Produktdetails
- Verlag: Mut-Verlag
- Seitenzahl: 199
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 340g
- ISBN-13: 9783891820735
- Artikelnr.: 24021525
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.1999Idiot's delight
"Der Monat", Melvin Lasky und ein Allerweltswort
Marco Martin: Orwell, Koestler und all die anderen. Melvin J. Lasky und "Der Monat". Mut-Verlag, Asendorf 1999. 199 Seiten, Abbildungen, 29,80 Mark.
Marco Martin unternimmt eine Lesereise, die in das Jahr 1948 zurückführt, in die Zeit, als nach linker Lesart der Westen den Kalten Krieg begann. Erzählt wird die Geschichte einer Zeitschrift, die Geschichte schrieb: "Der Monat", begründet und herausgegeben 1948 in Berlin von Melvin J. Lasky, in den sechziger Jahren zunächst von Fritz René Alleman und Hellmut Jaesrich weitergeführt, später dann von Jaesrich, Klaus Harpprecht und Peter Härtling. Nachdem die Zeitschrift in den siebziger Jahren dem Zeitgeist zum Opfer fiel, unternahmen Helga Herwisch und der heutige Bundeskulturleiter Michael Naumann in den achtziger Jahren noch einmal den erfolglosen Versuch einer Wiederbelebung.
Martin präsentiert in seinem Buch Lesefrüchte, überwiegend sind es Zankäpfel, aus den spannendsten ersten zehn "Monat"-Jahren, als Lasky und sein großer Autorenkreis die neugewonnene kulturelle Freiheit gegen den aufstrebenden westeuropäischen Stalinismus verteidigt haben. Walter Laqueur bemerkt in einer kurzen Würdigung, der "Monat" sei in den fünfziger und sechziger Jahren "die bedeutendste Zeitschrift Europas, ja wahrscheinlich der ganzen Welt" geworden. Ihren Namen dachte sich Klaus Mann aus. Unter ihren Autoren finden sich so unterschiedliche Geister wie Hans Sahl, Hermann Kesten, Willy Brandt, Georg Orwell, Albert Kesselring, Truman Capote, Hilde Spiel, Arthur Koestler, Friedrich Luft, Wolf Jobst Siedler, Hannah Arendt, Alexander Mitscherlich, Siegfried Kracauer, Golo Mann, Albert Camus, Ludwig Marcuse, Ossip K. Flechtheim und viele andere mehr.
Gestritten wurde im "Monat" besonders gern gegen einäugige GULag-Leugner und Parteiliteraten der prosowjetischen Linken. Ein im Buch dokumentierter Prozeßbericht von Gustave Stern ruft die Auseinandersetzung zwischen David Rousset und der Zeitschrift "Lettres Françaises" in Erinnerung, die 1951 vor den Schranken der Justiz ausgetragen wurde. Das Gericht bestätigte faktisch "die sachliche Richtigkeit der Behauptung Roussets" über "die Existenz der russischen Konzentrationslager". Ehemalige Insassen des sowjetischen Lagersystems berichteten vor Gericht über das, was ihnen und ihren Leidensgenossen widerfahren war.
Im "Monat" war nachzulesen, was Jerzsy Glicksmann über die Verfolgung und Ermordung von Mitgliedern der polnisch-jüdischen Arbeiterpartei aussagte oder wie der legendäre rote Held der Republik Spanien "El Campesino" das traurige Schicksal der spanischen Bürgerkriegsflüchtlinge in der Sowjetunion schilderte: "Von 6000 spanischen Kommunisten, die mit mir in Rußland eintrafen, waren im Jahre 1948 nur noch 1200 am Leben, sie vegetierten in Lagern."
Kein Wunder, daß überzeugte Stalinisten wie Johannes R. Becher außer sich gerieten und die "Monat"-Autoren als "Spitzel" und "Kriegsverbrecher" beschimpften, als "eine Bande internationaler Hochstapler" und "literarisch getarnte Gangster". Lasky war in diesen Jahren einer der liebsten Feinde der SED-Propaganda. Er wurde deswegen jedoch nicht zum Freund des militanten Antikommunismus im Stile eines Joseph McCarthy. Lasky bedauerte im "Monat", daß der Schnüffel-Senator "dem Selbstvertrauen der freien Welt so viel Abbruch getan hat".
