Produktdetails
- Verlag: Rowohlt, Reinbek
- Originaltitel: The Fisherman's Son
- Seitenzahl: 285
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 420g
- ISBN-13: 9783498035013
- ISBN-10: 3498035010
- Artikelnr.: 23958303
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2000Einmannwerft
Michael Koepf an den Grenzen der maritimen Möglichkeiten
Touristische Ziele an der kalifornischen Half Moon Bay werben in unseren Tagen regelmäßig mit dem Hinweis, sie lägen nur eine halbe Stunde von San Francisco entfernt. Das galt technisch natürlich auch schon in den siebziger Jahren, als Neil Kruger an dieser Bucht heranwuchs. Doch damals gab es dort nichts, was als touristisches Ziel gehandelt wurde, und die große Stadt, deren Lichter von See aus zu sehen waren, erschien ihm in unerreichbarer Nähe. Neils Blick fiel auf Patronis Fischkonservenfabrik, in der seine Mutter Emily arbeitet, erst am Fließband, dann im Büro, und auf den Pazifik, wo sein Vater Ernie mit einem Fischerboot auf Krebs- und Lachsfang ging. Wenn er denn eines besaß.
Neil hatte als kleiner Junge mit Mutter und Bruder Paul vom Strand aus beobachtet, wie der Wind und das Meer an den Klippen aus Vaters "Emily K" ein Wrack machten. Da hatte er auf Verlangen der Mutter das Versprechen gegeben, selbst nie zur See zu fahren. Das Versprechen hielt bis zu seinem zwölften Lebensjahr. Dann war der Autopilot auf dem neuen Kutter "Maria B" defekt und kein Geld für die Reparatur vorhanden. Neil wurde als menschlicher Ersatz gebraucht. "Prachtkerl", nannte ihn dann der Vater, als der Junge nicht nur diese Aufgabe meisterte, sondern ihn auch noch mit einer Tasse Pulverkaffee versorgte. Im Rückblick stellt diese Fahrt als Automatenersatz den Beginn eines ständig seegebundenen Lebens dar, wenn auch anfangs mit deutlich ambivalenten Gefühlen.
Die kleinteilige Fischerei, wie sie Ernie und seine Kollegen Henry, Cort, Ott und Carmelo, von Sizilien, Portugal und Deutschland vor Jahren in die Half Moon Bay gespült, betreiben, erscheint als anachronistische Veranstaltung; die Mutter verdient nach ihrem Aufstieg in der Fischfabrik inzwischen mehr als der Vater. Die Männer aber bleiben dabei und erinnern sich daran, daß es auch früher schon immer schwieriger wurde mit dem Geschäft, daß erst die Wale und dann die Sardinen verschwanden, es aber immer irgendwie weiterging, wenn auch manchmal nur "am Rande der maritimen Möglichkeiten", so zur Prohibitionszeit mit Alkoholschmuggel.
Heutige Pendants zum Schnaps sind Drogen und illegale Einwanderer, und Neil und sein Bruder Paul lassen sich darauf ein, mit ihrem Boot die Teilfracht eines größeren Schiffes aus Asien anzulanden. Die Fahrt wird zu einem dramatischen Fiasko, das unter anderem Paul das Leben kostet. Wie es um das seines älteren Bruders bestellt sein wird, bleibt offen. "Auf einer Rettungsinsel, bei Nacht, vom Wind getrieben, driftete Neil Kruger dahin." So beginnt Michael Koepf seine Geschichte vom Leben an und vor der kalifornischen Küste. Er läßt die Rettungsinsel mit dem Schiffbrüchigen durch alle zehn Kapitel driften und dabei dessen Erinnerung. Die hält sich an die Chronik. Das ist eine nicht immer unproblematische kompositorisch-dramatische Klammer, aber das kann den Ertrag des Buches nicht nachhaltig schmälern, denn soviel bekommt man nicht oft geliefert: atmosphärisch dichte Bilder, daß man geneigt ist, sich nach Spritzern von Salzwasser und Fischblut abzusuchen, einen einfühlsamen Familienroman, eine kurze Geschichte des Fischfangs zwischen Monterey und San Francisco, eine Hommage an die Solidarität und - die Originalausgabe verweist darauf schon im Titel: "The Fisherman's Son" - ein Denkmal für den Vater, einen erzsympathischen Modernisierungsverlierer.
Der Erfolg von Sebastian Jungers "Sturm" hat viele an die Schreibmaschine getrieben, da wurde dann auch manche Rostlaube vom Stapel gelassen. Michael Koepfs "Orion" hingegen ist ein voll seetaugliches Romanschiff. Es entstand in einer nautisch qualifizierten Einmannwerft: Koepf war fast zwanzig Jahre Fischer, bevor er mit Journalismus und Drehbuchschreiben anfing. Daß er brechende Wellen und deren Gewalt kennt, ist selbstverständlich. Aber auch Emily, Henry, Cort, Ernie, Ott und all den anderen dürfte er in Fleisch und Blut begegnet sein. Das merkt man ihnen an.
