Produktdetails
- Verlag: Unionsverlag
- Originaltitel: Oran, langue morte
- Seitenzahl: 314
- Abmessung: 195mm
- Gewicht: 396g
- ISBN-13: 9783293002913
- ISBN-10: 3293002919
- Artikelnr.: 09933817
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001Kopfstimme, klagend
Assia Djebar literarisiert die algerische Gewalt bis zum blutigen Ende / Von Stefan Weidner
Assia Djebar schreibt mit Anspruch, aber einfach. Die Schlichtheit ist die große Leistung und das Manko ihrer Literatur zugleich. Einerseits schafft sie es dadurch, ihre beiden großen, meist miteinander verschränkten Themen, Algerien und Frauen, dem Schweigen zu entreißen; andererseits läuft sie Gefahr, ihre Anliegen zu schnell und unter Wert an das Wort zu verkaufen, sie im schlimmsten Fall zu verniedlichen. In ihrer neusten Sammlung von Erzählungen, die 1997 in Frankreich erschien, kommen beide Tendenzen oft in derselben Geschichte zum Tragen, so daß man am Ende gar nicht weiß, wie man das finden soll, obgleich es sich immer nett und flott liest. Die Erzählungen spielen, mit gelegentlichen Abstechern in die Zeit des Befreiungskrieges, im Algerien der Jahre 1995 und 1996, als der islamistische Terror gegen die algerischen Intellektuellen seine grausamsten Blüten trieb.
Eine der Geschichten oder ein "Märchen", wie es heißt, handelt von einer Gymnasiallehrerin, die mit ihrer Klasse ein Stück aus Tausendundeiner Nacht durchnimmt. Sie wählt dafür die "Geschichte von den drei Äpfeln". Diese ist unterhaltsam genug, daß Djebar sie mit den Worten ihrer Lehrerin über etliche Seiten nacherzählen kann, ohne den Leser zu langweilen. Da die Klasse aufgeweckt ist, entspinnt sich am Ende jeder Stunde eine Diskussion, nicht zuletzt über die Bedingung des Erzählens in Lebensgefahr. Der Einfall ist hübsch, und der Vergleich der engagierten Lehrerin oder Djebars selbst mit der ebenfalls vom Tod bedrohten Scheherazade, der Erzählerin von Tausendundeiner Nacht, liegt nah - ohne wirklich ganz aufzugehen. Dann geschieht folgendes: Eine Gruppe finster blickender Uniformierter dringt in das Klassenzimmer ein und erschießt die Lehrerin. Bevor sie verschwinden, zückt einer von ihnen ein Messer, schneidet den Kopf der Lehrerin ab und setzt ihn aufs Pult. Und nun erzählt dieser Kopf die Geschichte zu Ende, bis die Luft ausgeht "als würden auch ihre Worte vom Blut, das tropft und auf das Holz des Tisches rinnt, ertränkt".
Effekthascherisches Schauermärchen oder einfach nur drastische Literarisierung der schaurigen algerischen Wirklichkeit? Jedenfalls scheint Djebar, anders als in ihren eher dokumentarischen Werken wie "Weißes Algerien", nicht mehr darauf zu vertrauen, daß die bloße Erwähnung von Grausamkeiten ausreichend erschütternd wirkt. Statt dessen wird die Gewalt literarisiert, offensichtlich um den Effekt auf den Leser zu steigern. Doch der Schuß geht nach hinten los, denn nun empört man sich ebensowenig darüber wie über Gewalt in fiktionalen Texten ganz allgemein. Und der Sache ist ein um so schlechterer Dienst geleistet, als die Erzählung literarisch nur sehr bedingt überzeugt.
