Denken kann ich einzig und allein in Geschichten. Auch der Bildhauer überträgt seine Gedanken nicht etwa in Marmor. Er denkt in Marmor.
Wie brillant und anschaulich Oscar Wilde in Geschichten dachte, zeigt diese Sammlung, die seine spoken stories zum ersten Mal zugänglich macht. Es waren diese mündlich vorgetragenen Geschichten, die bei seinem Publikum die unauslöslichsten Eindrücke hinterließen, und viele seiner Freunde waren überzeugt, dass Wildes schöpferische Kraft dann am größten war, wenn er erzählte.
Dass Oscar Wilde ein Meister des geistreichen Aphorismus war und dass er sich blendend darauf verstand, auf elegante Weise mit philosophischen Ideen zu jonglieren, ist weitgehend bekannt. Aber es wäre denkbar falsch, ihn einzuschränken auf Rollen wie Prinz des Paradoxons oder der erste gut gekleidete Philosoph der Geschichte . Wilde war ein genialer, hingebungsvoller Erzähler, der in Gesellschaft stundenlang Geschichte an Geschichte reihen konnte, ganz als habe er, wie ein Freund einmal meinte, eine Scheherazade en miniature in sich.
Es ist das Verdienst von Thomas Wright, dass wir unser Bild von Wilde um einige entscheidende Facetten erweitern können. Wright zeigt uns einen Literaten, der das Erzählen so wenig lassen kann wie das Atmen so Peter Ackroyd in seinem Vorwort , der mit leichter Hand aus dem reichen Fundus der keltischen Märchenlandschaft und der irischen Folklore schöpft, sich auf frühe englische Dramatiker ebenso stützt wie auf französische Symbolisten, aber auch gern Anleihen nimmt bei zeitgenössischen Anekdoten und Salongeschichten. Und der sich vor allem und immer wieder von der Bibel inspirieren lässt: Wenn ich daran denke, wie viel Unheil dieses Buch angerichtet hat, gebe ich alle Hoffnung auf, jemals Vergleichbares zu schaffen. Doch nicht nur seine Bibelgeschichten zeugen in diesem Band davon, dass ihm viel Wunderbares gelungen ist.
Wie brillant und anschaulich Oscar Wilde in Geschichten dachte, zeigt diese Sammlung, die seine spoken stories zum ersten Mal zugänglich macht. Es waren diese mündlich vorgetragenen Geschichten, die bei seinem Publikum die unauslöslichsten Eindrücke hinterließen, und viele seiner Freunde waren überzeugt, dass Wildes schöpferische Kraft dann am größten war, wenn er erzählte.
Dass Oscar Wilde ein Meister des geistreichen Aphorismus war und dass er sich blendend darauf verstand, auf elegante Weise mit philosophischen Ideen zu jonglieren, ist weitgehend bekannt. Aber es wäre denkbar falsch, ihn einzuschränken auf Rollen wie Prinz des Paradoxons oder der erste gut gekleidete Philosoph der Geschichte . Wilde war ein genialer, hingebungsvoller Erzähler, der in Gesellschaft stundenlang Geschichte an Geschichte reihen konnte, ganz als habe er, wie ein Freund einmal meinte, eine Scheherazade en miniature in sich.
Es ist das Verdienst von Thomas Wright, dass wir unser Bild von Wilde um einige entscheidende Facetten erweitern können. Wright zeigt uns einen Literaten, der das Erzählen so wenig lassen kann wie das Atmen so Peter Ackroyd in seinem Vorwort , der mit leichter Hand aus dem reichen Fundus der keltischen Märchenlandschaft und der irischen Folklore schöpft, sich auf frühe englische Dramatiker ebenso stützt wie auf französische Symbolisten, aber auch gern Anleihen nimmt bei zeitgenössischen Anekdoten und Salongeschichten. Und der sich vor allem und immer wieder von der Bibel inspirieren lässt: Wenn ich daran denke, wie viel Unheil dieses Buch angerichtet hat, gebe ich alle Hoffnung auf, jemals Vergleichbares zu schaffen. Doch nicht nur seine Bibelgeschichten zeugen in diesem Band davon, dass ihm viel Wunderbares gelungen ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002Ich bin der Doktor Eisenzart
Karel Gott und Mozart seiner Epoche? Die hagiographische Edition von Oscar Wildes Tischgesprächen / Von Bernd Eilert
Ein Mann, der fähig sei, beim Dinner in London einen ganzen Tisch zu dominieren, der könne auch die Welt beherrschen, das behauptet zumindest der moralisch anfechtbare, gesprächstechnisch jedoch unschlagbare Antiheld Lord Illingworth in Oscar Wildes Gesellschaftskomödie "Eine Frau ohne Bedeutung". Von Bedeutung ist allerdings die Ankündigung solcher Glanzleistungen - wie ein geistiger Höhenflug wirken sie nur, wenn sie ganz ohne auskommen, gleichsam aus dem Stand abheben.
