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Tragen gesellige Vereine für Musik, Sport und Gärtnerei im 19. und 20. Jahrhundert zu sozialer Integration bei? Dieser Frage stellt sich die Studie und vergleicht über zwei Jahrhunderte hinweg die Entwicklung deutscher und britischer Vereine. Sie zeigt, dass Vereine in beiden Ländern sozial integrativ wirkten, aber auch dazu dienten, soziale Ausschlüsse vorzunehmen, Statusunterschiede hervorzuheben und Abhängigkeiten zu festigen. In Großbritannien inspirierte die kommerzielle Populärkultur die Vereinsbildung, Vereine wurden von wirtschaftlichen Unternehmen wie Presseverlagen oder Brauereien…mehr

Produktbeschreibung
Tragen gesellige Vereine für Musik, Sport und Gärtnerei im 19. und 20. Jahrhundert zu sozialer Integration bei? Dieser Frage stellt sich die Studie und vergleicht über zwei Jahrhunderte hinweg die Entwicklung deutscher und britischer Vereine. Sie zeigt, dass Vereine in beiden Ländern sozial integrativ wirkten, aber auch dazu dienten, soziale Ausschlüsse vorzunehmen, Statusunterschiede hervorzuheben und Abhängigkeiten zu festigen. In Großbritannien inspirierte die kommerzielle Populärkultur die Vereinsbildung, Vereine wurden von wirtschaftlichen Unternehmen wie Presseverlagen oder Brauereien materiell unterstützt. In Deutschland dagegen übte der Staat den prägenden Einfluss aus, indem er Freizeitvereine erst kontrollierte und sie dann zu "gemeinnützigen" Zwecken förderte.
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Autorenporträt
Dr. Klaus Nathaus ist Postdoktorand an der »Bielefeld Graduate School in History and Sociology« der Universität Bielefeld.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.02.2010

Hier lernt die Gesellschaft laufen
Im Club der Schützen, Angler, Gärtner: Klaus Nathaus über Vereinsleben und Geselligkeit in Großbritannien und Deutschland
Groucho Marx soll in den frühen fünfziger Jahren seinen Austritt aus dem FRIARS Club in Hollywood damit begründet haben, dass er keinem Club angehören wolle, der ihn als Mitglied aufnimmt. Sein bekanntes Zitat kann noch als fernes Echo einer britischen Vereinswelt gelesen werden, welche scharf zwischen den sozialen Schichten unterschied, die Zugang begehrten. Schließlich dienten Vereine nicht nur der Öffnung, sondern auch der Schließung sozialer Kreise.
Sobald man „Verein” statt „Club” sagt, denkt man weniger an Großbritannien als an Deutschland. Das Wort „Vereinsmeierei” hat einen so deutschen Klang, dass man es nicht übersetzen kann. Das hatte nicht zuletzt politische Hintergründe. Die politischen Parteien, vor allem das katholische Zentrum und die Sozialdemokratie, konnten bis 1933 auf ein dichtes Netz von vorpolitischen Vereinen zählen, die für eine durchgängige weltanschauliche Schulung der Wählerschaft sorgten. „Germania docet”, meinte 1903 der päpstliche Legat Ferrari über die Verhältnisse im katholischen Deutschland und meinte damit das Vorbild der katholischen Vereine, die die Stärke der katholischen Zentrumspartei ausmachten. Ähnlichen Respekt brachte man den Sozialdemokraten und ihrer Vereinskultur entgegen. Die historische Vereinsforschung stand lange Zeit unter dem Eindruck dieses Eindrucks der Zeitgenossen.