Zum Glück enden nicht alle Stücke des Bandes so schrill. Wo man einen authentischen Kern verspürt oder der Bogen vom algerischen Unabhängigkeitskrieg bis in die Gegenwart und von Algerien nach Frankreich geschlagen wird, vermögen die Erzählungen bisweilen zu überzeugen. Mehrfach treten gemischte Paare auf: Sie Französin, er Algerier, die jeweils "ein gespenstisches Stück aufführen, in dem es um Liebe geht, gewiß, das aber zugleich die Vergangenheit wieder aufleben läßt, und die beiden Unglücklichen wissen nicht einmal, daß sie Doppelgänger der doppelgesichtigen Vergangenheit sind!"
Da heiratet die unschuldige Annie den algerischen Bauarbeiter Idir. Idirs Eifersucht vergiftet die Ehe, Annie trennt sich. Er entführt die einjährige Tochter und flieht nach Algerien. Erst neun Jahre später kann Annie sie wiedersehen. Um sich auf die Begegnung vorzubereiten, hat Annie die "Tochtersprache" gelernt, das Tifinagh, die Sprache der Berber. Die Tochter hingegen spricht Französisch, weigert sich aber, vor der unbekannten Frau ihr unter dem Schleier verborgenes Haar zu entblößen, wie es der sehnlichste Wunsch der Mutter gewesen wäre. Es ist eine der rührendsten Erzählungen des Bandes, weil die brachiale Gewalt, welche die Geschichten sonst prägt, durch die literarisch viel eindrücklichere seelische Gewalt ersetzt wird.
Anders als die Ehe zwischen Annie und Idir verläuft die zwischen einer Französin und einem Algerier in der längsten Geschichte trotz aller Hindernisse glücklich: "Weißt du, meine Kleine, was die Ehe mit meinem Mann gerettet hat, war, daß wir jeden Abend Liebe machten", vertraut die Französin ihrer Schwiegertochter an. So einfach kann es manchmal sein, und in den Monologen der Kinder am Totenbett der lebensfreudigen Mutter scheint ein halbhundertjähriges Panorama algerisch-französischer, männlich-weiblicher, christlich-muslimischer Verschlingungen auf, die zwar nie ungetrübt sind, aber doch immer gut ausgehen, inklusive der Beerdigung der katholischen Mutter neben dem Vater auf dem islamischen Friedhof.
Das blutige Ende aber, das in dieser Geschichte durch ein kleines Wunder noch einmal abgewendet wird, ist in den übrigen Erzählungen Programm, ohne daß die Darstellungsform, die Djebar dafür wählt, auf Augenhöhe der Empörung wäre, die sie motiviert. In den harmlos erzählten Geschichten wirkt der Tod oft nur noch wie ein ungezogenes Haustier. Ob das Schweigen da bisweilen nicht doch vorzuziehen ist? Im Nachwort beruft sich Djebar, um ihre Poetik zu umreißen, auf Francis Ponge. Der schrieb in einem seiner frühen Dinggedichte: "Für die geistige Toilette ein kleines Stück Seife. Richtig gehandhabt, genügt." Wenn man sie aber nicht richtig handhabt, wird selbst aus dem kleinen Stück Seife unversehens eine Seifenoper. Das ist schade, denn die kleine Seife, die Djebar ja durchaus schon meisterlich benutzt hat, könnte sogar dort etwas leisten, fährt Ponge fort, "wo Sturzbäche reinen Wassers nichts säubern würden. Auch das Schweigen nicht. Noch dein Selbstmord in der schwärzesten Quelle, o absoluter Leser!"
