dreinschlug. Trotzdem hat Josef Haslinger mit "Opernball" eine mehr als respektable Leistung geboten: kein bedeutendes Kunstwerk, aber vortrefflichen Lesestoff, für den sich niemand - weder Produzent noch Konsument - genieren muß. ULRICH WEINZIERL
Josef Haslinger: "Opernball". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 474 S., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erfolgreich unelegant: Josef Haslinger besucht den Opernball
Der Schriftsteller, das macht den naturgemäßen Größenwahn der Spezies aus, ist seit eh und je Herr über Leben und Tod seiner Phantasiefiguren. Daran haben wir uns längst gewöhnt, aber auch an den Brauch, daß Autoren von Rang die letalen Möglichkeiten in der Regel sparsam nutzen. Schon Shakespeare wurde bekanntlich postum für seinen "Titus Andronicus" gerügt, weil die allzu hohe Mortalitätsrate der "dramatis personae" und die darin vorgeführten, geballten Greuel den guten Geschmack verletzten. Auch der österreichische Erzähler und Essayist Josef Haslinger erntet mit seinem ersten Roman nicht nur Lob und Verkaufserfolg.
Die moralisierende Kritik, als ästhetische verkleidet, zielt auf angeblich spekulative Absichten. Haslinger habe "so klug wie gnadenlos auf einen Bestseller hingeschrieben", lesen wir da, oder: "Das Konzept des Buches böckelt ein bißchen nach kalkuliertem Skandal." Lassen sich diese, vor allem in Österreich erhobenen, Vorwürfe aufrechterhalten? Ich glaube nicht.
Gewiß, rund dreitausend Menschen werden in "Opernball" auf grauenhafte Art umgebracht. Eine vergleichsweise kleine Minderheit von immerhin vierundzwanzig "Gastarbeitern" kommt bei einem Brandanschlag um, in der Wiener Staatsoper sterben durch neonazistischen Giftgas-Terror unübersehbare Mengen - all die Prominenz aus dem In- und Ausland, die Schönen und die Reichen und die Mächtigen krepieren elendiglich. Ein rechter Super-Gau, Auschwitz heute, "Apocalypse Now" - Schlagworte sonder Zahl drängen sich auf. Zudem wurde der Band gerade in jenen Wochen ausgeliefert, als vier Roma im Burgenland einem Bombenattentat zum Opfer fielen. Grund genug, die erschreckende Aktualität des Romans zu beklagen, doch sicherlich kein Anlaß, sie dem Verfasser anzukreiden, der sich offenbar mehrere Jahre damit beschäftigt hat.
"Opernball" ist ein in deutscher Sprache unübliches literarisches Unternehmen: keine Literatur-Literatur, sondern ein Politthriller mit gesellschaftskritischem Anspruch. Fakten und Fiktion gehen hier eine Ehe oder bloß ein illegitimes Verhältnis nach amerikanischem Muster ein. Kurt Fraser, die Hauptperson, war einst Kriegsberichterstatter. Am Abend des Opernballs ist er als Sendeleiter für die europäische Fernsehanstalt ETV im Einsatz. Hilflos muß er auf Dutzenden Bildschirmen mitansehen, wie die leicht halbseidene Amüsier-Society, unter der sich auch sein Sohn als Kameramann befindet, erstickt.
Der Vater will sich das Unerklärliche des Horrorszenarios erklären. Er begibt sich auf Spurensuche. In Tonbandprotokollen monologisieren ein Attentäter, ein Polizist und Überlebende. Geschickt sind die verschiedenen Rückblende-Geschichten zusammengeschnitten. Nicht zuletzt dem Kunstgriff des Unterbrechens und Verzögerns verdankt sich die Spannung bei der Lektüre. Wir erfahren einiges von der Stimmung, von der fatalen Mißstimmung in der Wiener Exekutive; wir lernen das aberwitzige Sekten-Grüppchen der "Entschlossenen" kennen, das sich um seinen Führer schart. Der "Geringste", eine seltsam charismatische Gestalt mit religiös-fanatischen Zügen, inszeniert das Massaker als Fanal für die bürgerlich-demokratische Welt.
Zugleich entsteht jedoch ein wenig schmeichelhaftes Sittengemälde der derzeitigen Republik Österreich. Der Verdacht, daß die Spitzen der Sicherheitskräfte mit der rechtsextremen Szene zumindest sympathisieren, wird ebenso geweckt wie jener, daß die Oberen des Medienriesen ETV über den geplanten Massenmord vorab informiert waren und ihn als Einschaltquotenknüller bewußt in Kauf nahmen. Wer die Klischeehaftigkeit so mancher Aussagen und Charaktere bemängelt, der vergißt eine betrübliche Tatsache: Leider sind die Klischees in diesem Fall ein ziemlich genaues Abbild realer Tendenzen. Die durch die Beseitigung fast der gesamten Bundesregierung notwendig gewordenen Wahlen gewinnt die populistische, ausländerfeindliche "Nationale Partei".
Haslinger differenziert die einzelnen Stimmen stilistisch nur in Andeutungen, allein - es stört kaum, denn die knappen, parataktischen Sätze erzeugen beträchtliche Sogwirkung. Enttäuscht wird man freilich im Finale. Der Versuch, die Erzählstränge zu einem Knoten zu schürzen und diesen auf flotte Art befriedigend zu lösen, hat sein Fragwürdiges. Ein bißchen erinnert er an die Methode von Alexander dem Großen, der mit dem Schwert dreinschlug. Trotzdem hat Josef Haslinger mit "Opernball" eine mehr als respektable Leistung geboten: kein bedeutendes Kunstwerk, aber vortrefflichen Lesestoff, für den sich niemand - weder Produzent noch Konsument - genieren muß. ULRICH WEINZIERL
Josef Haslinger: "Opernball". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 474 S., geb., 44,- DM.
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