Ich kenne wenige, die einen Witz wirkungsvoll zu servieren wüßten, wenn sie bereits als begnadete Erzähler angekündigt und mit Vorschußlorbeeren bedeckt das Wort ergriffen. Und niemanden, der eine Rezension mit dem Versprechen ankündigen würde, er werde sein Sujet dank seiner diabolischen Intelligenz so furios zerfetzen, als führte ein rächender Gott ihm die Feder. Deswegen verzichte auch ich darauf und komme zur Sache.
Die Protokolle von Oscar Wildes Tischgesprächen füllen nicht annähernd hundert der zweihundertzwanzig Seiten des Büchleins. Davon wiederum gehen weitere zwanzig ab, auf denen einige von Wildes bereits bekannten Prosagedichten nachgedruckt sind. Weit mehr als die Hälfte machen also zwei Vorworte und die Ankündigungen aus, die jede der Nacherzählungen einleiten und an Länge oft übertreffen. Daß Wrights Annoncen Wildes Monologen nicht gut bekommen, liegt in der Unnatur der Mache. Wer Kunst zur Religion erheben möchte, landet stets im Edelkitsch.
Wenn Peter Ackroyd in seinem Vorwort feststellt: "Wilde gehörte zu jenen von Witz und Einfallsreichtum sprühenden Konversationsgenies" und: "Er war der geborene Fabulierer", klingt das noch einigermaßen glaubwürdig. Thomas Wright legt in seiner Einleitung die Latte gleich auf Rekordhöhe: "Wilde war der größte Geschichtenerzähler seiner Epoche", behauptet er, wohl wissend, daß solch ein Superlativ nicht nachprüfbar ist. Gönnerhaft nennt der geborene Fabulierer Wright seinen Helden "eine Scheherezade en miniature", die angeblich "Geschichte um Geschichte . . . miteinander verknüpfte, wie Edelsteine an einer goldenen Kette." Bis zum "Ende seiner Laufbahn" hat demnach Wilde persönlich "an den goldenen, edelsteinbesetzten Fragmenten seines Genies" gemeißelt, und Wright zitiert einen Ungenannten, der "seine Sätze mit ,juwelenbesetztem Brokat'" verglichen haben soll. "Wilde in Gesellschaft" haben wir uns mal als "heiter und sphinxhaft", mal als "kindlich oder verträumt" vorzustellen. "Als eine Art altirischer Barde" sah ihn W. B. Yeats, "als immerwährender Verschwender des eigenen Genies" und als "ein Mozart der Literatur" erscheint er Wright.
Außerdem muß er eine Art Karel Gott seiner Zeit gewesen sein, denn: "Große Wirkung erzielte Wilde mit seiner ,goldenen Stimme'." Und: "Die Wirkung von Wildes Geschichten wurde zuweilen der von berückender Musik gleichgesetzt; häufiger allerdings noch verglich man sie mit dem Sonnenlicht."
Nun lassen sich Augen- und Ohrenzeugen bekanntlich gern blenden, wenn es um die Stärken und Schwächen prominenter Zeitgenossen geht. Daß Wright ihre wichtigtuerischen Übertreibungen ernst nimmt, ist um so sträflicher: Ein junger Dichter etwa "behauptete, daß er - nachdem er Wilde gehört habe - ohne das geringste Zögern einen Mord begangen hätte, hätte der große Mann dies von ihm verlangt". Wilde hat, das sei zu seiner Ehrenrettung gesagt, solche Neigungen nur literarisch ausgelebt, und Wright hätte gut daran getan, zumindest diesen Fall von Sonnenstich durch einen Hinweis auf "Das Bildnis des Dorian Gray" zu relativieren.
