Vor drei Jahren ist, mit verblüffendem Erfolg, Chestertons großer Essay Ketzer erschienen. In diesem Buch hat er sich, mit verheerender Wirkung, über die Materialisten lustig gemacht. Orthodoxie ist keine bloße Fortsetzung dieser Attacke; hier wird die Dosis gesteigert und ein härterer Stoff geboten. Denn nun wird Chesterton positiv; er schildert die Vorzüge des Glaubens, und bekanntlich gibt es für einen Autor keine schwierigere Aufgabe als die Darstellung des Positiven. Dabei kommt Chesterton die bedenkenlose Frechheit zugute, mit der er die Überzeugungen aller aufgeklärten Zeitgenossen (oder deren Mangel) brüskiert. Er überbietet seine Paradoxien, indem er erklärt: "Ich kenne nichts Verächtlicheres als das bloße Paradox", und er fährt fort: "Ich bin der Narr dieser Erzählung, und kein Rebell soll mich von meinem Thron stoßen... Ich versuchte, eine Ketzerei zu finden, die mir passt; und als ich die letzte Hand an sie anlegte, entdeckte ich, dass es die Orthodoxie war." C hesterton verteidigt die Tradition, das Wunder, die Phantasie und das Dogma, aber auf eine Art und Weise, die jedem Dogmatiker von Herzen zuwider sein muss; denn er beruft sich dabei einzig und allein auf die alltägliche Erfahrung, den common sense, die Vernunft und die Demokratie. Man kann sein Buch auch als die Autobiographie eines Abenteurers lesen, der mit zwölf ein Heide, mit sechzehn ein Agnostiker war, und den einzig und allein sein wildes Denken zum Glauben führte.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"In einer neuen, "annehmbaren" Übersetzung, schreibt Ulrich Horstmann, liegt das "teuflisch unterhaltsame" Werk des 1922 zum Katholizismus übergetretenen Anglikaners hier vor. Sein "paroxaler Schreib- und Argumentationsstil", abgeguckt von Oscar Wilde, lässt den Rezensenten schwelgen: Da schützen einen die simplen Behauptungen der Orthodoxie nicht etwa vor dem Nachdenken, sondern gleich vor "ebenso selbstverliebter wie substanzloser Intellektualität", sie kann einen Schirm bilden gegen die sterile Ratio und kräftig die "Einbildungskraft" aktivieren. Und derart eingeschworen auf die Tradition begreife man, dass diese die "Demokratie der Toten" ist, die es nicht schlechter haben sollen als wir, nur weil sie tot sind. Was Chesterton am Christentum fasziniert, meint Horstmann, ist die Koexistenz der Extreme, "von äußerster Weltfrömmigkeit und ebenso bedingungsloser Weltverachtung" und so macht er aus der "Öde scholastischer Kontroversen" ein "einziges wirbelndes Abenteuer". Ob er der Kirche einen Bärendienst erwiesen hat - oder am Ende gar sie ihm? Jedenfalls wurde ihm der Titel eines "Fidei Defensor", Verteidiger des Glaubens verliehen, wie auch lange vor ihm einem anderen Briten: dem König und Kirchenspalter Heinrich XIII, bemerkt Horstmann listig.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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