Produktdetails
- Verlag: Lane / Penguin Books UK
- Repr.
- Seitenzahl: 263
- Englisch
- Abmessung: 225mm
- Gewicht: 474g
- ISBN-13: 9780713995060
- Artikelnr.: 39390512
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2001O Tannenbaum, o Tannenbaum, du sollst mein Reich regieren
Klasse statt Rasse: David Cannadine entdeckt den Schlüssel zum Verständnis des britischen Empire im Prunk und Pomp seiner Repräsentanten
Bis vor wenigen Jahren haftete der Imperial History der Ruch des methodisch Konventionellen und politisch Konservativen an. Die Zeiten haben sich geändert. Die Geschichte vom Aufstieg und Fall des britischen Weltreiches zieht zahlreiche unorthodoxe, oft brillante Köpfe mit den unterschiedlichsten theoretischen und methodischen Präferenzen in ihren Bann. Zunehmend rücken dabei die vielen Verknüpfungen zwischen Empire und britischer Geschichte ins Blickfeld. Und das mit gutem Grund. Denn Großbritannien war nicht - wie Frankreich, Holland, Portugal und für kurze drei Jahrzehnte auch Deutschland - eine kolonienbesitzende, es war eine substantiell imperiale Nation, die über drei Jahrhunderte dem politischen, sozialen und kulturellen Leben beträchtlicher Teile des Globus ihren Stempel aufdrückte.
Die vor knapp zwei Jahren abgeschlossene fünfbändige "Oxford History of the British Empire" stellt den bislang letzten Versuch dar, die Vielfalt der Fakten und Interpretationen zu bändigen. Dieses beeindruckende historiographische Monument verdeutlicht nicht zuletzt, daß wir über einige grundlegende Aspekte noch erstaunlich wenig wissen. Was eigentlich gab dem Empire konkret seine soziale Struktur? Wie definierten auf dem Höhepunkt britischer Weltherrschaft die Kolonialpolitiker und -beamten ihre Aufgabe? Wie stellten sich die Briten daheim und in Übersee die imperiale Gesellschaft vor, der sie angehörten?
David Cannadine, Autor hochgepriesener Werke etwa über die britische Aristokratie und den Historiker G.M. Trevelyan, gefragter Rezensent und Essayist im gehobenen angloamerikanischen Feuilleton und derzeit Direktor des Londoner Institute of Historical Research, glaubt eine Antwort auf diese Fragen gefunden zu haben: Nicht Rasse oder Hautfarbe, sondern Klasse und Status seien die Schlüssel zum Verständnis des Empire. Das britische Imperium war demnach zuallererst ein gleichsam durch Snobismus motivierter und getragener class act und ein "Mechanismus für den Export, die Projektion sowie die Analogisierung von britischen sozialen Strukturen und Perzeptionen". Die herrschende Klasse kooperierte daher, so die provokante These, lieber mit "farbigen" Maharadschas, Königen und Häuptlingen als mit "gewöhnlichen" weißen Siedlern.
Von George Orwell stammt das berühmte Verdikt, in Großbritannien seien "die Klassengegensätze ausgeprägter als in jedem anderen Land unter der Sonne". Dies galt, fügt Cannadine hinzu, ebenso für die imperiale Peripherie. Nicht so sehr die Konstruktion des Anderen habe daher im Herzen der "zivilisatorischen Mission" Britanniens gestanden, sondern die Konstruktion von Affinitäten. Damit wendet sich der Autor gegen das wirkungsmächtige Orientalismus-Paradigma, das im Gefolge von Edward Saids Polemik ganze Wissenschaftszweige in Aufruhr versetzt hat. Hierarchien und der sie begleitende Pomp und Hokuspokus waren jedoch Cannadine zufolge für das imperiale Projekt wichtiger als Rassenkonzepte, ja sie dämpften sogar rassistische Vorurteile, indem sie den Kolonialherren das Gefühl der Übereinstimmung mit traditionellen einheimischen Eliten gaben.