Wilde war zwar ein großer Sünder, zum Heiligen freilich fehlte ihm Gott sei Dank eine Kleinigkeit: die nötige Demut. Wenn er für einen Glauben gestorben ist, dann für den an sich selbst. Doch leider hat dieser Herausgeber nur den Zug, nicht das Zeug zum Hagiographen. "Viele attestierten ihm nahezu wunderbare Kräfte", unter anderem Wildes Dämon Lord Alfred Douglas, der später gern behauptete, sein Opfer "könne jeden verstimmten oder gar körperlich kranken Menschen heilen". Und zwar allein durch die Macht seiner Worte, die Wright mit der "Brillanz eines übermenschlichen Feuerwerks" vergleicht: "In einem Salon mitten im lärmenden Paris weinten die Gäste ungehemmt bei der Vorstellung, daß Worte . . . einen derartigen Glanz entfalten konnten." "Wunder aus dem Nichts" nennt wiederum Douglas Wildes "spoken stories", und wer kindisch genug ist, das glauben zu wollen, den darf nun gar nichts mehr wundern.
"Oscar Wildes Tischgespräche" wollen den Beweis antreten, daß der brillante Autor ein noch glanzvollerer Orator gewesen sei. Der Verdacht, das Gegenteil sei zutreffend, verstärkt sich bei fortgesetzter Lektüre zur Gewißheit. Wobei man Wilde zugute halten darf, daß er wie jeder talentierte Unterhalter "eine fast telepathische Sensibilität für sein Publikum" entwickelte und sich instinktiv dessen Vorlieben anpassen mußte. Die Ironiefähigkeit eines breiteren Theaterpublikums schätzte Wilde offenbar wesentlich höher ein als die seiner Fangemeinde, die in privaten Salons zusammenströmte, um seine launige Gelegenheitsprosa für Offenbarungen zu nehmen. Seine Monologe aufzuzeichnen war seinerzeit ein sicher gutgemeinter Versuch von Zeitgenossen, ihre Verehrung auszudrücken - verstärkt durch in diesem Fall durchaus angebrachte Schuldgefühle -, als nachträgliche Rechtfertigung taugen sie nicht.
Nun gibt es immer wieder Laien, die uns mit Kennermiene weismachen wollen, der erste Entwurf zu einem Kunstwerk übertreffe dessen Ausführung, was Wert und Wirkung betrifft. Das mag auf die Produktion von Amateuren zutreffen - für jeden professionellen Künstler kommt dies Vorurteil einer Beleidigung gleich. Wer nicht einmal im eigenen Werk den Zustand, welcher der Vollendung am nächsten kommt, zu erkennen vermag, sollte besser ganz die Finger davon lassen. Und bei allem, was man Oscar Wilde vorwerfen kann, diese Erkenntnisfähigkeit darf man ihm nicht absprechen. Eine neutestamentarische Ergänzung jedenfalls hat sein Gesamtwerk weder nötig noch verdient.
Doch Wright preist weiter inbrünstig die Stimme seines Herrn: "Nicht weniger wirksam erwies sie sich bei Trauernden und Sterbenden", die Wilde offenbar nach dem Dinner noch zu trösten pflegte. "Bei mehreren dieser Abendessen sollen angeblich Lichtstrahlen von ihm ausgegangen sein", meldet sein Jünger und ruft noch eine Augenzeugin auf: "Eine Besucherin glaubte gar, einen Glorienschein um sein Haupt zu erblicken." Mitten in Paris!
Ein anderer "junger Schriftsteller" erblickte dort in Wildes Gesellschaft "plötzlich einen gleißenden Engel, der von der Mitte der Place de l'Opéra auf sie zukam". Wildes Schutzengel kann es nicht gewesen sein, denn der hätte ihm einen Nachlaßverweser wie Thomas Wright gewiß erspart.
Oscar Wilde: "Tischgespräche". Herausgegeben von Thomas Wright. Aus dem Englischen übersetzt von Maria Mill. Blessing Verlag, München 2002. 224 S., 20 Abb., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karel Gott und Mozart seiner Epoche? Die hagiographische Edition von Oscar Wildes Tischgesprächen / Von Bernd Eilert
Ein Mann, der fähig sei, beim Dinner in London einen ganzen Tisch zu dominieren, der könne auch die Welt beherrschen, das behauptet zumindest der moralisch anfechtbare, gesprächstechnisch jedoch unschlagbare Antiheld Lord Illingworth in Oscar Wildes Gesellschaftskomödie "Eine Frau ohne Bedeutung". Von Bedeutung ist allerdings die Ankündigung solcher Glanzleistungen - wie ein geistiger Höhenflug wirken sie nur, wenn sie ganz ohne auskommen, gleichsam aus dem Stand abheben.
