Longlisted for the Man Booker Prize 2014 'A magnificent and moving novel' LOS ANGELES TIMES Seventy-year-old avant-garde composer Peter Els opens the door one evening to find the police on his doorstep. His home microbiology lab - where he is conducting the latest experiment in his lifelong attempt to find musical patterns in surprising places - has aroused the suspicions of Homeland Security. Panicked by the raid, Els turns fugitive, earning him the moniker 'Bioterrorist Bach'. He hatches a daring plan to transform this disastrous collision with the security state into an unforgettable work of art that will reawaken its audience to the sounds all around it. A gripping escape narrative filled with lyrical wonder, Orfeo is both a portrait of a creative, obsessive man, and a reflection on finding melodies in everyday life.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungDen Hackern ist er Johann Sebastian Bach
Richard Powers lässt einen Komponisten ins Visier der Behörden geraten
Peter Els, der Protagonist von Richard Powers' neuem Roman "Orfeo", ist ein Besessener auf der Suche nach der perfekten Melodie. In jungen Jahren jagte der Komponist sie unermüdlich, im Alter will er sie in seinem Bio-Bastellabor in die DNA von Bakterien einschreiben. Und plötzlich finden "zwei Albträume, in denen die hysterische Gegenwart lebt - Bazillen und der Dschihad -, in ihm einen gemeinsamen Protagonisten". Die amerikanischen Sicherheitsbehörden entdecken neben dem Heimlabor des Siebzigjährigen einen osmanischen Notendruck aus dem sechzehnten Jahrhundert an der Wand. Als Els tags darauf von einem morgendlichen Spaziergang zurückkehrt, findet er sein Haus von gelbem Absperrband umgeben, Männer in Schutzanzügen buddeln seine im Garten beerdigte Hündin aus, verstauen sie in einer Plastikbox, tragen seine Besitztümer in Kunststoffbehältern hinaus. Els wird panisch und flieht.
Auch Richard Powers selbst liebt Musik und Genetik. Das Physikstudium brach er ab, um Literatur zu studieren, arbeitete dann aber zunächst als Informatiker und ließ als neunter Mensch auf der Welt sein Genom entschlüsseln. In einer Reportage schrieb er darüber, wie lange ein Lied dauern würde, das entstünde, wären die DNA-Basenpaare Noten - ein halbes Jahrhundert lang. Powers hat professionell Cello gespielt, komponiert und befasste sich schon in mehreren Romanen mit Musik (darunter der Bestseller "Der Klang der Zeit") und Genetik (zuletzt in "Das größere Glück"). Ihn treiben die großen Fragen unserer Zeit um: In "Der Klang der Zeit" setzte er sich mit Rassismus und der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung auseinander, in "Das größere Glück" mit der Frage, ob Lebenszufriedenheit genetisch bedingt ist.
In "Orfeo" stellt Powers sowohl die neuesten Entwicklungen in der Biotechnologie dar - Hobbybastler können Gott spielen - als auch die Paranoia der Vereinigten Staaten noch mehr als ein Jahrzehnt nach dem 11. September 2001 - amerikanische Sicherheitsbehörden können sie bis zum Beweis ihrer Unschuld wegsperren. Und nicht zuletzt die unheilvolle Logik des Internets, in dem die Treffer für Els' Namen sich vermehren wie die Bakterien, die er züchtet, und wo er "Biohacker-Bach" genannt wird.
Oft wurde Powers vorgeworfen, mit der Schwere der großen Themen die Authentizität seiner Figuren zu erdrücken. Peter Els steht in seiner rührenden Musikbesessenheit aber nicht exemplarisch für irgendetwas. "Ich möchte eine Musik schaffen, die ihre Zuhörer verändert. Sie sollen über ihre persönlichen Vorlieben hinauskommen. Die Musik soll sie zu etwas führen, das außerhalb ihrer selbst liegt." Mit solchen Sätzen zeigt Powers, wie sehr die Vorstellung einer idealen Komposition Els' Leben dominiert. Und wie dieser scheitert. Denn Els ist zwar ein begnadeter Komponist, doch lebt er in der Zeit der wilden Siebziger, in der die Harmonien der Klassiker von aufstrebenden Komponisten belächelt werden. Als Kind dieser Zeit erscheint Els alles Melodische kitschig, weshalb er Musik komponiert, bei der "mehr Personen auf der Bühne als im Publikum" sitzen. Mit zunehmendem Alter kann er jedoch die Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie nicht mehr unterdrücken und ist von einem sanften Lied zutiefst berührt: "Mit fünfundzwanzig hätte Els diese Komposition geistlos und reaktionär gefunden. Mit siebzig wünschte er sich, er hätte sie mit fünfundzwanzig geschrieben."