Obwohl der Titel "Ornamentalism" einen systematischen Gegenentwurf zu Saids "Orientalism" suggeriert, setzt sich Cannadine im Verlauf seiner Darstellung nicht mit dessen Argumenten auseinander. Er beschreibt indes ausführlich den bizarren Snobismus und die Absurditäten eines völlig inflationären Systems von Ehrungen und Auszeichnungen. Selbst Winston Churchill liebte das Empire nach eigenem Bekunden wegen des "Prunks, des Pomps und des gekühlten Champagners". Die erfolgreichsten britischen Prokonsuln erinnerten bald an "wandelnde Weihnachtsbäume, behängt mit Sternen und Münzen, Medaillen und Schärpen, Hermelinroben und Kronen". Vor allem aber wurde in diesem Kontext "die britische Monarchie als eine imperiale Krone von nie gekannter Reichweite, Bedeutung und Grandeur aufgemöbelt beziehungsweise neu erfunden".
So unterhaltsam die entsprechenden Ausführungen sind, so wenig überzeugend kann Cannadine belegen, daß der Kult des Hierarchischen die britischen Kolonialherren weniger rassistisch gemacht habe. Der Autor wird hier zum Gefangenen seines Blickwinkels und seiner Quellenauswahl. Er konzentriert sich auf die kleine Schar der oberen Chargen, ohne jedoch selbst für diese Gruppe relevantes Material zu berücksichtigen. Allein aus den unzähligen Berichten der Gouverneure an das Londoner Kolonialministerium, ganz zu schweigen von persönlicher Korrespondenz und Tagebüchern, ließen sich mühelos rassistische Stereotypen herausfiltern. Sogar die von Cannadine präsentierte Evidenz ist nicht immer eindeutig. Er berichtet beispielsweise vom Besuch des hawaiischen Königs Kalakaua, einem Freund des Schriftstellers Robert L. Stevenson, in England 1881. Bei einem Empfang insistierte der Prince of Wales, den Gast aus Hawaii noch vor dem deutschen Kronprinzen (und künftigem Kaiser) die Halle betreten zu lassen, mit den Worten: "Either the brute is a king or he's a common-or-garden nigger; and if the latter, what's he doing here?" Ist diese Episode wirklich ein guter Beleg für den Respekt der britischen Oberklasse gegenüber außereuropäischen Herrschern?
Das System der indirekten Herrschaft, der Versuch also, die Verwaltung der kolonialen Besitzungen mit Hilfe von lokalen, traditionell legitimierten Eliten zu bewerkstelligen, kann schließlich auch nur bedingt auf die Akzeptanz einheimischer Hierarchien durch britische Gentlemen zurückgeführt werden. Ebenso bedeutsam ist die Tatsache, daß sich direktere Herrschaftsformen schon allein aus finanziellen Erwägungen verboten. Im übrigen kann man das Bestreben der Briten, im Rahmen der indirekten Herrschaft Traditionen (oder was man dafür hielt) einzufrieren, auch als Versuch lesen, Distanz zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten zu schaffen.
Obwohl der Untertitel des Buches eine Antwort auf die Frage verheißt, wie die Briten das Empire sahen, bleibt Cannadine in dieser Hinsicht äußerst nebulös und frönt dem Essentialismus. Waren es tatsächlich der Ornamentalismus, der Prunk, die Inszenierungen im Theater der Macht, welche die Briten am Weltreich faszinierten? Und was ist mit den antiimperialistischen Kräften oder jenen, in deren Leben und Denken das Imperium gar keine Rolle spielte?
Ein grundlegendes Manko von "Ornamentalism" besteht darin, daß der Autor eine gute und originelle Idee zu einem Buch aufgebauscht hat, wo ein pointierter Aufsatz genügt hätte. Zudem hält die Empirie mit der Eleganz der Darstellung bei weitem nicht Schritt. Doch gebührt Cannadine das große Verdienst, die Imperialgeschichte erneut mit Nachdruck in der britischen Nationalgeschichtsschreibung verortet zu haben. Er öffnet neue Perspektiven auf ein Forschungsfeld, das hierzulande aufgrund der nationalgeschichtlichen Fixierung der deutschen Neuzeithistorie bislang nur wenig Beachtung fand.
