Liebe kann so toxisch sein
Amelie hat häufig geweint, während sie mit Reese zusammen war, und trotzdem war es zu Beginn die perfekteste Beziehung, die sie sich vorstellen konnte. Sie erinnert sich daran, wie sie die Neue in der Klasse war und wie sie sich in Reese verliebte. Wie er ihr Songs schrieb, sie auf die schönsten Dates ausführte, zum ersten Mal mit ihr schlief und wie er sagte, dass er noch nie so für jemanden empfunden habe ... Und sie erinnert sich, wie er immer mehr anfing, sie unsicher und schwierig und verrückt zu nennen. Wie er sie immer mehr isolierte. Amelie sucht all die Orte auf, an denen sie Tränen verschüttet hat. Wenn sie versteht, was in ihrer Beziehung schiefgelaufen ist, findet sie vielleicht einen Weg, endlich zu heilen.
Amelie hat häufig geweint, während sie mit Reese zusammen war, und trotzdem war es zu Beginn die perfekteste Beziehung, die sie sich vorstellen konnte. Sie erinnert sich daran, wie sie die Neue in der Klasse war und wie sie sich in Reese verliebte. Wie er ihr Songs schrieb, sie auf die schönsten Dates ausführte, zum ersten Mal mit ihr schlief und wie er sagte, dass er noch nie so für jemanden empfunden habe ... Und sie erinnert sich, wie er immer mehr anfing, sie unsicher und schwierig und verrückt zu nennen. Wie er sie immer mehr isolierte. Amelie sucht all die Orte auf, an denen sie Tränen verschüttet hat. Wenn sie versteht, was in ihrer Beziehung schiefgelaufen ist, findet sie vielleicht einen Weg, endlich zu heilen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Heul lauter" - so fasst Rezensentin Antja Weber die Botschaft dieses klugen und "wichtigen" Romans ins Wort. Heul lauter, damit dich jemand hört, damit dir jemand helfen kann, damit deine Gefühle einen Ausgang und Ausdruck finden. Nur so nämlich kann man ein Trauma, wie Amelie es erlebt hat, verarbeiten und überwinden, lernen die Leserinnen und Leser. Vier Monate hat ihre Beziehung zu Reese nur gedauert - und trotzdem ist die Teenagerin über die Maßen verwirrt und verletzt als es vorbei ist. Und mit "über die Maßen" ist gemeint: Sehr viel mehr als sie es nach dem Ende einer "normalen" Beziehung gewesen wäre, zwischen gleichgestellten Menschen, in der sie nicht manipuliert, nicht niedergemacht und nicht körperlich wie psychisch verletzt worden wäre. Holly Bourne gelingt es in ihrem Jugendroman, auf sensible, empathische und zugleich aufklärerische Art von einer toxischen Beziehung zu erzählen - dabei immer nah an ihrer Figur und ihren Gefühlen zu bleiben und dennoch allgemeine Muster sichtbar zu machen, sodass Leserinnen und Leser danach wissen: Wie eine toxische Beziehung aussieht, wie man sich daraus befreien und was man tun kann, um zu heilen, so die berührte Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Nicht immer im Leben schafft man es, allein mit einem Problem fertigzuwerden, das ist eine Botschaft dieses klugen Buches, das feinfühlig nah an der Protagonistin bleibt und dabei doch den Blick für die überindividuelle Problematik weitet. Antje Weber Süddeutsche Zeitung 20231006
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2023Heul lauter,
Amelie
Ein origineller, wichtiger Roman über toxische Liebe
Es ist zum Heulen. Dabei hatte alles so gut angefangen: Waren Amelie und Reese nicht füreinander geschaffen, war ihre Liebe nicht riesengroß? Und doch sitzt Amelie jetzt bei Eiseskälte auf einer Bank und weint sich die Augen aus dem Kopf.
Es ist nicht das erste Mal. „Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir)“ heißt der Jugendroman der britischen Autorin Holly Bourne, und der Titel ist wörtlich zu nehmen: Die Ich-Erzählerin Amelie hat sich vorgenommen, alle Orte noch einmal aufzusuchen, an denen sie wegen ihres Ex-Freundes unglücklich war. Wer jetzt aber meint, da fließe nur das Herz einer überspannten Jugendlichen über, wird von diesem so originellen wie aufklärerischen Roman eines Besseren belehrt.
Denn der Schmerz und die Verwirrung dieser 16-Jährigen nach nur vier Monaten Beziehung übersteigen nicht nur das scheinbar übliche Maß, es gibt auch Gründe dafür. Und so legt Amelie, angeregt durch ein Schulprojekt, eben eine „Gedächtnislandkarte“ ihres Weinens an: Sie will Ordnung in ihr Gefühlschaos bringen. Sie will endlich verstehen, was mit ihr los ist. Oder sollte es vielmehr heißen: mit ihm?