Ich kenne wenige, die einen Witz wirkungsvoll zu servieren wüßten, wenn sie bereits als begnadete Erzähler angekündigt und mit Vorschußlorbeeren bedeckt das Wort ergriffen. Und niemanden, der eine Rezension mit dem Versprechen ankündigen würde, er werde sein Sujet dank seiner diabolischen Intelligenz so furios zerfetzen, als führte ein rächender Gott ihm die Feder. Deswegen verzichte auch ich darauf und komme zur Sache.
Die Protokolle von Oscar Wildes Tischgesprächen füllen nicht annähernd hundert der zweihundertzwanzig Seiten des Büchleins. Davon wiederum gehen weitere zwanzig ab, auf denen einige von Wildes bereits bekannten Prosagedichten nachgedruckt sind. Weit mehr als die Hälfte machen also zwei Vorworte und die Ankündigungen aus, die jede der Nacherzählungen einleiten und an Länge oft übertreffen. Daß Wrights Annoncen Wildes Monologen nicht gut bekommen, liegt in der Unnatur der Mache. Wer Kunst zur Religion erheben möchte, landet stets im Edelkitsch.
Wenn Peter Ackroyd in seinem Vorwort feststellt: "Wilde gehörte zu jenen von Witz und Einfallsreichtum sprühenden Konversationsgenies" und: "Er war der geborene Fabulierer", klingt das noch einigermaßen glaubwürdig. Thomas Wright legt in seiner Einleitung die Latte gleich auf Rekordhöhe: "Wilde war der größte Geschichtenerzähler seiner Epoche", behauptet er, wohl wissend, daß solch ein Superlativ nicht nachprüfbar ist. Gönnerhaft nennt der geborene Fabulierer Wright seinen Helden "eine Scheherezade en miniature", die angeblich "Geschichte um Geschichte . . . miteinander verknüpfte, wie Edelsteine an einer goldenen Kette." Bis zum "Ende seiner Laufbahn" hat demnach Wilde persönlich "an den goldenen, edelsteinbesetzten Fragmenten seines Genies" gemeißelt, und Wright zitiert einen Ungenannten, der "seine Sätze mit ,juwelenbesetztem Brokat'" verglichen haben soll. "Wilde in Gesellschaft" haben wir uns mal als "heiter und sphinxhaft", mal als "kindlich oder verträumt" vorzustellen. "Als eine Art altirischer Barde" sah ihn W. B. Yeats, "als immerwährender Verschwender des eigenen Genies" und als "ein Mozart der Literatur" erscheint er Wright.
Außerdem muß er eine Art Karel Gott seiner Zeit gewesen sein, denn: "Große Wirkung erzielte Wilde mit seiner ,goldenen Stimme'." Und: "Die Wirkung von Wildes Geschichten wurde zuweilen der von berückender Musik gleichgesetzt; häufiger allerdings noch verglich man sie mit dem Sonnenlicht."
Nun lassen sich Augen- und Ohrenzeugen bekanntlich gern blenden, wenn es um die Stärken und Schwächen prominenter Zeitgenossen geht. Daß Wright ihre wichtigtuerischen Übertreibungen ernst nimmt, ist um so sträflicher: Ein junger Dichter etwa "behauptete, daß er - nachdem er Wilde gehört habe - ohne das geringste Zögern einen Mord begangen hätte, hätte der große Mann dies von ihm verlangt". Wilde hat, das sei zu seiner Ehrenrettung gesagt, solche Neigungen nur literarisch ausgelebt, und Wright hätte gut daran getan, zumindest diesen Fall von Sonnenstich durch einen Hinweis auf "Das Bildnis des Dorian Gray" zu relativieren.
Wilde war zwar ein großer Sünder, zum Heiligen freilich fehlte ihm Gott sei Dank eine Kleinigkeit: die nötige Demut. Wenn er für einen Glauben gestorben ist, dann für den an sich selbst. Doch leider hat dieser Herausgeber nur den Zug, nicht das Zeug zum Hagiographen. "Viele attestierten ihm nahezu wunderbare Kräfte", unter anderem Wildes Dämon Lord Alfred Douglas, der später gern behauptete, sein Opfer "könne jeden verstimmten oder gar körperlich kranken Menschen heilen". Und zwar allein durch die Macht seiner Worte, die Wright mit der "Brillanz eines übermenschlichen Feuerwerks" vergleicht: "In einem Salon mitten im lärmenden Paris weinten die Gäste ungehemmt bei der Vorstellung, daß Worte . . . einen derartigen Glanz entfalten konnten." "Wunder aus dem Nichts" nennt wiederum Douglas Wildes "spoken stories", und wer kindisch genug ist, das glauben zu wollen, den darf nun gar nichts mehr wundern.