ANDREAS ECKERT
David Cannadine: "Ornamentalism". How the British saw their Empire. Allen Lane/The Penguin Press, London 2001. 264 S., Abb., geb., 16,99 brit. Pfund.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Klasse statt Rasse: David Cannadine entdeckt den Schlüssel zum Verständnis des britischen Empire im Prunk und Pomp seiner Repräsentanten
Bis vor wenigen Jahren haftete der Imperial History der Ruch des methodisch Konventionellen und politisch Konservativen an. Die Zeiten haben sich geändert. Die Geschichte vom Aufstieg und Fall des britischen Weltreiches zieht zahlreiche unorthodoxe, oft brillante Köpfe mit den unterschiedlichsten theoretischen und methodischen Präferenzen in ihren Bann. Zunehmend rücken dabei die vielen Verknüpfungen zwischen Empire und britischer Geschichte ins Blickfeld. Und das mit gutem Grund. Denn Großbritannien war nicht - wie Frankreich, Holland, Portugal und für kurze drei Jahrzehnte auch Deutschland - eine kolonienbesitzende, es war eine substantiell imperiale Nation, die über drei Jahrhunderte dem politischen, sozialen und kulturellen Leben beträchtlicher Teile des Globus ihren Stempel aufdrückte.
Die vor knapp zwei Jahren abgeschlossene fünfbändige "Oxford History of the British Empire" stellt den bislang letzten Versuch dar, die Vielfalt der Fakten und Interpretationen zu bändigen. Dieses beeindruckende historiographische Monument verdeutlicht nicht zuletzt, daß wir über einige grundlegende Aspekte noch erstaunlich wenig wissen. Was eigentlich gab dem Empire konkret seine soziale Struktur? Wie definierten auf dem Höhepunkt britischer Weltherrschaft die Kolonialpolitiker und -beamten ihre Aufgabe? Wie stellten sich die Briten daheim und in Übersee die imperiale Gesellschaft vor, der sie angehörten?
David Cannadine, Autor hochgepriesener Werke etwa über die britische Aristokratie und den Historiker G.M. Trevelyan, gefragter Rezensent und Essayist im gehobenen angloamerikanischen Feuilleton und derzeit Direktor des Londoner Institute of Historical Research, glaubt eine Antwort auf diese Fragen gefunden zu haben: Nicht Rasse oder Hautfarbe, sondern Klasse und Status seien die Schlüssel zum Verständnis des Empire. Das britische Imperium war demnach zuallererst ein gleichsam durch Snobismus motivierter und getragener class act und ein "Mechanismus für den Export, die Projektion sowie die Analogisierung von britischen sozialen Strukturen und Perzeptionen". Die herrschende Klasse kooperierte daher, so die provokante These, lieber mit "farbigen" Maharadschas, Königen und Häuptlingen als mit "gewöhnlichen" weißen Siedlern.
Von George Orwell stammt das berühmte Verdikt, in Großbritannien seien "die Klassengegensätze ausgeprägter als in jedem anderen Land unter der Sonne". Dies galt, fügt Cannadine hinzu, ebenso für die imperiale Peripherie. Nicht so sehr die Konstruktion des Anderen habe daher im Herzen der "zivilisatorischen Mission" Britanniens gestanden, sondern die Konstruktion von Affinitäten. Damit wendet sich der Autor gegen das wirkungsmächtige Orientalismus-Paradigma, das im Gefolge von Edward Saids Polemik ganze Wissenschaftszweige in Aufruhr versetzt hat. Hierarchien und der sie begleitende Pomp und Hokuspokus waren jedoch Cannadine zufolge für das imperiale Projekt wichtiger als Rassenkonzepte, ja sie dämpften sogar rassistische Vorurteile, indem sie den Kolonialherren das Gefühl der Übereinstimmung mit traditionellen einheimischen Eliten gaben.
