Kokoschka und Österreich: Das ist eine Geschichte von Kränkung und Bewunderung, von Heimat- und Hassliebe, politischer Vereinnahmung und Opportunismus, ein Parcours durch die Kunst und die politische Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie die wechselvolle Biographie eines faszinierenden Künstlers.Am Anfang der internationalen Karriere Oskar Kokoschkas (1886-1980) standen legendäre Skandale in Wien, die ihn sowohl zum ewigen Enfant terrible als auch zum "Opfer" österreichischer Kulturpolitik machten. Sein ambivalentes Verhältnis, seine Hassliebe zu Österreich zieht sich trotz wechselnder Staatsbürgerschaften wie ein roter Faden durch das Leben und Werk dieses explizit politischen Künstlers. Als engagierter Antifaschist, von den Nationalsozialisten als "entartet" diffamiert, in Prag ab 1934 und später im englischen Exil und bis tief in die Nachkriegszeit hinein war er, wie Bernadette Reinhold anhand zahlreicher Quellen nachzeichnet, stets mit "tausend Fasern" mit seiner alten Heimatverbunden. Seine politische Instrumentalisierung als "großer Österreicher" schon im Austrofaschismus, das geringe Engagement, ihn nach 1945 zurückzuholen, aber auch die opportunistischen Verflechtungen mit ehemaligen Nationalsozialisten liefern ein differenziertes Bild des Altmeisters der Moderne.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Leo A. Lensing erkennt in Bernadette Reinholds seiner Meinung nach verdienstvoller Biografie über Oskar Kokoschka Lücken, die allerdings einer mangelhaften Editions-Forschung anzulasten sind, wie er einräumt. Die Autorin muss sich auf vom Maler selbst geschönte Textausgaben berufen. Kokoschkas Antisemitismus fällt so teils unter den Tisch, kritisiert Lensing. Davon abgesehen schlägt der Band einen großen Bogen von Kokoschkas Anfängen 1908 bis zu seinem Verhältnis zur Kulturpolitik Österreichs nach 1945, erläutert Lensing. Kokoschkas Ringen mit Österreich erzählt die Autorin laut Rezensent anhand von Akten, Korrespondenzen und Zeitgenossenberichten als "größtenteils unbekannte" Geschichte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2023Wienern traut man nicht
Seiner Heimat Österreich in Hassliebe verbunden: Bernadette Reinhold fördert in ihrer gründlich recherchierten Biographie Oskar Kokoschkas bisher größtenteils Unbekanntes über den Maler als Homo politicus zutage.
Schiele vielleicht, aber Klimt nicht, Kokoschka ja, Gerstl nein." So verkürzt apodiktisch fällt Reger, der Icherzähler von Thomas Bernhards Roman "Alte Meister", zunächst sein Urteil über die Größe österreichischer Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts, um dann prompt ausführlicher zu werden: "In der Qualität Schieles hat es ja in diesem Jahrhundert mehrere österreichische Maler gegeben, aber außer Kokoschka keinen einzigen wirklich bedeutenden, sozusagen wirklich großen." Wie Bernhard selbst wohl bekannt war, haben das offizielle Österreich und die österreichische Kunstgeschichtsschreibung das anders gesehen. Vertreten wird Kokoschka bis heute in den öffentlichen Sammlungen des Landes und in kunsthistorischen Darstellungen meistens am dritten Platz hinter seinem geschätzten Mentor Gustav Klimt und dem beneideten, zuweilen brutal beschimpften Kollegen Egon Schiele. Niemand weiß das besser als Bernadette Reinhold, Autorin zahlreicher Studien und Herausgeberin einschlägiger Sammelbände über den Maler, die seit 2008 das Oskar-Kokoschka-Zentrum an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien leitet. Es geht in dieser ungewöhnlich konzipierten Biographie aber nicht um die Korrektur einer ohnehin problematischen Rangordnung, sondern um eine Abrechnung mit dem Homo politicus und seiner Hassliebe zu seinem Heimatland.
Die "Facetten" des Untertitels werden dem großen Bogen kaum gerecht, den diese ehrgeizige Studie zu ziehen versucht - von dem brisanten, die Kunstwelt Wiens polarisierenden Anfang in der Kunstschau 1908 und der Internationalen Kunstschau 1909 über den Militärdienst und die Beteiligung an Propaganda-Initiativen im Ersten Weltkrieg, die bisher kaum bekannte Annäherung an den austrofaschistischen "Ständestaat" sowie antifaschistisches Engagement in Prag und in England bis zum zögerlichen Mitmachen an der zunehmend konservativen Kulturpolitik Österreichs nach 1945.