Die Hassliebe, die seinen Protagonisten mit musikalischen Harmonien verbindet, beschreibt Powers intensiv: "Er wird diese Musik zu Tode lieben. Noch ein paar Jahre, dann wird er über ihre Gefühligkeit die Nase rümpfen, die ergreifenden Harmonien verspotten. Wenn man erst einmal dermaßen geliebt hat, ist Verachtung die einzige Zuflucht. Erst wenn es zu spät ist, wird Peter begreifen, dass er sein Leben lang nur ein Einziges wollte: ein Ohr so zu rühren, wie diese Variationen ihn gerührt haben." Sätze wie dieser und seitenlange Schilderungen von Els' Gefühlen, wenn er Musik hört oder sich auch nur an sie erinnert, helfen über die schwachen Bio-Thriller-Stellen des Romans hinweg.
Das Problem von "Orfeo" ist ein anderes als sonst bei Powers: Statt dass dem Leser spannende Fragen durch blass bleibende Figuren präsentiert werden, setzt sich diesmal eine intensiv charakterisierte Figur mit einem Problem auseinander, das sich dem Leser nicht erschließt. Denn in der DNA der Bakterien will Els nicht das Muster perfekter Melodien finden, sondern Musik für immer speichern - ein Bedürfnis, das er im Laufe seines Roman-Lebens an keiner Stelle zum Ausdruck bringt. Dieses Leben entfaltet Powers in Rückblicken auf wichtige Begleiter: Els' erste große Liebe, ein Studienfreund und experimenteller Dramaturg, seine Frau und die gemeinsame Tochter. Er schildert, wie Els manche dieser Beziehungen für die Musik opfert und es später bereut.
Diese Erzählstränge werden immer wieder von der eigentlichen Erzählung unterbrochen, in der Els, gealtert und merkwürdig erregt von der Vorstellung, für einen Bio-Terroristen gehalten zu werden, quer durch Amerika fährt und über die Macht der Bakterien nachdenkt. Das ist nicht sonderlich überzeugend, wie überhaupt die Vorstellung, dass ein Komponist auf seine alten Tage zum Hobby-Genetiker wird und vor der Polizei flieht, statt sich ihr zu erklären. Els' Exfrau lässt eine Begründung anklingen: "Mit diesen Bakterienzellen", sagt sie zu ihm, "wolltest du da für immer leben?"
Das lässt an den titelgebenden Orpheus denken, der mit seinem Gesang die Toten aufwecken kann. Die Bakterien mit der einprogrammierten Musik werden die Menschheit überdauern und bedeuten eine Überwindung der Endlichkeit. Nur, was bedeutete das, ohne ein menschliches Ohr, um die Musik zu hören, und ohne eine menschliche Seele, um sich von ihr berühren zu lassen, wie Peter Els es immer wollte? Die Erklärung hierfür bleibt Powers schuldig.
LEONIE FEUERBACH.
Richard Powers: "Orfeo". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Manfred Allié. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 492 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Richard Powers lässt einen Komponisten ins Visier der Behörden geraten
Peter Els, der Protagonist von Richard Powers' neuem Roman "Orfeo", ist ein Besessener auf der Suche nach der perfekten Melodie. In jungen Jahren jagte der Komponist sie unermüdlich, im Alter will er sie in seinem Bio-Bastellabor in die DNA von Bakterien einschreiben. Und plötzlich finden "zwei Albträume, in denen die hysterische Gegenwart lebt - Bazillen und der Dschihad -, in ihm einen gemeinsamen Protagonisten". Die amerikanischen Sicherheitsbehörden entdecken neben dem Heimlabor des Siebzigjährigen einen osmanischen Notendruck aus dem sechzehnten Jahrhundert an der Wand. Als Els tags darauf von einem morgendlichen Spaziergang zurückkehrt, findet er sein Haus von gelbem Absperrband umgeben, Männer in Schutzanzügen buddeln seine im Garten beerdigte Hündin aus, verstauen sie in einer Plastikbox, tragen seine Besitztümer in Kunststoffbehältern hinaus. Els wird panisch und flieht.
Auch Richard Powers selbst liebt Musik und Genetik. Das Physikstudium brach er ab, um Literatur zu studieren, arbeitete dann aber zunächst als Informatiker und ließ als neunter Mensch auf der Welt sein Genom entschlüsseln. In einer Reportage schrieb er darüber, wie lange ein Lied dauern würde, das entstünde, wären die DNA-Basenpaare Noten - ein halbes Jahrhundert lang. Powers hat professionell Cello gespielt, komponiert und befasste sich schon in mehreren Romanen mit Musik (darunter der Bestseller "Der Klang der Zeit") und Genetik (zuletzt in "Das größere Glück"). Ihn treiben die großen Fragen unserer Zeit um: In "Der Klang der Zeit" setzte er sich mit Rassismus und der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung auseinander, in "Das größere Glück" mit der Frage, ob Lebenszufriedenheit genetisch bedingt ist.