Seine Lesereise durch zehn Jahre "Monat" beendet Martin mit einem Sprung in die Gegenwart. Lasky selbst kommt zu Wort. Der Mann, der mit dem großen Kongreß für kulturelle Freiheit quasi mit einem Paukenschlag die Abwehrschlacht gegen die kulturpolitische Offensive des Kommunismus in Westeuropa eröffnet hatte, beklagt heute "die Banalisierung des Kulturbegriffs". Der Begriff Kultur sei inzwischen "zu einem globalen Zauberwort" heruntergekommen, zu einer Beschwörungsformel, zum "Spielzeug für Journalisten und Historiker, zur Barbie-Puppe der Soziologen", mit einem Satz: "Sie ist an idiot's delight, die Wonne der Idioten."
Ein zweitausend Jahre alter Begriff, schreibt Lasky, sei durch Spiegelzauberei vor unseren Augen verschwunden. Während es im alten Athen Kultur gab, ohne daß seine Bewohner über den Begriff verfügten, ist heute das Wort allgegenwärtig, ohne sich noch auf etwas Wirkliches beziehen zu müssen. Von primitiven Kulturen über Unternehmenskulturen, politische Kultur, Gedenkkultur und Festkultur bis Multi-Kulti geht die bunte Rede, wenn, so Lasky, die "Schlagwörter in unserem Turm zu Babel Amok laufen".
Als Kultur gilt inzwischen eigentlich alles: also nichts. Melvin J. Lasky, der Mann, der soviel Lebenskraft in den Streit für kulturelle Freiheit investiert hat, gehört zwar zu den Siegern der Geschichte, einen Gewinn indes vermag er darin nicht zu entdecken. Es herrscht die große Freiheit und damit auch die Beliebigkeit des Geschwätzes.
JOCHEN STAADT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Der Monat", Melvin Lasky und ein Allerweltswort
Marco Martin: Orwell, Koestler und all die anderen. Melvin J. Lasky und "Der Monat". Mut-Verlag, Asendorf 1999. 199 Seiten, Abbildungen, 29,80 Mark.
Marco Martin unternimmt eine Lesereise, die in das Jahr 1948 zurückführt, in die Zeit, als nach linker Lesart der Westen den Kalten Krieg begann. Erzählt wird die Geschichte einer Zeitschrift, die Geschichte schrieb: "Der Monat", begründet und herausgegeben 1948 in Berlin von Melvin J. Lasky, in den sechziger Jahren zunächst von Fritz René Alleman und Hellmut Jaesrich weitergeführt, später dann von Jaesrich, Klaus Harpprecht und Peter Härtling. Nachdem die Zeitschrift in den siebziger Jahren dem Zeitgeist zum Opfer fiel, unternahmen Helga Herwisch und der heutige Bundeskulturleiter Michael Naumann in den achtziger Jahren noch einmal den erfolglosen Versuch einer Wiederbelebung.
Martin präsentiert in seinem Buch Lesefrüchte, überwiegend sind es Zankäpfel, aus den spannendsten ersten zehn "Monat"-Jahren, als Lasky und sein großer Autorenkreis die neugewonnene kulturelle Freiheit gegen den aufstrebenden westeuropäischen Stalinismus verteidigt haben. Walter Laqueur bemerkt in einer kurzen Würdigung, der "Monat" sei in den fünfziger und sechziger Jahren "die bedeutendste Zeitschrift Europas, ja wahrscheinlich der ganzen Welt" geworden. Ihren Namen dachte sich Klaus Mann aus. Unter ihren Autoren finden sich so unterschiedliche Geister wie Hans Sahl, Hermann Kesten, Willy Brandt, Georg Orwell, Albert Kesselring, Truman Capote, Hilde Spiel, Arthur Koestler, Friedrich Luft, Wolf Jobst Siedler, Hannah Arendt, Alexander Mitscherlich, Siegfried Kracauer, Golo Mann, Albert Camus, Ludwig Marcuse, Ossip K. Flechtheim und viele andere mehr.