Das gründlich recherchierte Herzstück des Buchs untersucht die wechselhaften Beziehungen der Jahre 1945 bis 1955 zwischen der Zweiten Republik und ihrem verlorenen, aber seit 1947 nicht österreichischen, sondern britischen Sohn. Anhand von Personalakten, Sitzungsprotokollen und anderen Archivalien sowie Korrespondenzen und Berichten von Zeitgenossen erzählt Reinhold eine größtenteils unbekannte, letzthin triste Geschichte von Annäherung und Entfremdung. Trotz Intrigen von neidischen, ehemals nazistischen Malerkollegen und anderen Gegnern bemühten sich Politiker und Museumsleute um den einst militant antifaschistischen Künstler. Man wollte ihm Ausstellungen organisieren, Aufträge verschaffen, Professuren sichern, Ehren verleihen und vor allem ihn überzeugen, die österreichische Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen.
Einzelne Episoden nehmen sich da wie Szenen in einer Nestroy-Posse aus. Gegen die Verleihung einer Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien im Jahr 1946 wurden in einer Stadtratssitzung die Einwände erhoben, der sechzigjährige Maler solle erst einmal siebzig Jahre alt werden und ein Ausländer sei er ja auch. Zu den Pannen bei Versuchen, die kargen Bestände des OEuvres in öffentlichen Sammlungen aufzustocken, gehörte die Erwerbung eines beeindruckenden frühen Porträts für die Österreichische Galerie, das sich als Werk des bereits vor 1914 als Plagiator verfolgten Max Oppenheimer entpuppte.
Dass Kokoschka nach 1945 zunehmend einem allgemeinen, der Tagespolitik indifferenten Humanismus frönte, kam einer Kulturpolitik gelegen, die den Mythos vom ersten Opfer Hitlers pflegte, um ungestört an die großen Kunsttraditionen der Habsburger Vergangenheit anzuknüpfen. Aber der Maler sah sich selbst als Opfer nicht nur der Folgen der berüchtigten, 1937 in München veranstalteten Ausstellung "Entartete Kunst" und der nationalsozialistischen Kunstpolitik - rund sechshundert seiner Werke wurden aus deutschen Museen entfernt -, sondern auch der Wiener Kunstkritik und des Wiener Publikums, die in den Jahren 1909 bis 1914 seinen expressionistischen Porträts mit Spott und Häme begegnet waren. Immer wieder unterminierte seine fragwürdige Vermengung dieser historisch doch sehr unterschiedlichen Zusammenhänge eine produktive Zusammenarbeit.
Wenn es einmal doch gelang, eine repräsentative Ausstellung zu veranstalten oder ein wichtiges Bild an ein Museum zu vermitteln, waren, wie Reinhold unerschrocken darstellt, dubiose Akteure im Spiel, in erster Linie der Salzburger Friedrich Welz und Wolfgang Gurlitt, ein Mitglied der berüchtigten deutschen Kunsthändlerdynastie. Kokoschka zeigte sich besonders Welz verbunden, auf dessen Geschäfte im Dritten Reich bereits in Patrick Werkners und Gloria Sultanos grundlegender Studie "Oskar Kokoschka. Kunst und Politik 1937-1950" hingewiesen wurde. Etwas entschiedener wäre ein Verhaltensmuster herauszustellen gewesen, das bei den Beziehungen zwischen dem Maler und jüdischen Vertretern der österreichischen Kunstwelt zu beobachten ist. In internen Kämpfen der Wiener Ausstellungspolitik stellte sich Kokoschka immer auf die Seite seiner braunen Kunstagenten und ließ Freunde und Bekannte der Vorkriegsjahre wie Ludwig Münz, Direktor der Kunstsammlung der Akademie, und Franz Glück, Leiter des Museums der Stadt Wien, im Stich.
Im Fall des Kunsthändlers Otto Kallir, der in den Zwanzigerjahren mit einer Reihe von Ausstellungen sich für das Werk einsetzte und 1940 die erste Kokoschka-Schau in den USA veranstaltete, erlaubte sich der Maler antisemitische Ausfälle. In Briefen vor und nach dem Krieg wird Kallir, der bis 1933 Nirenstein hieß, konsequent "Nierenstein" genannt und einmal eindeutig unter die "Wiener Blutsauger" eingereiht. Dass solch codierte, aber eindeutige Hinweise auf jüdische Abstammung keine Ausnahmen bildeten, zeigt eine vergleichbare Verballhornung des Namens des erzkonservativen Kunstkritikers Adalbert Franz Seligmann, den Kokoschka auch einmal öffentlich in einer Pariser Exilpublikation mit Hitler gleichsetzte.