In "Orfeo" stellt Powers sowohl die neuesten Entwicklungen in der Biotechnologie dar - Hobbybastler können Gott spielen - als auch die Paranoia der Vereinigten Staaten noch mehr als ein Jahrzehnt nach dem 11. September 2001 - amerikanische Sicherheitsbehörden können sie bis zum Beweis ihrer Unschuld wegsperren. Und nicht zuletzt die unheilvolle Logik des Internets, in dem die Treffer für Els' Namen sich vermehren wie die Bakterien, die er züchtet, und wo er "Biohacker-Bach" genannt wird.
Oft wurde Powers vorgeworfen, mit der Schwere der großen Themen die Authentizität seiner Figuren zu erdrücken. Peter Els steht in seiner rührenden Musikbesessenheit aber nicht exemplarisch für irgendetwas. "Ich möchte eine Musik schaffen, die ihre Zuhörer verändert. Sie sollen über ihre persönlichen Vorlieben hinauskommen. Die Musik soll sie zu etwas führen, das außerhalb ihrer selbst liegt." Mit solchen Sätzen zeigt Powers, wie sehr die Vorstellung einer idealen Komposition Els' Leben dominiert. Und wie dieser scheitert. Denn Els ist zwar ein begnadeter Komponist, doch lebt er in der Zeit der wilden Siebziger, in der die Harmonien der Klassiker von aufstrebenden Komponisten belächelt werden. Als Kind dieser Zeit erscheint Els alles Melodische kitschig, weshalb er Musik komponiert, bei der "mehr Personen auf der Bühne als im Publikum" sitzen. Mit zunehmendem Alter kann er jedoch die Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie nicht mehr unterdrücken und ist von einem sanften Lied zutiefst berührt: "Mit fünfundzwanzig hätte Els diese Komposition geistlos und reaktionär gefunden. Mit siebzig wünschte er sich, er hätte sie mit fünfundzwanzig geschrieben."
Die Hassliebe, die seinen Protagonisten mit musikalischen Harmonien verbindet, beschreibt Powers intensiv: "Er wird diese Musik zu Tode lieben. Noch ein paar Jahre, dann wird er über ihre Gefühligkeit die Nase rümpfen, die ergreifenden Harmonien verspotten. Wenn man erst einmal dermaßen geliebt hat, ist Verachtung die einzige Zuflucht. Erst wenn es zu spät ist, wird Peter begreifen, dass er sein Leben lang nur ein Einziges wollte: ein Ohr so zu rühren, wie diese Variationen ihn gerührt haben." Sätze wie dieser und seitenlange Schilderungen von Els' Gefühlen, wenn er Musik hört oder sich auch nur an sie erinnert, helfen über die schwachen Bio-Thriller-Stellen des Romans hinweg.
Das Problem von "Orfeo" ist ein anderes als sonst bei Powers: Statt dass dem Leser spannende Fragen durch blass bleibende Figuren präsentiert werden, setzt sich diesmal eine intensiv charakterisierte Figur mit einem Problem auseinander, das sich dem Leser nicht erschließt. Denn in der DNA der Bakterien will Els nicht das Muster perfekter Melodien finden, sondern Musik für immer speichern - ein Bedürfnis, das er im Laufe seines Roman-Lebens an keiner Stelle zum Ausdruck bringt. Dieses Leben entfaltet Powers in Rückblicken auf wichtige Begleiter: Els' erste große Liebe, ein Studienfreund und experimenteller Dramaturg, seine Frau und die gemeinsame Tochter. Er schildert, wie Els manche dieser Beziehungen für die Musik opfert und es später bereut.
Diese Erzählstränge werden immer wieder von der eigentlichen Erzählung unterbrochen, in der Els, gealtert und merkwürdig erregt von der Vorstellung, für einen Bio-Terroristen gehalten zu werden, quer durch Amerika fährt und über die Macht der Bakterien nachdenkt. Das ist nicht sonderlich überzeugend, wie überhaupt die Vorstellung, dass ein Komponist auf seine alten Tage zum Hobby-Genetiker wird und vor der Polizei flieht, statt sich ihr zu erklären. Els' Exfrau lässt eine Begründung anklingen: "Mit diesen Bakterienzellen", sagt sie zu ihm, "wolltest du da für immer leben?"
Das lässt an den titelgebenden Orpheus denken, der mit seinem Gesang die Toten aufwecken kann. Die Bakterien mit der einprogrammierten Musik werden die Menschheit überdauern und bedeuten eine Überwindung der Endlichkeit. Nur, was bedeutete das, ohne ein menschliches Ohr, um die Musik zu hören, und ohne eine menschliche Seele, um sich von ihr berühren zu lassen, wie Peter Els es immer wollte? Die Erklärung hierfür bleibt Powers schuldig.
LEONIE FEUERBACH.
Richard Powers: "Orfeo". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Manfred Allié. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 492 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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