Vereine auf die politische Sozialisationsleistung hin zu analysieren greift letztlich zu kurz, meint der Historiker Klaus Nathaus. Vereine als Gemeinschaften von zeitweise Gleichen üben, wie soziale Kreise geöffnet und geschlossen werden, wie Beziehungen auf Probe eingegangen werden, sie üben zu verhandeln, Kompromisse zu schließen und Ordnung permanent neu zu gestalten. Das alles sind Formen des zivilen Umgangs, die für eine Gesellschaft im Ganzen entscheidend sind. Eingeübt wird diese alltägliche Geselligkeit mit so unschuldigen Tätigkeiten wie angeln, singen oder kleingärtnern. Hier lernt die Gesellschaft laufen. Sie sind prima vista weit entfernt von politischer Weltanschauung. Sie haben mehr mit Freizeitgestaltung und Unterhaltung gemein. Aber gerade in ihrem Eigencharakter und in ihrer Unverbindlichkeit liegt die Bedeutung für die Gesellschaft. So verschieden die Vereinswelten in Deutschland und Großbritannien auch sind, sie lassen sich nach Nathaus doch an dem messen, was sie organisieren: Geselligkeit.
In dem deutschen Soziologen Georg Simmel findet Nathaus seinen theoretischen Gewährsmann. Geselligkeit und Gesellschaft verhalten sich für Simmel zueinander wie Form und Inhalt: ohne einander nicht denkbar, doch nicht aufeinander reduzierbar. Die Geselligkeit ist eine „Spielform der Vergesellschaftung”. Geselligkeit übt nach ihm die Formen des Umgangs, der Reaktion aufeinander, des Entdeckens von Gemeinsamkeiten miteinander ein. Sie entsteht ohne den ordnenden Einfluss des Staates und der Politik. Die Form- und Ausdrucksfähigkeit einer Gesellschaft orientiert sich nach Simmel an der Geselligkeit. Man möchte ergänzen: Eine soziale Gruppe ist nur dann politikfähig, wenn sie zuvor sprachfähig wird.
Der große Unterschied zwischen den deutschen und den britischen Vereinen lag nicht in ihrer Anzahl oder Verbreitung. Hier zeigte Großbritannien ganz erstaunliche Mitgliedszahlen, die bei Kleingärtnern, Sportvereinen oder Anglern oft genug über den deutschen Zahlen lagen. Der Unterschied lag zum einen darin, dass in britischen Vereinen Arbeiter noch stärker unter sich blieben als in Deutschland. Die britische Mittelschicht und auch die Arbeiter achteten auf die Exklusivität ihrer Vereine. Das Prinzip der Gleichheit war hier generell nicht sehr weit entwickelt. Im Gegenteil: Vereine zwischen Cornwall und den Orkney-inseln sorgten in erster Linie für soziale Schließung. Das galt nicht nur für die Londoner Clubs der Oberschicht, sondern auch für die Sportvereine der Mittelklasse und diejenigen der Arbeiter. Zum anderen orientierten sich britische Vereine schon früh an der Konsumgesellschaft. Englische Vereine reagierten in erster Linie auf den wirtschaftlich-sozialen Wandel des 18. und 19. Jahrhunderts und waren weniger das Ergebnis der Aufklärung wie in Deutschland. Und wenn doch, dann arbeiteten sie im Geiste der britischen Aufklärung nicht gegen den Staat. Der Konsum spielte in den Vereinen der Arbeiter eine wesentlich größere Rolle als in Deutschland. Arbeiter konsumierten dort Unterhaltung, Kultur und verbilligte Fahrkarten, wenn sie nicht gerade tranken, woran der Wirt oder die Brauerei wieder ein Interesse hatten. Vereine setzten in Großbritannien auf professionelle Manager und die Unterhaltungsbranche. Dennoch waren britische Arbeiter nicht einfach Stützen der bürgerlichen Gesellschaft. Dafür war ihre Unterhaltung voller Anspielungen und Ironie viel zu sehr um Distanz zur ständig auf moralische Besserung bedachten Mittelschicht bemüht. Der Besserungsanstalt zogen sie Unterhaltung und Konsum vor.