Dass diese und andere heikle Facetten des "politischen" Kokoschka unerläutert bleiben, ist nicht der Autorin, sondern dem miserablen Stand der Kokoschka-Editionen anzulasten. Auch sie ist darauf angewiesen, die lückenhaften, zensurierten und dürftig kommentierten Briefausgaben zu benutzen und sich mit einer Edition der "Politschen Äußerungen" zu bescheiden, deren brenzlige Texte der Dreißigerjahre der schreibende Maler zu späten Lebzeiten umgeschrieben hat. Obwohl in dieser breit gefächerten Studie der Gang ad fontes entschlossen angetreten wurde, gibt es wichtige, noch zu erschließende Quellen wie zum Beispiel das von Jane Kallir, der Enkelin Otto Kallirs, verwaltete Archiv der Galerie St. Etienne in New York. LEO A. LENSING
Bernadette Reinhold: "Oskar Kokoschka und Österreich". Facetten einer politischen Biographie.
Böhlau Verlag, Wien 2022. 340 S., Abb., br., 35,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Seiner Heimat Österreich in Hassliebe verbunden: Bernadette Reinhold fördert in ihrer gründlich recherchierten Biographie Oskar Kokoschkas bisher größtenteils Unbekanntes über den Maler als Homo politicus zutage.
Schiele vielleicht, aber Klimt nicht, Kokoschka ja, Gerstl nein." So verkürzt apodiktisch fällt Reger, der Icherzähler von Thomas Bernhards Roman "Alte Meister", zunächst sein Urteil über die Größe österreichischer Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts, um dann prompt ausführlicher zu werden: "In der Qualität Schieles hat es ja in diesem Jahrhundert mehrere österreichische Maler gegeben, aber außer Kokoschka keinen einzigen wirklich bedeutenden, sozusagen wirklich großen." Wie Bernhard selbst wohl bekannt war, haben das offizielle Österreich und die österreichische Kunstgeschichtsschreibung das anders gesehen. Vertreten wird Kokoschka bis heute in den öffentlichen Sammlungen des Landes und in kunsthistorischen Darstellungen meistens am dritten Platz hinter seinem geschätzten Mentor Gustav Klimt und dem beneideten, zuweilen brutal beschimpften Kollegen Egon Schiele. Niemand weiß das besser als Bernadette Reinhold, Autorin zahlreicher Studien und Herausgeberin einschlägiger Sammelbände über den Maler, die seit 2008 das Oskar-Kokoschka-Zentrum an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien leitet. Es geht in dieser ungewöhnlich konzipierten Biographie aber nicht um die Korrektur einer ohnehin problematischen Rangordnung, sondern um eine Abrechnung mit dem Homo politicus und seiner Hassliebe zu seinem Heimatland.
Die "Facetten" des Untertitels werden dem großen Bogen kaum gerecht, den diese ehrgeizige Studie zu ziehen versucht - von dem brisanten, die Kunstwelt Wiens polarisierenden Anfang in der Kunstschau 1908 und der Internationalen Kunstschau 1909 über den Militärdienst und die Beteiligung an Propaganda-Initiativen im Ersten Weltkrieg, die bisher kaum bekannte Annäherung an den austrofaschistischen "Ständestaat" sowie antifaschistisches Engagement in Prag und in England bis zum zögerlichen Mitmachen an der zunehmend konservativen Kulturpolitik Österreichs nach 1945.
Das gründlich recherchierte Herzstück des Buchs untersucht die wechselhaften Beziehungen der Jahre 1945 bis 1955 zwischen der Zweiten Republik und ihrem verlorenen, aber seit 1947 nicht österreichischen, sondern britischen Sohn. Anhand von Personalakten, Sitzungsprotokollen und anderen Archivalien sowie Korrespondenzen und Berichten von Zeitgenossen erzählt Reinhold eine größtenteils unbekannte, letzthin triste Geschichte von Annäherung und Entfremdung. Trotz Intrigen von neidischen, ehemals nazistischen Malerkollegen und anderen Gegnern bemühten sich Politiker und Museumsleute um den einst militant antifaschistischen Künstler. Man wollte ihm Ausstellungen organisieren, Aufträge verschaffen, Professuren sichern, Ehren verleihen und vor allem ihn überzeugen, die österreichische Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen.