Assia Djebar: "Oran - Algerische Nacht". Erzählungen. Aus dem Französischen übersetzt von Beate Thill. Unionsverlag, Zürich 2001. 316 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Assia Djebar literarisiert die algerische Gewalt bis zum blutigen Ende / Von Stefan Weidner
Assia Djebar schreibt mit Anspruch, aber einfach. Die Schlichtheit ist die große Leistung und das Manko ihrer Literatur zugleich. Einerseits schafft sie es dadurch, ihre beiden großen, meist miteinander verschränkten Themen, Algerien und Frauen, dem Schweigen zu entreißen; andererseits läuft sie Gefahr, ihre Anliegen zu schnell und unter Wert an das Wort zu verkaufen, sie im schlimmsten Fall zu verniedlichen. In ihrer neusten Sammlung von Erzählungen, die 1997 in Frankreich erschien, kommen beide Tendenzen oft in derselben Geschichte zum Tragen, so daß man am Ende gar nicht weiß, wie man das finden soll, obgleich es sich immer nett und flott liest. Die Erzählungen spielen, mit gelegentlichen Abstechern in die Zeit des Befreiungskrieges, im Algerien der Jahre 1995 und 1996, als der islamistische Terror gegen die algerischen Intellektuellen seine grausamsten Blüten trieb.
Eine der Geschichten oder ein "Märchen", wie es heißt, handelt von einer Gymnasiallehrerin, die mit ihrer Klasse ein Stück aus Tausendundeiner Nacht durchnimmt. Sie wählt dafür die "Geschichte von den drei Äpfeln". Diese ist unterhaltsam genug, daß Djebar sie mit den Worten ihrer Lehrerin über etliche Seiten nacherzählen kann, ohne den Leser zu langweilen. Da die Klasse aufgeweckt ist, entspinnt sich am Ende jeder Stunde eine Diskussion, nicht zuletzt über die Bedingung des Erzählens in Lebensgefahr. Der Einfall ist hübsch, und der Vergleich der engagierten Lehrerin oder Djebars selbst mit der ebenfalls vom Tod bedrohten Scheherazade, der Erzählerin von Tausendundeiner Nacht, liegt nah - ohne wirklich ganz aufzugehen. Dann geschieht folgendes: Eine Gruppe finster blickender Uniformierter dringt in das Klassenzimmer ein und erschießt die Lehrerin. Bevor sie verschwinden, zückt einer von ihnen ein Messer, schneidet den Kopf der Lehrerin ab und setzt ihn aufs Pult. Und nun erzählt dieser Kopf die Geschichte zu Ende, bis die Luft ausgeht "als würden auch ihre Worte vom Blut, das tropft und auf das Holz des Tisches rinnt, ertränkt".
Effekthascherisches Schauermärchen oder einfach nur drastische Literarisierung der schaurigen algerischen Wirklichkeit? Jedenfalls scheint Djebar, anders als in ihren eher dokumentarischen Werken wie "Weißes Algerien", nicht mehr darauf zu vertrauen, daß die bloße Erwähnung von Grausamkeiten ausreichend erschütternd wirkt. Statt dessen wird die Gewalt literarisiert, offensichtlich um den Effekt auf den Leser zu steigern. Doch der Schuß geht nach hinten los, denn nun empört man sich ebensowenig darüber wie über Gewalt in fiktionalen Texten ganz allgemein. Und der Sache ist ein um so schlechterer Dienst geleistet, als die Erzählung literarisch nur sehr bedingt überzeugt.
Zum Glück enden nicht alle Stücke des Bandes so schrill. Wo man einen authentischen Kern verspürt oder der Bogen vom algerischen Unabhängigkeitskrieg bis in die Gegenwart und von Algerien nach Frankreich geschlagen wird, vermögen die Erzählungen bisweilen zu überzeugen. Mehrfach treten gemischte Paare auf: Sie Französin, er Algerier, die jeweils "ein gespenstisches Stück aufführen, in dem es um Liebe geht, gewiß, das aber zugleich die Vergangenheit wieder aufleben läßt, und die beiden Unglücklichen wissen nicht einmal, daß sie Doppelgänger der doppelgesichtigen Vergangenheit sind!"