Gestritten wurde im "Monat" besonders gern gegen einäugige GULag-Leugner und Parteiliteraten der prosowjetischen Linken. Ein im Buch dokumentierter Prozeßbericht von Gustave Stern ruft die Auseinandersetzung zwischen David Rousset und der Zeitschrift "Lettres Françaises" in Erinnerung, die 1951 vor den Schranken der Justiz ausgetragen wurde. Das Gericht bestätigte faktisch "die sachliche Richtigkeit der Behauptung Roussets" über "die Existenz der russischen Konzentrationslager". Ehemalige Insassen des sowjetischen Lagersystems berichteten vor Gericht über das, was ihnen und ihren Leidensgenossen widerfahren war.
Im "Monat" war nachzulesen, was Jerzsy Glicksmann über die Verfolgung und Ermordung von Mitgliedern der polnisch-jüdischen Arbeiterpartei aussagte oder wie der legendäre rote Held der Republik Spanien "El Campesino" das traurige Schicksal der spanischen Bürgerkriegsflüchtlinge in der Sowjetunion schilderte: "Von 6000 spanischen Kommunisten, die mit mir in Rußland eintrafen, waren im Jahre 1948 nur noch 1200 am Leben, sie vegetierten in Lagern."
Kein Wunder, daß überzeugte Stalinisten wie Johannes R. Becher außer sich gerieten und die "Monat"-Autoren als "Spitzel" und "Kriegsverbrecher" beschimpften, als "eine Bande internationaler Hochstapler" und "literarisch getarnte Gangster". Lasky war in diesen Jahren einer der liebsten Feinde der SED-Propaganda. Er wurde deswegen jedoch nicht zum Freund des militanten Antikommunismus im Stile eines Joseph McCarthy. Lasky bedauerte im "Monat", daß der Schnüffel-Senator "dem Selbstvertrauen der freien Welt so viel Abbruch getan hat".
Seine Lesereise durch zehn Jahre "Monat" beendet Martin mit einem Sprung in die Gegenwart. Lasky selbst kommt zu Wort. Der Mann, der mit dem großen Kongreß für kulturelle Freiheit quasi mit einem Paukenschlag die Abwehrschlacht gegen die kulturpolitische Offensive des Kommunismus in Westeuropa eröffnet hatte, beklagt heute "die Banalisierung des Kulturbegriffs". Der Begriff Kultur sei inzwischen "zu einem globalen Zauberwort" heruntergekommen, zu einer Beschwörungsformel, zum "Spielzeug für Journalisten und Historiker, zur Barbie-Puppe der Soziologen", mit einem Satz: "Sie ist an idiot's delight, die Wonne der Idioten."
Ein zweitausend Jahre alter Begriff, schreibt Lasky, sei durch Spiegelzauberei vor unseren Augen verschwunden. Während es im alten Athen Kultur gab, ohne daß seine Bewohner über den Begriff verfügten, ist heute das Wort allgegenwärtig, ohne sich noch auf etwas Wirkliches beziehen zu müssen. Von primitiven Kulturen über Unternehmenskulturen, politische Kultur, Gedenkkultur und Festkultur bis Multi-Kulti geht die bunte Rede, wenn, so Lasky, die "Schlagwörter in unserem Turm zu Babel Amok laufen".
Als Kultur gilt inzwischen eigentlich alles: also nichts. Melvin J. Lasky, der Mann, der soviel Lebenskraft in den Streit für kulturelle Freiheit investiert hat, gehört zwar zu den Siegern der Geschichte, einen Gewinn indes vermag er darin nicht zu entdecken. Es herrscht die große Freiheit und damit auch die Beliebigkeit des Geschwätzes.
JOCHEN STAADT
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