Einzelne Episoden nehmen sich da wie Szenen in einer Nestroy-Posse aus. Gegen die Verleihung einer Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien im Jahr 1946 wurden in einer Stadtratssitzung die Einwände erhoben, der sechzigjährige Maler solle erst einmal siebzig Jahre alt werden und ein Ausländer sei er ja auch. Zu den Pannen bei Versuchen, die kargen Bestände des OEuvres in öffentlichen Sammlungen aufzustocken, gehörte die Erwerbung eines beeindruckenden frühen Porträts für die Österreichische Galerie, das sich als Werk des bereits vor 1914 als Plagiator verfolgten Max Oppenheimer entpuppte.
Dass Kokoschka nach 1945 zunehmend einem allgemeinen, der Tagespolitik indifferenten Humanismus frönte, kam einer Kulturpolitik gelegen, die den Mythos vom ersten Opfer Hitlers pflegte, um ungestört an die großen Kunsttraditionen der Habsburger Vergangenheit anzuknüpfen. Aber der Maler sah sich selbst als Opfer nicht nur der Folgen der berüchtigten, 1937 in München veranstalteten Ausstellung "Entartete Kunst" und der nationalsozialistischen Kunstpolitik - rund sechshundert seiner Werke wurden aus deutschen Museen entfernt -, sondern auch der Wiener Kunstkritik und des Wiener Publikums, die in den Jahren 1909 bis 1914 seinen expressionistischen Porträts mit Spott und Häme begegnet waren. Immer wieder unterminierte seine fragwürdige Vermengung dieser historisch doch sehr unterschiedlichen Zusammenhänge eine produktive Zusammenarbeit.
Wenn es einmal doch gelang, eine repräsentative Ausstellung zu veranstalten oder ein wichtiges Bild an ein Museum zu vermitteln, waren, wie Reinhold unerschrocken darstellt, dubiose Akteure im Spiel, in erster Linie der Salzburger Friedrich Welz und Wolfgang Gurlitt, ein Mitglied der berüchtigten deutschen Kunsthändlerdynastie. Kokoschka zeigte sich besonders Welz verbunden, auf dessen Geschäfte im Dritten Reich bereits in Patrick Werkners und Gloria Sultanos grundlegender Studie "Oskar Kokoschka. Kunst und Politik 1937-1950" hingewiesen wurde. Etwas entschiedener wäre ein Verhaltensmuster herauszustellen gewesen, das bei den Beziehungen zwischen dem Maler und jüdischen Vertretern der österreichischen Kunstwelt zu beobachten ist. In internen Kämpfen der Wiener Ausstellungspolitik stellte sich Kokoschka immer auf die Seite seiner braunen Kunstagenten und ließ Freunde und Bekannte der Vorkriegsjahre wie Ludwig Münz, Direktor der Kunstsammlung der Akademie, und Franz Glück, Leiter des Museums der Stadt Wien, im Stich.
Im Fall des Kunsthändlers Otto Kallir, der in den Zwanzigerjahren mit einer Reihe von Ausstellungen sich für das Werk einsetzte und 1940 die erste Kokoschka-Schau in den USA veranstaltete, erlaubte sich der Maler antisemitische Ausfälle. In Briefen vor und nach dem Krieg wird Kallir, der bis 1933 Nirenstein hieß, konsequent "Nierenstein" genannt und einmal eindeutig unter die "Wiener Blutsauger" eingereiht. Dass solch codierte, aber eindeutige Hinweise auf jüdische Abstammung keine Ausnahmen bildeten, zeigt eine vergleichbare Verballhornung des Namens des erzkonservativen Kunstkritikers Adalbert Franz Seligmann, den Kokoschka auch einmal öffentlich in einer Pariser Exilpublikation mit Hitler gleichsetzte.
Dass diese und andere heikle Facetten des "politischen" Kokoschka unerläutert bleiben, ist nicht der Autorin, sondern dem miserablen Stand der Kokoschka-Editionen anzulasten. Auch sie ist darauf angewiesen, die lückenhaften, zensurierten und dürftig kommentierten Briefausgaben zu benutzen und sich mit einer Edition der "Politschen Äußerungen" zu bescheiden, deren brenzlige Texte der Dreißigerjahre der schreibende Maler zu späten Lebzeiten umgeschrieben hat. Obwohl in dieser breit gefächerten Studie der Gang ad fontes entschlossen angetreten wurde, gibt es wichtige, noch zu erschließende Quellen wie zum Beispiel das von Jane Kallir, der Enkelin Otto Kallirs, verwaltete Archiv der Galerie St. Etienne in New York. LEO A. LENSING
Bernadette Reinhold: "Oskar Kokoschka und Österreich". Facetten einer politischen Biographie.
Böhlau Verlag, Wien 2022. 340 S., Abb., br., 35,- Euro.
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