Denn Amelie hätte gewarnt sein können. In Rückblenden rollt dieser Roman, sprachlich eingängig, die rasante Entwicklung einer komplexen Beziehung auf. Auch nebensächlich wirkende Details erweisen sich bald als wichtig in dieser psychologischen Tiefenbohrung. Und so wird den Leserinnen und Lesern wie auch der Protagonistin nach und nach klar: Dieser Reese ließ ihr kaum eine Chance, ihm zu entkommen. Und er meinte es nicht nur gut mit Amelie.
Ein Jäger wie er erkennt eine leichte Beute: Neu an der Schule, gerade erst mit den Eltern in den Süden Englands gezogen, aller Freunde und Sicherheiten beraubt, lässt sich die Jugendliche leicht beeindrucken. Und Reese, der ehrgeizige Leader einer Band, sieht nicht nur gut aus – kantiges Gesicht, umwerfendes Lächeln, eigenwilliger Hut –, sondern startet sofort eine Liebesoffensive. Er trägt der begabten, aber schüchternen Singer-Songwriterin die Gitarre nach Hause, er hört ihr zu, er organisiert ein erstes, hochgestimmtes Date in einem Aufnahmestudio. Obwohl im alten Zuhause ein fester und verlässlicher Freund auf sie wartet, ist Amelie dem Werben und Drängen nicht gewachsen. Dass eine neue Schulfreundin sie warnt, Reese sei „der König der Arschgeigen“, ignoriert sie, genau wie so manche Ahnung, die im Bauch zieht: Das sehnsüchtige Herz gewinnt.
Was daran so schlimm ist? Dass es Menschen gibt, die das ausnutzen, die unberechenbar und unbeständig sind. Reese ist so jemand. Nach wenigen Wochen höchsten Glücks fängt er an, Amelie, die als Musikerin nun erfolgreicher ist als er, herabzusetzen. Er zeigt Launen, lässt sie an ihr aus und sendet widersprüchliche Signale. Als Amelie verwirrt und unglücklich ist, gibt er ihr daran die Schuld. Erst im Nachhinein begreift sie: „Mir schwant, dass manche Jungs Mädchen zum Weinen bringen und dann so tun, als wären die verrückt, so zu weinen. So langsam glaube ich, dass weinende Mädchen nicht ohne Grund weinen.“
Bevor sie das versteht, muss es jedoch erst richtig schlimm kommen. Dass Reese körperlich und seelisch grob über ihre Grenzen gegangen ist, wird der Jugendlichen erst klar, als sie sich nach langem Leiden einer empathischen Lehrerin, dann den Eltern und schließlich einer Therapeutin öffnet. Denn nicht immer im Leben schafft man es, allein mit einem Problem fertigzuwerden, das ist eine Botschaft dieses klugen Buches, das feinfühlig nah an der Protagonistin bleibt und dabei doch den Blick für die überindividuelle Problematik weitet.
Die Therapeutin erklärt Amelie, dass sie von Anfang an manipuliert wurde. „Wenn jemand in seinem oder ihrem Verhalten uns gegenüber so unberechenbar ist, dann kann unser Körper abhängig davon werden, ständig in einem Zustand nervöser Erregung zu sein“, sagt sie. „Das ist ein bisschen wie Drogensucht. Man weiß nie, wie lang es noch bis zum nächsten ,Schuss’ Nettigkeit dauert.“ Und die Therapeutin wird noch deutlicher: Das war keine Liebe. Das war Missbrauch.
Jugendliche, die diesen Roman lesen, wissen danach, was eine toxische Beziehung ausmacht. Und sie wissen auch, wie man sich von einem solchen Trauma wieder befreien kann: indem man sich öffnet, über seine Erlebnisse redet, auf sein Bauchgefühl achtet. Eine Gedächtnislandkarte aller Orte, an denen man geweint hat, kann natürlich auch nicht schaden. Überhaupt: Es sage niemand etwas gegen das Weinen: „Weinen ist ein sehr offensichtliches Signal, dass in deinem Leben etwas nicht stimmt“, begreift Amelie. Und je öffentlicher sie weint, umso größer ist die Chance, dass jemand merkt, wie es ihr geht und ihr hilft. Heul leise? Von wegen. Heul lauter, Amelie!
ANTJE WEBER
Foto: © Motiv: Ninamasina / Carl Hanser Verlag
Holly Bourne: Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir). Roman. Aus dem Englischen von Nina Frey. dtv, München 2023, 367 Seiten, 15 Euro.
Ab 14 Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Amelie
Ein origineller, wichtiger Roman über toxische Liebe
Es ist zum Heulen. Dabei hatte alles so gut angefangen: Waren Amelie und Reese nicht füreinander geschaffen, war ihre Liebe nicht riesengroß? Und doch sitzt Amelie jetzt bei Eiseskälte auf einer Bank und weint sich die Augen aus dem Kopf.
Es ist nicht das erste Mal. „Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir)“ heißt der Jugendroman der britischen Autorin Holly Bourne, und der Titel ist wörtlich zu nehmen: Die Ich-Erzählerin Amelie hat sich vorgenommen, alle Orte noch einmal aufzusuchen, an denen sie wegen ihres Ex-Freundes unglücklich war. Wer jetzt aber meint, da fließe nur das Herz einer überspannten Jugendlichen über, wird von diesem so originellen wie aufklärerischen Roman eines Besseren belehrt.