"Oscar Wildes Tischgespräche" wollen den Beweis antreten, daß der brillante Autor ein noch glanzvollerer Orator gewesen sei. Der Verdacht, das Gegenteil sei zutreffend, verstärkt sich bei fortgesetzter Lektüre zur Gewißheit. Wobei man Wilde zugute halten darf, daß er wie jeder talentierte Unterhalter "eine fast telepathische Sensibilität für sein Publikum" entwickelte und sich instinktiv dessen Vorlieben anpassen mußte. Die Ironiefähigkeit eines breiteren Theaterpublikums schätzte Wilde offenbar wesentlich höher ein als die seiner Fangemeinde, die in privaten Salons zusammenströmte, um seine launige Gelegenheitsprosa für Offenbarungen zu nehmen. Seine Monologe aufzuzeichnen war seinerzeit ein sicher gutgemeinter Versuch von Zeitgenossen, ihre Verehrung auszudrücken - verstärkt durch in diesem Fall durchaus angebrachte Schuldgefühle -, als nachträgliche Rechtfertigung taugen sie nicht.
Nun gibt es immer wieder Laien, die uns mit Kennermiene weismachen wollen, der erste Entwurf zu einem Kunstwerk übertreffe dessen Ausführung, was Wert und Wirkung betrifft. Das mag auf die Produktion von Amateuren zutreffen - für jeden professionellen Künstler kommt dies Vorurteil einer Beleidigung gleich. Wer nicht einmal im eigenen Werk den Zustand, welcher der Vollendung am nächsten kommt, zu erkennen vermag, sollte besser ganz die Finger davon lassen. Und bei allem, was man Oscar Wilde vorwerfen kann, diese Erkenntnisfähigkeit darf man ihm nicht absprechen. Eine neutestamentarische Ergänzung jedenfalls hat sein Gesamtwerk weder nötig noch verdient.
Doch Wright preist weiter inbrünstig die Stimme seines Herrn: "Nicht weniger wirksam erwies sie sich bei Trauernden und Sterbenden", die Wilde offenbar nach dem Dinner noch zu trösten pflegte. "Bei mehreren dieser Abendessen sollen angeblich Lichtstrahlen von ihm ausgegangen sein", meldet sein Jünger und ruft noch eine Augenzeugin auf: "Eine Besucherin glaubte gar, einen Glorienschein um sein Haupt zu erblicken." Mitten in Paris!
Ein anderer "junger Schriftsteller" erblickte dort in Wildes Gesellschaft "plötzlich einen gleißenden Engel, der von der Mitte der Place de l'Opéra auf sie zukam". Wildes Schutzengel kann es nicht gewesen sein, denn der hätte ihm einen Nachlaßverweser wie Thomas Wright gewiß erspart.
Oscar Wilde: "Tischgespräche". Herausgegeben von Thomas Wright. Aus dem Englischen übersetzt von Maria Mill. Blessing Verlag, München 2002. 224 S., 20 Abb., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der "Lord of Language" soll Oscar Wilde gewesen sein, berichtet der Rezensent Holger Gumprecht, ein begnadeter Erzähler und "brillanter Sprecher", dessen gesprochenes Wort so geschliffen war, dass es seine Zeitgenossen tief beeindruckte. 42 vor allem mündlich überlieferte "Tischgespräche", Anekdoten, Fabeln und biblische Geschichten, habe Thomas Wright in diesem Band zusammengetragen. Doch kann der Rezensent dem Herausgeber nur beipflichten, wenn dieser schreibt, die Geschichten verlören durch die schriftliche Übertragung an Lebendigkeit. Und dies sei angesichts des Vorhabens nur allzu verständlich, schließlich habe Wright "schlichtweg das Unmögliche versucht", nämlich "die Kunst eines Meisters des geistvollen Parlierens, ein Stück rhetorischer Pyrotechnik, zwischen zwei Buchdeckel zu pressen". Doch dazu gesellen sich auch formale Beanstandungen von Seiten des Rezensenten. Nicht nur dass der Herausgeber seine Authentizitätsansprüche erstaunlich niedrig ansetze, in den 200 Seiten des Bandes gehe Wildes Wort in der Flut des Wrightschen Kommentars regelrecht unter. Wie schade, so Gumprecht abschließend, dass es von Wilde keine Tonaufnahmen gibt, um sich von dessen Sprechen ein Bild zu machen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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