Da heiratet die unschuldige Annie den algerischen Bauarbeiter Idir. Idirs Eifersucht vergiftet die Ehe, Annie trennt sich. Er entführt die einjährige Tochter und flieht nach Algerien. Erst neun Jahre später kann Annie sie wiedersehen. Um sich auf die Begegnung vorzubereiten, hat Annie die "Tochtersprache" gelernt, das Tifinagh, die Sprache der Berber. Die Tochter hingegen spricht Französisch, weigert sich aber, vor der unbekannten Frau ihr unter dem Schleier verborgenes Haar zu entblößen, wie es der sehnlichste Wunsch der Mutter gewesen wäre. Es ist eine der rührendsten Erzählungen des Bandes, weil die brachiale Gewalt, welche die Geschichten sonst prägt, durch die literarisch viel eindrücklichere seelische Gewalt ersetzt wird.
Anders als die Ehe zwischen Annie und Idir verläuft die zwischen einer Französin und einem Algerier in der längsten Geschichte trotz aller Hindernisse glücklich: "Weißt du, meine Kleine, was die Ehe mit meinem Mann gerettet hat, war, daß wir jeden Abend Liebe machten", vertraut die Französin ihrer Schwiegertochter an. So einfach kann es manchmal sein, und in den Monologen der Kinder am Totenbett der lebensfreudigen Mutter scheint ein halbhundertjähriges Panorama algerisch-französischer, männlich-weiblicher, christlich-muslimischer Verschlingungen auf, die zwar nie ungetrübt sind, aber doch immer gut ausgehen, inklusive der Beerdigung der katholischen Mutter neben dem Vater auf dem islamischen Friedhof.
Das blutige Ende aber, das in dieser Geschichte durch ein kleines Wunder noch einmal abgewendet wird, ist in den übrigen Erzählungen Programm, ohne daß die Darstellungsform, die Djebar dafür wählt, auf Augenhöhe der Empörung wäre, die sie motiviert. In den harmlos erzählten Geschichten wirkt der Tod oft nur noch wie ein ungezogenes Haustier. Ob das Schweigen da bisweilen nicht doch vorzuziehen ist? Im Nachwort beruft sich Djebar, um ihre Poetik zu umreißen, auf Francis Ponge. Der schrieb in einem seiner frühen Dinggedichte: "Für die geistige Toilette ein kleines Stück Seife. Richtig gehandhabt, genügt." Wenn man sie aber nicht richtig handhabt, wird selbst aus dem kleinen Stück Seife unversehens eine Seifenoper. Das ist schade, denn die kleine Seife, die Djebar ja durchaus schon meisterlich benutzt hat, könnte sogar dort etwas leisten, fährt Ponge fort, "wo Sturzbäche reinen Wassers nichts säubern würden. Auch das Schweigen nicht. Noch dein Selbstmord in der schwärzesten Quelle, o absoluter Leser!"
Assia Djebar: "Oran - Algerische Nacht". Erzählungen. Aus dem Französischen übersetzt von Beate Thill. Unionsverlag, Zürich 2001. 316 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wie das Buch den Algerienkrieg, das "Trauma Frankreichs" und "französische Trauma Algeriens" als Riss durch sämtliche Bereiche privaten und öffentlichen Lebens vorführt, davon gibt uns Gennaro Ghirardelli in seiner Besprechung einen Eindruck, indem er das Absterben der Kommunikation, einer gemeinsamen Sprache der Algerier anspricht: erst durch die verordnete Zweisprachigkeit (Französisch, Arabisch), dann durch die "rigide durchgesetzte" Einsprachigkeit, mit der das Berberisch durch das Arabische verdrängt wurde. Die Darstellung der Zerrissenheit jedoch reizt den Rezensenten zum Widerspruch. Dass die Figuren nämlich zu bloßen "Chiffren einer existentiellen, kulturellen und politischen Zerrissenheit" werden, hält er für eine "deutliche Schwäche" des Buches. Das Gefühl dieser "emblematischen Zwangsjacke" verdirbt ihm noch die ergreifendsten, ironischsten und charmantesten Passagen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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