Denn der Schmerz und die Verwirrung dieser 16-Jährigen nach nur vier Monaten Beziehung übersteigen nicht nur das scheinbar übliche Maß, es gibt auch Gründe dafür. Und so legt Amelie, angeregt durch ein Schulprojekt, eben eine „Gedächtnislandkarte“ ihres Weinens an: Sie will Ordnung in ihr Gefühlschaos bringen. Sie will endlich verstehen, was mit ihr los ist. Oder sollte es vielmehr heißen: mit ihm?
Denn Amelie hätte gewarnt sein können. In Rückblenden rollt dieser Roman, sprachlich eingängig, die rasante Entwicklung einer komplexen Beziehung auf. Auch nebensächlich wirkende Details erweisen sich bald als wichtig in dieser psychologischen Tiefenbohrung. Und so wird den Leserinnen und Lesern wie auch der Protagonistin nach und nach klar: Dieser Reese ließ ihr kaum eine Chance, ihm zu entkommen. Und er meinte es nicht nur gut mit Amelie.
Ein Jäger wie er erkennt eine leichte Beute: Neu an der Schule, gerade erst mit den Eltern in den Süden Englands gezogen, aller Freunde und Sicherheiten beraubt, lässt sich die Jugendliche leicht beeindrucken. Und Reese, der ehrgeizige Leader einer Band, sieht nicht nur gut aus – kantiges Gesicht, umwerfendes Lächeln, eigenwilliger Hut –, sondern startet sofort eine Liebesoffensive. Er trägt der begabten, aber schüchternen Singer-Songwriterin die Gitarre nach Hause, er hört ihr zu, er organisiert ein erstes, hochgestimmtes Date in einem Aufnahmestudio. Obwohl im alten Zuhause ein fester und verlässlicher Freund auf sie wartet, ist Amelie dem Werben und Drängen nicht gewachsen. Dass eine neue Schulfreundin sie warnt, Reese sei „der König der Arschgeigen“, ignoriert sie, genau wie so manche Ahnung, die im Bauch zieht: Das sehnsüchtige Herz gewinnt.
Was daran so schlimm ist? Dass es Menschen gibt, die das ausnutzen, die unberechenbar und unbeständig sind. Reese ist so jemand. Nach wenigen Wochen höchsten Glücks fängt er an, Amelie, die als Musikerin nun erfolgreicher ist als er, herabzusetzen. Er zeigt Launen, lässt sie an ihr aus und sendet widersprüchliche Signale. Als Amelie verwirrt und unglücklich ist, gibt er ihr daran die Schuld. Erst im Nachhinein begreift sie: „Mir schwant, dass manche Jungs Mädchen zum Weinen bringen und dann so tun, als wären die verrückt, so zu weinen. So langsam glaube ich, dass weinende Mädchen nicht ohne Grund weinen.“
Bevor sie das versteht, muss es jedoch erst richtig schlimm kommen. Dass Reese körperlich und seelisch grob über ihre Grenzen gegangen ist, wird der Jugendlichen erst klar, als sie sich nach langem Leiden einer empathischen Lehrerin, dann den Eltern und schließlich einer Therapeutin öffnet. Denn nicht immer im Leben schafft man es, allein mit einem Problem fertigzuwerden, das ist eine Botschaft dieses klugen Buches, das feinfühlig nah an der Protagonistin bleibt und dabei doch den Blick für die überindividuelle Problematik weitet.
Die Therapeutin erklärt Amelie, dass sie von Anfang an manipuliert wurde. „Wenn jemand in seinem oder ihrem Verhalten uns gegenüber so unberechenbar ist, dann kann unser Körper abhängig davon werden, ständig in einem Zustand nervöser Erregung zu sein“, sagt sie. „Das ist ein bisschen wie Drogensucht. Man weiß nie, wie lang es noch bis zum nächsten ,Schuss’ Nettigkeit dauert.“ Und die Therapeutin wird noch deutlicher: Das war keine Liebe. Das war Missbrauch.
Jugendliche, die diesen Roman lesen, wissen danach, was eine toxische Beziehung ausmacht. Und sie wissen auch, wie man sich von einem solchen Trauma wieder befreien kann: indem man sich öffnet, über seine Erlebnisse redet, auf sein Bauchgefühl achtet. Eine Gedächtnislandkarte aller Orte, an denen man geweint hat, kann natürlich auch nicht schaden. Überhaupt: Es sage niemand etwas gegen das Weinen: „Weinen ist ein sehr offensichtliches Signal, dass in deinem Leben etwas nicht stimmt“, begreift Amelie. Und je öffentlicher sie weint, umso größer ist die Chance, dass jemand merkt, wie es ihr geht und ihr hilft. Heul leise? Von wegen. Heul lauter, Amelie!
ANTJE WEBER
Foto: © Motiv: Ninamasina / Carl Hanser Verlag
Holly Bourne: Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir). Roman. Aus dem Englischen von Nina Frey. dtv, München 2023, 367 Seiten, 15 Euro.
Ab 14 Jahren.
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