Obwohl der Titel "Ornamentalism" einen systematischen Gegenentwurf zu Saids "Orientalism" suggeriert, setzt sich Cannadine im Verlauf seiner Darstellung nicht mit dessen Argumenten auseinander. Er beschreibt indes ausführlich den bizarren Snobismus und die Absurditäten eines völlig inflationären Systems von Ehrungen und Auszeichnungen. Selbst Winston Churchill liebte das Empire nach eigenem Bekunden wegen des "Prunks, des Pomps und des gekühlten Champagners". Die erfolgreichsten britischen Prokonsuln erinnerten bald an "wandelnde Weihnachtsbäume, behängt mit Sternen und Münzen, Medaillen und Schärpen, Hermelinroben und Kronen". Vor allem aber wurde in diesem Kontext "die britische Monarchie als eine imperiale Krone von nie gekannter Reichweite, Bedeutung und Grandeur aufgemöbelt beziehungsweise neu erfunden".
So unterhaltsam die entsprechenden Ausführungen sind, so wenig überzeugend kann Cannadine belegen, daß der Kult des Hierarchischen die britischen Kolonialherren weniger rassistisch gemacht habe. Der Autor wird hier zum Gefangenen seines Blickwinkels und seiner Quellenauswahl. Er konzentriert sich auf die kleine Schar der oberen Chargen, ohne jedoch selbst für diese Gruppe relevantes Material zu berücksichtigen. Allein aus den unzähligen Berichten der Gouverneure an das Londoner Kolonialministerium, ganz zu schweigen von persönlicher Korrespondenz und Tagebüchern, ließen sich mühelos rassistische Stereotypen herausfiltern. Sogar die von Cannadine präsentierte Evidenz ist nicht immer eindeutig. Er berichtet beispielsweise vom Besuch des hawaiischen Königs Kalakaua, einem Freund des Schriftstellers Robert L. Stevenson, in England 1881. Bei einem Empfang insistierte der Prince of Wales, den Gast aus Hawaii noch vor dem deutschen Kronprinzen (und künftigem Kaiser) die Halle betreten zu lassen, mit den Worten: "Either the brute is a king or he's a common-or-garden nigger; and if the latter, what's he doing here?" Ist diese Episode wirklich ein guter Beleg für den Respekt der britischen Oberklasse gegenüber außereuropäischen Herrschern?
Das System der indirekten Herrschaft, der Versuch also, die Verwaltung der kolonialen Besitzungen mit Hilfe von lokalen, traditionell legitimierten Eliten zu bewerkstelligen, kann schließlich auch nur bedingt auf die Akzeptanz einheimischer Hierarchien durch britische Gentlemen zurückgeführt werden. Ebenso bedeutsam ist die Tatsache, daß sich direktere Herrschaftsformen schon allein aus finanziellen Erwägungen verboten. Im übrigen kann man das Bestreben der Briten, im Rahmen der indirekten Herrschaft Traditionen (oder was man dafür hielt) einzufrieren, auch als Versuch lesen, Distanz zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten zu schaffen.
Obwohl der Untertitel des Buches eine Antwort auf die Frage verheißt, wie die Briten das Empire sahen, bleibt Cannadine in dieser Hinsicht äußerst nebulös und frönt dem Essentialismus. Waren es tatsächlich der Ornamentalismus, der Prunk, die Inszenierungen im Theater der Macht, welche die Briten am Weltreich faszinierten? Und was ist mit den antiimperialistischen Kräften oder jenen, in deren Leben und Denken das Imperium gar keine Rolle spielte?
Ein grundlegendes Manko von "Ornamentalism" besteht darin, daß der Autor eine gute und originelle Idee zu einem Buch aufgebauscht hat, wo ein pointierter Aufsatz genügt hätte. Zudem hält die Empirie mit der Eleganz der Darstellung bei weitem nicht Schritt. Doch gebührt Cannadine das große Verdienst, die Imperialgeschichte erneut mit Nachdruck in der britischen Nationalgeschichtsschreibung verortet zu haben. Er öffnet neue Perspektiven auf ein Forschungsfeld, das hierzulande aufgrund der nationalgeschichtlichen Fixierung der deutschen Neuzeithistorie bislang nur wenig Beachtung fand.
ANDREAS ECKERT
David Cannadine: "Ornamentalism". How the British saw their Empire. Allen Lane/The Penguin Press, London 2001. 264 S., Abb., geb., 16,99 brit. Pfund.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main