BURKHARD SCHERER
Michael Koepf: "Orion tief im Westen", Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Holger Fliessbach. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 285 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Koepf an den Grenzen der maritimen Möglichkeiten
Touristische Ziele an der kalifornischen Half Moon Bay werben in unseren Tagen regelmäßig mit dem Hinweis, sie lägen nur eine halbe Stunde von San Francisco entfernt. Das galt technisch natürlich auch schon in den siebziger Jahren, als Neil Kruger an dieser Bucht heranwuchs. Doch damals gab es dort nichts, was als touristisches Ziel gehandelt wurde, und die große Stadt, deren Lichter von See aus zu sehen waren, erschien ihm in unerreichbarer Nähe. Neils Blick fiel auf Patronis Fischkonservenfabrik, in der seine Mutter Emily arbeitet, erst am Fließband, dann im Büro, und auf den Pazifik, wo sein Vater Ernie mit einem Fischerboot auf Krebs- und Lachsfang ging. Wenn er denn eines besaß.
Neil hatte als kleiner Junge mit Mutter und Bruder Paul vom Strand aus beobachtet, wie der Wind und das Meer an den Klippen aus Vaters "Emily K" ein Wrack machten. Da hatte er auf Verlangen der Mutter das Versprechen gegeben, selbst nie zur See zu fahren. Das Versprechen hielt bis zu seinem zwölften Lebensjahr. Dann war der Autopilot auf dem neuen Kutter "Maria B" defekt und kein Geld für die Reparatur vorhanden. Neil wurde als menschlicher Ersatz gebraucht. "Prachtkerl", nannte ihn dann der Vater, als der Junge nicht nur diese Aufgabe meisterte, sondern ihn auch noch mit einer Tasse Pulverkaffee versorgte. Im Rückblick stellt diese Fahrt als Automatenersatz den Beginn eines ständig seegebundenen Lebens dar, wenn auch anfangs mit deutlich ambivalenten Gefühlen.
Die kleinteilige Fischerei, wie sie Ernie und seine Kollegen Henry, Cort, Ott und Carmelo, von Sizilien, Portugal und Deutschland vor Jahren in die Half Moon Bay gespült, betreiben, erscheint als anachronistische Veranstaltung; die Mutter verdient nach ihrem Aufstieg in der Fischfabrik inzwischen mehr als der Vater. Die Männer aber bleiben dabei und erinnern sich daran, daß es auch früher schon immer schwieriger wurde mit dem Geschäft, daß erst die Wale und dann die Sardinen verschwanden, es aber immer irgendwie weiterging, wenn auch manchmal nur "am Rande der maritimen Möglichkeiten", so zur Prohibitionszeit mit Alkoholschmuggel.
Heutige Pendants zum Schnaps sind Drogen und illegale Einwanderer, und Neil und sein Bruder Paul lassen sich darauf ein, mit ihrem Boot die Teilfracht eines größeren Schiffes aus Asien anzulanden. Die Fahrt wird zu einem dramatischen Fiasko, das unter anderem Paul das Leben kostet. Wie es um das seines älteren Bruders bestellt sein wird, bleibt offen. "Auf einer Rettungsinsel, bei Nacht, vom Wind getrieben, driftete Neil Kruger dahin." So beginnt Michael Koepf seine Geschichte vom Leben an und vor der kalifornischen Küste. Er läßt die Rettungsinsel mit dem Schiffbrüchigen durch alle zehn Kapitel driften und dabei dessen Erinnerung. Die hält sich an die Chronik. Das ist eine nicht immer unproblematische kompositorisch-dramatische Klammer, aber das kann den Ertrag des Buches nicht nachhaltig schmälern, denn soviel bekommt man nicht oft geliefert: atmosphärisch dichte Bilder, daß man geneigt ist, sich nach Spritzern von Salzwasser und Fischblut abzusuchen, einen einfühlsamen Familienroman, eine kurze Geschichte des Fischfangs zwischen Monterey und San Francisco, eine Hommage an die Solidarität und - die Originalausgabe verweist darauf schon im Titel: "The Fisherman's Son" - ein Denkmal für den Vater, einen erzsympathischen Modernisierungsverlierer.
Der Erfolg von Sebastian Jungers "Sturm" hat viele an die Schreibmaschine getrieben, da wurde dann auch manche Rostlaube vom Stapel gelassen. Michael Koepfs "Orion" hingegen ist ein voll seetaugliches Romanschiff. Es entstand in einer nautisch qualifizierten Einmannwerft: Koepf war fast zwanzig Jahre Fischer, bevor er mit Journalismus und Drehbuchschreiben anfing. Daß er brechende Wellen und deren Gewalt kennt, ist selbstverständlich. Aber auch Emily, Henry, Cort, Ernie, Ott und all den anderen dürfte er in Fleisch und Blut begegnet sein. Das merkt man ihnen an.
BURKHARD SCHERER
Michael Koepf: "Orion tief im Westen", Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Holger Fliessbach. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 285 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Ein voll seetaugliches Romanschiff" sei dem amerikanischen Autor da gelungen, freut sich Burkhard Scherer in seiner Rezension, und dies obwohl ihm die Rahmenkonstruktion des Romans - einige Überlebende eines Schiffsunglücks harren auf einer Rettungsinsel ihres Schicksals und lassen ihr Leben Revue passieren - etwas gezwungen scheint. Viel wichtiger ist nach Scherer aber, dass Koepf die wenigen übriggebliebenen Kleinfischer an der kalifornischen Küste vor San Francisco aus eigener Erfahrung kennt, und dass er seine Romanfiguren und seine "atmosphärisch dichten Bilder" darum mit großer Anschaulichkeit versehen kann. Nebenbei gelinge Koepf eine Hommage auf einen "erzsympathischen Modernisierungsverlierer".
© Perlentaucher Medien GmbH
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