Als Amin Maalouf eines Tages erfährt, daß im Haus seiner Mutter in Beirut eine Truhe mit Schriftstücken - Briefen, Tagebüchern und anderen Dokumenten - aus dem Nachlaß seines Großvaters aufbewahrt wird, macht er sich sofort auf den Weg in den Libanon. Noch an Ort und Stelle beginnt er mit der Lektüre, die ihn kaum wieder losläßt. Er nimmt das Vermächtnis mit nach Paris, ordnet das Material, legt Verzeichnisse an, und allmählich entsteht der Plan zu einem Buch über die Geschichte seiner Familie.
Ursprünglich ein Nomadenstamm aus der Wüste zwischen Syrien und Arabien, war sie im 19. Jahrhundert in den Libanon eingewandert und dort seßhaft geworden. Geprägt von den Patriarchen, vor allem von dem Großvater Botros, bleibt sie tief in der orientalischen Tradition verwurzelt und öffnet sich zugleich westlichen Einflüssen.
Maalouf erzählt - anschaulich und anekdotenreich - von den alltäglichen Lebensbedingungen im Orient der letzten zweihundert Jahre, von Fanatikern und Freidenkern, von heimlichen Taufen, von Hochzeiten, Scheidungen und Begräbnissen, von erfolgreichen und mißglückten Geschäften, vom Religionsstreit mitten in der Familie, in deren Schicksal das des Landes sich spiegelt.
Ursprünglich ein Nomadenstamm aus der Wüste zwischen Syrien und Arabien, war sie im 19. Jahrhundert in den Libanon eingewandert und dort seßhaft geworden. Geprägt von den Patriarchen, vor allem von dem Großvater Botros, bleibt sie tief in der orientalischen Tradition verwurzelt und öffnet sich zugleich westlichen Einflüssen.
Maalouf erzählt - anschaulich und anekdotenreich - von den alltäglichen Lebensbedingungen im Orient der letzten zweihundert Jahre, von Fanatikern und Freidenkern, von heimlichen Taufen, von Hochzeiten, Scheidungen und Begräbnissen, von erfolgreichen und mißglückten Geschäften, vom Religionsstreit mitten in der Familie, in deren Schicksal das des Landes sich spiegelt.
Amin Maaloufs Libanon-Roman „Die Spur des Patriarchen”
Mit so einer Geschichte kann eigentlich nichts schiefgehen, denkt man und taucht willig in den Strom der Ereignisse. Libanesische Großfamilie mit Nomadenvergangenheit, in orthodoxe, katholische und protestantische Zweige sich auffächernd, der Niedergang des Osmanischen Reichs und die Ausbreitung der westlichen Protektorate, ein zwischen Auswandern und kämpferischem Dableiben zögernder Großvater, ein in Kuba etablierter Großonkel, Brautwerben, New-York-Reisen, levantinische Begräbnisse, Tabakanbaupläne in der Bekaa-Ebene, gelegentlich legendenumwobene Briefe mit angesengten Ecken aus Havanna. Der Schlusspunkt auf Seite 468 kommt aber wie eine Erlösung, ein Gnadenakt, fast schon ein Gnadenstoß: Dies sei erst der Anfang der Geschichte, teilt der Autor mit, eines Tages werde er vielleicht auch ausführlich von seinen Brüdern und Schwestern erzählen müssen.
Der 1949 im Libanon geborene Amin Maalouf ist in den letzten Jahren zu einem Meister der tausend und zwei Geschichten von der Nahtstelle von Orient und Okzident, von archaischen Familien- und modernen Individualabenteuern geworden - man weiß nicht recht, wie. Geschichtsereignisse, Legenden und Mythen rascheln in seinen Romanen so, wie Papierstapel auf dem Schreibtisch rascheln, wenn der Sturm immer nur in der Ferne grollt. Das Talent dieses Autors wird überschätzt. Wer daran zweifelt, lese dieses Buch. Als Maaloufs Nachforschungen über seine Vorfahren stockten, fuhr er ins Haus seiner Mutter nach Beirut, wo ein Koffer mit alten Papieren, Briefabschriften, Fotos lag. Nach Paris zurückgekehrt, beginnt er zu lesen, kauft Aktenordner, Etiketten, notiert, lächelt, ärgert sich, trocknet Tränen - doch will der Geruch von Leim und Heftklammern aus diesem Buch nicht mehr weichen.
Amerika in der Levante
Dokumentbetrachtung wird umständlich mit Ereignisschilderung verschränkt, der Briefwechsel zwischen Botros, dem daheimgebliebenen Großvater, und Gebrayel, dem ausgewanderten Großonkel, wird in die Lücken der Zeitsprünge eingepasst, das Abschreiben und Kombinieren des Erzählers geschwätzig miterzählt. Wo die Erzählerfigur, die mit dem Autor Maalouf deckungsgleich ist, Raum für ein subtiles Spiel der Distanz hätte schaffen können, klebt sie wulstig an den Fakten und behindert den Erzählfluss.
Ob Botros nach 1900 aus Langeweile, Fernweh, Liebeskummer oder wegen seines Bruders nach Kuba reiste, ist uns nach all den Mutmaßungen des Erzählers beinahe egal. In seine Kommentaren geht selbst die Vision des Großvaters von einem american dream auf orientalischem Boden unter. Der Amerika-Heimkehrer soll mit einem drusischen Freund in einem Beiruter Café über die bessere Zukunft diskutiert haben. Zwei Levantiner, freiheitsliebend, wissensdurstig: „Ich kann mir ihre von einem zitternden Lichtschein erleuchteten Gesichter vorstellen, und um sie herum die schlafende osmanische Stadt”. Auch wir könnten uns das gut vorstellen, doch immer steht dieser Erzähler im Weg.
Freiheitsdurstiges Knistern
Das freiheitsdurstige Knistern im Osmanischen Reich, die Zukunftshoffnung einer des Turbantragens überdrüssigen, dennoch herkunftsbewussten Generation, der vom aufklärerischen Saloniki ausgehende Geist der Freidenker und der darauf antwortende Fanatismus, die Kämpfe auf den Hängen des Libanon gegen die französische Mandatschaft nach dem Ersten Weltkrieg - all dies ergäbe den richtigen Hintergrund für die Figuren und Episoden dieser Familiensaga. Vielleicht war Amin Maalouf nicht der richtige Mann, sie zu schreiben. Vielleicht stand er ihr zu nah und konnte sich deshalb nie recht zwischen Vorder- und Hintergrund entscheiden. Die Übersetzerin Ina Kronenberger tat, was sie konnte, um das Buch stilistisch auf Distanz zu setzen. Doch auch sie konnte nicht verhindern, dass nur ein üppig kommentierter Stammbaum herauskam. JOSEPH HANIMANN
AMIN MAALOUF: Die Spur des Patriarchen. Geschichte einer Familie. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2005. 477 Seiten, 24,80 Euro.
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