Für die deutsche SPD war der Wirt als Sympathisant und Saalbeschaffer wichtig. Vom Konsum als Vereinszweck zeigten sich deutsche Vereine nicht angetan. Bis in die Arbeitervereine hinein galt der bürgerliche Vorbehalt gegen Konsum und Kommerz. Nicht die wirtschaftliche Lage motivierte die frühen Vereine, sondern die staatskritische Aufklärung. Rechte vom Staat zu fordern, einte die bürgerlichen Vereine und prägte das Bürgertum. Sein Bildungshunger und die Abneigung gegen den Kommerz strahlten noch bis in die Vereine der Arbeiter aus. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, spätestens nach 1918 griff in Deutschland der Staat in die Vereinspolitik ein und suchte sie als sozialmoralische Ressource für das krisenhafte Gemeinwesen zu nutzen. Er förderte sie durch Steuervergünstigungen und Zuwendungen, zumal dann, wenn sie gemeinnützige Vereinszwecke verfolgten. Dies hilft, den quantitativen Höhepunkt des Vereinslebens vor 1933 erklären.
Der Autor zeichnet ein Bild von britischer Marktnähe und deutscher Staatsnähe bei den Vereinen. Als Charakteristika blieben sie bis ins späte 20. Jahrhundert erhalten, als der Siegeszug des Marktes bis in die Legitimation von Politik zu beobachten war. Dennoch bleibt der Ausschluss politischer Sozialisation aus dem Gesamtbild in Nathaus’ Buch künstlich. Politische Sozialisation muss sich nicht auf existierende Parteien beziehen. Sie bedeutet auch die Herstellung von neuen politischen Werten. Sowohl in Deutschland wie auch in Großbritannien organisierten Vereine nicht nur Geselligkeit, sondern auch eine politisch so wichtige Ressource wie Solidarität. Die Sterbekassen der Arbeiter für ein würdiges Begräbnis stehen dafür genauso wie die Anfänge der Gewerkschaften, die in Großbritannien besonders weit zurückreichen. Vereine sozialisierten schon deswegen politisch, weil sie Werte und Haltungen erzeugten, die in die Demokratisierung der Gesellschaft mündeten. In diesem Spannungsfeld sind auch Erscheinungen von unfreiwilliger Komik entstanden – wie etwa das Motto, mit dem die Leipziger Schützenfreunde noch heute zum Beitritt in ihren Verein ermutigen wollen: „Schießen lernen – Freunde treffen”. SIEGFRIED WEICHLEIN
KLAUS NATHAUS: Organisierte Geselligkeit. Deutsche und britische Vereine im 19. und 20. Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009. 328 Seiten, 39,90 Euro.
Vereine, ob sie sich dem Angeln oder dem Singen widmen, üben Formen des sozialen Umgangs ein
Nach dem Ersten Weltkrieg sollen Vereine das krisenhafte Gemeinwesen moralisch stützen
Im Verein ist alles leichter: Diese Herren, offenbar mit einiger Erfahrung in organisierter Geselligkeit ausgestattet, sind Mitglieder eines „Grandfathers’ Club” im südenglischen Küstenort Littlehampton, die sich im Juli 1933 beim gemeinsamen Strandspaziergang ablichten ließen. Foto: Fox Photos/Getty Images
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Bei Klaus Nathaus' Versuch eines Vergleichs zwischen deutschen und britischen Vereinen im 19. und 20. Jahrhundert, bei dem sich der Autor auf Georg Simmel bezieht, wie Siegfried Weichlein feststellt, fehlt etwas. Dass beim Angeln, Singen und Kleingärtnern Geselligkeit organisiert wird, will Weichlein gern glauben. Ebenso das von Nathaus gezeichnete Bild von britischer Marktnähe und deutscher Staatsnähe bei den Vereinen. Vermisst hat der Rezensent das Thema politische Sozialisation. Neben Geselligkeit, findet Weichlein, organisierten Vereine schließlich immer auch Werte und Haltungen und die politisch relevante Ressource Solidarität, und verweist auf die Anfänge der Gewerkschaften.

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